Freitag, 31. Dezember 2021

.... vom Feld "zwanzig-zwo-eins"

 Gedanken zu Silvester 2021

Gebet:

Gott, das alte Jahr liegt hinter mir, wie ein voll gemaltes Blatt. 

Ich habe mich eingezeichnet in das Leben. Habe Großes und Kleines erlebt. 

Mal fuhr der Stift zügig und befreit über das Blatt. 

Dann wieder wirbelte er in nervigen Kreiseln. 

Viele LebensLinien haben die meine gekreuzt. 

Ein Gemälde ist entstanden, wie es ich mir nie hätte ausdenken können. 

Es ist genau so wertvoll. Genauso wie es ist. 

Selbst die Stellen, die vor mühsamen Gekritzel etwas durchlöchert sind. 

Es ist voll. Voll Fülle. Voll Leben. In jeglicher Art. 

Und ich habe das geschafft. Das alles. 

Und du warst die unsichtbare Spur, Gott. 

Der Untergrund auf dem ich schreibe. 

Auch dieses Jahr ist aufgeschrieben in dein Buch des Lebens. 

Es ist eingeheftet in die vielen Seiten meiner Lebensgeschichte 

und in das dicke Buch aller Menschen zu allen Zeiten. 

Du nimmst jede Seite mit liebevoller Barmherzigkeit in Deine Hände. 

Schaust stolz auf die kräftigen Linien. 

Und streichst zärtlich über alles Wirre und Unschöne. 

Habe Dank. Habe Dank. Habe Dank. 

Gott, das neue Jahr liegt vor mir, unberührt wie ein weißes Blatt. 

Ich setze den Stift an und zeichne jetzt los. 

Welches Bild wird sich wohl für das neue Jahr ergeben? 

Was wird groß sein und bedeutend? Was klein und unscheinbar?

Gott, gib Du mir die Kraft, die Mine aufzusetzen.

Gib Du mir die Freiheit, mich auch mal zu verzeichnen. 

Gib Du mir den Mut, mit meinen Strichen das Blatt zu füllen. 

Führe Du meine Hand und begleite mich in das neue Jahr. Amen.


(nach eine rIdee von Katharina Zoe Vetter)



Lesung: Jesus sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune. (Mt. 13 )








Predigt:

Jesus läuft über die Äcker meines Lebens. 

Er steht vor meinem zuletzt bepflanzten Feld:

„Zwanzig-zwo-eins“. 

Es ist über und über bewachsen. 

So richtig gefüllt. Kein Platz mehr.

Mit all den Pflanzen meiner Tage und Stunden,

meines Tuns und Nichttuns.

Da gibt es Pflanzen, die sind wie aus dem Himmel.

Die mag ich besonders.

Himmelreichblumen.

Tatsächlich. 

Sie sind wie mit feinen silbernen Fäden am Himmel fest gemacht. 

Das müssen ganz besondere Momente gewesen sein.

Glücksmomente. Lachen. Lob. Freude. Liebe.

Es sind viele.

Dazwischen wächst lauter anderes Zeug.

Alltagspflanzen. 

Kleine, abgebrochene, dicke Überwuchernde, 

viele viele gleiche  „Jeden-Tag-das-selbe-Blumen“.

Überraschungsblümchen.

Klammernde Rankelpflanzen.

Bittere Früchte und Zweige mit Dornen.

Das Feld lockt zum Aufräumen.

Ich greife entschuldigend nach einer Hacke.

Jesus legt sie wieder weg und nimmt mich bei der Hand.


Er sagt: „Manche Deiner Tage behandelst Du wie Unkraut! 

Als wären sie nicht das, was Du von ihnen erwartet hast.  

Die Einschränkungen Deines Lebens: Unkraut.

Die Fehler, die Du wieder gemacht hast: Unkraut.

Dein Unvermögen in manchen Dingen, da, wo Du 

ungeschickt warst, unaufmerksam, unhöflich: alles Unkraut. 

Überhaupt alles Unglück und Unbill, alle Plagen und Nöte, 

Schmerzen und Bitternis, Verzweiflung und Wut: Unkraut.

Jedes zu viel gegessene Sahneschnittchen: Unkraut.

Das, was Dir versagt blieb, was Du nicht bekommen hast, 

was Dir nicht vergönnt und was vergeblich war: Unkraut. 

Schlechte Kritik, unbeachtet geblieben, 

abgewiesen worden, alleine gefühlt: Unkraut. 


Du hast gute Samen in Deinen Acker gelegt.

Aber als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, 

da fand sich auch das ‚Unkraut‘.“


„Ja“, sage ich „manchmal habe ich mir keine Mühe gegeben.“ 

„Es lag nicht alles in Deiner Hand.“, 

unterbricht er mich und schaut mich direkt an. 

„Und wenn Du jetzt an einer der Pflanzen ziehst, 

würdest Du alles andere mit heraus reißen. 

Siehst Du diese Dornenhecke - das war eine böse Krankheit, 

die Du hattest, aber die zwei zarten Himmelsblumen, 

die dort heraus ranken, sind nur in ihrem Schutz empor gekommen, 

aus dem Grasballen deines Jedentaglebens. 

Jede Pflanze hier hängt mit einer anderen zusammen. 

Das da ist lauter Aber-Aber-Moos. 

Es hält das Wasser gut an der Oberfläche 

für diese die zarten Entschuldigungen von dir.

Diese abgebrochene Pflanze da hinten 

war ein falsches und verletzendes Wort von Dir, 

aber es hat hier Licht gemacht für einen neuen Zweig. 

Denn Du bist eine andere geworden nach diesem Wort und Deiner Scham darüber.

Jede noch so winzige und Dir vielleicht unwichtige Sekunde deiner Tage 

hat hier ihren Platz. Das Feld ist bestellt. 

Himmelreichpflanzen wachsen niemals auf einem freien Feld alleine. 

Sie brauchen die langweiligen Stunden-Sprösslinge 

und die vor-den-Kopf-hau-Äste für Schatten und Halt. 

Aber noch ist nicht Erntezeit. Ganz am Ende. 

Am Ende aller Tage und Felder Deines Lebens vielleicht. 

Dann wird es einmal eine Ernte geben. 

Und da wirst Du Dich am UnkrautFeuer Deiner Alltagsstunden wärmen können. 

Und die Himmelsblumen werden zu eine Spur werden - direkt zu mir. 

Weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges kann Dich jemals trennen von mir.“ 


Und er lässt meine Hand wieder los, nickt den Pflanzen zu, 

als würde er jede einzelne kennen und schlendert davon. 

Und ich finde: es darf alles so bleiben. 

Ein neuer Acker liegt vor mir. 

Wie immer sind meine Taschen voll mit Samen. 

Wie immer will ich unbedingt, dass es schön wird. 

Besonders schön. 

Und wie immer werde ich pflanzen und andere aber auch. 

Und wie immer wird genug Wasser da sein und genug Platz. 

Wie immer wird die Erde voll Segen sein. 

Wie immer werden silberne Fäden vom Himmel hängen. 

Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe.




Samstag, 25. Dezember 2021

Besuch



Es ist früh morgens. Alle im Haus schlafen noch. Die vergangene Adventszeit ist so schnell vorbei gerauscht, dass Lisbeth das Gefühl hat, erst gestern das ersten Türchen geöffnet und die erste Kerzen entzündet zu haben. Wo war sie gewesen in dieser Zeit? Warum fühlte es sich immer so an, als würden diese schönen lichtvollen Tage wie im Fluge vergehen? Und außerdem legte sich der Advent in diesem Jahr nur wie eine sehr dürftige löchrige Decke auf die manchmal mühsamen Tage. Seufzend zündet sie auch die vierte Kerze am Kranz an. Die Straße vor dem Küchenfenster liegt noch im Dunkel. Der Tag ist noch nicht erwacht. Etwas vom weißen Schimmer der Straßenlaterne vermischt sich mit dem flackernden warmen Licht der vier Kerzen. Vor dem Fenster vernimmt sie im Vorbeigehen einen Schatten. Jemand winkt. Um diese Uhrzeit? Das ist unheimlich. Mit der Fingerspitze pocht eine nur schemenhaft sichtbare Person leise an die Scheibe und zeigt Richtung Haustür. Zögernd nimmt Lisbeth den Schlüssel aus dem Fach und geht zur Tür. Wer sollte das sein? Schlack. Schlack. Macht der Sicherheitsschlüssel im Schloss. Quietschend bewegt sich die Klinke nach unten. Nur einen kleinen Spalt öffnet sie die Tür. Ein Schwall eiskalter Luft strömt herein. „Hallo?“ Keine Reaktion. Aber irgendjemand steht dort vor der Tür. Sie hört den Stoff rascheln.  Mit einem tiefen Atemzug öffnet Lisbeth Tür weiter. Die dort steht, ist ziemlich dick angezogen. Das Gesicht kommt ihr sehr bekannt vor. Aber ihr fällt nicht ein woher. Sowas ist ihr immer sehr peinlich. „Guten Morgen. Sie sind aber früh dran. Was kann ich denn für Sie tun?“, frage sie. Da lächelt ihr Gegenüber. Extrem gewinnend. „Kann ich mich kurz aufwärmen? Bin noch nicht ganz angekommen und….“, sagt die Frau dort draußen und zuckt irgendwie unheimlich reizend mit den Schultern und die sympathische Falten im Gesicht erinnern Lisbeth sofort an ihre Großmutter. „Ich weiß, dass wir uns kennen“, antwortet sie in die kalte Luft hinaus, „aber mir fällt gerade nicht ein, woher…?“ Mit einer weichen Geste streicht die Frauengestalt die letzte Unsicherheit zwischen ihnen zu Seite: „Ich bin die Weihnacht.“ „Ist klar, Weihnachten steht vor der Tür, oder wie?!“ Lisbeth muss lachen. Und denkt, dass sie den Advent 2021 wohl genau so muffig, dunkel und lumpig gemalt hätte, wie diese Frau gerade auf sie wirkt. Obwohl ihr nicht klar ist, was diese Frau von ihr möchte, findet sie es plötzlich sehr unhöflich, sie draußen vor der Tür stehen zu lassen. Zumal sie ihr so bekannt vorkommt. Und waren sie beide sogar beim ‚Du‘? Sie erinnert sich einfach nicht. „Na los, kommen Sie rein.“ Lisbeth tritt zur Seite und geht unsicher voraus in die Küche. Hier im Licht erkennt sie die sehr freundlichen Züge einer älteren Dame. "Möchten Sie was Warmes trinken?“, fragt sie. „Ja, aber nichts mit Zimt!“, sagt die Frau schnell. Etwas zu schnell. Und setzt dann hinzu „Bitte nur einen warmen Kakao.“ Dabei setzt sie sich auf einen der Stühle, nimmt eine unförmige schmuddelige braune Wollmütze vom Kopf und schüttelt ihre leuchtend weißen Locken. Einen Moment denkt Lisbeth, dass sie dabei glitzernde Schneeflocken hat heraus sprinkeln sehen. Aber der Fußboden ist trocken. „Gerne.“, nickt sie und kneift ihre Augen ganz kurz fest zusammen. Und während sie den Kühlschrank öffnet, um die Milch heraus zu nehmen und nach Worten für ein Gespräch sucht, zieht die Dame ihre zerfetzte Jacke aus. Lisbeth blickt auf. Etwas sternförmiges fällt klimpernd heraus. Und verschwindet. Unter dem ziemlich lumpigen alten Mantel trägt die merkwürdige Person einen warmen grünen Pullover, der sie ein wenig wie eine dicke Wärmflasche aussehen  lässt. Lisbeth nimmt extra die blaue bedruckte Tasse vom Weihnachtsmarkt und stellt sie mit Milch in die Mikrowelle. Als sie sich abwendet und die Kaffeemaschine anschaltet, scheint sich der Besuch in ihrem Rücken weiter zu entblättern. „Was will denn 'die Weihnacht’ von mir?“, fragt Lisbeth mit einem schelmischen Unterton, der die Frau ermuntern soll, über die Schulter. Sie schnappt sich die Dose mit dem Kakaopulver und dreht sich um. Erschrocken fährt sie zusammen. Sah die Dame nicht eben noch deutlich älter aus? Sie scheint in den wenigen Sekunden um Jahre jünger geworden zu sein. Oder lag es am Licht? Ein bestechender Tannenduft liegt plötzlich in der Luft, wie von einem frisch geschlagenen Weihnachtsbaum. Genauso wie früher mit Vater im Wald. Und statt des grünen Zopfmusterpullovers trägt die Frau nun ein wallendes leuchtend rotes Kleid. Hatte sie vorher auch schon diese gold schimmernden Stiefel an? Irritiert und auf ihre Antwort gespannt, tastet Lisbeth hinter sich nach der Mikrowelle, ohne die Frau aus den Augen zu lassen. „Ich freue mich schon so.“ sagt diese (nun noch jünger wirkende) Frau leicht und lächelnd und nimmt Lisbeth die warme Milch aus der Hand. Dann wickelt sie ihren dicken Schal ab, der vibrierende Geräusche macht, als würde man auf winzigen Gitarrensaiten zart eine Weihnachtsmelodie zupfen. Irgendein Parfumduft erreicht Lisbeths Nase. Der Geruch macht ihr eine Gänsehaut und öffnet in ihrem Gedächtnis Bilder der alten Stube, vom Ausziehtisch mit Kartoffelsalat und den Wiener Würstchen. Lisbeth räuspert sich und kneift sich hinter dem Rücken mit der linken Hand in den rechten Arm. „Sie freuen sich auf Weihnachten, meinen Sie?“, fragt sie, vergisst ihre Vorsicht und dreht sich nach dem Kaffee um. „Ja“, sagt die Stimme jung und warm in ihrem Rücken, „und ich wollte nur sagen, dass Du dir keine Sorgen um mich machen musst. Ich gehe sicher nicht verloren. Ich bin schon in Schützengräben und unter Autobahnbrücken gewesen, in Wüsten und Schwesternzimmern. Und meine Kraft hat sich nicht verloren. Nie.“ Lisbeth dreht sich langsam um. Sie lässt sich auf den Stuhl fallen und sieht etwas ungläubig ein aufmerksames und glücklich lächelndes junges Mädchen mit kurzen Haaren vor sich sitzen. Die Kleider, die es trägt, erinnern an einen Strickwarenkatalog vom Ende der 70er Jahre und der Pony ist etwas schief geschnitten. Lisbeth schließt kurz die Augen. Vor ihrem inneren Auge sieht sich selbst mit schiefem Pony mit einem Paar weißer gefütterter Schneestiefel und wie sie diese unter dem Weihnachtsbaum innig jauchzend an sich drückt. Sie schluckt und ahnt weit hinten in ihrem Bewusstsein so etwas wie eine schimmernde Bahn der Erinnerungen, ihrer eigenen Erinnerungen und die vergangener Zeiten. Sie erwartet beinahe, wenn sie jetzt die Augen aufschlagen würde, ein Kind zu sehen in Windeln gewickelt. Vorsichtig öffnet sie die Augen. Es riecht nach Kakao. Der Herrnhuter Stern spiegelt sich im Fenster. Der Stuhl vor ihr ist leer. Sie hört die Tür ins Schloss fallen. Kleine Erdkrümel liegen unter dem Stuhl. Ein fast heiliges Gefühl überkommt sie. An diesem Morgen liegt in ihrem Herzen für einen Moment eine Gewissheit, die sie fast mit den Händen berühren kann. Einen Moment bleibt sie so sitzen. Dann steht sie auf und schneidet das Brot. Amen 


Ich steh an deiner Krippen hier, Jesus. 

Sie steht mitten in meinem Leben.

Wie Sonne und Mond, Hitze und Kälte

nicht vergehen werden.

So wird Dein Stern über mir stehen. Für immer.




Freitag, 24. Dezember 2021

Predigt zu Heiligabend

 

Heiligabend


Heiligabend sagen wir zu diesem Abend

Dass er uns wirklich heilig ist, das merken wir gerade.

Und welche Kraft er hat.

Irgendetwas geht von diesem Tag aus,

etwas nicht alltägliches.

Etwas mit einer großen Kraft. 

Einer Kraft von der wir zehren können,  

wenn wir sie vielleicht im Moment gerade nicht haben.

Einer großen Kraft, die er 2000 Jahre angesammelt hat 

- vielleicht gerade für Dich heute Abend,

damit Du bestärkst wirst 

und allem standhalten kannst.


Heute hörst du diese alte Weihnachtsgeschichte,

die erzählt von Leuten, 

deren Leben gerade aus dem Gleichgewicht gekommen ist, 

aus ganz verschiedenen Gründen. 

Die sich einfinden an einem Punkt,

der sie verbunden hält. 

Auch wenn ihre Wege und ihre Lebenseinsichten nicht die gleichen sind.

Dieser Punkt ist die Krippe.

Ist ein Stern, der darüber leuchtet.

Sind Menschen, die Gott empfangen.


Lass UNS das sein. Lass uns die sein, 

die zusammen auf dieses Wunder schauen.

Die sich anrühren lassen und Vertrauen bekommen.  

Von etwas das man kaum sehen kann. Von Gott.


Predigt


Es ist 26 Jahre her als ich mit meiner ersten Tochter schwanger war. 

Eines Tages machten mein Mann und ich uns auf eine Reise mit unserem kleinen Studentenauto. 

Wir waren auf dem Weg zu unserer Familie. 

Der Weg war beschwerlich und weit. Eine Stunde Fahrt. 

Einmal fuhren wir eine lange gerade Landstraße entlang. 

Einige hundert Meter vor uns eine große Kreuzung. 

Von rechts kam ein Auto. Es musste warten, denn wir waren auf der Hauptstraße. 

Es blieb auch stehen. 

Nur wenige Momente aber, bevor wir diese Kreuzung erreichten, fing dieses Auto an, 

auf unsere Straße aufzufahren. 

Und der nächste Moment war ein riesiges hektisches gigantisches Bremsmanöver. 

Quietschende Bremsen von uns und dem Auto hinter uns und dem Auto, 

das plötzlich aufgefahren war. Ein Wackeln und Schwanken. 

Mit einem großen Bogen konnte mein Mann das Auto umfahren. 

Bremste. Hielt an. Wir waren verschont geblieben. 

Unser Kind in meinem Bauch war verschont geblieben. 

Ein guter Stern stand über uns.

Nichts war passiert. Und viel hätte passieren können. 

Es hatten sicher nur Millimeter oder Bruchteile von Sekunden gefehlt. 

Schockiert fuhren wir weiter. Über Jahre hinweg fuhr ich ungerne Auto. 

Ich hatte das Vertrauen in die anderen Verkehrsteilnehmer verloren. 

Erst mit 28 Jahren machte ich viel später meine Fahrerlaubnis. 

Ich hatte entschieden, mich wieder auf die anderen zu verlassen. 

Dass sie auf ihrer Spur bleiben, dass sie anhalten, wenn sie es sollten, 

dass sie mich nicht gefährden 

und sich einfach an die Verabredungen halten, die im Verkehr gelten. 

Das war schwer. Aber letztendlich sah ich keinen anderen Weg, als ihnen zu trauen. 

So funktioniert der Straßenverkehr, man vertraut aufeinander.


Josef hat einen ähnlichen Crash erlebt. 

Er hatte sich Maria ausgesucht als seine zukünftige Gefährtin. 

Er, der Zimmermann und sie würden ein wunderbares Paar sein. 

Sie würden Kinder bekommen und ein Haus zusammen haben, das Leben miteinander teilen. 

Und dann wurde Maria schwanger, bevor die beiden sich überhaupt näher kamen. 

Josefs Vertrauen muss sich aufgelöst haben von einer Minute zur andere. 

Die Frau, der er vertraute, war wohl fremd gegangen oder was war da passiert? 

Das war ihm passiert - und eben war sein Leben noch in Ordnung gewesen…  

Stellt euch einfach vor, was in diesem Mann alles vorgegangen sein muss 

- dass er am Ende einverstanden war mit dieser Situation! 

Josef hatte in seinem Leben jemandem, dem er ganz und gar vertraute: Gott. 

Er vertraute in Gott und darum vertraute er ins Leben. 

Und als er dann die Nachricht bekam, dass er Maria als seine Frau annehmen soll 

mit diesem Kind und einfach vertrauen solle, dass das jetzt das Richtige sei. 

Da hat er’s gekonnt.

Vielleicht hat er sich eine Nacht hinaus gesetzt und hat in die Sterne schaut 

oder ist auf einen Berg gestiegen oder hat eine Runde Holz gehackt… 

Er hat entschieden, wieder zu vertrauen, weil er damit mehr Leben gewann, 

als er sonst - ohne Vertrauen - gehabt hätte. 

Eine Vertrauensentscheidung. 

Eine Lebensentscheidung. 

Eine Glaubensentscheidung.


Ich glaube, das Vertrauen ist die Regung in uns allen, 

die in diesen Tagen am meisten Schaden genommen hat. 

Und natürlich hat uns Gott auch noch 

einen guten und scharfen Verstand gegeben, damit wir selber denken und entscheiden können. 

Aber das Denken und die Fakten sind eben nicht alles im Leben, 

das merkt ihr alle jetzt gerade. Sie helfen uns oft nicht wirklich weiter. 

Sie erklären nicht alles. Sie erlösen uns nicht. 


Für mich ist das einer der Gründe, warum wir immer noch - schon seit 2000 Jahren - 

diese Weihnachtsgeschichte feiern. 

Weil sie tief beeindruckend und prägend und uns ein Vorbild ist: 

dass es Menschen gibt, die damals vertraut haben, die die Hoffnung nicht aufgegeben haben. 

Die festgestellt haben, dass die Leisten des Alltags nicht die tragfähigen Balken sind, 

die am Ende tragen, denn sie können auch mal einen Knacks bekommen, 

und das darunter ein Fundament sein müsste 

aus Vertrauen und Liebe und Gnade und Glaube. 

Eines, das immer trägt, egal wohin der Wind des Lebens dich trägt.


Wenn es dir also in diesen Tagen so geht, 

dass die Leisten des Alltags Risse bekommen 

und Dein Vertrauen schwindet, 

wenn die Müdigkeit dich verrückt macht 

und du gerade gerne in eine anderen Welt umziehen würdest, 

die irgendwie netter und unproblematischer ist, 

dann geh hinaus und schau in die Sterne - und sieh: 


bei Gott brennt Licht. 


Da gibt es einen unsichtbaren Raum, 

der hier ist, mitten unter uns, den er eröffnet und der ein Schutzraum ist 

für dich und mich in Zeiten der Rissigkeit. 

Oder zünde eine Kerzen an, sage jemandem etwas Freundliches, 

mache einen ersten Schritt, schlucke dein Geschimpfe einmal herunter, 

lasse jemandem den Vortritt, glaube deinem Kind, vertraue in dich und in den anderen. 

Deine tastenden Füße werden Balken spüren, die tragen, auch wenn darüber dünnes Eis ist.

Wenn wir uns heute Frohe Weihnachten wünschen, 

dann meinen wir nicht fröhlich, 

sondern still froh friedlich geborgen aufgehoben wissend, dass es Gottes Raum hier gibt. 

Gleich hier. 

Und dass der etwas aushält. 

Amen.




Oh Bethlehem du kleine Stadt...

Mein Weihnachtsmoment in Bethlehem

"Vati. Bitte geh noch nicht. Bleib bei uns. Halte durch!", 

klingt die helle Stimme des Mädchens aus meinem Handy. 

"Vodder, du weißt ja... komm schon. 

Das schaffst du. Ich hab hier alles im Griff.", 

sagt eine junge männliche Stimme. 

"Liebster, weißt du noch, wir haben doch noch so viel vor. 

Du fehlst uns so. Kämpfe. Bitte." 

Dicht habe ich das Handy an das Ohr von Peter gehalten. 

Für ihn atmet eine Maschine. Er kann mich nicht hören. 

Oder hört er es doch? 

"Oh Bethlehm, du kleine Stadt, wie stille liegst du hier..." 

singe ich... und stelle ein kleines Hoffnungslicht ins Fenster. 

Er kann es nicht sehen. Oder sieht er es doch? 

Mit meiner von der Lichterkette um meinen Hals 

schimmernden Schutzkleidung gehe ich ins Nebenzimmer. 

Alles im Roten Bereich. 

Intensivstation. 

Coronainfektionsbereich. 

Ich stelle die kleinen elektrischen Kerze 

zu den Menschen an den Beatmungsmaschinen, singe: 

"... du schläfst und goldne Sternelein ziehn leise über dir."

Im nächsten Zimmer ist jemand, der mit mir reden kann. 

Ich höre zu. Wünsche dass sie bald gesund wird. 

Sie nickt und nimmt das elektrische Licht. 

"Doch in den dunklen Gassen das stille Licht heut scheint...", 

singe ich und sehe im nächsten Zimmer 

einen jungen Mann seine ersten Schritte am Rollator gehen. 

Er hat es geschafft. 

Das Personal der Station steht bewegt im Gang 

und schaut ihm zu. 

"Meine Mädchen brauchen mich doch noch!", ruft er laut. 

Am Ende bin ich noch bei einer stillen alten Dame. 

"...für alle, die da traurig sind und die zuvor geweint." 

Ihre Hand zuckt ein wenig unter der meinen. 

Ich drücke sie ein wenig und lasse das Licht da. 

Einer sieht. 

Einer hört heute für sie mit. 

Ein Schimmer bleibt da, 

so bilde ich mir ein, 

als ich Bethlehem verlasse.



 Sterne für die Intensivstation


Mindestens 11 Schläuche winden sich von langen Stativen bis zum Krankenbett. 

Viele Kabel liegen in dicken Schlangen auf dem Bettrand 

und sind mit dem Körper verbunden. 

Monitore geben Geräusche von sich und

zeichnen zackelnde Linien. 

Das Beatmungsgerät schnauft im immer gleichen Rhythmus. 

Meine blaue Handschuhhand liegt sanft auf der Hand eines Mannes mittleren Alters. 

Vor einer Woche haben wir die letzten Worte miteinander gewechselt. 

Jetzt liegt er im künstlichen Koma und wird beatmet. 

Seine Krankheit ist eine, die manche abwertend als "Schnupfen“ bezeichnen. 

Ihn hat es an die Grenze des Lebens gebracht. 

Die letzten Minuten vor dem künstlichen Koma waren quälend. 

Ein Moment, in dem die Gedanken dem eigenen Leben galten 

und den Liebsten daheim. 

Würde er je wieder aufwachen?

Oder waren das jetzt die letzten bewussten Minuten in seinem Leben? 

Liebevoll und mit Rücksicht erklärten ihm die Mitarbeitenden auf der Intensivstation 

warum das alles nötig ist und was ihn erwartete. 

Bevor er nichts mehr sagen konnte, 

bestellte er Grüße an seine Familie. Tränen liefen über sein Gesicht. 

Ich blieb einfach da. Hörte zu. Machte ihm Mut: 

Dass er es schaffen kann. 

Dass seine Familie an ihn denken und ihm Kraft schicken wird. 

Und dass ich am nächsten Tag und in den nächsten Wochen 

wieder hier stehen werde an seinem Bett, auch wenn er dann tief schliefe. 

Dass ich nun, wenn er in den Schlaf sinken würde, 

in der Kapelle des Klinikums ein Gebet für ihn sprechen 

und eine Kerze anzünden werde.

Eine Woche ist nun vergangen. 

Ein auf und ab für ihn. Ein Kampf für ihn. 

Engmaschige begleitet und versorgt vom Ärzte- und Pflegepersonal. 

Noch immer ist nicht sicher, wohin die Reise für ihn geht. 

Zu unberechenbar ist diese Krankheit. 

Ein wenig noch halte ich seine Hand und erzähle leise von draußen. 

Dann lese ich ihm noch einen Liebesbrief von seiner Familie vor, 

lege mein Hand auf seine Stirn und segne ihn. 

Ob das alles etwas hilft, kann ich auch nicht sicher sagen. 

Aber es macht etwas mit der Atmosphäre des Raumes, 

mit mir, mit diesem Mann, mit dem Bettnachbarn 

und mit dem immer wieder aufmerksam in der Tür stehenden Pfleger. 

Es sät Hoffnungsschimmer in den sonst nüchternen medizinischen Raum. 

Rund um die Uhr ist jemand im Raum oder an der Tür. 

Kaum eine Lebensregung entgeht denen, die hier jeden Tag pflegen, 

waschen, rasieren, Infusionen wechseln, Blut abnehmen, absaugen, 

Monitore kontrollieren, Kurven zeichnen, umlagern, Betten frisch machen, 

Urinbeutel wechseln und immer wieder mit den Patienten sprechen. 

Sie alle wünschen sich für jeden einzelnen 

dass er oder sie überlebt und gesund und selbständig atmend 

die Station verlassen kann. 

Jeder einzelne Verlust ist einer zu viel.

Später werde ich auf anderen Coronastationen unterwegs sein.

Und viele Menschen werden mir erzählen, warum sie so gezögert haben, 

sich impfen zu lassen. 

Viele bedauern es. 

Viele geben zu, die Gefahr unterschätzt zu haben. 

Einer sitze mit dem Sauerstoffschlauch in der Nase 

und sagt weinend, dass er noch gerne weiter für seine Enkel da sein möchte. 

Für manche habe ich hin und wieder bittere Nachrichten zu überbringen, 

dass z.B. Familienangehörige es nicht „geschafft“ haben 

und an der Krankheit gestorben sind. 

Mit viel Glück müssen sie nur einige Zeit Medikamente und Sauerstoff bekommen

und dürfen dann wieder nach Hause. 

Einige werden dann noch lange brauchen um sich wieder ganz zu erholen.

Für manche kommt die Erkrankung zu einer bestehenden Krankheit dazu. 

Andere warten auf eine Operation und haben Angst, sich anzustecken. 

Und alle die hier arbeiten sind es mittlerweile gewöhnt, 

sich ein dutzend Mal in Kittel, Häubchen, Visier, 

Mundschutz  und Handschuhe zu werfen 

und all die Ängste mit auszuhalten. 

Als ich die Intensivstation verlasse, 

habe ich noch etwas zu überreichen. 

Eine Freundin hatte 30 zarte Weihnachtssterne gestickt und mir geschickt. 

Ich wüsste sicher etwas damit anzufangen, schrieb sie. 

Zusammen mit einem Dankesbrief lege ich sie einer Schwester in die Hände. 

„Ihr seid ein echter Lichtblick für die Menschen hier.“, steht in dem Brief an sie. 





.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...