Sonntag, 23. Mai 2021

Predigt zu Pfingsten 2021 


Einmal geschah eine wunderliche Geschichte,

das erzählt die Bibel.

 


Die Menschen lebten damals gemeinsam in einem Tal.

Was auch immer zu dieser Art des Zusammenlebens führte, 

ihr Denken und Tun wurde streng einlinig. Einseitig.

Vielleicht hatten sie Angst, ihre Einheit und ihren Zusammenhalt zu verlieren.

Denn es ist einfach mühsam, bei jedem Projekt alle mitzunehmen, zu viele Richtungen zu vereinen, zu viele unüberschaubar unterschiedliche Ansätze zu verbinden. 

Gleichsein, Anpassen, einheitlich sein - schien ihnen der bessere und einfachere Weg. Einen Versuch war es wert.

Es sollte nichts anderes geben, weder links noch rechts,

nicht irgendwas dazwischen. 

Also beschlossen sie, eine Stadt und einen Turm zu bauen. 

Sie nannten diesen Ort Babel.

Alle arbeiteten an diesem Projekt wie ein Menschen, 

Hand in Hand.

Sie sprachen alle eine einheitliche Sprache. 

Sie nahmen Ziegel um Ziegel und bauten

erst die Stadt und dann eine riesen Turm.

Jeder, der ihn ansah oder bestieg, musste den Blick nach oben richten. 

Kaum jemanden gab es auf  Augenhöhe.

Ihr Bauwerk machte allen klar, wie klein er oder sie war.

Eine klare und eiserne Struktur. Von unten nach oben. 

Keine Kompromisse, keine Ausnahmen.

Wie in einer Spirale gewannen die Dinge sich zu verselbständigen und sie bauten einfach immer weiter, verloren lange schon den Kontakt zum Boden der Realität und zu einander. 

Sie würde vor nichts mehr zurück schrecken.

 

Gott sah das. Er sah eine Weile zu. 

Ihm wurde klar, dass dieser Entwurf für das Zusammenleben nicht funktionierte. Er war gescheitert. 

Und Gott korrigierte sich. 

Er konnte ja Neues erschaffen.

Er konnte das Leben erblühen lassen.

Und in einem Akt des Neu-Erschaffens 

ließ er die Menschen unterschiedlichste Sprachen sprechen.

Als die Menschen ihrer Unterschiede gewahr wurden, 

konnten sie nicht mehr so weiter leben. 

Sie zerstreuten sich über die ganze Erde - in aller Verschiedenheit. 

 

Was war falsch gelaufen?

Vielleicht dachten sie, das Leben würde schöner, wenn sie alle gleich dachten, sprachen, sich anzogen, die gleiche Musik hörten, gleiche Vorlieben hatten.

 

Verschiedenheit braucht Mut, um dazu zu stehen. Sie braucht Prozesse, sich individuell zu entwickeln. Verschiedenheit braucht Übersetzung zwischeneinender, macht Mühe im Zuhören, im Aushandeln der Gerechtigkeit und braucht die Stärke der Akzeptanz und die Demut, den anderen gewähren zu lassen und vielleicht sogar selbst ein Stück zurück zu treten, damit beide Platz zum Leben haben. 


Eine Sprache für alle. Ein und dasselbe Leben für alle.

Eine Denke für alle. Ein Ideal für alle.

Eines nur ist das Richtige, das Wahre.

Hört sich dagegen wesentlich einfacher an  

und nicht so mühsam. 

„Amerika first“ „ein Volk“ „Rassenlehre“ „Gesinnung“ 

....so hießen spätere Babeltürme, die unsere  Welt baute.

Es reizte die Menschen immer wieder. 


Nur: um dazu zu kommen, braucht es immer einen Akt der Gewalt. 

Müssten alle anderen Meinungen, alle anderen Auftreten, Aussehen, Sprechweisen, Lebensmodelle an den Rand gedrängt, unterdrückt 

oder gar vernichtet werden.



Was die Geschichte erzählte ist, 

dass Gott es war.

Gott hat die Verschiedenheit in die Welt gebracht.

Ein riesen Spektrum an Pflanzen und Tieren und Menschen. 

An Sprachen, an Begabungen, an Haarfarben und Nasenformen, 

an Stimmen und Herangehensweisen.

Gott hat das gemacht.

Gott hat diese Welt divers erschaffen. 

Und alle Verschiedenheiten.

Bis in alle Ecken der Welt.

Eine unfassbare Vielfalt.

Eine gewollte Vielfalt.

Eine wundervolle Vielfalt.


Später als Gott in Jesus hier unter den Menschen lebte und starb, 

hat er das noch einmal bekräftigt.

An Pfingsten.

Sein heiliger Geist der Liebe und der Unerschrockenheit 

kam in hunderten Sprachen herab.

Für alle.

Für jeden und jede. 

Vielfalt ist damit keine Strafe Gottes.

Vielfalt ist Gottes Modell unseres Lebens.

Sie ist ein bewusster Schöpfungsakt - extra und ausdrücklich. 

Als Lebensgrundlage. 

Jeder weiß und kann etwas anderes. 

Jede soll ihren Platz haben. 

Einheit kann es nur gemeinsam geben, 

in der Verständigung, nie ohne die anderen. 

Vielfalt hat ihre Heimat in der Liebe füreinander 

und der Liebe zu sich selbst. 


Und diese Liebe wäre auch die Sprache, die alle miteinander verstehen. 

Eine Sprache, die sie nicht trennt, sondern Gemeinschaft leben hilft,

 

Und nicht zufällig ist zu Pfingsten auch der Geburtstag der Kirche. 

Die Jünger und Jüngerinnen waren damals losgezogen in alle Welt. 

Zu Menschen jeglicher Herkunft und Kultur und Sprache. 

Und die fanden sich zusammen in Gemeinden. 

Sie beteten zusammen und unterstützen einander. 

Sie übten immer wieder daran, diese Gemeinschaft zu leben 

- und dies wurde die Grundlage, das Fundament der Gesellschaft, 

in der wir heute leben. 

Worauf wir bauen: Respekt und Rücksichtnahme. 

Aus Liebe.


In unseren Kirchen hängt zu Pfingsten die Farbe rot. 

Rot steht für die Liebe und für den Heiligen Geist. 

Und der ist nicht einfach nur ein guter Geist, 

es ist Geist der Liebe und der Unerschrockenheit, 

der Leidenschaft und Offenheit. 

Sag weiter von diesem Geist. 

Das sollen wir Christinnen und Christen. 

Anderen von diesem Geist weiter geben.  

Das hieße leben, wie Gott uns gemeint hat. 

So gelingt diese Welt. Amen. 


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen




Donnerstag, 13. Mai 2021

Himmel auf der Haut

 Irgendwo auf deiner Haut

schimmert ein Stück Himmel


vielleicht dort

wo sie so empfindlich ist


Irgendwo in deinen Augen

spiegelt sich der Himmel


vielleicht dort

wo du ungeschützt hinsiehst


Irgendwo in deinem Nacken

steckt ein Stück Himmel


was auch immer dich böse packen will

wird dort ins Leere greifen


Irgendwo an deinen Fingerspitzen

klebt zwischen den kleinen Rillen

eine Faser vom Himmel


für jede Berührung


Irgendwo zwischen dir und mir

kommen Erde und Himmel zusammen




Mittwoch, 12. Mai 2021

Heim. 


Mein Vater hieß

Erich Honecker.

Meine Mutter hieß

Margot Honecker.


Mein zu Hause war die DDR.


Sagte sie wie etwas, 

das sie lange auswendig gelernt hat.


Vor meinem inneren Auge sitzt ein kleines Mädchen

mit Zöpfen und kariertem Rock

unter den Bildnissen der Honeckers 

an einem kargen Tisch.

Kein trautes Heim.


Ich war böse.

Ich war das böse Mädchen.

Ich war ein Staatsfeind.

Ich war 10 Jahre alt und ein Staatsfeind. 

Ich war ein Feind.

Ich war ein Kind. 

Ein Kind ohne Kindheit.

Ein Kind mit Schmerzen. 

Ein Kind ohne Eltern. 


Ein Kinderheim nach dem anderen.

Erst normale Kinderheime.

Aber ich war zu böse.

Dann kam ich in ein Spezialheim.

In ein Erziehungsheim.

In einen Werkhof. 

In eine Psychiatrie.

In den Knast.

Knast für Kinder.


Was man dort überall mit bösen Kindern machte?


Erziehungspläne.

Umerziehung.

Zu einer sozialistischen Persönlichkeit.

Mit Erziehungsmaßnahmen.


An der Wand stehen.

An der Wand stehen und die Arme hochhalten

An der Wand stehen und zur Wand sehen.

An der Wand stehen und die Arme verschränken. 

Mit verbundenen Augen an der Wand stehen. 


Kalte Dusche.

Schwere Arbeit.

Essensentzug.

Kein Spielzeug.

Keine Bücher.

Schläge.

Dunkelzelle.

Spritzen. 

Arrestloch.

Vergewaltigungen.

Missbrauch. 

Anfassen. 

Nackt sein.

Stacheldraht.

Handfesseln. 

Sport bis zum Umfallen.

Peitschen.

Isoliertsein.

Manche verschwanden einfach. 

Meine Haut kannte alle Farben.


Ich war böse.

Ich schrie.

Ich wehrte mich.

Ich schützte die Kleinen. 

Ich flüchtete.

Ich spuckte.

Ich flüchtete wieder.

Ich schmiss Steine.

Ich malte mit Marmelade auf den nackten Boden

auf dem ich lag.

Ich hörte mein Herz noch schlagen. 

Ich hatte keine Angst mehr.

Ich war egal.

Mir war alles egal. 

Ich würde überleben. 

Meinen Namen würden sie nicht auslöschen.


Das haben sie nicht geschafft.

Ich habe einen Namen.

Ich lebe.

Aber alle Schläge leben ebenso noch.

Alles. 


Und du? Du glaubst an Gott, ja?

Fragt sie interessiert. 

Mein kleiner Pappengel 

wirkt lächerlich auf dem Krankenhausnachttisch.


Aber sie ist nicht gerne alleine.






(Kommentar: Immer wieder begegnen mir Menschen mit traumatischen Erfahrungen in DDR-Erziehungsanstalten. Wie Gisela. Sie hat mir viel davon erzählt und ein Buch darüber geschrieben.)


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...