Montag, 11. September 2017

Nachtrag: Meine "wenn-ich-Gott-wäre" -Predigt vom August 2017


Wenn ich Gott wäre…
ich würde - wenn der Tag noch rau ist und ungezähmt - 
mit den Fischern hinaus fahren
wo Winde um dich fegen und in die Nase drücken 
dass es dir fast die Luft nimmt
und ich wäre zurück in der Morgendämmerung,
wenn die Vögel ihr Konzert beginnen
leicht und froh, einfach weil ein Tag beginnt
dann würde ich mich in die lauen Wellen legen,
die ins Wattenmeer hinein rollen
oder ich ließe mich auf einem winzigen Ahornblatt 
gemächlich den Fluss bis ins Meer trudeln
Ich würde mich groß in den Wind hängen
bis meine Haare total versaust sind
über die Marschwiesen gleiten wie auf einem Surfbrett
bis in die warmen Ställe
in den alten rotbacksteinigen Häusern
wo Mensch und Tier 
im gleichen Haus zusammen wohnen
und dann würde ich 
bestimmt einen halben Tag 
an den kleinen Butzefenstern hinaus in den Nebel sehen 
über die Gräben und Felder
die kein Ende nehmen
und mich am Graben in den wallenden Schilfgürtel legen 
der ganzen Länge nach
Und ich würde mich in die Ecke schmiegen 
in ein ganz altes Café
und dem Knacken von Kandiszzucker lauschen 
wenn er in den heißen Tee fällt
ich würde durch die Netze der Fischer fliegen 
und wäre tausend 
und dann würde ich wieder einer werden
mit den Schwärmen von Möwen und Albatrossen 
würde ich wilde Flügen machen
und mit den Kormoranen über die Wasser gleiten
dann würde ich mich breit machen 
und in die Sonne legen
in der würzigen Luft
die immer eine kleine Brise mitbringt
Ich würde mich so weit machen 
wie die wunderbar Weite
die Salzwiesen würde ich besuchen 
und die Pflanzen streicheln und bewundern
wie sie im Salzwasser stehend dem Salz trotzen
das ihre dichten Halme nicht zerstört 
und sie dennoch blühen
Am Ende würde ich mich 
in die rotblühenden und rosafarbenen Wolken hüllen
die der Himmel trägt 
wenn der Tag die Erde verlässt

Und dann 
- gleich am nächsten Tag - 
dann käme ich zu euch
Auf dem Wege würde ich noch eine Biege 
durch meine Heimat fliegen
über die Baumwipfel der märkischen Wälder
und durch die kleinen Straßen von Babelsberg
und die Buchten der Havel entlang und um den
und zu den klaren Waldseen
und auf die Tomatenfelder
und eine stille Runde
um Kirchturm von Glindow
bis ins Dachfenster des alten Pfarrhauses 
wo ich als Kind Abend für Abend saß


Ich würde durch den Wald hierher kommen
- ihr wisst schon -
und ich würde es für einen Moment Frühling sein lassen
das kann ich, weil ich Gott bin
und dann würde ich sehr langsam schlendern 
und den Waldduft atmen 
und über die weißen Teppiche von Anemonen streichen
und dann würde ich den Atem anhalten
den so wunderschön liegt Westenfeld dann vor mir
ich würde mit den Schwalben über die Dächer segeln
immer wieder sogar bis in jede letzte kleine Gasse
und mir die Häuser anschauen
die Kunstwerke von Holz und Lehm
und ich würde die Arbeit riechen 
die darinnen liegt
sie leuchtet wonnig in meinen Augen 
und die Wärme würde ich spüren
die aufsteigt aus ihrem Innern 
von den Menschen 
die hier leben und sich wohl fühlen
und dann würde ich zur Kirche hoch gehen
die mit ihrem Turm fest und trotzig da steht
die nichts umstoßen kann
die tapfer ihr Kreuz der Geschichte entgegen hielt 
und schon immer den Menschen Zuflucht war
und ich würde hineinkommen
in das schöne helle Weiß
und die warmen Brauntöne
und mich setzen
genau dahin, wo ihr jetzt sitzt
und dann würde ich lange und immer wieder ausatmen
und zuletzt würde ich hinaus gehen
über die wellenden Felder und innehalten 
und hinaus schauen in das weite Land 
und die vertrauten Berghügel
dort würde ich Pause machen 
und schauen und schauen 
bis zum letzten Lichtdes Abends.

Und schließlich 
- wenn ich Gott wäre - 
dann würde ich an mindestens einem Tag 
mich ganz dicht an Dich lehnen
und hinein lunschen in Dich 
Und ich würde Dein wunderbares Lachen lachen
und mir Deine Hände ansehen
was die alles fassen können
wie zärtlich sie sein können
und wie stark
Und ich würde  
in Deinen hellen Gedanken schaukeln
mich wärmen
an den Liedern und  der Musik
die Du im Herzen trägst
Ich würde in das Strahlen Deiner Kraft schauen
ganz fasziniert
und abends würde ich Deine Geschichten hören
die vielen
Mit Dir Dein Leben in den Händen halten
und die Möglichkeiten
und die Gaben
und den Tag
und was zu schaffen war
und dann könnte ich den Frieden spüren
manchmal auch das Wilde
die Ungeduld
das Unfertige
Und ich würde ein wenig Licht auf das Schattige legen
Und Dich wissen lassen, dass ich Dir vertraue. Amen.
Er rief, die zu ihm gehören,
und vertraute ihnen an, was er hatte.
Nach langer Zeit kam der er wieder zu ihnen 
und forderte Rechenschaft von ihnen. 
Da trat herzu, der sehr viel empfangen hatte
und legte noch mehr dazu und sprach: 
Herr, du hast mir viel anvertraut.
Ich danke dir dafür, 
dass ich wunderbar gemacht bin; 
wunderbar sind deine Werke,
und das erkennt meine Seele wohl.


Und der Friede und die Gnade Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.

Wie einfarbige Regenbögen leuchten die orangenen Halstücher. Im Dunkel stehen wir nach dem Gottesdienst draußen vor den Ausgängen, vor uns kleine Becherkerzen und ein Schälchen mit Wasser in der Hand zum Segnen. Die Jugendlichen treten nur zaghaft hinzu. Sie drücken sich herum, stellen sich erstmal seitlich zu mir und meterweit entfernt, werfen vorsichtige Blicke über ihre Schultern. Dann traut sich einer, dann immer mehr. Und dann steht Jeremy vor mir. Sonst kann er keine 2 Minuten still sitzen und Lesen und Schreiben sind Horror für ihn. Kirche fand er immer langweilig. Das ist was für Mädchen und Omas. Heute im Konficamp - das war cool. Mit einer Musikband und viel Bewegung. Aber ob er sich segnen lassen würde, das wusste er noch nicht. Nun steht er da. Reibt sich die Augen. Hab was im Auge, sagt er und schnieft. Schluckt. Kann nichts sagen. Darf ich dich segnen? Frage ich. Er nickt mit glänzenden Augen. Am Kopf und mit Wasser? Er kommt noch einen Schritt näher, schließt die Augen. Warm lege ich meine Hand auf seinen Kopf. Mit dem Daumen male ich langsam ein Kreuz auf seine Stirn: Jeremy! Gott segnet dich und er ist immer für dich da! Er schluckt schwer. Dann nickt er plötzlich. Ja, sagt er und schaut mich anerkennend an. Dann dreht er sich weg und verschwindet im Dunkeln. Nur dafür, allein dafür, hat sich alles gelohnt: wenig Schlaf und Kälte und Bahnfahrten und Nerven. Für diesen Moment schon allein war es das alles wert. Nach vielem Segnen laufe ich später über den Platz. An den unbeleuchteten Waschtischen im Freien ist eine kleine Wasserschlacht im Gange. Die Jugendlichen lachen laut. Sie bemerken mich nicht. Einer ruft: Wen soll ich segnen? Mich! Ruft einer. Als sie sich gegenüber stehen, werden sie still. Es ist Spaß. Und es ist auch sehr ernst. Er segnet ihn. Mit Wasser und Kreuz. Ich auch! Ruft einer. Sie segnen sich. Mitten in der Nacht.




stell dir vor
die großen Kinder
die den Unterricht stören
und mit den Händen und Augen am Handy kleben
die deine Kirche nicht freiwillig betreten
und Singen peinlich finden
die würden plötzlich
im Gottesdienst „voll durchstarten“
sie wären schon vorzeitig da
um auf keine Fall die Musik 
zum Ankommen zu verpassen
und dann würden sie laut 
und aus tiefstem Herzen 
mitgröhlen 
bei „Näher, mein Gott, zu dir…“
und beim Gebet die Augen schließen
weil es sie angeht
und der Predigt würde sie mit offenen Mund zuhören
und flüstern „genau“ und „ja, geil“
und im Gottesdienst lachen dürfen und 
sogar mal Tränen haben
sie würde klatschen
und dabei sein
voll Begeisterung
sie würden sich auskennen im Gottesdienst
und mitsprechen
weil sie es wollen
und am Ende würden sie 
„Bless the Lord my soul“ 
in Rockversion mitsingen
bis der Gesang verebbt
und dabei Gänsehaut haben
am ganzen Körper
und dann beim Segnen 
die Augen schließen
als würden sie etwas 
besonders Genüssliches
schmecken
und dann würden sie gar nicht mehr gehen wollen
weil es so schön war
weil sie sich gespürt hatten
und Gott
ganz sicher 
war es Gott

stell dir vor
das hab ich erlebt
in Wittenberg
5 Tage lang
das war einmalig
sagten sie
am Schluss
das möchten wir immer

ganz sicher

war es Gott


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