Mittwoch, 12. Mai 2021

Heim. 


Mein Vater hieß

Erich Honecker.

Meine Mutter hieß

Margot Honecker.


Mein zu Hause war die DDR.


Sagte sie wie etwas, 

das sie lange auswendig gelernt hat.


Vor meinem inneren Auge sitzt ein kleines Mädchen

mit Zöpfen und kariertem Rock

unter den Bildnissen der Honeckers 

an einem kargen Tisch.

Kein trautes Heim.


Ich war böse.

Ich war das böse Mädchen.

Ich war ein Staatsfeind.

Ich war 10 Jahre alt und ein Staatsfeind. 

Ich war ein Feind.

Ich war ein Kind. 

Ein Kind ohne Kindheit.

Ein Kind mit Schmerzen. 

Ein Kind ohne Eltern. 


Ein Kinderheim nach dem anderen.

Erst normale Kinderheime.

Aber ich war zu böse.

Dann kam ich in ein Spezialheim.

In ein Erziehungsheim.

In einen Werkhof. 

In eine Psychiatrie.

In den Knast.

Knast für Kinder.


Was man dort überall mit bösen Kindern machte?


Erziehungspläne.

Umerziehung.

Zu einer sozialistischen Persönlichkeit.

Mit Erziehungsmaßnahmen.


An der Wand stehen.

An der Wand stehen und die Arme hochhalten

An der Wand stehen und zur Wand sehen.

An der Wand stehen und die Arme verschränken. 

Mit verbundenen Augen an der Wand stehen. 


Kalte Dusche.

Schwere Arbeit.

Essensentzug.

Kein Spielzeug.

Keine Bücher.

Schläge.

Dunkelzelle.

Spritzen. 

Arrestloch.

Vergewaltigungen.

Missbrauch. 

Anfassen. 

Nackt sein.

Stacheldraht.

Handfesseln. 

Sport bis zum Umfallen.

Peitschen.

Isoliertsein.

Manche verschwanden einfach. 

Meine Haut kannte alle Farben.


Ich war böse.

Ich schrie.

Ich wehrte mich.

Ich schützte die Kleinen. 

Ich flüchtete.

Ich spuckte.

Ich flüchtete wieder.

Ich schmiss Steine.

Ich malte mit Marmelade auf den nackten Boden

auf dem ich lag.

Ich hörte mein Herz noch schlagen. 

Ich hatte keine Angst mehr.

Ich war egal.

Mir war alles egal. 

Ich würde überleben. 

Meinen Namen würden sie nicht auslöschen.


Das haben sie nicht geschafft.

Ich habe einen Namen.

Ich lebe.

Aber alle Schläge leben ebenso noch.

Alles. 


Und du? Du glaubst an Gott, ja?

Fragt sie interessiert. 

Mein kleiner Pappengel 

wirkt lächerlich auf dem Krankenhausnachttisch.


Aber sie ist nicht gerne alleine.






(Kommentar: Immer wieder begegnen mir Menschen mit traumatischen Erfahrungen in DDR-Erziehungsanstalten. Wie Gisela. Sie hat mir viel davon erzählt und ein Buch darüber geschrieben.)


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