Mittwoch, 24. Mai 2017

Die Nichtigkeit 
ruft er aus
dann muss er Luft schöpfen
unübersehbar sind seine Stunden gezählt

Die Nichtigkeit 
all das Versagen
das Aufgeben und alles verlieren 
und zerbrechen an sich oder anderem 
und zerstören von dem, was einem eigentlich lieb ist
und Kontrolle über sich verlieren und 
am Ende sein, richtig am Ende
Das ist der verlorenen Sohn
eigentlich sollte die Geschichte
Der wartende Vater heißen
Denn er wartet
Immer
Der Sohn darf wieder kommen
er vergibt ihm das alles.
Das ist ein geiles Ding aus der Bibel
Seine Bartstoppel zittern leicht
die Augen sind nur halb geöffnet
seine Stimme hat einen UdoLindenbergKlang
Er sieht aus wie einer
von dem man sich nicht gerne ansprechen lässt
der Alkohol ist ihm ins Gesicht gezeichnet
und dennoch
habe ich keinen gefunden 
der gewisser in den Tod geht 

Der wartet auf mich.
sagt er
Der Vater
Das ist meine Lieblingsgeschichte
Du kennst den Sohn
sage ich
er nickt
oh ja
flüstert er
den kenne ich
Und den Vater
frage ich
er nickt nur
ja
und wir beten lange 
und zählen auf
was dem Sohn wiederfahren ist 
auf seiner Lebensreise
und bitten den Vater
seine Rückkehr zu begleiten

Dann bin ich bei ihm
sagt er 
ich segne ihn und singe
wir sind still
ich erhebe mich
und sag zum Abschied
Ade 
man sieht sich
sagte er
und hebt die dürre Hand mit den Kabeln und Schläuchen
hoch hebt er die Hand
mit dem kleinen Holzkreuz darin
hinter dem Horizont gehts weiter
sage ich leise
er nickt
und seine Lippen sage tonlos
Jawoll


(24.5.17)

Donnerstag, 11. Mai 2017

Meine Gedanken haben Augen

Das wusste ich noch nicht.
Sie schlafen wie kleine Knospen
in verästelten Tälern.
Bis jemand kommt,
der sie öffnet.
Das wusste ich noch nicht.

Gestern kam mein kleiner Jakob.
Mama, sagte er, ich habe nachgedacht.
Unendlich ist, wenn man sein Leben lang „9“ sagt.
Ratlos ließ er mich stehen.
Ich wusste noch nicht,
dass er ein Gedankenauge geöffnet hatte.

Heute habe ich es verstanden. 
Worte können unendlich sein.
Wie sehr sie das können!
Auf eine mir bisher unbekannte Weise.

Unendlich wie bei Monika.
DerVaterderVater ErkommtErkommt DerVaterDerVater Erkommt….
Das war ihr Lied.
Mit geschlossenen Augen lag sie da. 
Sie könne nicht mehr reden, hatte man mir gesagt.
Dabei redete sie unablässig. 
Einen SingSang.
Sie hatte für sich ein neues Reden erfunden.
Ihr Reden war ein Lied. 
Ein Lied, das man mit ihr singen konnte.
DerVaterDerVater - sagte ich - istErDa istErDa?
Und plötzlich sang sie ihre Antwort zurück.
Die Frau, die angeblich nicht mehr reden konnte.
Und wir sangen sogar ein Lied.
Ich summte.
Sie sang. 
DerBaumDerBaum AmTorAmTor fändestRuheHierfändestRuheHier.
Ihr Wörterketten sind Rettungsanker ins Leben,
aus dem sie immer weiter weg wandert.
Unendliche Wörter.

Danach war ich bei Ulla.
Ihre Augen hingen an meinem Gesicht
wie Magnete, die sich eingeklickt haben.
Wie geht es? Fragte ich.
Wie geht es. Wie geht es. Sagte sie.
Besser heute? 
Besser heute. Besser heute. Sagte sie.
Besser heute.
Jedes Wort nahm sie wie ein unbekannte Frucht in ihren Mund.
Und schmeckte, bis sie es wieder erkannte.
Und dann lächelte sie.
Besser heute. Besser heute.
Ich erzählte ihr von der Sonne.
Und die Wörter fielen in sie wie in einen Dom
und das unendliche Echo erreichte sie
irgendwann.
Unendliche Wörter.

Und vielleicht dachte ich.
Halten die beiden
schon eine Faden der unendlichen Ewigkeit in den Händen,
der sie näher sind als ich.
Sehr nahe sogar.
Und die Wörter sind die Perlen
die sie zählen
auf dem Weg
dorthin.
Und ihre Gedanken Augen
die weiter sehen
als ich es kann.


11.5.2017



.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...