Sonntag, 26. Februar 2023

Vom Verstummen

Gebet und Predigt am Sonntag Invokavit 2023


Gebet für Dich:  

Hier bin ich,

Du, Gott der Zuflucht.

Hier bin ich,

mit allem, was mich eben gerade noch erfüllt und bewegt.

Hier bin ich.

Leg Du in mich,

einen Gedanken, einen Klang, ein Wort, ein Licht,

das mich weitergehen lässt.

Dich als gute Zuflucht

- das würde ich gerne spüren.

So ganz sicher spüren.

Hier bin ich.

Zu dir geflüchtet aus meinem Alltag,

aus allem, was mich anficht.

Berge mich hier

für den Moment

und länger. Amen.




Predigt:

Unser biblischer Predigttext ist heute echte Krisenliteratur. Geschrieben in Zeiten, als es für die Menschen wirtschaftlich hart war, in der Willkür das Leben plötzlich ändern konnte, viele  von heute auf morgen von Armut und Verschuldung betroffen waren. Sie machten die Erfahrung, dass auch ein rechtschaffenes Leben davor nicht schützt. Es gibt keine Garantie. Es ist Literatur entstanden in Krisenzeiten, Ursprung der sog. Hiobsbotschaften:

Hiob ist ein gut begüterter, sogar reicher Mann. Eines Tages, so eine Erzählung aus unserer Bibel, wird er einer großen Prüfung unterzogen, ein Bote kommt und teilt ihm mit, dass all sein Hab und Gut, all seine Kinder und Kindeskinder ausgelöscht wurden. Alles. Alles was er hatte und woran er hing. An einem einzigen Tag. Die Leserin und der Leser weiß, dass es einen Handel im Himmel gab. Zwischen dem Satan und Gott. Ob Hiob vielleicht nur so ein treuer Gottesgläubiger wäre, weil es ihm ja so richtig gut ginge. Wäre er das immernoch, wenn er alles verlieren würde? Gott stimmte einem Experiment, oder man könnte sogar sagen, einer Wette, zu. Und: Hiob hörte alle schlimmen Botschaften, die nacheinander eintrafen, und hielt dennoch an Gott fest. 

Aber es kam noch schlimmer, es ging ihm an die Haut:


"Eines Tages kamen Gottes Himmlische Wesen wieder zur Versammlung und stellten sich vor Gott auf. Auch der Satan war wieder dabei.

Gott fragte ihn: »Was hast denn du gemacht?« »Ich habe die Erde kreuz und quer durchstreift«, antwortete der Satan.

Gott fragte: »Hast du auch meinen Diener Ijob gesehen? So wie ihn gibt es sonst keinen auf der Erde. Er ist ein Vorbild an Rechtschaffenheit, nimmt Gott ernst und hält sich von allem Bösen fern. Du hast mich ohne jeden Grund dazu überredet, ihn ins Unglück zu stürzen. Aber er ist mir treu geblieben.«

»Er hat ja keinen schlechten Tausch gemacht!«, widersprach der Satan. »Ein Mensch ist bereit, seinen ganzen Besitz aufzugeben, wenn er dafür seine Haut retten kann. Aber taste doch einmal ihn selber an! Wetten, dass er dich dann öffentlich verflucht?«

Da sagte Gott zum Satan: »Gut! Ich gebe ihn in deine Gewalt. Aber sein Leben darfst du nicht antasten!«

Der Satan ging aus der Versammlung hinaus und ließ an Ijobs Körper eiternde Geschwüre ausbrechen; von Kopf bis Fuß war er damit bedeckt.

Ijob setzte sich mitten in einen Aschenhaufen und kratzte mit einer Scherbe an seinen Geschwüren herum.

Seine Frau sagte zu ihm: »Willst du Gott jetzt immer noch die Treue halten? Verfluche ihn doch und stirb!«

Aber Ijob antwortete: »Du redest ohne Verstand wie eine, die Gott nicht ernst nimmt! Wenn Gott uns Gutes schickt, nehmen wir es gerne an. Warum sollen wir dann nicht auch das Böse aus seiner Hand annehmen?« Trotz aller Schmerzen versündigte Ijob sich nicht. Er sagte kein Wort gegen Gott.

Ijob hatte drei Freunde: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Als sie von all dem Unglück hörten, das Ijob getroffen hatte, beschlossen sie, ihn zu besuchen. Sie wollten ihm ihr Mitgefühl zeigen und ihn trösten.

Sie sahen ihn schon von ferne, doch sie erkannten ihn nicht. Als sie näher kamen und sahen, dass er es war, fingen sie an, laut zu weinen. Sie zerrissen ihre Kleider und warfen Staub in die Luft und auf ihre Köpfe.

Dann setzten sie sich neben Ijob auf die Erde. Sieben Tage und sieben Nächte blieben sie so sitzen, ohne ein Wort zu sagen; denn sie sahen, wie furchtbar Ijob litt." (Hiob 2)




                                                                                                                        © Nady - Fotolia.com


Viele Tage wird er so dort sitzen. Ganz verstummt. 

Und dann wird er fluchen. 

Er verflucht alles: den Tag seiner Geburt, sein Leben und die ganze Welt. 

Er wird er ringen mit den Argumenten seiner Freunde, 

die genau wissen, was Gerechtigkeit ist und wieso ihm das alles passiert ist, 

mit Gott wird er ringen. 

Am Ende wird Gott ihn tatsächlich neu beschenken.

Aber angenommen, wir wüssten das alles nicht. 


Es ist Montag. Angenommen,

wir wissen weder von der verwerflichen Wette im Himmel.

Wir wissen keine Gründe für das Schlimme, das geschehen ist. …

Wir wissen auch nicht, dass es später im Leben doch noch ganz anders kommen wird.

Angenommen. Das wissen wir nicht.

So wie im echten Leben. 

Kameraperspektive auf diesen beschriebenen Moment.

Ein Einbruch ins Leben. 

Gewalt und Zerstörung.

Das Leben entflieht geradezu.

Sack und Asche am seidenen Faden.

Gefühlt gottlose Zeit.

Der Tag danach. 

Montag.

Gefühlt „das Nichts“.

Verstummen. 

Verzagen.

Dulden.

Selbst die weisen Freunde verstummen.


Bomben sind gefallen.

Die Erde erzitterte und Häuser stürzten ein.

Man sitzt in Asche und Staub,

auf Betonresten,

in Gummibooten,

in Zelten bei unter Null Grad,

klemmt unter einem Haus fest,

zittert in Bunkern.

Zagen. Unsagbar. Sprachlos. 


Das hätte nicht passieren sollen.

Dürfen.

Können.


Warum?


Montag.

Gefühlt „das Nichts“.

Jemand ist tot.

Ein Streit ist eskaliert.

Ein Traum zerbrochen.

Eine Diagnose ausgesprochen.

Eine Liebe am Ende.



Das hätte nicht passieren sollen.

Dürfen.

Können.


Warum?


Irgendein Montag. 

Nicht wissen, wie das ausgehen wird.

Das Leben hat seine Form verloren.

Der Tag danach.

Alles ist weg. Nur der Schmerz ist noch da.

Verstummt.

Aushalten.

Schweigen.

Keine Worte.


Eine findet das nicht zum Aushalten.

Sie schreit!

„Dann stirb doch!!“

Eine die schreit.

Hiobs Frau.

Die ebenso alles verloren hat.

„Hältst du noch an Gott fest?“

Sie schreit.

„Dann. stirb. doch.“


Sieben Tage schweigt Hiob dann.

Sieben Tage trauern sie

als ob er tot wäre.

Sieben Tage verstummt.

Seine Freunde auch.

Ich verstumme mit.

Sitze daneben.

Höre Klagen und Fragen.

Höre die Lügen der Tröster.

Sehe die Tränen.

Weiß auch keine Worte.

Was ist hier eigentlich die Versuchung?

Das Fluchen?

Das billige Trösten?

Das Aufgeben?

Die Lügen?

Das nur Dasitzen?

Das Verstummen?

Noch ganz andere Dinge, die ich mir nicht vorstellen kann?

Was wäre wohl meine Versuchung in einem solchen Moment?


7 Tage verstummt Hiob.

Leid löst sich nicht einfach auf.

Leid kann nicht vertröstet werden.

Es muss raus.

Dann kommts.

Hiob flucht auf alles.

Nicht auf Gott. - Dass er das kann!

Hiob sitzt in der Asche,

in dem wertlosen Rest seines Lebens.

Er flucht auf alles. Da ist nichts mehr.

Und er wird genau so zum Zeugen für Gottes Treue.

Und er wird genau so zum Zeugen für Gottes Treue.


Er erliegt nicht der Versuchung Gott loszulassen.

Sich nicht versuchen lassen heißt für ihn:

Reden dagegen dass Gott feindlich sei.

Festhalten an einem Gott, 

auch wenn ihm überhaupt nichts über Gott klar ist, 

außer dass er da ist.

Sich nicht versuchen lassen heißt für ihn:

Gott, den einen, aussparen beim Fluchen über die Welt, 

mit ihm noch rechnen.

Fest glauben: Gottes Geschichte hat kein offenes Ende, 

nur dieser Moment hat es gerade.

Sich nicht versuchen lassen heißt für ihn:

Rufen: Du meine Zuflucht!


7 Tage verstummen. 

7 Wochen Passionszeit beginnen jetzt. 

Zeit ehrlich mit mir zu sein.

Gott Offene Enden hinlegen.

7 Wochen ohne Verzagtheit. 


So heißt die Aktion der Ev. Kirche für die Passionszeit,

für die Fastenzeit.

Leuchten! 7 Wochen ohne Verzagtheit. 


Ich weiß nicht, ob man das verzagt nennt, was Hiob zunächst war, 

vielleicht ist es genau das gewesen. 

Viele haben ihn als besonders demütigen und duldsamen Menschen verehrt. 

Nach dem Dulden und der Demut, 

nach dem Rüffel seiner Frau 

und nach dem Schweigen mit seinen Freunden 

bleibt er nicht in dieser Verzagung: 

er lehnt sich auf, er kämpft für sich, er lässt nicht nach. 


Aber das kommt alles danach.


Zunächst erstmal 

an diesem Punkt zu sein, 

irgendeinem Montag danach 

- wo Dinge mein Leben auf eine unrückführbare Weise verändert haben, 

ich nicht weiß, wer oder was wirklich daran Schuld ist 

und ich die Zukunft nicht kenne 


- an diesem Punkt zu sein, sagt die Bibel, 


das kann passieren. 


Amen. 


Und der Friede Gottes der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen.


Samstag, 18. Februar 2023

Vom Anfangen

 Predigt am Sonntag Estomihi

Und diesen Text geht es: (1. Kor 13)


Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete 

und hätte der Liebe nicht,

so wäre ich ein tönendes Erz 

oder eine klingende Schelle. 

Und wenn ich prophetisch reden könnte 

und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis 

und hätte allen Glauben, 

sodass ich Berge versetzen könnte, 

und hätte der Liebe nicht, 

so wäre ich nichts. 

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, 

und hätte der Liebe nicht, 

so wäre mir’s nichts nütze. 


Die Liebe ist langmütig und freundlich, 

die Liebe eifert nicht, 

die Liebe treibt nicht Mutwillen, 

sie bläht sich nicht auf, 

sie verhält sich nicht ungehörig, 

sie sucht nicht das Ihre, 

sie lässt sich nicht erbittern, 

sie rechnet das Böse nicht zu, 

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, 

sie freut sich aber an der Wahrheit; 

sie erträgt alles, 

sie glaubt alles, 

sie hofft alles, 

sie duldet alles. 

Die Liebe höret nimmer auf… (…)


Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; 

dann aber von Angesicht zu Angesicht. 

Jetzt erkenne ich stückweise; 

dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 

Nun aber bleiben Glaube, 

Nun aber bleiben Glaube, 

Hoffnung,

Hoffnung, 

Liebe,

Liebe, 


diese drei; 

aber die Liebe ist die größte unter ihnen.



                                                                                                                                                                                       © ADEM ALTAN/AFP

        

Das Bild ging um die Welt. 

Vater Mesut sitzt auf den Trümmern seinen Hauses in Kahramanmaras und hält tagelang die aus den Trümmern heraus ragende Hand seiner gestorbenen 15jährigen Tochter Irmak. Tage später bekommt sie das Grab Nr. 380 auf dem Friedhof für die Erdbebenopfer ihres Ortes. Er hat sie nicht alleine gelassen.

Die Liebe höret nimmer auf. 

Mein Studienkollege Christian, der in den letzten Jahren oft in Nordsyrien war und dort Hilfsprojekte aufgebaut hat, schreibt nach dem Erdbeben: Bettina, es ist so schlimm. Und ich spüre wie ihm sein Herz weh tut, wenn er an seine Freunde in Syrien denkt.

Die Liebe höret nimmer auf. 

Janusz Korczak war auch so einer mit unendlicher Liebe, er begleitetet vor über 70 Jahren seine Heimkinder ins Vernichtungslager nach Treblinka und ging mit ihnen in den Tod. Es gab so manche wie ihn.

Die Liebe höret nimmer auf.

Und ich denke auch an meinen Vater, der seit einigen Jahren jede Woche den Lieferwagen der Potsdamer Tafel fährt und gespendete Lebensmittel für Bedürftige abholt. Auch wenn es ihm mal nicht gut geht. Und der neben sich als Helfer beim Beladen Männer im Auto sitzen hat, die vom Leben gezeichnet sind und zu den Verlierern der Gesellschaft gehören. Er hört Ihnen zu und schenkt ihnen Freundlichkeit und Respekt. 

Die Liebe höret nimmer auf.


Paulus redet nicht von der romantischen Liebe zwischen zweien, 

deren Herzen füreinander schlagen 

- auch wenn wir diesen Text oft zu Hochzeiten lesen und er dort gut passt.

Es geht nicht um rosa Frühlingsgefühle.

Es geht um mehr.

Um eine Lebensausrichtung würde ich sagen. 

Paulus redet eigentlich gar nicht von Gefühlen.

Er redet von etwas Geschenktem.

Etwas sehr Konkretem. Sogar etwas Handfestem.

Er redet von einem Starterpaket.

Das man einfach so bekommt.

Er redet von der Liebe, die wie ein wurzelnder, wie ein wärmender, wie ein klarer, ein Sicherheit gebender Poller zum Festmachen ist. 

Das eben, was Grundlage meines Glaubens ist. 

Glaube aber „weiß“ ich, Glaube vermischt sich mit meinen Gedanken und dem Wissen, mit Zweifel und Leidenschaft. 

Und für alles, wofür ich keinen Namen habe und nur Wünsche  und ein Ahnen, 

haben wir das Wort Hoffnung. 

Liebe ist das was noch darunter liegt. Der Grund.

Etwas in mich hinein gelegtes. 

Ein Halt der eine Haltung werden kann.


Ich glaube tatsächlich, dass jeder Mensch diesen Poller zum Festmachen, diesen Grund, in sich trägt. 

Er kann genährt werden oder verschüttet.

Er kann unter den Scheffel geraten oder das eigene Sehen auf die Welt bestimmen. 

Ich glaube, dass Gott diese Liebe in uns hinein geschaffen hat, dass er sie mit-geschöpft hat vom ersten Tage an. So wären wir gemeint. So sind wir gemeint.

Mit dieser Liebe. Mit Liebe als Basis. Als Ausgangsort. 

Ich finde das ermutigend. Auch wenn die Realität oft grausig anders ist.

Ich finde das ermutigend, denn es klingt nach einem Schatz, 

der bei mir und allen anderen immer zu heben wäre.

Die Realität ist das, was Paulus diesen dunklen Spiegelt nennt:

Dunkles, Trümmer, Kontrollverlust, Gewalt, Gleichgültigkeit, Habsucht, Ungeliebtes. 

Eine sehr hässliche Version von dem, wie wir eigentlich nicht gemeint waren, zeigt sich da. 

Zeigt sich leider viel zu oft in unserem Leben.

Wo wir selber mitmischen und wo uns böse mitgespielt wird. 

Wo keine, kaum, zu wenig oder falsche Liebe ist.


Ich höre jetzt oft von vielen Menschen eine große Sehnsucht nach dieser besseren Version von uns allen. Nach Zusammenhalt und menschlicher Nähe, Verständnis, Akzeptanz, Gerechtigkeit. Viele vermissen das in ihrem Leben. Manche ziehen sich deswegen zurück. Manche glauben nicht mehr daran.

Das wäre die Welt wie sie von Gott gemeint ist: eine Welt wo Menschen zusammen stehen und sich nahe sind, sich verstehen, sich sehen, sich akzeptieren. 

Das sollte eigentlich unsere Rolle in dieser Welt sein, denke ich dann oft.

Unsere Rolle - damit meine ich uns, die zu Christus gehören. 

Die Nachfolger und Nachfolgerinnen.  

Eine Welt wo Menschen zusammen stehen und sich nahe sind, sich verstehen, sich sehen, sich akzeptieren. Das sollte eigentlich unsere Rolle in dieser Welt sei. Oder?

Ich vermisse manchmal, dass wir das noch deutlicher leben in unseren Gemeinden und Familien. Ich vermisse manchmal Orte, wo arme und fremde Leute und die, die keiner möchte, sich überhaupt hin trauen würden oder dass sie sogar aufgesucht würden. Solche Orte kenne ich zu wenige in unseren Gemeinden. 

Aufsuch-Orte. Herzens-Orte. Wärme-stuben im doppelten Sinne. 


Manche sagen mir dann: wir sind schon nur so wenige hier in der Gemeinde, wir können nicht noch viel mehr tun.  Aber: Nicht die wenigen sollen noch viel mehr tun, sondern die Vielen sollen das wenige tun, das Not wäre.

Gemeinschaft Jesu Christi sein. Wie kommen wir da bloß hin? 


Die Bibel lässt uns wissen, dass es auch seinen Jünger:innen zunächst echt schwer gefallen ist, das alles damals zu verstehen. Es ist groß. Fast zu groß zu verstehen und umzusetzen. Aus der Liebe zu leben. Und damit manches Kreuz auf sich zu nehmen. 

Dass wir heute hier sind.

Dass wir diesen Glauben nicht lassen.

Dass wir von dieser Liebe wissen.

Dass wir ahnen und hoffen. Nicht aufgeben.

Das ist ein Anfang. 


Der Weg von Gottes Liebe war schon immer ausgerechnet mit lauter unperfekten Menschen wie uns übersät. Er lebte schon immer von den weniger sichtbaren Gesten und Händen. Von neuen Versuchen. Von Anfängen. 

Darum macht mir das Mut, weil ich an diese Liebe glaube. Und an diese Kraft. Dass sie da ist. Dass sie wirken kann. Das meinte Jesus übrigens, als er seinen Leuten sagte, dass er nie ganz weg gehen würde.

Er ist hier inmitten. Hier zwischen uns ereignet sich Gott.

Seine Liebe ist mein alltägliches Starterpaket. 

In meinem Mit-sein mit anderen ist seine Liebe.

Sie trägt sich in die Menschen hinein. 

Ein faszinierendes Konzept, das Güte wahr macht.

Oder eine von vielen Weisen Gottes, da zu sein.

Darum sind wir in seinem Namen hier.

Im Namen seiner Kraft, die uns umgibt,

seiner Liebe die uns trägt. 

Wir sind Anfänger:innen. Wir sind ein Anfang. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.


Und das ist für DICH! 🫂 (Auf das "Dich" klicken!!)

Sonntag, 5. Februar 2023

Predigt vom Aufstehen




Jesus
ging von Kapernaum weiter. Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus im Haus zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen dazu. Sie aßen mit Jesus und seinen Jünger:innen. Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu ihnen: »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« Jesus hörte das und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt ›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.“ (Matth. 9, 9-13 nach Basis Bibel)


Komm in meine Welt. Sagt die Stimme. Zu diesem Menschen. Matthäus. Ich nenne ihn mal Matthias, wie wir heute sagen würden. Komm in meine Welt. Sagt da eine Stimme. Matthias kassiert gerade Geld. Das ist sein Job. Er ernährt damit seine Familie. Viele haben einen solchen Job. Es gehört einfach zum Gesellschaftssystem dazu. Wenn er es nicht machen würde, dann ein anderer. Er hat diese Zollstelle gepachtet. Die Leute bezahlen die Steuern bei ihm. Und etwas mehr. Von dem Mehr muss er leben. Und seine Familie. Die könnte groß sein. Familie war die Herkunft und das Netzwerk derer, die zusammen gehörten. Kinder vielleicht und die Frau und die Eltern, Tanten und Onkel. Neffen und Nichts. Geschwister. Das war Familie. Minimum! Matthias sitzt da und kassiert. Niemand hat ihn dazu gezwungen. Er sitzt freiwillig dort. Du denkst, er könnte auch einfach aufstehen. Die Knie durchdrücken und den Rücken und weg gehen. Das könnte er. Er ist nicht an seinen Tisch gefesselt. Wieder kommen welche und geben Geld. Sie geben es nicht freiwillig. Sie bräuchten es selber. Aber so ist das System. Und Matthias nimmt. Nimmt mehr als nötig. Weil er es braucht. Und noch mehr. Weil er es kann. Er ist nicht beliebt. Er hat einen schlechten Ruf. Seine Familie lebt von dem was er verdient. Von irgendwas müssen sie leben. Manche denken, er mache bestimmt krumme Sachen. Er redet ja auch mit allen Fremden und allen die vorbei kommen. Man kann ja nicht wissen. Ob ihm das egal ist, wie sie so reden? Ob es ihn wurmt, verletzt, ärgert? Fühlt er sich gering geschätzt? Oder lässt er das an sich abprallen? Macht er das da gerne? Oder wäre er lieber Tischler oder Bäcker? Oder Hausbauer? Hat er eigentlich Freunde mit so einem  Job? Was denkt er über seine Arbeit da und wie ihn die Leute sehen? Drückt er auch mal ein Auge zu, wenn jemand Not hat?


Siehst Du, und schon sitzt da keine farblose Figur mehr. Wenn du genau hin siehst. Da sitzt ein Mensch. Mit allem was ihn ausmacht. So einfach ist das nicht. Es ist nicht einfach irgendein Matthias. Es ist eine konkrete Person. Mit einem Leben. Mit Gefühlen und Gedanken. So wie alle Menschen die dir begegnen.  


Und dann geht es weiter in der Geschichte und zwar so schnell, dass es kaum nachzuvollziehen ist. Folge mir! sagt Jesus. Und Matthias steht auf. Mit einem Ruck ist er auf den Beinen. Plötzlich steht er auf. Als hätten die Worte irgendetwas frei gesetzt. Zwei Worte, die reichen. Zwei Worte von Jesus.

Eher wäre es wohl nicht gegangen. Hätte Matthias nicht aufstehen können aus dem was ihn dort fest hielt: Verantwortung, Freude am Gewinn, ökonomische Erfordernisse, vielleicht gar gute alte Familientradition, die Erwartungen der anderen, der Hass, der sowieso nicht aufhören würde, die Missachtung der anderen vielleicht, einfach Notwendigkeit? Das hält ihn da fest. Selber kommt er da nicht raus. Aber Jesus. Mit Jesus geht es. Und danach darf er frei mit anderen an einem Tisch sitzen. Mit diesem Jesus und seinen Freundinnen und Freunden und anderen, die wie er nicht so recht passen. Wie mag sich das angefühlt haben? Akzeptiert in dieser Gemeinschaft. Vielleicht zum ersten Mal. Zum ersten Mal Mensch für die anderen.


Hallo. Sagt er. Er steht vor mir und schaut mich direkt an. Hallo. Er sieht mich. Direkt in die Augen. Egal wie meine Haare heute sind und wie schön ich mich finde, egal was ich heute an habe und wie ich meinen Körper finde. Er sieht einfach mich. Auch das was mich fest hält. Große Erwartungen von anderen an mich zum Beispiel. Ein Schatten über den ich nicht springen kann. Eine Hand die ich nicht reichen kann. Türen die ich zuschlug und nicht mehr öffnen kann. Er sieht meine Sorgen: Geld oder Gesundheit, Anerkennung, Arbeit, Sicherheit. Die mich manchmal fest halten im Tal der Ernsthaftigkeit und Seufzer. Wo ich gerade nicht heraus komme aus schlechter Laune, Ängsten, vielleicht sogar Depression. Er sieht meine Familie und was mein Herz aufblühen lässt und wo mir das Herz weh tut. Er sieht es. Und weiß, das alles hält mich manchmal fest an meinem Tisch und ich nehme und teile aus, manchmal mehr als ich wollte. Und kann nicht aufstehen und aufhören. Manchmal ist das so. Er sieht wo ich nicht gemocht werde und wo ich ungerecht werde und gemein und schnelle Urteile habe. Er sieht mich, wenn ich mich fertig mache mit meinen Sorgen und schlechten Ahnungen. Was bringt mich da in Bewegung? Wie schaffe ich es da hinaus?

Jesus lächelt. Na, genau dafür stehe ich doch hier!

Komm! Genau deswegen bin ich ja da. 


Jesus erzählt nicht davon, wie ich frei sein kann - Jesus macht es. 

Er sitzt da mitten bei meinen ganzen Stricken und vermeintlich Ungelöstem und sieht sie nicht an, sondern mich und und sitzt da mittendrin in meinem ganzen Elend und Leben und Sein - als meine Hoffnungsgestalt. Und hält mir die Hand hin, dass ich hinaus finde.

Matthias wurde nicht von Liebe und Barmherzigkeit erzählt. 

Matthias hat Liebe und Barmherzigkeit erfahren am eigenen Leibe.


Gott will das auch. Für mich. Und für dich will er es.

Komm in meine Welt. Sagt die Stimme.

Komm in die Welt, wo Leute Gemeinschaft finden wegen mir.

Du kannst kommen und alles niederlegen was dich sorgt und festhält und hemmt und stört und zu viel ist. 

Zumindest in diesem Moment. Jesus gegenüber.

Ein Moment der Freiheit. Der inneren Freiheit.

Ein Moment, wo Stärke wachsen kann und Mut.

Ein Moment, wo Du Kraft haben wirst aufzustehen.


Die Frage ist, wo und wann ist der Moment, dass Jesus da so vor dir steht und lächelt und sagt: na deswegen bin ich ja hier..

Rechne heute noch damit und morgen.

Schau in Augen. Setz Dich zu Leuten. Wer weiß. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen. 


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...