Samstag, 19. Februar 2022

 ... von Sätzen, die schmerzen

Predigt für den 20. Februar 2022





Wie ein Same auf fruchtbares Land fällt

oder manchmal nur auf auf Steine,

so tun das auch Worte.

Wie ein Stein im Wasser Ringe wirft

und Kreise zieht,

so tun das auch Worte in unserem Leben.

Sie wirken und sie ziehen Kreise.


Eine Abendszene:

Ich schalte den Fernseher etwas zu früh ein und unbeabsichtigt 

taucht noch die letzte Szene einer Trickfilmserie auf. 

Sie erzählt die fiktiven und absurden Abenteuer 

einer komischen gelbköpfigen Familie namens Simpson. 

Und just in dem Moment als wir einschalten scheitert 

der Familienvater  Homer Simpson an einem Wettlauf. 

Keuchend sagt er so etwas melodramatisches wie, 

dass mit 52 das Leben eben vorbei wäre und die Gesundheit im Eimer. 

Mein Mann neben mir zuckt zusammen. 

Er ist - ihr ahnt es - 52! 

Und gerade im jenem Moment ging es ihm gesundheitlich nicht gut. 

Alles klar: er ist ja auch 52! 

Noch tagelang wird er diesen Satz kopfschüttelnd zitieren. 

Halb im Scherz. Aber nur halb. 

Was hier zum schmunzeln ist, geht tiefer. 

Trifft auf unsere Verletzlichkeit und Angst vor Vergänglichkeit, 

vor dem Altwerden, abgehängt sein, nicht gewollt sein.  

Ein Wort, das seine Ringe zieht, unbeabsichtigt. 

Das irgendwo plötzlich Wurzel schlägt. 

Ein Scherz. Und irgendwie doch keiner. 


Die Szene erinnert mich an etliche Menschen, 

die ich im Klinikum besuchte und die mir gleichlautend erzählten, 

wenn man 50 wäre, da wäre es vorbei, das würde man merken, 

ein echter Knick im Leben, ab da ginge es abwärts 

- so würde man doch sagen  - und nun hätten sie den Beweis,

 sie wären im Krankenhaus gelandet. 

Manchmal klingt es scherzhaft und sie lachen, 

aber es beißt sie trotzdem ins Herz, 

das fühle ich und es verbreitet Unsicherheit in ihnen.


Es gibt solche Worte, die plötzlich hängen bleiben.

Ein Satz, der - zack - in eine Falte deiner eigenen Befindlichkeiten fällt, 

in eine Laune, in eine dir oder den anderen unbekannte oder bekannte Schwäche, 

in Ungeschütztes - der plötzlich Verheerendes anrichtet und Gift versprüht. 

Worte wie ein Gerichtsspruch - Worte, die oft nie so gemeint waren, 

vielleicht sogar aus Liebe gesprochen, 

von Dir nahe Stehenden oder völlig fremden Menschen 

- solche Sätze gibt es auch in meinem und Deinem Leben. 

Einmal hat einer einen Satz gesagt, 

vielleicht nur nebenbei. 

Es kann ewig her sein. 

Aber für Dich wurde er ein Hauptsatz.


„Du bist fett!“, sagte einer

- und ihr Körper wurde ihr für lange Zeit fremd.

„Du hast merkwürdige Waden!“, sagte er kichernd

- und sie trug keine Röcke mehr, niemals, denn 

er hatte es gesagt, da war sie 14

und hatte noch keine dicke Haut, 

die solche Sätze abprallen ließen.

Andere haben anderes gesagt, aber dieser eine Satz war es, der blieb. 

Er wurde ein Faktum in ihrem Leben.

„Du bist eine schlechte Mutter“, schrie jemand,

und fortan fühlte sie sich ungenügend.

„Das können Frauen nicht“ oder:„das ist nichts für Männer“,

sagten sie und Zukunftspläne wurden forever gestrichen.

„Du bist unmusikalisch“, attestierte ihm jemand 

und er schloss seine Liebe zur Musik tief in sich ein.

 „Du machst alles falsch“, sagten sie immer wieder 

und ab da konnte er nichts mehr richtig machen, 

als wäre er allein nur so ungeschickt und alles nicht ausreichend, was er tat.

„Du gehörst hier nicht hin“ sagte einer, vielleicht nur nebenbei 

- aber das Gefühl von Fremde blieb.

„Das wirst du nie schaffen“ wurde ihm immer wieder gesagt 

und obwohl er den Satz nicht mehr erinnerte, 

blieb er immer schüchtern und musste sich schwer zwingen, 

Sachen anzugehen. Dass es diesen Satz gab, hatte er da vergessen.


Worte wie Schwerter. Sätze, die etwas bewirkt haben.

Oft sogar unbewusst. Manchmal schmerzhaft bewusst.

Sie stecken fest. Immernoch. Manche werden wir irgendwann los. 

Andere nie so richtig - obgleich es so viele Argumente dagegen gibt 

und FÜR die eigene Schönheit und FÜR sich selbst. 

Und doch haben diese Worte Kreise gezogen,

Ein Funke, kaum zu sehen, entfacht doch Flammen.

Sätze, die mich einschränken, betrüben, bewerten

- sie stecke geradezu wie ein Schwert

in meinem Sinn.

„Ich will dich nie wieder sehen“ und  „das ist deine Schuld.“

Sätze wie Rasierklingen,

sie bekommen Macht

die Du ihnen nicht über Dein Leben geben wolltest.


Und dazu kommen die

Phantomschmerzen 

aller nicht gesagter Sätze.

Das fehlende „Ich liebe dich“ und „ich glaube an dich“ und

„du machst das einfach gut“ und  „ich bin beeindruckt von dir“,  

„ich finde dich schön“ - ersehnte, nie gefallene Sätze.

die fehlen und deren Fehlschmerz  ebenso bleibt.


Natürlich gibt es auch die warme Decke aus Sätzen, 

die Dich im Leben tragen. 

Die Dich Mensch sein lassen. 

Über solche Sätze reden wir oft. 

Wie wichtig sie sind. Wie gut sie sind. 

Wie sie unser Leben tränken und stabilisieren. 

Sicherheitssätze und Mutsätze. 

Trostsätze und Aufschau-sätze. 

Über diese anderen Sätze reden wir eher selten.


Das alles sind Menschensätze. Menschenworte.

In aller Unbeholfenheit gesagt.

Weil wir manchmal mit dem Herzen sehen können 

und manchmal überhaupt nicht.


Und dann gibt es Gottes Worte.

Die Bibel sagt: "Gottes Wort ist voller Leben und Kraft. 

Es ist schärfer als die Klinge eines beidseitig geschliffenen Schwertes, 

dringt es doch bis in unser Innerstes, bis in unsere Seele und unseren Geist, 

und trifft uns tief in Mark und Bein. 

Dieses Wort ist ein unbestechlicher Richter über die Gedanken 

und geheimsten Wünsche unseres Herzens. 

Gottes Augen bleibt nichts verborgen; vor ihm ist alles sichtbar und offenkundig." (Heb 4, 12-3)


Solche Gottesworte kannst Du in der Bibel lesen 

oder sie hier in der Kirche mit anderen zusammen hören.

Sie stehen auf einem Plakat am Wegrand, 

suche sich ihren Weg in Dein Ohr in einem Song. 

Solche Gottesworte liest Du in einem Brief 

oder Du weißt sie plötzlich mit klarem Geist.

Machmal schleichen sie sich in Dein Leben. 

Manchmal gehen Dir solche Worte durch Mark und Bein. 

„Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“, 

sagt Gott, und „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir.“

„Ich halte dich!“, sagt Gott.

 

Viele dieser Sätze fliegen einfach vorüber.

Wie ein Schwarm Vögel.

Manchmal aber setzt sich so ein Vogel auf Deine Schulter.

Manchmal legt sich so ein GottesWort auf Dein Herz 

oder geht Dir unter die Haut.

Manchmal zerschlägt es endlich den Stein und wurzelt langsam in Dir

und alte Urteilsworte und ungewollte Überschriften Deines Lebens verblassen.

Manchmal findet ein Gotteswort genau die Stelle in Dir, 

die es gebraucht hat, als wäre es genau für Dich gesagt. 

Wann dies geschieht, das ist Dir unverfügbar.

Es passiert. 

„Sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund.“, 

heißt ein altes Gebet, das sich an eine Jesusgeschichte anlehnt.


Gott, Du hast Worte die niemand hat.

Du hast unendliche Worte,

wortlose Worte.

Sprich nur ein Wort. 

Meine Seele kann gesund werden.

Amen.


Und der Friede Gottes höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen.



.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...