Freitag, 29. April 2022

 Rede auf der EKM - Frühjahrssynode 2022  




Liebe Schwestern und Brüder,

gestern habe ich fünf riesige Töpfe mit Kräutern gekauft. Thymian und Rosmarin. Für fünf großartige Frauen. Kirchenälteste in Queienfeld: Christine, Gabi, Heidrun, Marion und Anita. Am Sonntag will ich mich bei ihnen bedanken, denn sie managen gerade zur fünft die Vorbereitung für einen volksfestartigen großen Regionalgottesdienst auf einer kleinen Waldbühne mit anschließender ausgiebiger unterfränkischer Geselligkeit. Die Kräuter sind genau das richtige Geschenk. Die Frauen bringen Würze in das Dorf, Heilsames unter die Menschen, Blühendes in die Kirche - Gottesaroma im Alltag. Den Thymian der Freundlichkeit und den Rosmarin des Zueinander-haltens. Mir geht das Herz über wenn ich davon spreche und ich weiß, ihr habt jeder und jede gleich dutzende solcher Anitas und Gabis vor Augen. Christine und die anderen Frauen wollen wissen, wie es mit ihrer Gemeinde weiter geht. Anita möchte, dass sich endlich etwas ändert. Marjon möchte, dass die Leute in die Kirche kommen. Gabi kann sich vorstellen, dass wir mal ganz andere Sachen machen. Heidrun würde liebend gerne mehr Leute einbinden. Sie wollen Kirche. Ich auch.

Dass ich heute mit Heidrun und Marjon daran mit baue - an der Kirche - begann vielleicht mit diesem Spruch: 


„Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“

- bei diesem Spruch blieb nämlich mein letztes kleines Merkzeichen aus zerrissenem Zeitungspapier in meiner alten Lutherbibel stecken - der sollte es werden! 1987 habe ich mir diesen Konfirmationsspruch selbst gewählt. 


Das furchtlos-Sein probiere ich seitdem… 


Seitdem… wir zu zweit - meine Freundin Katrin und ich - durch die Glindower Kirchentür schritten; sie, die einzige, die ein Jahr auf die Konfirmation gewartet hatte und ich als einzige meines Jahrgangs, die keine Jugendweihe machte. 


Kirche war für mich damals: Sonntagsgottesdienste wenn ich Lust hatte, Gemeindefeste in unserem Garten, Bastelfrauen in unserer Küche, die ganze Gemeinde auf unserem Familienklo, Frauengesänge und Erwachsenengelächter spätabends unter meinem Jugendzimmer, das über dem Gemeinderaum lag, Mopedspuren und Kippen im Hof von den Jugendlichen aus unserem Keller, Liedermacherkonzerte, Landesjugendsonntage, Christenlehre, Rüstzeiten, Kirchenchor, Kreisjugendkonvent, eine Mutter als Pfarrerin. Kirche war irgendwie Teil der Familie. Außerhalb der Familie war die DDR. Wie eine Parallelwelt. In beiden war ich zu Hause. Selber Pfarrerin zu werden lehnte ich damals ab. Ich fand mich nicht fromm genug und die Kunst interessanter. Es kam.. anders. Ob ich jetzt fromm genug bin, weiß ich nicht, aber etwas anderes als Pfarrerin will ich jedenfalls nicht sein. Eine von denen, die zu Christus gehören und von ihm in aller menschlichen Unvollständigkeit reden und zeugen und an ihm zweifeln und immer wieder überrascht werden. Wie gestern.


geistlich 

Gestern Mittag habe ich den weinenden Kopf von Brigitte gehalten. Mitten im Weinen beugte sie sich vor und legte ihr Gesicht in meine offenen Hände. Brigitte hat gerade mit 81 Jahren ihre Zwillingsschwester verloren. Sie barg ihren Kopf in meinen Händen einen Moment, dann redeten wir lange und wir beteten. 

Nur eine Stunde später hielt ich die winzig kleine Urne mit der Asche von Helge, der zu früh auf diese Welt gekommen war, und seine Eltern nahmen die kleine Urne aus meine Händen, herzten und küssten sie und legten sie langsam in das kleine Loch in der Erde und bedeckten sie mit Blüten.

Eine weitere Stunde später spürte ich warm die Köpfe von Werner, dem Lektor, und Rosemarie seiner Frau und Helmut, im Nebenbett, beim Segnen im Krankenhaus, nachdem wir Brot und Wein an Werners Sterbebett geteilt hatten. 

Von Gott berührte Momente. Alltagsthymianduft von Gott mitten am Tag.


Auf den ersten Blick sind das äußerlich traurige Geschichten. Für mich waren sie unglaublich kraftvoll und erzählten alle von der Kraft Gottes - ich mag es, wenn Gott auf diese Weise spricht: Einer Frau, die ihre Lieblingsschwester in die Hände Gottes geben kann, ein Mann, der sich am Ende seiner Tage geborgen weiß in Gottes Vergebung und Eltern, die erleichtert sind, dass ihr Kind nicht alleine sein wird. Es waren drei Augenblicke, wo Menschen sich in ihrem Zerbrochensein in Gott wieder fanden. Und es sind Momente, in denen ich das Gefühl hatte, als könnte ich nirgendwo anders auf der Welt sein, als genau da. Als Kabelhalterin Gottes. 

Manchmal werden wir zu Kabelhalter:innen Gottes, um passiv oder aktiv sein Wort und seine Kraft weiter zu leiten, um sie sichtbar werden zu lassen, um Verbindungen herzustellen. Das ist uns aufgetragen. Uns allen zusammen. Wenn ich uns sage, meine ich: die Kirche. Von Friedrich bis zu Anita. Meine ich uns … „drinnen“ in der Kirche. Es ist oft schön da drinnen in unseren Kirchen. Aber oft sind wir auch ziemliche Drinnen-Menschen, finde ich. Und das ist das erste von vier Themen, das ich hier nennen will, die mich umtreiben und antreiben: 


Wie unsere Kirche wächst und bleibt.  

Bonhoeffer hat dazu mal gesagt: „Kirche darf nicht um sich selbst kreisen“! Das Kabel-Halten für Gottes Worte soll ja aus unserem Drinnen-in-der-Kirche nach draußen. Wie beim Tanken. Keiner pumpt das Benzin zurück in die Tanksäule, sondern raus aus dem Tank, durch den Schlauch hinein in die Autos der Kundschaft. Wir, die Kirche, sind eine der Ideen Gottes um hinaus zu gehen und auf jegliche Weise, in Wort, Dasein und Tat von seiner Liebe zu künden. Und nicht um uns, die Kirche zu verbreiten, sondern Gottes Wort. Das Geschäft der Kirche, unser Geschäft, ist nicht die Konzentration auf unseren Selbsterhalt und auch nicht die Rettung der Welt, sondern das Erlöstsein zu leben, die anbrechenden Strahlen des Gottesreiches zu teilen, Gerechtigkeit und Solidarität wirklich werden zu lassen, den Schalom Gottes zu beginnen, so unperfekt wir das auch nur können. 


In der Tagung der Erprobungsräume neulich sagte ein Ältester ungefähr sinngemäß: „Bei all der umfangreichen Arbeit im GKR, beim Kirche sein, wäre ja dann Spaß irgendwie auf der Strecke geblieben und nun mit diesem neuen Projekt hinaus zu gehen.. da wäre das Leben wieder da! Ja! Da steckt das Leben. Da trifft unser Kabel auf Empfänger und Energie kann fließen. Da müssen wir nicht schüchtern sein, von dem zu reden, was uns trägt. Ich werde gerne mit Euch weiter das Drinnen liebhaben und das Draußen betanken, so wie viele es ja tun in unseren Gemeinden. 

Suchen wir zuerst Gottes Reich in dieser Welt. 

Lassen wir Gottes Licht durch uns scheinen in der Welt, 

wie wir es schon oft zusammen gesungen haben. 


Aber was für eine Gestalt braucht eine Kirche dafür, frage ich mich oft. 

Und das ist mein zweiter Gedanke:


glaubhaft

Wie können wir glaubhaft Kirche sein…

In einem Thesenpapier schreibt unser Altbischof Krusche vor 50 Jahren: dass wir prüfen sollen, ob unsere Strukturen und Formen noch der Ausbreitung von Gottes  in der Welt dienlich sind. Es darf keine ein für allemal Strukturen geben, schreibt er, sondern die müssten flexibel sein, an die Stelle von parochialen müssten raumgemäße Strukturen treten. Hat er sagt. Vor 50 Jahren. Nämlich was, wenn nicht nur die Kirche Leib Christi ist, sondern nur die Arme, weil Leib und Beine mitten in der Welt liegen? Austerförmige Strukturen helfen da nicht weiter. Und ich bekomme große Lust, gemeinsam mit euch zu schauen, welche Gemeindeformen noch denkbar sind, und wie wir frei werden können, eine riesige Vielfalt zu ertragen und zu ermöglichen, ohne den anderen abzusprechen, ebenso Gottes Kabelhalter:innen zu sein. Nur eben auf ihre Weise. 



In der Tagung der Erprobungsräume berichtete ein Projektleiter über sein Stadtteilprojekt, welches in der Stadt Räume öffnet und Nachbarschaft neu schreibt - im gemeinsam essen und Musik machen, da sein, zuhören, ohne Bibel in der Hand und Wiedereintrittsformular in der Hosentasche, dass dies, „einfach  Gemeinschaft eröffnen“, ihr Projekt sei und der Glaube, so sagt er, der schlängelt sich schon hindurch. Wir dürfen Gott so viel zutrauen. Zutrauen, dass er aus dem was wir anfangen etwas machen kann. Dass er nicht damit aufhört. Einmal hatten wir in unserem Pfarrbereich eine Kirche für reguläre Gottesdienste geschlossen. Viele von euch haben Ähnliches erlebt. Am Ende schien es aber, als hätten wir damit einen Samenkorn in die Erde gelegt, denn junge, neu zugezogene Eltern entdeckten die Wiese daneben zum Spielen und erkundeten die Kirche gleich mit, etwas Unerwartetes wuchs plötzlich. Lasst uns nicht die Überraschungen ausplanen und lasst uns noch viel mutiger sein - Gottes Kirche darf ruhig aus den Nähten platzen und Mauern sprengen, Gottes Kirche darf mal in der Kneipe sein und auf Wanderschaft. 

Die Formen, die sich finden könnten, könnten wunderlich sein, denn unser Kerngeschäft - der Glaube und Gottes Geistkraft  - folgt nicht unserer Logik, nicht unseren Bauvorschriften und auch keinem 5 Jahresplan. 

Kurt Marti hat eine Vermutung formuliert: „Ein Gott, der kirchenförmig gedacht wird, hindert die Kirche daran, gottesförmig zu werden." Ich finde eine Kirche glaubhaft, deren Struktur zu ihrer Botschaft passt. Wie ein Licht in der Nacht. Denn Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht, es hat Hoffnung und Zukunft gebracht. 


gemeinsam

Und wie passt nun unser Betriebsklima, oder unsere Organisationskultur, wie man heute sagt zu Jesu Botschaft der Freude, Barmherzigkeit und Einfachheit?

In seinen Thesen von 1972 sagt Bischof Krusche auch noch, wir wären dran, den Schalom Gottes mit auszubreiten, „in einem heilen erfüllten Miteinander.“ 

Das ist mein dritter Punkt.- dafür schlägt mein Herz besonders:

Wie wir, die Mitgestalter:innen, als Dienstgemeinschaft Gottes Schalom abbilden….

 Zuallererst müssten wir diesen Schalom auch im Miteinander leben. In den Gemeinden. Unter uns Kolleg:innen. Studien sagen, dass sich ein riesiger Teil von Mitarbeitenden - egal in welcher Branche nicht trauen, ihr Meinung zu sagen. Viele Mitarbeitende in Kirche erleben Misstrauen und Kontrolle, erleben von oben herab und fühlen sich nicht gesehen, manche werden krank. Das bedrückt mich. Versteht mich nicht miss: ich habe viele wunderbare Kolleg:innen. Aber was glauben wir manchmal insgeheim, was der andere Kollege, die Kollegin da eigentlich tut in ihrem Pfarramt? Wie ist unsere Kultur im Miteinander? Wie denken wir über Menschen, die Verantwortung übernehmen? Ich kanns euch sagen: „Nun hast du also die Seiten gewechselt…“ sagte jemand als Reaktion auf meine Kandidatur für das Amt der Regionalbischöfin. Nun hast du also die Seiten gewechselt. Ich denke: welche Seiten? Nun hast du also die Seiten gewechselt heißt: du stehst nicht mehr auf unserer Seite? Auf welcher Seite dann? Auf der gegnerischen Seite? Ist das so? Sind wir Gegner? Heißen die Gegner „oben“ und „unten? Dieses alte Prinzip, nach dem Gesellschaft und auch Kirche Jahrhunderte strukturiert waren und noch sind. Oben und unten. Herrschen und gehorchen. Obrigkeit und Untertanen. 

Es scheint immernoch Hauptbestandteil der Vorstellung u.a. von Kirche zu sein. Man könnte es einfach historisch entschuldigen. Die gute alte preußische Ordnung. Aber ist das das Modell, in dem wir heute Kirche weiter bauen möchte? Oben und unten? In meiner Bibel steht etwas von einem Körper. Einem lebendigen Körper, der atmet und sich bewegt. Ein verletzlicher Körper. Einer der auf seine Umwelt regieren kann, der stimmig ist in sich, der Empfindungen hat, ein Körper ohne Dienstweg. Jesus sagt: das sind wir. Du und ich, wir alle zusammen. So ein Körper.  Die Seiten gewechselt - das klingt abgekämpft. Und alleine diese Bemerkung vom Seitenwechsel ist ein Grund mehr, dass ich heute hierher komme. Auf welche Seite auch immer. Ich brauche diese Seiten - wo sie noch existieren nämlich nicht mehr. Vielleicht sind hier ja noch mehr, denen es auch so geht. Und dann vielleicht kämen wir gemeinsam ins Gespräch und vielleicht auf einen nicht zufälligen Weg. 


Und das wird mein vierter Gedanke:

gestalten 

Wo kämen wir hin, wenn alle sagten wo kämen wir hin und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.

Wenn Ihr, liebe Schwestern und Brüder den Satz aussprecht: „Es kann sich ganz viel ändern.“ Wie sprecht ihr ihn? (…) 


Für die meisten Menschen in Deutschland ist der Gedanke an die Zukunft mit Ängsten und Zweifeln belegt, also negativ. Ist das nicht unglaublich schade? „Ja, es wird ein schwerer Weg.“, sagt man sich immer wieder gerne. Und es ist ja auch nicht falsch. Ich gebs zu, ich ertappe mich auch. Und dann versuche ich mich zu erinnern. Dass Gott einfach so in die Nachbarschaft ziehen könnte, dass meine Schubladen nicht seine sind und meine Denkbarrieren aus seiner Perspektive unsichtbar. Ich wünschte mir eine Kirche mit spürbarer Zukunftshoffnung - Gott vermutlich auch. 


Eine die zwischen den Stühlen leben kann, die ich an Stehtischen, Hecken und Zäunen fände. Sogar in Bars und digital. Und dann finde ich in meinem Herzen eigentlich, dass wir mutig sein dürfen trotz Unsicherheit, dass wir das Kontrollieren aufgeben können und mehr einfach anfangen sollten und würde gerne direkt losgehen mit allen, fröhlich aufgeschlossen, und unerschrocken als Gottesvolk im Parcour des 21. Jahrhunderts, mit einem „Dennoch" auf den Lippen, singend: Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht…. 


Lasst uns Kirche geistlich glaubhaft gemeinsam gestalten. 

Mit klarem Kern, in diversen Formen, in lebendiger liebender Fülle und mit viel Lust auf Zukunft. So dass es anderen ist, wenn sie vorbei kommen ist, als hätten sie einen klaren Duft wahrgenommen, vielleicht was mit Thymian, Gottesaroma.


Vielen Dank.





Samstag, 16. April 2022

... Texte aus der Osternacht ....

 Drei Auferstehungsgeschichten

I


Die Kirche ist gut gefüllt und füllt sich weiter. 

Schwarz Gekleidete strömen herein. 

Ganz vorne steht zwischen Bergen 

von Blumen und Grünem eine Urne.

Die Trauerfeier wird gleich beginnen.

Leise trete ich mit meinen Büchern an das Pult,

lege mir alles zurecht.

Da kommt etwas von rechts.

Ich zucke zusammen.

Ein kleiner schwarzer Ball fliegt auf mich zu,

landet ganz dicht neben mir am Pult.

Ich blicke in die Augen eines kleinen Rotkehlchens.

Es legt den Kopf schief.

Zwinkert, wie mir scheint.

Dann nimmt es ausführlich Anlauf

 und fliegt zum Fenster hinter dem Altar.

Zwinkert wieder, nickt.

Dann verschwindet es nach oben.

Ich muss lächeln.

Als wollte es mir etwas sagen.

Dann klettere ich über die vielen Treppen 

und durch mehrere Türen hinauf zum Organisten.

Ein verwinkelter Weg wie im Dornröschenschloss.

Wir reden kurz.

Der Arme Vogel, sagte er. Eine ganze Woche schon ist er in der Kirche.

Dann zeigt er mit dem Finger auf die gegenüberliegen Seite. 

Dort. Ganze oben, in der dritten Empore über dem Eingang, sitzt das Rotkehlchen.

Es nickt mir zu.

Ich mache mich auf den Rückweg über die vielen kleinen Treppen

und nehme den Ausgang auf die Emporen. 

Leise komme ich näher. 

Das kleine Vögelchen sitzt auf dem Fensterverschluss

des einzigen Fensters, das man öffnen kann. 

Es lässt mich dicht heran.

Dann nickt es wieder und fliegt ein Stück zu Seite.

Vorsichtig öffne ich das alte klapprige Fensterchen.

Zögernd schauen mich die kleinen Augen an.

Also gehe ich über die vielen Treppen hinab in die Kirche. Es läutet. Die Orgel setzt ein.

Die Trauerfeier beginnt.

Vom Altar aus kann ich das winziger Fenster ganz oben sehen.

Und da. Der Chor singt gerade:

Weiß ich den Weg auch nicht - DU weißt ihn wohl!

Da hebt es seine Flügel

und rauscht hinaus gen den Himmel.   (21.4.2017)


Gebet:

Gott du bist Herr über das große Weltall und das kleinste Atom. Du hast uns nach deinem Ebenbild geschaffen. Du bist unter uns gewesen in der Gestalt des Menschen Jesus Christus. Dein Geist wohnt in uns und hält uns lebendig wie das Schlagen unserer Herzen. Lass nicht aufhören mit Frieden machen und sich versöhnen und sich lieben und vergeben und anüberraschende Neuanfänge zu glauben. Amen.



II

Sie hatten sich vorgestellt, dass sie laut 

und zuversichtlich singen würden.

An seinem Grab, der viel zu jung gestorben war.

Am Grab ihres lieben Freundes.

Nach allen Verabschiedungen und Predigten

würden sie laut und zuversichtlich singen:

„Christ ist erstanden“.


Aber wo sein Sarg so deutlich mit seinem Körper

 in die Tiefe sank, und sie nasse Gesichter bekamen 

von den Tränen, da waren ihre Stimmen zerbrochen.

Und wie sie auch Luft holten,

kamen nur hauchende Töne,

ganz leise, kaum zu hören,

dazwischen ein lauter, trotzig hervorgepresst,

unhörbare - im zugeschnürten Hals.

Der Schmerz raubte sich einfach die Töne.


Dann aber, weil so viele hauchend sangen,

wurde es zusammen genommen

aus allen unhörbaren und leisen 

und einzelnen trotzigen Tönen ein fester Gesang.


Und  neben allen Worten an diesem Tag

waren sie ihm in diesem Moment am nächsten.

Als er mit dem Sarg  die Erde berührte

und sie mit Köpfen und Sinnen  den Himmel.                   


(5.7.18)


Gebet:

Christus, erbarme dich aller Menschen

die zu deinem Kreuz kommen mit ihrem Kreuz: 

in Lebensüberdruss und Todesangst, 

gekrümmt unter Schmerzen, 

verlassen, entmutigt und ohne Hoffnung, 


verwundet und zerrissen,  aufgerieben, leer, verzweifelt.  Nimm dich derer an, 

die dagegen kämpfen, dass Menschen vom Leben gekreuzigt werden wie du: 

Lebe du in ihnen als langer Atem  und weite Aussicht,  als Findigkeit und List, 

 als Stärke, die sie nicht hart macht,  als Liebe zu allem Lebendigen, 

als heitere Bescheidenheit. 

Lass unser Unterscheidungsvermögen wachsen, 

damit wir immer genauer in Erfahrung bringen, 

welche Kreuze wir zerbrechen – und welche wir tragen müssen. Amen


III

Er sitzt vor dem kleinen Zettel, heraus gerissen aus einem Kalender. Bisher hat er sich stark gehalten. Auch als er sie leblos gefunden hat am Morgen und plötzlich diese tiefe Einsamkeit gespürt hat, die nun in den alten Zimmern hing. Die heißen Tränen hat er herunter geschluckt. Der graue mächtige Bart zittert ein wenig, als er nun die Worte in altdeutscher Schrift liest: "Lieber Werner. Wenn ich gestorben bin, nimm die gute Unterwäsche. Sie liegt auf der Hutschachtel. Ich möchte das braune Kostüm tragen. Es hängt im Schrank hinten auf einem Bügel. Deine Mutti.“ Die Hände bedecken sein Augen. Ein Schluchzen schüttelt seinen Körper. Da sitzt der große kleine Junge. Das einzige Kind der über 90Jährigen. Alt geworden. Schwer und krank geworden. Einsam. Und nun: noch einsamer. Sein Blick fällt auf die zwei großen vergilbten A4-Blätter neben seinem Arm. Der Lebenslauf der Mutter. Sorgsam aufgeschrieben, scheinbar schon vor Jahren. Ganz unten, da liest er: „Bitte lest zu meiner Trauerfeier den Psalm 23 und meinen Konfirmationsspruch. Die beiden haben mich durch das Leben getragen: „ Die Freude am Herrn ist meine Stärke!“ Er schnaubt laut ins Taschentuch. Und ist ein kleines bisschen weniger einsam. Und dann, drei Tage später, sitzt er in der Kirche. Und staunt. Zunächst saß er ganz alleine auf der Bank ganz vorne. Und dann, nach und nach, kommen die Leute des kleinen Dorfes. Aus jedem Haus einer. Und dann kommen Cousins und Cousinen aus nah und fern, Kinder der 7 Geschwister seiner Mutter. Links und rechts und hinter seinem Rücken sitzen sie. Er spürt sie ganz warm. Und wieder fühlt er sich ein kleines bisschen weniger einsam. Danach sitzen sie bei einer Tasse Kaffee zusammen. Die kleine Wirtsstube bricht aus allen Nähten. Aus dem eisigen nasskalten Wind sind sie herein gekommen ihn die warme Stube mit dem alten Ofen. Sie erzählen von früher. Man sieht sich viel zu selten. Er denkt an nachher, wenn er alleine in sein kleines kaltes Häuschen zurück muss. „Und dann“, sagt die Pfarrerin, „in den nächsten Wochen, rufen Sie ihn doch einfach alle nacheinander an! Wenn Sie doch so viele Cousins und Cousinen sind. Dann fühlt sich Werner vielleicht nicht so scheußlich alleine.“ Werner schluckt. Alle sehen von ihren Kaffeetassen hoch und lächeln. Niemand reagiert auf diese Worte. Die Gespräche gehen einfach weiter. Doch später beim Abschied, da sagt eine Cousine. „Weißt du was, Werner? Wir machen das wie die Frau Pfarrer gesagt hat. Ich rufe dich nächste Woche an.“ Es wird still im Raum. „Ja“, sagt eine andere, „das ist gut. Ich rufe dich in der Woche danach an.“ „Und in drei Wochen“, ruft noch eine, „ da kommst du zu mir und wir essen zusammen Streuselkuchen!“ Und Werner nickt. Jetzt fühlt er sich wieder ein bisschen weniger einsam.  


(November 2017)


Der Herr ist auferstanden - Halleluja!


Der Gott des Lebens nehme dich in seine Arme. 

Halte dich fest in Furcht und Erschütterung. 

Schenke dir Mut, zu sagen und zu singen von dem, was dich lebendig macht.

 Verbinde dich mit seiner ganzen Schöpfung 

und mit den Menschen, die heute um dich sind. Amen.





Freitag, 15. April 2022

..nach...

Die Karfreitagslücke





Genau das ist dieser Tag.

Er steht für die Lücke 

zwischen einem Tod und einer Umarmung

Er steht für die Stunde oder die Tage 

zwischen Erschrecken und Hoffnung

Er steht für den Moment 

nach dem zerbrechen und vor dem heilen

nach dem aufgeben und vor dem aufatmen

nach dem verlorengehen und vor dem gesehen werden

nach dem Ende und vor dem Zucken deiner Zehen

nach dem sich abfinden und vor dem Kopf-heben

Genau das ist dieser Tag.

Diese unerträgliche Lücke

Wo alles Wissen um Hoffnungen und Aufatmen

einmal nicht hilft.

Wo dir nichts mehr sicher ist und nichts wahrscheinlich. 

Wo die Lebensleine ihre dünnste Stelle bekommt.

Karfreitag meint die Lücke  

Nach…


Montag, 11. April 2022

wo Gott sichtbar wird

 Predigt an Palmarum


Wir haben Grüne Zweige 

an den Fuß des Lebensbaumes  

hier im Kreuzgang gelegt.

Ganz nahe an die Stelle der Skulptur,

wo aus dem verdorrten Baum 

ein neuer Sproß hervor kommt.

Und wir haben Hosianna! gesungen.

Stell dir vor, du würdest 

für Gott

Grüne Zweige auslegen 

überall dahin, wo Du ihn vermutest!

Auf die Parkbank

in einen Warteraum

an den Bahnsteig

in den OP

auf eine Schaukel

in die Kirchenbank 

auf dein Sofa


Und dann würdest du jedesmal laut Hosianna! rufen

Weil Gott mitten in Dein Leben geht

Da fallen mir so manche Ort ein,

wo ich gerne einen Zweig hinlegen würde,

weil ich glaube, dass Gott dort sichtbar war. 


Zum Beispiel in Rentwertshausen auf den Bürgersteig.

Ein kleines Dorf hinter dem Thüringer Wald. 

Etwa 320 Menschen leben dort.


Letzten Dienstag ist es passiert.

Ich bog mit meinem Auto gerade unter der kleinen 

Eisenbahnbrücke hindurch, da sah ich ihn vor mir. 

Rechts am Straßenrand. 

Ungefähr haargenau 3 m hinter dem Ortsschild.

Saß er? Bückte er sich? Stand er gerade auf?

Ich sah im Augenwinkel seine gebückte Haltung. 

Eine Aufwärtsbewegung. 

Einer rappelte sich dort wieder auf.

War etwa jemand gestürzt?

Ein schlanker junger Mann - sehe ich im Näherkommen, 

neben sich ein Wanderrucksack - auf die Erde gestellt. 

Als ich fast auf seiner Höhe bin, 

fällt er wieder zu Boden,

auf die Knie,

die Hände liegen auf der Bordsteinkante.

Ich erschrecke, bremse ab.

Neben meinem Beifahrerfenster 

erscheint das Gesicht von Herrn Hoffmann.

der schaut wenige Meter hinter dem jungen Mann 

sehr ungläubig aus seinem Hoftor.

Unverhohlen, mit verständnislosem Blick und mit offenem Mund 

schaut er zu diesem Mann. 

Im Rückspiegel erkenne ich endlich die Lage, 

Herr Hoffmann vielleicht auch und zieht ungläubig die Augenbrauen zusammen… 

Gerade sehe ich noch, wie der junge Mann sich leichtfüßig erhebt 

und sich nochmals gen südOsten verbeugt, 

die Hände in einer weichen Bewegung anhebt und wieder auf die Knie geht. 

Er betet. 

Auf dem Bürgersteig in Rentwertshausen. 

Mein Auto ist längst weiter gerollt, 

als ich das gerade verstehe. 

Hier betet einer. 

Mitten am Tag. 

Vor anderen. 

Öffentlich. 

Aber auch irgendwie so innig und schlicht. 

Das Gesicht gen Mekka, das ist in etwa in die Richtung, 

in die der Fachwerkturm der kleinen Dorfkirche zeigt.  

Gott wird sichtbar weil einer betet.

Und im Beten IST Gott, da bin ich sicher!

Gott wird sichtbar auf dem Bürgersteig. 

Irgendwo am Rande

eines kleines Dorfes

an einem Dienstag Vormittag 9 Uhr

im Gebet eines mir Fremden.


2000 Jahre vorher, ziemlich genau.

Irgendwo in Jerusalem. Fällt ein vermutlich ebenso 

dunkelhaariger junger Mann auf seine Knie. Er ist etwa 30. 

Er schaut in den Himmel. Er betet vor allen anderen. 

Er braucht es gerade so dringend.


Seine Freunde und Freundinnen und viele andere hatten ihn 

mit grünen Zweigen in der Stadt begrüßt. Ein wenig übertrieben fanden manche.  

Aber er sieht noch das Grün der Zweige 

und das Bunt der Tücher und Kleider auf dem Weg. 

Von dieser Freude ist noch etwas in ihm. 


Jetzt! Jetzt haben sie es verstanden, Vater, dachte er. 

Und doch war das alles hier nur der Anfang. 

Er lächelte leise. Es waren wunderbare letzte Stunden, dachte er. 

Gemeinsam am Tisch. Seinen engsten Vertrauten hat er 

als Freund die Füße gewaschen und ihnen nochmal alles gesagt, alles. 

Alles, was sagbar ist von Gott.


Zum Abschluss nun, jetzt gerade, betet er noch einmal für sie… und… ja, 

auch für sich selbst, bevor sie gleich in den Garten Gethsemane gehen würden. 

Er braucht dieses Gebet. Denn auch ein Jesus kann mal ans Ende kommen. 

So wie du und ich. Jesus betet:

 

„Vater. Jetzt ist es soweit. Jetzt gehe ich zu dir.

Ich habe hier auf der Erde alles zu Ende gemacht.

Hier auf der Erde habe ich alles getan, was du mir gesagt hast.  

Vater. Ich habe Dein Werk sichtbar gemacht. 

Ich habe Dich sichtbar gemacht und Du mich, 

denn wir gehören zusammen. 


Vater, du hast die Menschen lieb. 

Darum hast du mich zu den Menschen geschickt: 

Damit ich ihnen alles von dir erzähle. Jetzt bin ich fertig. 

Viele Menschen haben mir zugehört. 

Diese haben ihre Herzen für dein Wort auf gemacht 

und sie haben gemerkt, dass ich wirklich von dir komme. 

Dass du mich geschickt hast.    

Vater. Jetzt bald gehe ich zu dir zurück. 

Dann bin ich nicht mehr auf der Erde. Weil ich bei dir bin. 

Aber die Menschen sind noch auf der Erde. Die Menschen sind noch in der Welt. 

Doch du bist bei ihnen. 

Beschütze die Menschen, meine Freundinnen und Freunde und alle, 

denen ich begegnet bin und noch begegnen werde. Amen, mein Vater.“


Jesus betet bevor er endgültig die Kontrolle über sein Leben abgibt, 

bevor er endgültig alles in Gottes Hand legt - bedingungslos - 

und bevor er das Leben loslässt. 

Er betet wie einer, der für sich betet, 

nicht logisch nach sortierten Strichpunkte, sondern kreisend in Gedanken. 

Gott hier bin ich. Er spürt die Gefühle, die in ihm aufkommen, 

weil es bald zum Ende kommen wird. 

Wie ist es da am Ende seines Lebens? Mit etwas über 30! 

Was hat er getan mit seinem Leben? Wozu und für wen war er da? 

Jesus wendet seine Augen zum Himmel, also zu Gott,  

in einem Moment, der mir zweifellos Panik und Herzklopfen machen würde. 

Denn der Tod droht. Nicht mehr viel Lebenszeit bleibt. Und er schaut zurück.


Gott sichtbar machen, Gott groß sein lassen, Gott aufleuchten lassen 

- das hat er, Jesus getan. 

Die alten Übersetzungen verwenden dafür das Wort verherrlichen. 

Das war Jesu Aufgabe, dass die Menschen Gott erkennen

 - manchmal in dem, was er, Jesus erklärte, manchmal in dem, 

was er tat und manchmal einfach unerklärlich - aber spürbar in dem 

was zwischen ihm und den anderen geschah. 


Jesus hat Gott sichtbar werden lassen in einer Krankheit, 

in einer Heilung, in Fürsorge, in der Zuwendung, in seinem Ich zu einem Du, 

in Brot und Wein, im Scheitern, im Handauflegen, beten, Tische umreißen, mitgehen, ansprechen.… 


In dem was er tat ereignete sich Gott!


Als würde der Alltag aufreißen und göttlicher Glanz hindurch scheinen. 

Wie in der bekannten Geschichte der Gebrüder Grimm, 

als durch  durch einen Riss im wilden braunen Pelz des Bären, 

der an einem Türhaken hängen blieb, 

plötzlich goldener Prinzenschimmer hervor schien. 

Aus dem dicken Pelz. Echter Schimmer. 



Gott ereignet sich immernoch. Jeden Tag. 

Auch in Deiner Nähe.  … aber es zu bemerken……


Manche können das.

Marlene zum Beispiel. 

Da war sie noch klein.

Zuerst hatte sie über den großen Dom gestaunt.

Wie hoch der war. Wie der Himmel!

Wie wundervoll!

Dann hüpfte sie mit Mutter und Bruder zum Spielplatz

gleich daneben.

Sie staunten.

Eine riesige Arche Noah

zum hinein klettern.

Auch die Mutter kletterte ein wenig.

Plötzlich stand sie inmitten 

von schimmerndem Glitzerpulver

tief im Bauch der Arche.

Vielleicht hatte es ein Kind verstreut?

Sie rief die beiden zu sich.

Guckt mal!

Sie staunten zusammen.

Was sollte sie den Kindern sagen?

Gerade schwankte sie noch 

zwischen Einhörnern und Zahnfee,

da sagte Marlene unbekümmert:

Na das ist doch ganz klar! 

Gott hat das verteilt. Ist ja wohl logisch!

Damit man weiß, dass er hier war.

Hier unten, wo es dunkel ist.

Und hopste davon.

Die Mutter blickte sich um.

Sollte Gott wirklich?

Später erzählte sie mir davon.

Immer noch sehr berührt.


Ob Gott im Glitzer war, ist nicht sicher.

Aber ganz sicher war er in Marlenes Herzen, 

in ihrem Vertrautsein mit Gott und in ihrer Gewissheit,

dass so ein Schimmer im Dunkel selbstverständlich

etwas mit Gott zu tun haben müsste.


Jesus hat Gott sichtbar werden lassen.

Und er hat gesagt: „Und jetzt bis Du dran“.

Im braunen Pelz deiner Tage

könnte sich Gottes Herrlichkeit auftun

die unter Deiner Haut sitzt,

In einer ungebrochenen Hoffnung, in einem Aufatmen,

in den Tränen, in einer plötzlichen Klarheit

nach einer Zeit, wo du Gott schwer vermisst hast

oder wenn du dich zu etwas überwinden kannst.

sei dir sicher: 

Auch DU könntest Gott sichtbar machen. Amen


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsere Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. 






.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...