Freitag, 29. April 2022

 Rede auf der EKM - Frühjahrssynode 2022  




Liebe Schwestern und Brüder,

gestern habe ich fünf riesige Töpfe mit Kräutern gekauft. Thymian und Rosmarin. Für fünf großartige Frauen. Kirchenälteste in Queienfeld: Christine, Gabi, Heidrun, Marion und Anita. Am Sonntag will ich mich bei ihnen bedanken, denn sie managen gerade zur fünft die Vorbereitung für einen volksfestartigen großen Regionalgottesdienst auf einer kleinen Waldbühne mit anschließender ausgiebiger unterfränkischer Geselligkeit. Die Kräuter sind genau das richtige Geschenk. Die Frauen bringen Würze in das Dorf, Heilsames unter die Menschen, Blühendes in die Kirche - Gottesaroma im Alltag. Den Thymian der Freundlichkeit und den Rosmarin des Zueinander-haltens. Mir geht das Herz über wenn ich davon spreche und ich weiß, ihr habt jeder und jede gleich dutzende solcher Anitas und Gabis vor Augen. Christine und die anderen Frauen wollen wissen, wie es mit ihrer Gemeinde weiter geht. Anita möchte, dass sich endlich etwas ändert. Marjon möchte, dass die Leute in die Kirche kommen. Gabi kann sich vorstellen, dass wir mal ganz andere Sachen machen. Heidrun würde liebend gerne mehr Leute einbinden. Sie wollen Kirche. Ich auch.

Dass ich heute mit Heidrun und Marjon daran mit baue - an der Kirche - begann vielleicht mit diesem Spruch: 


„Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“

- bei diesem Spruch blieb nämlich mein letztes kleines Merkzeichen aus zerrissenem Zeitungspapier in meiner alten Lutherbibel stecken - der sollte es werden! 1987 habe ich mir diesen Konfirmationsspruch selbst gewählt. 


Das furchtlos-Sein probiere ich seitdem… 


Seitdem… wir zu zweit - meine Freundin Katrin und ich - durch die Glindower Kirchentür schritten; sie, die einzige, die ein Jahr auf die Konfirmation gewartet hatte und ich als einzige meines Jahrgangs, die keine Jugendweihe machte. 


Kirche war für mich damals: Sonntagsgottesdienste wenn ich Lust hatte, Gemeindefeste in unserem Garten, Bastelfrauen in unserer Küche, die ganze Gemeinde auf unserem Familienklo, Frauengesänge und Erwachsenengelächter spätabends unter meinem Jugendzimmer, das über dem Gemeinderaum lag, Mopedspuren und Kippen im Hof von den Jugendlichen aus unserem Keller, Liedermacherkonzerte, Landesjugendsonntage, Christenlehre, Rüstzeiten, Kirchenchor, Kreisjugendkonvent, eine Mutter als Pfarrerin. Kirche war irgendwie Teil der Familie. Außerhalb der Familie war die DDR. Wie eine Parallelwelt. In beiden war ich zu Hause. Selber Pfarrerin zu werden lehnte ich damals ab. Ich fand mich nicht fromm genug und die Kunst interessanter. Es kam.. anders. Ob ich jetzt fromm genug bin, weiß ich nicht, aber etwas anderes als Pfarrerin will ich jedenfalls nicht sein. Eine von denen, die zu Christus gehören und von ihm in aller menschlichen Unvollständigkeit reden und zeugen und an ihm zweifeln und immer wieder überrascht werden. Wie gestern.


geistlich 

Gestern Mittag habe ich den weinenden Kopf von Brigitte gehalten. Mitten im Weinen beugte sie sich vor und legte ihr Gesicht in meine offenen Hände. Brigitte hat gerade mit 81 Jahren ihre Zwillingsschwester verloren. Sie barg ihren Kopf in meinen Händen einen Moment, dann redeten wir lange und wir beteten. 

Nur eine Stunde später hielt ich die winzig kleine Urne mit der Asche von Helge, der zu früh auf diese Welt gekommen war, und seine Eltern nahmen die kleine Urne aus meine Händen, herzten und küssten sie und legten sie langsam in das kleine Loch in der Erde und bedeckten sie mit Blüten.

Eine weitere Stunde später spürte ich warm die Köpfe von Werner, dem Lektor, und Rosemarie seiner Frau und Helmut, im Nebenbett, beim Segnen im Krankenhaus, nachdem wir Brot und Wein an Werners Sterbebett geteilt hatten. 

Von Gott berührte Momente. Alltagsthymianduft von Gott mitten am Tag.


Auf den ersten Blick sind das äußerlich traurige Geschichten. Für mich waren sie unglaublich kraftvoll und erzählten alle von der Kraft Gottes - ich mag es, wenn Gott auf diese Weise spricht: Einer Frau, die ihre Lieblingsschwester in die Hände Gottes geben kann, ein Mann, der sich am Ende seiner Tage geborgen weiß in Gottes Vergebung und Eltern, die erleichtert sind, dass ihr Kind nicht alleine sein wird. Es waren drei Augenblicke, wo Menschen sich in ihrem Zerbrochensein in Gott wieder fanden. Und es sind Momente, in denen ich das Gefühl hatte, als könnte ich nirgendwo anders auf der Welt sein, als genau da. Als Kabelhalterin Gottes. 

Manchmal werden wir zu Kabelhalter:innen Gottes, um passiv oder aktiv sein Wort und seine Kraft weiter zu leiten, um sie sichtbar werden zu lassen, um Verbindungen herzustellen. Das ist uns aufgetragen. Uns allen zusammen. Wenn ich uns sage, meine ich: die Kirche. Von Friedrich bis zu Anita. Meine ich uns … „drinnen“ in der Kirche. Es ist oft schön da drinnen in unseren Kirchen. Aber oft sind wir auch ziemliche Drinnen-Menschen, finde ich. Und das ist das erste von vier Themen, das ich hier nennen will, die mich umtreiben und antreiben: 


Wie unsere Kirche wächst und bleibt.  

Bonhoeffer hat dazu mal gesagt: „Kirche darf nicht um sich selbst kreisen“! Das Kabel-Halten für Gottes Worte soll ja aus unserem Drinnen-in-der-Kirche nach draußen. Wie beim Tanken. Keiner pumpt das Benzin zurück in die Tanksäule, sondern raus aus dem Tank, durch den Schlauch hinein in die Autos der Kundschaft. Wir, die Kirche, sind eine der Ideen Gottes um hinaus zu gehen und auf jegliche Weise, in Wort, Dasein und Tat von seiner Liebe zu künden. Und nicht um uns, die Kirche zu verbreiten, sondern Gottes Wort. Das Geschäft der Kirche, unser Geschäft, ist nicht die Konzentration auf unseren Selbsterhalt und auch nicht die Rettung der Welt, sondern das Erlöstsein zu leben, die anbrechenden Strahlen des Gottesreiches zu teilen, Gerechtigkeit und Solidarität wirklich werden zu lassen, den Schalom Gottes zu beginnen, so unperfekt wir das auch nur können. 


In der Tagung der Erprobungsräume neulich sagte ein Ältester ungefähr sinngemäß: „Bei all der umfangreichen Arbeit im GKR, beim Kirche sein, wäre ja dann Spaß irgendwie auf der Strecke geblieben und nun mit diesem neuen Projekt hinaus zu gehen.. da wäre das Leben wieder da! Ja! Da steckt das Leben. Da trifft unser Kabel auf Empfänger und Energie kann fließen. Da müssen wir nicht schüchtern sein, von dem zu reden, was uns trägt. Ich werde gerne mit Euch weiter das Drinnen liebhaben und das Draußen betanken, so wie viele es ja tun in unseren Gemeinden. 

Suchen wir zuerst Gottes Reich in dieser Welt. 

Lassen wir Gottes Licht durch uns scheinen in der Welt, 

wie wir es schon oft zusammen gesungen haben. 


Aber was für eine Gestalt braucht eine Kirche dafür, frage ich mich oft. 

Und das ist mein zweiter Gedanke:


glaubhaft

Wie können wir glaubhaft Kirche sein…

In einem Thesenpapier schreibt unser Altbischof Krusche vor 50 Jahren: dass wir prüfen sollen, ob unsere Strukturen und Formen noch der Ausbreitung von Gottes  in der Welt dienlich sind. Es darf keine ein für allemal Strukturen geben, schreibt er, sondern die müssten flexibel sein, an die Stelle von parochialen müssten raumgemäße Strukturen treten. Hat er sagt. Vor 50 Jahren. Nämlich was, wenn nicht nur die Kirche Leib Christi ist, sondern nur die Arme, weil Leib und Beine mitten in der Welt liegen? Austerförmige Strukturen helfen da nicht weiter. Und ich bekomme große Lust, gemeinsam mit euch zu schauen, welche Gemeindeformen noch denkbar sind, und wie wir frei werden können, eine riesige Vielfalt zu ertragen und zu ermöglichen, ohne den anderen abzusprechen, ebenso Gottes Kabelhalter:innen zu sein. Nur eben auf ihre Weise. 



In der Tagung der Erprobungsräume berichtete ein Projektleiter über sein Stadtteilprojekt, welches in der Stadt Räume öffnet und Nachbarschaft neu schreibt - im gemeinsam essen und Musik machen, da sein, zuhören, ohne Bibel in der Hand und Wiedereintrittsformular in der Hosentasche, dass dies, „einfach  Gemeinschaft eröffnen“, ihr Projekt sei und der Glaube, so sagt er, der schlängelt sich schon hindurch. Wir dürfen Gott so viel zutrauen. Zutrauen, dass er aus dem was wir anfangen etwas machen kann. Dass er nicht damit aufhört. Einmal hatten wir in unserem Pfarrbereich eine Kirche für reguläre Gottesdienste geschlossen. Viele von euch haben Ähnliches erlebt. Am Ende schien es aber, als hätten wir damit einen Samenkorn in die Erde gelegt, denn junge, neu zugezogene Eltern entdeckten die Wiese daneben zum Spielen und erkundeten die Kirche gleich mit, etwas Unerwartetes wuchs plötzlich. Lasst uns nicht die Überraschungen ausplanen und lasst uns noch viel mutiger sein - Gottes Kirche darf ruhig aus den Nähten platzen und Mauern sprengen, Gottes Kirche darf mal in der Kneipe sein und auf Wanderschaft. 

Die Formen, die sich finden könnten, könnten wunderlich sein, denn unser Kerngeschäft - der Glaube und Gottes Geistkraft  - folgt nicht unserer Logik, nicht unseren Bauvorschriften und auch keinem 5 Jahresplan. 

Kurt Marti hat eine Vermutung formuliert: „Ein Gott, der kirchenförmig gedacht wird, hindert die Kirche daran, gottesförmig zu werden." Ich finde eine Kirche glaubhaft, deren Struktur zu ihrer Botschaft passt. Wie ein Licht in der Nacht. Denn Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht, es hat Hoffnung und Zukunft gebracht. 


gemeinsam

Und wie passt nun unser Betriebsklima, oder unsere Organisationskultur, wie man heute sagt zu Jesu Botschaft der Freude, Barmherzigkeit und Einfachheit?

In seinen Thesen von 1972 sagt Bischof Krusche auch noch, wir wären dran, den Schalom Gottes mit auszubreiten, „in einem heilen erfüllten Miteinander.“ 

Das ist mein dritter Punkt.- dafür schlägt mein Herz besonders:

Wie wir, die Mitgestalter:innen, als Dienstgemeinschaft Gottes Schalom abbilden….

 Zuallererst müssten wir diesen Schalom auch im Miteinander leben. In den Gemeinden. Unter uns Kolleg:innen. Studien sagen, dass sich ein riesiger Teil von Mitarbeitenden - egal in welcher Branche nicht trauen, ihr Meinung zu sagen. Viele Mitarbeitende in Kirche erleben Misstrauen und Kontrolle, erleben von oben herab und fühlen sich nicht gesehen, manche werden krank. Das bedrückt mich. Versteht mich nicht miss: ich habe viele wunderbare Kolleg:innen. Aber was glauben wir manchmal insgeheim, was der andere Kollege, die Kollegin da eigentlich tut in ihrem Pfarramt? Wie ist unsere Kultur im Miteinander? Wie denken wir über Menschen, die Verantwortung übernehmen? Ich kanns euch sagen: „Nun hast du also die Seiten gewechselt…“ sagte jemand als Reaktion auf meine Kandidatur für das Amt der Regionalbischöfin. Nun hast du also die Seiten gewechselt. Ich denke: welche Seiten? Nun hast du also die Seiten gewechselt heißt: du stehst nicht mehr auf unserer Seite? Auf welcher Seite dann? Auf der gegnerischen Seite? Ist das so? Sind wir Gegner? Heißen die Gegner „oben“ und „unten? Dieses alte Prinzip, nach dem Gesellschaft und auch Kirche Jahrhunderte strukturiert waren und noch sind. Oben und unten. Herrschen und gehorchen. Obrigkeit und Untertanen. 

Es scheint immernoch Hauptbestandteil der Vorstellung u.a. von Kirche zu sein. Man könnte es einfach historisch entschuldigen. Die gute alte preußische Ordnung. Aber ist das das Modell, in dem wir heute Kirche weiter bauen möchte? Oben und unten? In meiner Bibel steht etwas von einem Körper. Einem lebendigen Körper, der atmet und sich bewegt. Ein verletzlicher Körper. Einer der auf seine Umwelt regieren kann, der stimmig ist in sich, der Empfindungen hat, ein Körper ohne Dienstweg. Jesus sagt: das sind wir. Du und ich, wir alle zusammen. So ein Körper.  Die Seiten gewechselt - das klingt abgekämpft. Und alleine diese Bemerkung vom Seitenwechsel ist ein Grund mehr, dass ich heute hierher komme. Auf welche Seite auch immer. Ich brauche diese Seiten - wo sie noch existieren nämlich nicht mehr. Vielleicht sind hier ja noch mehr, denen es auch so geht. Und dann vielleicht kämen wir gemeinsam ins Gespräch und vielleicht auf einen nicht zufälligen Weg. 


Und das wird mein vierter Gedanke:

gestalten 

Wo kämen wir hin, wenn alle sagten wo kämen wir hin und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.

Wenn Ihr, liebe Schwestern und Brüder den Satz aussprecht: „Es kann sich ganz viel ändern.“ Wie sprecht ihr ihn? (…) 


Für die meisten Menschen in Deutschland ist der Gedanke an die Zukunft mit Ängsten und Zweifeln belegt, also negativ. Ist das nicht unglaublich schade? „Ja, es wird ein schwerer Weg.“, sagt man sich immer wieder gerne. Und es ist ja auch nicht falsch. Ich gebs zu, ich ertappe mich auch. Und dann versuche ich mich zu erinnern. Dass Gott einfach so in die Nachbarschaft ziehen könnte, dass meine Schubladen nicht seine sind und meine Denkbarrieren aus seiner Perspektive unsichtbar. Ich wünschte mir eine Kirche mit spürbarer Zukunftshoffnung - Gott vermutlich auch. 


Eine die zwischen den Stühlen leben kann, die ich an Stehtischen, Hecken und Zäunen fände. Sogar in Bars und digital. Und dann finde ich in meinem Herzen eigentlich, dass wir mutig sein dürfen trotz Unsicherheit, dass wir das Kontrollieren aufgeben können und mehr einfach anfangen sollten und würde gerne direkt losgehen mit allen, fröhlich aufgeschlossen, und unerschrocken als Gottesvolk im Parcour des 21. Jahrhunderts, mit einem „Dennoch" auf den Lippen, singend: Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht…. 


Lasst uns Kirche geistlich glaubhaft gemeinsam gestalten. 

Mit klarem Kern, in diversen Formen, in lebendiger liebender Fülle und mit viel Lust auf Zukunft. So dass es anderen ist, wenn sie vorbei kommen ist, als hätten sie einen klaren Duft wahrgenommen, vielleicht was mit Thymian, Gottesaroma.


Vielen Dank.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...