Samstag, 16. April 2022

... Texte aus der Osternacht ....

 Drei Auferstehungsgeschichten

I


Die Kirche ist gut gefüllt und füllt sich weiter. 

Schwarz Gekleidete strömen herein. 

Ganz vorne steht zwischen Bergen 

von Blumen und Grünem eine Urne.

Die Trauerfeier wird gleich beginnen.

Leise trete ich mit meinen Büchern an das Pult,

lege mir alles zurecht.

Da kommt etwas von rechts.

Ich zucke zusammen.

Ein kleiner schwarzer Ball fliegt auf mich zu,

landet ganz dicht neben mir am Pult.

Ich blicke in die Augen eines kleinen Rotkehlchens.

Es legt den Kopf schief.

Zwinkert, wie mir scheint.

Dann nimmt es ausführlich Anlauf

 und fliegt zum Fenster hinter dem Altar.

Zwinkert wieder, nickt.

Dann verschwindet es nach oben.

Ich muss lächeln.

Als wollte es mir etwas sagen.

Dann klettere ich über die vielen Treppen 

und durch mehrere Türen hinauf zum Organisten.

Ein verwinkelter Weg wie im Dornröschenschloss.

Wir reden kurz.

Der Arme Vogel, sagte er. Eine ganze Woche schon ist er in der Kirche.

Dann zeigt er mit dem Finger auf die gegenüberliegen Seite. 

Dort. Ganze oben, in der dritten Empore über dem Eingang, sitzt das Rotkehlchen.

Es nickt mir zu.

Ich mache mich auf den Rückweg über die vielen kleinen Treppen

und nehme den Ausgang auf die Emporen. 

Leise komme ich näher. 

Das kleine Vögelchen sitzt auf dem Fensterverschluss

des einzigen Fensters, das man öffnen kann. 

Es lässt mich dicht heran.

Dann nickt es wieder und fliegt ein Stück zu Seite.

Vorsichtig öffne ich das alte klapprige Fensterchen.

Zögernd schauen mich die kleinen Augen an.

Also gehe ich über die vielen Treppen hinab in die Kirche. Es läutet. Die Orgel setzt ein.

Die Trauerfeier beginnt.

Vom Altar aus kann ich das winziger Fenster ganz oben sehen.

Und da. Der Chor singt gerade:

Weiß ich den Weg auch nicht - DU weißt ihn wohl!

Da hebt es seine Flügel

und rauscht hinaus gen den Himmel.   (21.4.2017)


Gebet:

Gott du bist Herr über das große Weltall und das kleinste Atom. Du hast uns nach deinem Ebenbild geschaffen. Du bist unter uns gewesen in der Gestalt des Menschen Jesus Christus. Dein Geist wohnt in uns und hält uns lebendig wie das Schlagen unserer Herzen. Lass nicht aufhören mit Frieden machen und sich versöhnen und sich lieben und vergeben und anüberraschende Neuanfänge zu glauben. Amen.



II

Sie hatten sich vorgestellt, dass sie laut 

und zuversichtlich singen würden.

An seinem Grab, der viel zu jung gestorben war.

Am Grab ihres lieben Freundes.

Nach allen Verabschiedungen und Predigten

würden sie laut und zuversichtlich singen:

„Christ ist erstanden“.


Aber wo sein Sarg so deutlich mit seinem Körper

 in die Tiefe sank, und sie nasse Gesichter bekamen 

von den Tränen, da waren ihre Stimmen zerbrochen.

Und wie sie auch Luft holten,

kamen nur hauchende Töne,

ganz leise, kaum zu hören,

dazwischen ein lauter, trotzig hervorgepresst,

unhörbare - im zugeschnürten Hals.

Der Schmerz raubte sich einfach die Töne.


Dann aber, weil so viele hauchend sangen,

wurde es zusammen genommen

aus allen unhörbaren und leisen 

und einzelnen trotzigen Tönen ein fester Gesang.


Und  neben allen Worten an diesem Tag

waren sie ihm in diesem Moment am nächsten.

Als er mit dem Sarg  die Erde berührte

und sie mit Köpfen und Sinnen  den Himmel.                   


(5.7.18)


Gebet:

Christus, erbarme dich aller Menschen

die zu deinem Kreuz kommen mit ihrem Kreuz: 

in Lebensüberdruss und Todesangst, 

gekrümmt unter Schmerzen, 

verlassen, entmutigt und ohne Hoffnung, 


verwundet und zerrissen,  aufgerieben, leer, verzweifelt.  Nimm dich derer an, 

die dagegen kämpfen, dass Menschen vom Leben gekreuzigt werden wie du: 

Lebe du in ihnen als langer Atem  und weite Aussicht,  als Findigkeit und List, 

 als Stärke, die sie nicht hart macht,  als Liebe zu allem Lebendigen, 

als heitere Bescheidenheit. 

Lass unser Unterscheidungsvermögen wachsen, 

damit wir immer genauer in Erfahrung bringen, 

welche Kreuze wir zerbrechen – und welche wir tragen müssen. Amen


III

Er sitzt vor dem kleinen Zettel, heraus gerissen aus einem Kalender. Bisher hat er sich stark gehalten. Auch als er sie leblos gefunden hat am Morgen und plötzlich diese tiefe Einsamkeit gespürt hat, die nun in den alten Zimmern hing. Die heißen Tränen hat er herunter geschluckt. Der graue mächtige Bart zittert ein wenig, als er nun die Worte in altdeutscher Schrift liest: "Lieber Werner. Wenn ich gestorben bin, nimm die gute Unterwäsche. Sie liegt auf der Hutschachtel. Ich möchte das braune Kostüm tragen. Es hängt im Schrank hinten auf einem Bügel. Deine Mutti.“ Die Hände bedecken sein Augen. Ein Schluchzen schüttelt seinen Körper. Da sitzt der große kleine Junge. Das einzige Kind der über 90Jährigen. Alt geworden. Schwer und krank geworden. Einsam. Und nun: noch einsamer. Sein Blick fällt auf die zwei großen vergilbten A4-Blätter neben seinem Arm. Der Lebenslauf der Mutter. Sorgsam aufgeschrieben, scheinbar schon vor Jahren. Ganz unten, da liest er: „Bitte lest zu meiner Trauerfeier den Psalm 23 und meinen Konfirmationsspruch. Die beiden haben mich durch das Leben getragen: „ Die Freude am Herrn ist meine Stärke!“ Er schnaubt laut ins Taschentuch. Und ist ein kleines bisschen weniger einsam. Und dann, drei Tage später, sitzt er in der Kirche. Und staunt. Zunächst saß er ganz alleine auf der Bank ganz vorne. Und dann, nach und nach, kommen die Leute des kleinen Dorfes. Aus jedem Haus einer. Und dann kommen Cousins und Cousinen aus nah und fern, Kinder der 7 Geschwister seiner Mutter. Links und rechts und hinter seinem Rücken sitzen sie. Er spürt sie ganz warm. Und wieder fühlt er sich ein kleines bisschen weniger einsam. Danach sitzen sie bei einer Tasse Kaffee zusammen. Die kleine Wirtsstube bricht aus allen Nähten. Aus dem eisigen nasskalten Wind sind sie herein gekommen ihn die warme Stube mit dem alten Ofen. Sie erzählen von früher. Man sieht sich viel zu selten. Er denkt an nachher, wenn er alleine in sein kleines kaltes Häuschen zurück muss. „Und dann“, sagt die Pfarrerin, „in den nächsten Wochen, rufen Sie ihn doch einfach alle nacheinander an! Wenn Sie doch so viele Cousins und Cousinen sind. Dann fühlt sich Werner vielleicht nicht so scheußlich alleine.“ Werner schluckt. Alle sehen von ihren Kaffeetassen hoch und lächeln. Niemand reagiert auf diese Worte. Die Gespräche gehen einfach weiter. Doch später beim Abschied, da sagt eine Cousine. „Weißt du was, Werner? Wir machen das wie die Frau Pfarrer gesagt hat. Ich rufe dich nächste Woche an.“ Es wird still im Raum. „Ja“, sagt eine andere, „das ist gut. Ich rufe dich in der Woche danach an.“ „Und in drei Wochen“, ruft noch eine, „ da kommst du zu mir und wir essen zusammen Streuselkuchen!“ Und Werner nickt. Jetzt fühlt er sich wieder ein bisschen weniger einsam.  


(November 2017)


Der Herr ist auferstanden - Halleluja!


Der Gott des Lebens nehme dich in seine Arme. 

Halte dich fest in Furcht und Erschütterung. 

Schenke dir Mut, zu sagen und zu singen von dem, was dich lebendig macht.

 Verbinde dich mit seiner ganzen Schöpfung 

und mit den Menschen, die heute um dich sind. Amen.





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