Samstag, 19. März 2022

Schlüsselfigur

Predigt am Sonntag Okuli


Als ich einen guten Freund und Studienkollegen das erste Mal in seiner hessischen Heimat besuchte, prangte über der Tür des Wohnzimmers ein großer Bilderrahmen, in dessen Mitte - feierlich gerahmt wie die Kronjuwelen der Königin - ein großer alter Schlüssel befestigt war. Er sah unheimlich kostbar aus. Ich lernte die sehr herzlichen Eltern kennen. Sie waren so wohltuend gastfreundlich. Einmal getraute ich mich zu fragen, warum in aller Welt sie einen Schlüssel über der Tür hängen haben. Ob er aus Gold sei? Ein Schatten fuhr über das Gesicht des Vaters, seine Frau klopfte ihm beruhigend auf das Knie. Dieser Schlüssel, so sagt der Vater des Freundes mit bebender Stimme und feuchten Augen, wäre der Schlüssel zu  seinem Elternhaus in Schlesien. Er selber hätte erlebt, wie sie hinaus getrieben worden wären und ohne etwas in der Hand Haus und Hof verlassen mussten. Dieses Stück seiner Lebensgeschichte hat ihn nie losgelassen. Er ist damit nie fertig geworden. Auch wenn er später gerne und froh mit seinem Sohn die alte Heimat anschauen fuhr und gute Wurst und guten Schnaps mitbrachte und sichtbar war, dass er ein neues gutes Leben in seiner neuen Heimat Hessen gefunden hatte.


Dieser Schlüssel kommt mir in diesen Tagen oft in den Sinn. Und ich sehe vor meinem inneren Auge Handtaschen und Jackentaschen, kleine Kofferseitentaschen und Bändchen um den Hals, Rücksackseitentäschchen und Aktenkofferfächer mit tausenden Hausschlüsseln nun verlassener Wohnungen. 

Ich stelle mit vor, dass sie sie mitgenommen haben auf diese Reise, die eine Flucht ist. Vielleicht, so wünsche ich es mir, werden aus diesen traurigen Schlüsseln, aus diesen Fluchtschlüsseln bald Wiederkommschlüssel, vielleicht sind es kleine Hoffnungsschätze in den Jackentaschen - Symbol der Heimkehr. Symbol für eine unauslöschlichen Sehnsucht nach einem Ende von Waffen und Gewalt. 


Ein Pfarrer erzählte einmal die Geschichte, dass ein kleiner Sohn in seiner Wohnung spielte und ein Kreuz fand. So ein Jesuskreuz. In handlicher Größe. Ohne Jesus. Nur das Kreuz. Er drehte es in seinen winzigen Händen hin und her. Schließlich ging er damit zur Haustür und steckte es in das Schlüsselloch. Als wäre das Kreuz ein Schlüssel. Und vielleicht ist es genau das. Der Schlüssel zum tiefen Verstehen von Gottes Liebe und dass Gott uns kein Leid wünscht.


„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch gebracht habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.“ Jer 29, 10-14


Ivanka Groß lebt in Deutschland und ihr Mütterchen, wie sie zu ihr sagt, in der Ukraine. Tage und Tage hat sie ihre Mutter angefleht, doch bitte bitte ihre Heimat zu verlassen, in der es lebensgefährlich geworden ist. Sie hat nach Worten gerungen und hat Gott gebeten, die richtigen Worte zu finden, die das Herz der Mutter aufschließen könnten, den Koffer zu packen. Und dann, so erzählt sie, hat sie genau die Worte gefunden, die das Herz der Mutter bewegt haben. Ein Platz in einem Auto bot ihr der Pfarrer unerwartet am gleichen Abend an und sie ist nun in Sicherheit. Für sie wurde der Glaube zum Schlüssel. Er half ihr Worte zu finden, die wie Schlüssel zum Herzen der Mutter wurden. Und mit ihrem Schlüssel in der Jacke zog diese los in das Unbekannte. Der Schlüssel als Heimfahrtticket, als Zeichen, das sie wiederkomme. Als Handschmeichler, der an das gewohnte Schließen der alten Tür erinnert. Als Erinnerer an das Vertraute. Als Versprechen an die Heimat auf Wiederkehr. 


Menschen haben in Gebeten, Liedern, Ritualen und Gottesworten Schlüsselmomente ihres Lebens erlebt. Auch die englischen Frauen in der Liturgie vom Weltgebetstag erzählen davon. Lina fand Hilfe in ihrer Kirchengemeinde als sie plötzlich verarmte. Natalie fand Zuflucht als sie häusliche Gewalt erlebte und Emily fand neuen Lebensmut, nachdem sie einen Tumor überlebt hatte und gehörlos geworden war. Sie erzählt uns von dieser Gehörlosen-Gebärde „Hold on“ - Festhalten an Gott. Sie macht Mut zum Festhalten daran, dass Gott einen Plan hat, auch wenn man selber keinen mehr sähe. Zum Festhalten an der Hoffnung. Zum Festhalten an Gottes Zusagen. Darum lasst uns in allem Bangen. In allem Alltagsmühsal. In allem Suchen nach Ruhe von diesem Thema. In allem. In allem. Ganz im Grunde unseres Herzen Festhalten an Gott. So kann unser Herz standhalten, wenn das Leben Wellen schlägt. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der halte unsern Verstand und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.






SEGEN

 Segne doch,  Gott, 

all die vielen Hausschlüssel, 

in den Taschen und Koffern,

die Schlüssel zu den Wohnungen in der Ferne,

in die vielleicht nie wieder jemand zurück kommt.

Segne alle Fluchtschlüssel und Wiederkommschlüssel.


Segne doch,  Gott,

all die Schlüssel zu unseren eigenen Häusern und Wohnungen, 

dass wir selber es schaffen in Frieden zusammen zu leben,

dass wir Gastfreundschaft leben und von Herzen empfangen.


Segne doch, 

Gott,

alle SchlüsselWorte,

die ein Herz aufschließen können

oder fest geschraubtes lösen

oder verhärtetes aufschließen.


Segne uns,  Gott,

dass wir für andere zu einer Schlüsselfigur 

der Hoffnung, des Vertrauens, 

des Mutes oder der Aufrichtigkeit werden können.


So segne uns und unsere Nächsten. Amen.


Freitag, 18. März 2022

Filmsequenzen...

Er war doch erst 18. Trotzdem musste er schon in den Krieg. In einen sinnlosen Krieg. Zog die dunklen Kriegskleider an. Wurde einfach heraus gerissen aus seinem jugendlichen Leben auf dem kleinen Dorf. Durchgeschüttelt kam er an die Front. Um dort auf Menschen zu schießen, die er nicht kannte. Doch es lief nicht gut. Kurz vor Königsberg. 1944. Bei einem Rückzug in eisigen Wintertagen erfroren seine Zehen und mussten amputiert werden. Neulich schaltete er irritiert den Fernseher aus. Dies könne nicht sein. Diese Kriegsbilder seien sicher nur ein Film, so meinte er. So verrückt wäre doch keiner. Nicht schon wieder. Kopfschüttelnd saß der 95jährige in seinem Sessel. Nachts würde er wieder Alpträume haben. Wenige Tage bevor er die Augen für immer schloss. Seine Wunden heilten übrigens nie zu.

Donnerstag, 17. März 2022

... von der Marter aller....

 Erstanden


Diszipliniert und gerade liegt er in seinem Krankenbett. Der dunkelblaue Trainingsanzug sitzt tadellos an seinem großen schlanken Körper, als würden auf den Schultern noch immer die silber geflochtenen Schulterstücke sitzen. Er versprüht Lebensenergie und Optimismus. Der ehemalige NVA-Major erzählt leiser werdend von seiner Operation so nahe am Herzen. Seine Zukunftssorgen erzählt er halb und halb schluckt er sie runter. Er wäre ja Optimist. Immer wenn er mich anschaut und ihm das Wort „Pfarrerin“ auf meinem Namensschild ins Auge fällt, werden seine Züge weicher. Seine Augen verschwimmen und aus tiefster Erinnerung holt er - komplett verschüttet hinter Jahrzehnten von Gehorsam, Befehlen und Galgenhumor - Zitate aus seiner Konfirmandenzeit hervor. Von der schlesischen Heimat erzählt er. Und von der Lausitz, in der er aufwuchs. Und dass er das als Offizier zurück lassen musste. Immer wieder kommen ihm Fetzen alter Lieder oder Bibelverse in den Sinn. Wie einmal von jemandem in ihn gesetzte Bojen. Auch vom Tod seiner Frau erzählt er. Da muss er zur Seite blicken, um sich wieder zu fassen. Plötzlich geht ein Ruck durch ihn. Jetzt hätte er es wieder! Und dröhnend singt der Major den alten Osterhymnus „Christ ist erstanden von der Marter aller…“, mit allen Strophen, „ wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen..“ Es ist als würde dazu sein Herz salutieren. „Christ will unser Trost sein!“ Es klingt über die ganze Station. Als wäre ein alter Quell in ihm aufgebrochen. Er räuspert sich. Schluckt, als ich ihm zum Abschied Segen wünsche und nickt nur. Ganz ohne Schulterstücke. 



     (Foto: DHM)

Samstag, 5. März 2022

...vom "hold on"

 

                                                                                                                                                                                                                                        (Foto: David Young)

Predigt zum Friedensgottesdienst

Lesungstext: Phillipper 4, 6-9:

„Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. Weiter, Brüder und Schwestern: Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was einen guten Ruf hat, sei es eine Tugend, sei es ein Lob – darauf seid bedacht! Was ihr gelernt und empfangen und gehört und gesehen habt an mir, das tut; so wird der Gott des Friedens mit euch sein.“


So sagen wir es immer am Ende der Predigt.

„Und der Friede Gottes, 

der höher ist als alle unsre Vernunft…“

Der Friede ist wohl wirklich höher als alle Vernunft.

Sehr oft sogar. Höher als unsere eigene Vernunft.

Er verlangt von uns, Dinge zu unterlassen:

Etwas nicht zu sagen.

Etwas nicht zu tun.

Obwohl wir es könnten.

Obwohl wir die Macht und die Gelegenheit hätten.

Obwohl wir es sagen könnten.

Obwohl wir drein schlagen könnten

- keine Frage. Könnten wir oft.

Aber wir tun es ganz bewusst nicht.

Meistens.

Oft leider doch.

Nach unserer Vernunft 

scheint es uns erlaubt und angesagt.

Der Friede Gottes jedoch schaut weiter.

Er folgt nicht der Logik von Stärke durch Macht.

Er will, dass wir Böses lassen.

Und das könnten wir tatsächlich 

und würden eigentlich nichts verlieren.


Der Friede verlangt von mir 

nicht nur mich selbst zu sehen.

Sondern die anderen zu sehen.

Zusammenhänge zu sehen.

Die Auswirkungen meiner Worte zu sehen

und meines Handelns.

Der Friede verlangt von mir, 

der Gerechtigkeit nicht im Weg zu stehen.

Und das meint nicht eine Auge-um-Auge-Gerechtigkeit,

sondern Leben für jeden und jede - Gerechtigkeit.

Ich bin nicht immer gut im Frieden halten.

Ich bin leider nicht immer gut im Unterlassen

von bösen Worten und unnützen Kommentaren.

Aber meistens - nicht immer - schaffe ich es, 

wenigstens die rote Grenze nicht zu überschreiten,

wo meine Worte und Taten Schmerz und Tod bringen.


Was wir gerade erleben ist,

die maximale Überschreitung der Grenze

des Anstands, des Lebens, der Vernunft, 

der Gerechtigkeit, des Aushaltbaren.

Das was wir alle gerade miterleben ist unerträglich falsch.

Es ist nicht richtig. Wie jeder Krieg nicht richtig ist.


„Könnten sie doch hören, was Gott der Herr redet,

dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen,

auf dass sie nicht in Torheit geraten.“ 

Ruft der Psalmbeter verzweifelt.

Und gerade rufen es so viele auf den Straßen,

mit Worten und mit Taten. Sie rufen nach Frieden.

Es sind jeden Tag mehr.

Aber es sind auch jeden Tag mehr Opfer.

Es hört einfach nicht auf.

Denn wir haben längst falsche Wege eingeschlagen.

Und können nun nicht umkehren.

Gewalt und Waffen.

Wettrüsten und um die Wette wirtschaften.

Das gilt als normal.

Aber haben wir vergessen, wer wir sind?

- doch Gottes Salz der Erde!

Seine Lichtbringer!!

Wir sollten doch keinen Scheffel über unser Licht stellen,

so heißt es in der Bibel.


Was ihr gelernt und empfangen und gehört und gesehen habt an mir, 

das tut; so wird der Gott des Friedens mit euch sein.

Was auch immer wir tun können,

sollten wir jetzt tun.

Im Sinne des Friedens:

    • unterlassen was kaputt macht,
    • nicht den Hass und die Abscheu unser Herz regieren lassen
    • teilen
    • da sein
    • beten
    • und hoffen. Glauben. Festhalten >hold on<

Das ist unser Auftrag. Amen.


Und der Friede Gottes, der viel höher ist als unsere Vernunft,

 

bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen. 


Weiße Tauben. Ein Lied. (draufklicken)

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...