Samstag, 11. Juli 2020

Fischen im See "2020"

Predigt über das Fischen


Bibeltext aus dem Lukasevangelium:

Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth.  Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.  Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.  Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach. (Lukas 5, 1-11)







Ich stehe am See dieses Jahres.

Der See von 2020.

Ich habe gerade getan, was ich immer tue. 

Tägliche Routinen.

Mein Alltag ist eingespielt.

Aufstehen, Frühstück, der Tag nimmt seinen Lauf…

arbeiten, kümmern, mit anderen reden.

Ich stehe am Ufer von 2020.

Um mich herum andere, die müde und immernoch etwas ungläubig auf den See schauen.

Die Netze sind leer. Nebel nimmt uns die Sicht.


Was ist nur los mit diesem See 2020?

Solche Zeiten kenne ich gar nicht.

Es war doch alles gut. Bequem, nicht wirklich existenzbedrohlich, sondern sicher. 

Alles schien gut eingespielt, planbar, machbar, 

ja, vertraut und erkennbar  in meiner Welt.

Das Wetter machte noch was es sollte. 

Jahrhunderte alte Bauernregeln sagten mir,

dass das Wetter eine feste Schnur ist, 

die sich durch die Zeiten zieht

und mein Kopf folgerte mit großer Sicherheit daraus, 

dass sich das Wetter darum auch nicht ändern wird.

Mein Umfeld ist ein wohlhabendes. 

Häuser, Autos, Gärten, Urlaubsreisen, 

Supermärkte, Restaurants, Onlineshopping. 

Shopping überhaupt - nicht aus Not, 

sondern weil man Lust dazu hat.

Feste und Feiern, fröhliches Beisammensein. 

Beinahe ungetrübt, nur hin und wieder gestört vom Tod oder der Krankheit anderer und Nachrichten, die man ausschalten konnte. Alles zu bewältigen und zu überschauen.

Ein See, ein Leben, die berechenbar sind und ein Fang, 

der reichlich ist. Immerzu reichlich und stetig.

Meistens jedenfalls. Die Durststrecken schienen absehbar.


Ich stehe am Ufer von 2020 und schüttle den Kopf.

Nicht der gewohnte Fang.

Ob das reicht?

Reicht um mich glücklich zu machen und lebenssatt?

Trotz der Masken und Besuchsverbote,

die auf dem See schwimmen 

wie eine kleine ölige Naturkatastrophe?

Auch die anderen um mich sind erschöpft, irritiert, müde, durchnächtigt vom Versuch, es wieder so werden zu lassen wie immer und wie davor immer. Etwas angeknackst im Gefühl der Sicherheit des Lebens.


Und Jesus tritt dazwischen.


Will dennoch von mir hinaus gefahren werden auf diesen See 2020. Als wäre alles wie immer, als wäre es der vertraute See. Aber er muss es bemerkt haben. Er sieht, dass meine Boot leerer ist als sonst, mein Nervengerüst nicht so gut bestückt, meine Paddel und meine Haut dünner als je.


„Fahre hinaus, wo es tief ist!“ - sagt Jesus dann auch noch.

Als hätten wir nicht versucht etwas festzuhalten in unseren netzen. Ja, wir haben die Netze so beiläufig wie immer an der Oberfläche treiben lassen.

Mehr war nicht nötig um das Glück abzuschöpfen.

Und die Gefühle von Sicherheit, Beständigkeit, froher Hoffnung - was man so braucht an Zuversicht.

Fahre hin aus sagt er, als hätten wir nicht…

aber ich weiß augenblicklich dass er recht hat.

Dass mein allgemeines nachlässiges immerso-Gefische nicht ausgereicht hat. 

Aber will ich hinaus fahren in dieses merkwürdigste Jahr aller Zeiten - auf die offene See?

Will ich meine Netze da auswerfen, wo es tief ist?

Da, wo es tief ist?


Nun, wenn Jesus vor dir steht, dann erscheint alles kleinlich, dann gibt es irgendwie kein Ausweichen mehr, kein Drüberweg-gehen, dann ist das plötzlich eine Option - einfach nocheinmal tiefer zu fischen. Irgendwie total logisch.


Und ich mache mich auf, 

was wird da zu finden sein in der Tiefe?

Und ja: Es war eigentlich lächerlich, dass ich meinte, das gäbe keinen guten Fang. Vielleicht nicht das Gewohnte.

Aber im Netz zappeln zahlreiche Bilder von Kreidestrichen auf unserer Straße mit einem Segenswunsch für alle und wie die Autofahrer alle lächelnd darüber müssen und Bilder von warmen Blicken über die Straße ohne allzu flüchtig aneinander vorbei zu gehen, kleine Zettel mit Sorgfalt gefalteten in Briefkästen gesteckt, lächelnd, als wäre das fast ein Liebesbrief, Klänge von einer Posaune abends im Dorf. 

Im Netz zappelt meine Gestresstheit neben einem Abend im Gartenstuhl, meine Angst zusammen mit genau den richtigen Worten, die mir eine sagte. 

Aber vor allem spüre ich: da ist mehr. Unfassbar mehr. Was auch immer wäre, es würde einen Fang geben. 

Es ist genug da von dem was ich brauche an Zuversicht.

In diesem See und auch in all den anderen.


Lass Jesus in deine Mitte treten.

Lass ihn - wenn du so gar nichts in deinen Netzen hast - 

dich hinaus schicken wo es tief ist.

Vertraue. 

Denn irgendwie genau dort wird er mit dir sein.

Es gibt etwas zu finden.

Fürchte dich nicht. Amen


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unser Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke uns Liebe.


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...