Samstag, 11. November 2023

... vom Zelte bauen ....

Predigt zur Friedensdekade 2023

SICHER NICHT - ODER?


(Predigttext: 1. Thessalonicher 5, 3-11)



Yarden lebt in einem Zelt. 

Ihre Schwester Romi wurde am 7. Oktober 

bei einem Festival entführt.

Yarden ist jetzt in ein Zelt gezogen. 

Obwohl sie eine Wohnung hat.

So lebt sie nun mitten in Tel Aviv auf der Straße.

In einem Zelt.

„Wir glauben, dass wir nicht mehr zu Hause sein werden, 

bis sie nicht auch wieder zu Hause sind.“,

sagt sie und meint ihre Schwester und die anderen Geiseln.

Sicher ist ihre Heimkehr nicht.

Ihr Zelt soll Symbol dafür sein, was sie verloren hat.

Es ist Symbol für den Verlust von Sicherheit und Frieden.


Manche Analytiker sagen, wir hätten aktuell echte

Stapelkrisen oder Krisenstapel.

Mit wieviel Krisen gleichzeitig 

kann ein Mensch eigentlich umgehen?

Sie abarbeiten wäre gut.

Wie eine To Do Liste.

Eine Krise nach der anderen.

Der Reihenfolge nach.

Aber sie stapeln sich wie Eisschollen am Strand

die das Meer unerbittlich übereinander schiebt.

Wo ist das Meer?

Kaum noch zu sehen.

Erst müssen die Schollen schmelzen.

Die Stapel sich auflösen.


Mit der Sicherheit ist es zu Ende sagen wir,

die wir in einem der sichersten Länder der Erde wohnen.

Alles wird so unsicher sagen manche

und wünschen die guten sicheren Zeiten zurück.

Wo aber war denn diese Sicherheit jemals?

Wir wünschen uns Sachen sicher

die wissentlich nicht sicher sein können

in so einer Welt

und vermissen diese Sicherheit von der wir doch wissen, 

dass es sie eigentlich gar nicht gibt

Es gibt sie nicht:

Die Sicherheit dass es keinen Kriege gibt, kein Unglück, 

keine Abschiede, keine Trennungen, keine Niederlagen, 

kein leeres Konto, keinen Streit.

Die Sicherheit, dass alles immer gut bleibt und ich gesund und alle lieb zueinander 

und dass all unser Wohlstand bleibt, und die Ressourcen dieser Erde schon noch reichen. 


Wir haben gesagt: „wir haben Friede und Sicherheit“ 

und nun überfällt uns schmerzhaft der Gedanke, 

dass diese Welt mit Vergänglichkeit und Veränderung gebaut ist.


Wenn die Menschen sagen werden: »Alles ist ruhig und sicher«, 

wird plötzlich (es …) über sie hereinbrechen, so wie die Wehen über eine schwangere Frau. 

Da gibt es kein Entrinnen.“ sagt der Bibeltext - die Menschen an die der Brief geht, 

die kennen das: dass Dinge eben nicht für ein und allemal so bleiben und sind, 

dass die Welt sich bewegt und ändert, oft unerwartet. 

Für manche ist diese Erkenntnis irgendwann in ihrem Leben  

- wenn eine Krankheit oder Unglück in ihr Leben bricht wie ein Urteil, 

wie ein Einbruch in ihre heile Welt. 


Yarden in ihrem Zelt hat das erlebt, als Terroristen ihre Schwester entführten. 

Ihr Leben ist ins Wanken geraten. Wie jemand ohne Heimat fühlt sie sich, 

weil die Wände ihrer Realität Risse bekommen haben. 

Mitten aus ihrem Alltag heraus.

Ihr Leben fühlt sich an wie ein loses Zelt ohne feste Wände, 

mit nur dürftigem Schutz gegen Sturm und Kälte. 

Die sicheren Wände ihres Lebens sind zu einer dünnen Haut geworden, 

wie die Plane des Zeltes, durch die hindurch sie das Leben schmerzhaft spürt.


Wir leben in Zeiten erschütterter Sicherheiten.

Frieden ist doch nicht selbstverständlich.

Wohlstand vermehrt sich doch nicht unendlich.

Überfluss hat doch ein Ende.

Ein Staat kann plötzlich an seine Grenzen kommen. 

Wir wachen auf in einem Zelt,

das Leben hat offensichtlich keine festen Behausungen,

das Leben ist doch ein Reisemodus

und unsere Haut zur Welt hin nur dünn.


Yarden lebt wie eine, die aufbrechen muss aus ihren bisherigen Gewissheiten. 

Und dennoch, finde ich, hat das Bild des Zeltes auch etwas tröstliches. 

Es ist dennoch ein Bild des Schutzes. 

Jemand, der auf dem Bürgersteig Rückzug hat in einem Zelt. 

Wie man Gott heilige Zelte baute in Israel.

Wie das biblische Gottesvolk erfuhr, dass Gottes Geist sie umgab 

wie ihre Zeltwände des Nachts 

und sie begleitete, 

sogar als sie Geiseln waren in Babylon. 


„Ihr aber lebt ja nicht in der Dunkelheit, Brüder und Schwestern, 

sodass euch der Tag des Herrn wie ein Dieb überraschen könnte. 

Ihr alle seid vielmehr Menschen, die dem Licht und dem Tag gehören. 

Und weil wir nicht mehr der Nacht und der Dunkelheit gehören, 

wollen wir auch nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein. (…) 

Wir wollen Glauben und Liebe als Panzer anlegen und die Hoffnung auf Rettung als Helm. 

Denn Gott hat uns nicht dazu bestimmt, dass wir seinem Gericht verfallen, 

sondern dass wir durch Jesus Christus, unseren Herrn, gerettet werden. (…) 

Macht also einander Mut und helft euch gegenseitig weiter, wie ihr es ja schon tut.“


Ungewissheit ist ein Teil des Lebens. Sicherheit ist eine Illusion. Aber Gott ist es nicht. 


Die Bibel erzählt uns immer wieder von Gottes Treue. 

Sie erzählt uns auch, dass wir als von Gott treu Begleitete einen Auftrag haben in dieser Welt. Dass wir die sind, auf die es ankommt. 

Dass wir es sind, die Zelte aus Geborgenheit bauen können um jene die verzagen. 

Dass unser Respekt und unsere Achtung der Würde der anderen 

die Zeltwand unserer Gesellschaft bilden. 

Wir sind es, die Zeltstädte der Versöhnung entstehen lassen können,  

wo wir vergeben können, über unseren Schatten springen und Hände reichen. 


Gott ist es, der wie eine Zelthaut Dein Leben umgibt, 

durch die du die Welt spürst und Schmerz und spitze Kanten 

und auch Wärme und Zartes. 

Gott ist Dein Zelt mit dem Du beweglich bist, 

denn sicher und unverändert ist das Leben starr. 

Unsere gute Gemeinschaft, Gottesdienste, 

Zusammen-sein, Aneinander-denken 

ist unser heiliger Rückzugsort auf einem Bürgersteig des Weltensturms. 


Yarden wünsche ich, dass Gott die Spannstricke ihres Lebenszeltes 

fest in seinen Händen hält, dass sie neu Heimat finden kann. 

Uns wünsche ich, dass wir unseren Glauben und unsere Liebe 

wie Kleidungsstücke nach außen tragen und die Hoffnung in der Tasche. 


In den letzten Wochen haben 

niederländische Spender und Nichtregierungsorganisationen 

100 Millionen Tulpenzwiebeln gespendet, 

die vor ukrainischen Schulen gepflanzt werden. 

Kinder einer Schule in Irpin, einer Stadt in der Nähe von Kiew, 

die letztes Jahr bei Kämpfen mit russischen Truppen schwer beschädigt wurde, 

waren die ersten, die Schaufeln in die Hand, um vor ihrer Schule Blumen zu pflanzen. 

„Ich liebe es, es ist aufregend, dass die Tulpen noch hier sein werden, wenn ich groß bin.“, 

sagt ein Mädchen. „Infolge der Bombenangriffe gab es in allen Wänden große Löcher. 

Ich hatte Angst und wollte weinen, denn ich gehe seit vier Jahren auf diese Schule 

und jetzt ist sie nach dem Krieg ziemlich zerstört. Tulpen sind sehr schöne Blumen. 

Wenn sie blühen, werden alle zu unseren Toren kommen, wir werden sehen, 

wie unsere Schule wie ein Blumenteppich bedeckt ist.


Am Ausgang gibt es heute für alle eine Tulpenzwiebel für die Jackentasche. 

Nehmt Euch Hoffnung mit. Pflanzt sie aus. 

Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.








Glaubensbekenntnis von Seoul (1990)


Ich glaube an Gott, der die Liebe ist, und der die Erde allen Menschen geschenkt hat.

Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren, an die Stärke der Waffen, an die Macht der Unterdrückung.

Ich glaube an Jesus Christus, der gekommen ist, uns zu heilen, und der uns aus allen tödlichen Abhängigkeiten befreit.

Ich glaube nicht, dass Kriege unvermeidlich sind, dass Friede unerreichbar ist.

 Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen, die berufen ist, im Dienst aller Menschen zu stehen.

Ich glaube nicht, dass Leiden umsonst sein muss, dass der Tod das Ende ist, dass Gott die Zerstörung der Erde gewollt hat.

Ich glaube, dass Gott für die Welt eine Ordnung will, die auf Gerechtigkeit und Liebe gründet, und dass alle Männer und Frauen gleichberechtigte Menschen sind.

Ich glaube an Gottes Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, wo Gerechtigkeit und Friede sich küssen.

Ich glaube an die Schönheit des Einfachen, an die Liebe mit offenen Händen, an den Frieden auf Erden. Amen.


(Credo von der Ökumenischen Weltversammlung in Seoul, 1990)


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...