Sonntag, 31. Dezember 2017

Gedanken zur Jahreslosung 2018
Gute Worte
Gute Bilder für die Seele. 
Eine kleine Meditation zum Bild von Künstlerin Anne Fischer.

Bleibt behütet in allem!!

Jahreslosung 2018
Gott spricht:
Ich will dem Durstigen geben 
von der Quelle
des lebendigen Wassers
umsonst.
(Offenbarung 21,6)


Es gibt Tage, wo du nicht satt wirst
Stunden die dein Herz voll Sehnsucht machen 
und deine Seele durstig
Was auch immer du um dich herum sammelst
nichts davon ist so beschaffen
dass es für immer ist
alles was du haben kannst
kannst du auch verlieren
Besitz
Anerkennung
Menschenbeziehungen

Wenn es nur eines gäbe
das man nicht verlieren kann!

Du
öffne doch deine Hände himmelwärts
nur für dich selbst
lass dein Herz sich aufmachen
ins tiefe Blauvergnügen
in die blaue Ruhe

und siehe
himmelsgleiche Kraft
wird durch deine Hände gehen
nicht von dir aber zu dir
das wird sein wie eine Umarmung
für dich

da wachsen dann Dinge
dass du es kaum glauben kannst
und darauf
kann er dann stehen
dein Gewissheitsbaum
du wirst dir so sicher sein
dass alles wird

und um dich wachsen
Lebensfrüchte
wie von Gott
und Licht wird im Kreuz des Lebens sein



Gute Vorsätze 

Ich nehme mir vor
nichts zu optimieren
meine Leistung nicht zu steigern
nicht alles mitzunehmen

Ich nehme mir vor
nicht schneller zu sein
nicht alles rauszuholen 
nicht alles zu erklären

Ich nehme mir vor
manches zu verpassen
nicht optimal zu sein
Fehler zu machen

Ich nehme mir vor
mich nicht in Sicherheiten zu verstecken
den anderen nicht schon zu kennen
nicht zu meinen mir stünde etwas zu


30.12.2017



Sonntag, 24. Dezember 2017

Meine Weihnachtspredigt 2017



Gott
der keinen Eigennamen hat,
Gott, dessen Name nur umschreibt
der nur andeuten kann
"Jahwe" =„der der immer ist“, „der da ist“
eigentlich ein Verb, ein Tu-Wort,
das ist Gottes unbestimmter Name
in der Bibel,
ein Name, den Gläubige vor Ehrfurcht nicht aussprachen
- Dieser
Gott bekommt einen Namen und ein Gesicht
in der Heiligen Nacht.
Jesus.
Das macht er
für mich.
Für dich.
Damit wir endlich verstehen.
Er wählt nicht das holde Antlitz eine Fürsten,
nicht die weisen Gesichtszüge eines alten Weisen,
nicht die Fratze eines Scharfmachers
nicht die Erscheinung einer Frau.
Gott wählt das zarte
unberührte
unbeschriebene
erstgewordene
himmlische
Angesicht eines Neugeborenen.
Er hat Arme, die dich bitten
ihn aufzunehmen
- ans Herz.
Er hat winzige Füße,
die alleine nicht gehen können,
die du mit dir tragen musst.
Er hat Augen,
die unendlich vertrauen,
dass du alles und alles schaffen kannst
Gott brachte sich selbst in ein Bild,
das jedem sofort zu Herzen ging.
Brachte sich in ein einziges Wort.
In eine einzige Regung:
Liebe.
Und so sagt Gott.
So bist du
Kind für mich.
Mein Kind.
Ein Gotteskind.
Unendlich wertvoll
- bist du.
Über alles geliebt.
bist du.
Vom Schöpfer des Lebens
- bist du.
Der das Beste dir gibt.
Du hast so viel von mir.
„Seht doch, welche Liebe der Vater uns erwiesen hat:
Wir sollen seine Kinder heißen – und wir sind es tatsächlich!“ - schreibt ein Schreiber der Jungen Kirche in einen Brief, im 1. Johannesbrief.
Es ist Gottes Wort für unser Ohr für den Weihnachtstag heute: „Seht doch, welche Liebe der Vater uns erwiesen hat: Wir sollen seine Kinder heißen – und wir sind es tatsächlich!“
Was Namen mit uns machen…
Wer ein Kind bekommt, der überlegt einen Namen.
Seine Bedeutung, seinen Klang.
Oder: einen Hund den wir Hasso nennen
oder wir nennen ihn Tüpfelchen - der Name macht etwas aus.
Worte sind nicht einfach nur Windgeschöpfe,
sie haften manchmal schwer.
Wie da, wo jemand zu dem stetig weinenden Baby sagte,
„Das ist ein schwieriges Kind!“
Jeder sagte das bald „Oh je!“… „Das schwierige Kind!!“
Ich muss wohl kaum erwähnen,
dass das Kind es schwierig hatte.
Es schien allen, als würde das Kind das mit Absicht machen
oder als hätte es ein schlechtes Karma.
Das schwierige Kind.
Wenn es schrie, nickten alle, naklar, das „schwierige Kind“,
als es größer wurde, erwartete niemand,
dass es einfach würde.
Und das war es auch nicht.
Ist es mit keinem Kind.
Aber bei diesem Kind dachte alle „Wie schwierig“.
Auch als Erwachsener wird es schwierig sein müssen.
Es war darauf festgelegt.
Werd solch eine Namen mal wieder los!!
So einen, wie „Du-Dummchen“ - hundertfach gesagt.
„Du -Trottel.“ - immer wieder eingehämmert.
Und was macht es dagegen in uns,
wenn jemand „MeinSchatz!“ zu mir sagt.
Oder „Liebling“
und „Du-Gute“!
Der Trainer macht etwas, wenn er sagt
„Dieser Tollpatsch“ oder „MeinSchützling“.
Die Lehrerin macht es, die sagt
„DuUnfähige" oder „DuKämpfer“
Der Chef macht es, wenn er sagt
„Du -meine rechte Hand“ oder
„Du Stein auf meinem Weg“
„Seht doch,
welche Liebe der Vater uns erwiesen hat:
Wir sollen seine Kinder heißen
– und wir sind es tatsächlich!“
Gott sagt.
Du bist
mein Kind.
Ein Gotteskind.
Unendlich wertvoll
- bist du.
Über alles geliebt.
bist du.
Vom Schöpfer des Lebens
- bist du.
Der das Beste dir gibt.
Du hast so viel von mir.
Und das macht etwas mit dir.
Gotteskinder
haben eine unheimliche Kraft
Sie vermögen
- wenn sie wollen -
im Anderen
auch das Gotteskind sehen:
Den Menschen
hinter
allem Verhalten.,
hinter allen Fähigkeiten und
allem Wissen,
hinter dem Zorn, den er zeigt,
hinter seiner Furcht.
Das können wir.
Das kannst du
- mit der Liebe,
die Gott in dich hinein benennt
wenn er dich Gotteskind nennt.
Denn du weißt,
was ein Wort vermag.
Ein Gotteswort zum Beispiel
Maria glaubte auf ein Wort,
die Hirten gingen auf ein Wort los!
Und solches vermögen auch deine Liebesworte
und deine Namen, die du gibst.
Nämlich:
dass der andere sich selber schön finden kann
wenn du sagst „DuSchöner“.
Dass die andere sich selbst mutig finden kann,
wenn du sagst „DuKämpferin“!
So gib Namen
den anderen
und dir
und vielleicht auch Gott.
So sage Worte
die im Anderen
das kostbare Kind Gottes
wirklich werden lassen.
Weil
der
Zarte
Unberührte
Unbeschriebene
Erstgewordene
Himmlische
bei dir ist,
dich „MeinKind“ nennt. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, ziehe ein in unsere Herzen und Sinne. Amen.


Josef,
oh mein gott
schau ihn dir nur an
er ist so klein
so unglaublich klein
alles an ihm ist so zart
ich möchte ihn gar nicht aus dem arm legen
wärme strahlt er aus
ach, wie ist er zerbrechlich
er schaut mich an und glaubt
ich schaffe alles
ganz unvoreingenommen
tiefstes Vertrauen in mich
so zerbrechlich
er glaubt dass ich es richtig mache
schaut gott mich da an
aus den augen des kindes?

man stelle sich vor
- nur für einen moment -
beim gebet
der
zu dem ich bete
hätte die augen eines kindes
er durchschaut mich
mit dem blick der liebe
ohne arg traut er mir alles zu
glaubt, ich schaffe alles
vertraut auf meine liebe zu ihm





Brich an
Du
schönes Morgenlicht
und lasse den Himmel
tagen

Brich
mitten hinein
in unser noch Ungewisses
in
unser schon Festgesessenes

Brich in
unser nicht-drüber-Nachdenken
und
unser Alles-regeln-wollen

Brich dich an
unserem Leben
das
uns manchmal entwischt

damit der
Himmel
in uns tagt


Donnerstag, 21. Dezember 2017

Was aus dem alten Josef geworden ist?

Ich sah ihn, als der Tag zur Neige ging.
Er lag schmächtig und mit großen Augen
schwach und müde in seinem Bett.
Den Arm erhoben,
als hielte er noch seinen Wanderstab.
Was für ein Weg
war das damals.
So weit.
Tränen sind in seinem Gesicht.
Er erinnert sich an Entbehrung,
einen langen Marsch 
und mörderische Banden.
Vor allem an die.
Und an die Angst vor denen
erinnert er sich. 
Der Josef.

Kaum konnte Josef ganze Sätze sprechen.
Noch wusste er mehr, 
wer er heute war
und was er gestern erlebt hatte.
Aber eines, das ließ ihn nicht los:
seine weite Reise
und wie sie lebten damals,
er, der Christ und Nachbar, der Jüd´ 
und gehörten doch zusammen
und konnte nichts dafür, wer sie waren.
Und wie dann damals alles kam.
So sagt er unter Tränen.
Er, der nichtmal seinen Namen mehr weiß.
Wie sie aus dem Elsass vertrieben wurden.
Und der Vater bei der Wehrmacht war.
Und der Nachbar, 
der alte Wiesenthal,
der war ein Jüd´.
Und machte die besten Semmeln im Viertel.
Und er sagt „Jüd´“ ganz zärtlich,
als wäre es ein Kosewort.

Und nun vermisst er sie alle.
Sagt er.
Die Mutter und den Vater.
Und den Jüd´, den Freund.
Und seine Frau.
Sagt Josef.
Und dann singen wir beide 
„Leise rieselt der Schnee…“
und „in den Herzen wird’s warm,
still schweigt Kummer und Harm.“
Und dann lacht er und weint er zugleich.
Der Josef.
Bald ist die lange Reise zu Ende.

Sonntag, 17. Dezember 2017

Da lag einfach ein riesiger Haufen Glitzer auf der Straße.
Mitten am Tag.
Tausend kleine Stücke.
Sie haben meinen Tag vergoldet.

Da saß sie einfach mitten in der Klinikkapelle,
Tausend Splitter in der Hand.
Sie redete sehr lange.
Von Rita und Bernd, den Schmidts
und dem Danny, der damals noch mit Sigried,
aber erst der Walther, wenn der wüsste,
dass die Anemarie, aber da war er ja schon
mit der Hannlore, und die Kinder davon…
Nur am Rande kam sie selber vor
und ihre schwere Krankheit
und die zerbrochene Beziehung zum Sohn.

Erst dachte ich,
es wäre nichts Wesentliches geschehen.
Aber als wir aufstanden,
weinte sie.
So hätte ihr noch niemand zugehört.

Der riesige Haufen Splitter
zerbrochenen Lebens
hatte angefangen zu schimmern
im Angesicht Gottes.

Da lag einfach ein riesiger Haufen Glitzer auf der Straße.
Mitten am Tag.
Tausend kleine Stücke.
Sie haben meinen Tag vergoldet.

(B.Schlauraff)


Donnerstag, 14. Dezember 2017

Am Telefon redete sie lebhaft und viel. In der kleine Gemeinde sagt man mir seit ich vor einem Jahr dort begonnen hatte, immer wieder, ich müsse sie unbedingt kennen lernen. Frau Berg wäre das Herz der Gemeinde gewesen. Sie hätte am Nachmittag die Kinder zusammen geholt und Bibelgeschichten erzählt, sie hätte die Einsamen zu Hause besucht, die Blumen für den Altar gepflückt, den Pfarrer erinnert, wenn er etwas vergaß. Manchmal lief sie lange Wege von einem Dorf zum anderen. Auto fahren konnte sie nicht. Nun musste sie ihr Dorf verlassen. Vier Jahre schon wäre sie im Pflegeheim, zu krank, um alleine zu leben. Fast gestorben wäre sie zwischendurch. Und endlich schaffe ich es mal, Frau Berg zu besuchen. Ich stelle mir eine reizende dynamische, vermutlich auch etwas anstrengende, ältere Dame mit kleinem weißen Dutt und sprühenden Augen vor. Es dauert, bis ich sie im großen Haus gefunden habe. Als ich sie sehe, bin ich sehr überrascht. In einer Sitzecke erzählt sie mir ein wenig von sich, aber dann ist Kaffeezeit und ich soll sie und ihre Rosalinde, mit der sie zusammen im Zimmer lebt, begleiten. Auch Frau Heilmann soll ich unterwegs in ihrem Zimmer abholen. So begleite ich die drei alten Damen, die schlurfend mit kleinen Tippelschritten voran kommen, an den Kaffeetisch. Neben mir sitzt Frau Heilmann. Sie ist winzig und im ganzen Gesicht grün und blau. Lange starrt sie auf die Tasse und den Kuchen. Schließlich kippt sie unerwartet mit viel Schwung den ganzen Kaffee auf den Kuchenteller. Das Pflaumenkuchenstück schwimmt in einem braunen See. Wieder sitzt sie ohne Reaktionen da. Niemand sagt etwas. Sie scheint das wohl immer so zu machen. Schräg gegenüber von mir sitzt Rosalinde. Sie sitzt ohne Appetit vor dem Teller. Immerzu seufzt und seufzt sie. „Tränen. Tränen. Tränen. … Ärger. Ärger. Wohinwohinwohin.“ Immer wieder fällt sie in einen kleinen Singsang mit traurigen Worten. Frau Berg schüttelt die wilden kurzen grauen Haare. „Meine Rosalinde!“, sagt sie voller Inbrunst. „Das ist so eine tolle Zimmernachbarin! Sie ist nur manchmal ein wenig traurig. Und Frau Heilmann! - Hallo, meine Liebe! Hören Sie mich? - So eine freundliche Person!“ Frau Berg sitzt krumm und schief gebeugt am Tisch. Ihr Beine sind verformt und auch ihr Rücken. Ihr ganzes Gesicht ist schief, die eine Gesichtshälfte viel größer als die anderen. Wenn sie spricht, verzerrt sich das ganze Gesicht etwas krampfhaft. Ihr Augen sind fast nicht zu sehen - hinter einer unfassbar dicken Brille kneift sie sie stark zusammen, um sehen zu können. Wenn sie spricht ist sie gefühlt nur Millimeter von meinem Gesicht entfernt, um mich sehen zu können. Jetzt, wo sie ihren Kuchen isst, beugt sie sich tief über den Teller. Frau Heilmann fährt mit dem Finger durch die Kaffeepampe. Rosalinde atmet tief durch und verschlingt in Nullkommanix das Kuchenstück. Ich hole mir einen Becker aus dem Schrank. Er riecht nach Desinfektionsmittel. Als ich Wasser eingegossen habe und den ersten Schluck trinke, weiß ich, dass er auch danach schmeckt. Etwas hilflos sitze ich da. In der linken Hand das desinfizierte Getränk. Die Hand von Frau Heilmann, die eben noch in der Kaffeepampe war, greift nach meiner anderen Hand. Rosalinde seufzt und seufzt. Sie singt vor sich her. Frau Berg ist entzückt von diesem wundervollen Lebensort hier. Ich schließe die Augen und atme tief aus. Wo liegt das Geheimnis. Was sieht Frau Berg, das ich nicht sehe? Ich schaue Rosalinde an. Jetzt sehe ich es. Immer wenn ich sie sehe, dann hört sie auf mit ihrer Litanei und lächelt. Lächelt wundervoll. Ein schneeweißes liebevolles Lächen. Ich mustere die grünblaue Frau Heilmann, deren klebrige Finger in meiner Hand liegen, sie schaut mich fortwährend an. Und da ganz hinten, neben dem Limettengrün ihres rechten Jochbeins und dem Dunkelorchideenlila auf der Stirn schaue ich in tiefes Hellblau ihrer Augen. Ein leichtes fliegendes Himmelblau. Und irgendwo da ganz hinten lächeln ihre Augen. Von ferne höre ich Frau Bergs Stimme, die erzählt. Diese Stimme klingt beglückend, denke ich. Sie ist sanft und warm. Eine ganz besondere Stimme. Es muss fantastisch sein, eine Geschichte zu hören von einer Frau mit einer solchen Stimme oder angesprochen zu werden, als liebste Zimmernachbarin oder freundliche Tischgenossin. Und wieder schaue ich Frau Berg an. Überall so sehr versehrt, wie sie ist. „Ich danke Gott, dass ich wieder so schön geworden bin.“, sagt sie gerade. 






Kein Stern 
kann
die Finsternis
vertreiben.
Ohne Finsternis
wäre er
nichtmal 
zu sehen.

Ein Stern 
kann 
der Nacht den Schrecken nehmen
mit seinem Licht
und Weisung im Wirren sein.
Er kann mit anderen Sternen 
ein Zelt bauen.
Und wenn er längst verglommen ist, 
strahlt er hier noch lange.

Er macht keinen Himmel auf Erden,
aber er kann - im Dunkel -
der Morgenstern sein. 



Dienstag, 12. Dezember 2017

Es ist noch dunkel, wenn die Kinder morgens zum Bus gehen. Die kleine Haltestelle liegt genau in der Mitte zwischen zwei Straßenlampen und ist nur mäßig beleuchtet. Wenn man dort jetzt im Dezember miteinander ins Gespräch kommt, dann kann man die Gesichtszüge des Gegenüber manchmal nur ahnen. Bald 20 Kinder tummeln sich dort am Morgen. Es sind die jüngeren Schüler, die zur Grundschule fahren müssen. Die Mädchen spielen Klatschspiele oder flüstern sich kichernd Geheimnisse ins Ohr. Die Jungs lassen ihrer Energie freien Lauf und rennen die Straße hoch und runter, spielen Fangen, lachen laut und rufen sich Dinge zu. Alles im Halbdunkel. Die Farben des Tages sind noch nicht erwacht. Schattengleich huschen die Kinder umher. Am Rande stehen die großen Schatten der Eltern, die warten, bis der Bus kommt. Heute morgen aber stand mittendrin bei all den Kindern ein großer krummer Schatten. Es war der Nachbar. Mit seinen weißen schütteren Haaren und einer viel zu dünnen Jacke. Seine Zähne leuchteten weiß im schwachen Licht, als er lachte. Er lebt ganz alleine. Ein frei fliegender grüner Wellensittich ist sein treuester Kamerad. Er raucht viel und hustet viel. Und wenn er redet, dann meistens Sprichwörter und Scherze. Vielleicht helfen sie ihm über die Einsamkeit hinweg. Und heute musste er zum Arzt. Damit er seine Termine schafft, nimmt er immer den Schulbus. Frühzeitig war er hinüber geschlurft. Stand hüstelnd in der kalten Morgenluft. Der Atem stieg in kleinen Wölkchen aus seinem Mund. Die ersten Kinder kamen mit ihren Ranzen, die sie - wie jeden Morgen - fein säuberlich in eine lange Schlange stellten. Und plötzlich steht er mitten im Hopsen und Lachen der Kinder. Er schmunzelt. „Was sagen zwei Kerzen zueinander?“, ruft einer. „Keine Ahnung!!“, ruft sein Kumpel. „Lass uns mal zusammen ausgehen!“ Gelächter. Und der Nachbar lacht mit. Laut und hell. Und sein faltiges graues Gesicht scheint im Schummerlicht plötzlich rosig und seine Gesten wie die eines kleinen Jungen. Kichernd kickt er den Stein zurück, den ein kleiner Junge in seine Richtung schießt. Im Wogen der Kinder wird er ausgelassen heiter wie sie. „Bus!! Bus!!“ schallt es durch die Straße. Alle Kinder rennen zu ihren Ranzen und fädeln sich nacheinander in den Bus ein. Der Nachbar mittendrin. Lachend. Und als dann später alle einen Platz gefunden haben und ihren Müttern und Vätern durch die Scheiben winken, da winkt auch er den Müttern und Vätern. Übermütig. Lachend. Für einen Morgen Kumpel und Kind geworden. 


Montag, 11. Dezember 2017

Warm und heiter ist die Stimmung am kleinen Tisch in der Stube. Lore sitzt mit geröteten Wangen mittendrin. Heute vor 95 Jahren begann ihr Leben. Hier in diesem kleinen Dorf. Am alten Stubentisch kommen sie immer alle zusammen. Kinder und Enkel und Urenkel. Die Nahen und die Fernen. Manche fehlen. Fehlen ihr sehr. Aber heute ist dieses Fehlen ganz gefüllt mit lieben Gesichtern und Freunden, Weggefährten und Nachbarn, die sie in den Arm nehmen. Gefährtinnen sind es vor allem, auf vielen und langen Wegen. Ganz verbunden ist sie mit denen die gerade da sind und denen, die heute kommen und gehen. In ihrem Alter darf man jede Zuneigung unbescheiden auskosten. Sie genießt das Gewirr von Stimmen und dass alle Zeit für sie haben. Als die Pfarrerin kommt, wird Platz gemacht. Sie erzählt ihr von dem Leben früher. Alte Photos machen die Runde, darauf das Mädchen mit dicken Zöpfen, das sie einst war und noch ist. Geschichten werden erzählt. Das Leben blättert sich auf. Das was war, ist wieder ganz nah. Ich hol jetzt das Buch, sagt der Enkel. Alle schauen ihm nach. Es ist ein unscheinbares Büchlein mit roten Ledereinband. Wenn ich das aufschlage, dann ist meine Kindheit wieder da, sagt er. Ein Buch voller Weihnachtsmärchen. Die Großmutter hat sie ihnen vorgelesenen. Er hält das Buch, als wäre es ein kostbarer Schatz. Und das ist es auch. Zwischen den Buchdeckeln findet er das Knistern von Omas Bluse und den Duft aus ihrer Küche und die Glocken vom Turm der Heimatkirche und die Wärme vom alten Ofen mit Ofenbank. Die anderen nicken still. Aber seine Augen glänzen. Er legt es gar nicht mehr aus der Hand, redet, gestikuliert, hört zu. Das Buch in der Hand wiegend, darüber streichend. Als würde er sich daran wärmen.


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Reaktion meines Vaters heute Abend dazu: 
"Dein schöner Text hat mich erinnert. Mein Buch ist braun und wie du siehst zerfleddert und erinnert an meine Mutter, deine kleine Oma. Hieraus hat sie mir immer abends vorgelesen. Ich kenne sie noch alle - mit diesen bunten Illustrationen. Pa"






Sonntag, 10. Dezember 2017

 Vorweihnachtszeit. Die Eltern kichern. Es fallen die üblichen Bemerkungen. Was sie sich denn vom Weihnachtsmann wünschen würde. Ob sie nicht das Zimmer aufräumen wolle, wenn da der Weihnachtsmann durch das Fenster sehen würde. Früher hatte sie das geliebt. Die Welt aus Geheimnissen und Unerklärlichem. Das Kribbeln. Und es gar nicht erklären wollen. Das war als sie selber manchmal in Gedanken in diese Welt flüchtete. Aber nun war sie groß. Es verletzte sie ernsthaft, dass die Eltern sie behandelten wie ein kleines Mädchen. Das mit dem Weihnachtsmann war geklärt. Sie wollte ganz erwachsen an diese Sache heran gehen. Sie vergoss bittere Tränen über die Unwürdigkeit dieses lächerlichen Gehabes. Ihr konnte man nichts mehr vormachen. Ihr sollte man nichts mehr vormachen. Sie war dabei erwachsen zu werden. Irgendwann hörten die Eltern auf mit ihren Andeutungen und hörten auf über ihre Trotzanfälle zu lächeln, wenn es um den Heiligabend ging. Um des lieben Friedens willen gaben sie nach. Man würde dieses Jahr absehen vom Warten auf den Weihnachtsmann bei Würstchen und Kartoffelsalat. Und dem erstaunten Rufen und Suchen nach dem Sack, den der Weihnachtsmann jedesmal woanders versteckte, mal im Kellereingang, mal hinter der Windfangtür. Und auf das Lachen und den Einzug der Geschenke unter großem Gejohle. Und schließlich auch auf das Reihum-Auspacken. Wo jeder unbesehen ein Geschenk aus dem großen Sack ziehen durfte und alle sahen zu, wie der Empfänger es auspackte. All dies wollten sie dieses Jahr weg lassen. Stattdessen sollte es so sein, wie sie es in alten Filmen gesehen hatte. Die Geschenke sollte dekorativ mit großen Schleifen unter dem Baum drapiert sein. Dann würden alle in die Stube gehen, ganz ohne das ganze Tamtam. Und dann würde eben jeder seinen Stapel auspacken. Sie fühlte sich sehr ernst genommen. Und erwachsen. Sie hatte sich durchgesetzt. Schluss mit dem ganzen Kinderzauber. Es kam der Heilige Abend. Alles wurde so gemacht. Aber es wurde der einzige Heiligabend, an dem sie den Zauber weg ließen. Nichts kam ihr fremder und trostloser vor, als dieser Abend. Er gehörte nicht zu ihr. Nicht zu ihrer Familie. Eine große Liebe für den Zauber ergriff sie. Und ein tiefes Verständnis. Sie beschloss, nicht erwachsen werden zu wollen ohne Zauber und Geheimnisse und Unerklärliches.


Samstag, 9. Dezember 2017

„I.i.ich ha.hab ei.ei.eine Frage.“ Die Wörter kommen langsam aus seinem Mund, so als hingen sie an einem Gummiband, das sich nicht lösen will. Jeder Satz dauert gefühlte Minuten. Mein Kopf ist voller Dinge, die ich getan habe und die erledigt werden müssen und die ich jetzt gleich tun will. So eine Situation, wo du nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehst, sondern eines immer schon im Gehen ist. Und das tagelang. Nun steht er aber in der Tür meines kleinen Büros neben der Krankenhauskapelle. Er stößt fast mit dem Kopf oben an, so groß und aufrecht ist er. Und sehr schlank. Irgendwie etwas schief. Er hält auch seinen Kopf schief mit dem feinen Haar und dem Speichelfaden am Kinn. Und in seinem langsamen Sprechen kann ich plötzlich ausatmen, weiß, Gott hat mal wieder genau den Menschen geschickt, den ich jetzt brauche. Einen, der zutiefst begeistert ist von Kirche. Und ich setze meinen zweiten Fuß wieder fest auf die Erde, schaue ihn an, höre einfach nur zu. Wie er in seiner kleinen Dorfkirche den Kirchendiener macht, erzählt er, mit etwas eckigen Bewegungen seiner Hände. Wie er die Lieder ansteckt, die Kirche schmückt.  Er ist so jemand, den man sofort unterschätzen würde. Aber er weiß alles über seine Kirche und über Gottesdienste und ich glaube auch über Gott. Auch wenn sich die Wörter in seinem Mund verrennen und er manchmal eine Pause machen muss und sich den Speichel abwischen. Seine kleinen Augen leuchten. Sie sind ganz klar. Und er hat Freude. Er strahlt Freude aus, obgleich er Patient ist und doch sicher auch irgendetwas problematisch sein muss mit seiner Gesundheit. Da winkt er nur ab. Er erinnert mich, dass der Altar noch nicht die richtige Farbe trägt und gemeinsam wechseln wir das Antependium. Er lehnt sich zurück. Das ist schön. Findet er. Lila. Auch in der Passionszeit. Wartezeit sagt er. Immer wenn Wartezeit ist. Und dann das volle Weiß. Darauf freut er sich schon. Das sei so schön hell. Vielleicht kommt er Sonntag, wenn Gottesdienst ist. Aber er weiß nicht genau, muss erst die Mutter fragen, wie lange er noch hier bleiben muss. Und außerdem ist bald Gottesdienst daheim und dann müsse er doch wieder in seine Kirche gehen. Die Leute würde sich auf ihn verlassen. Deswegen wirkt er so groß und aufrecht, denke ich. Er wird gebraucht. 




Donnerstag, 7. Dezember 2017

Als ich die Kerzen schon fast wieder löschen will, kommen sie. Wie zwei Hirten mit ihren Hirtenstöckern. Nur dass sie mit einem Rollator kommen und einem großen Tropf, durch den die Medizin unablässig tröpfelt. Sie kommen bis ganz vorne. Nicken. Setzen sich leise. Ganz nahe bei Jesus. Der von der Wand aufmerksam auf uns schaut. Es ist Volkstrauertag. Unpassend für die Klinik fand ich. Ich hatte etwas Schöneres heraus gesucht. Und plötzlich weiß ich, diese beiden kennen den Krieg. Sie führen auch gerade einen. Also lese ich die Texte, die wir eben noch auf dem Friedhof hörten. Sie nicken. Einer weint heftig. Der andere legt ihm die Hand auf den Rücken. Gottfried heißt der, der so weinen muss. Wir hören Klaviermusik und er schließt die Augen. Wohltat. Eine Wohltat ist das in ihren Stunden und Tagen im Krankenhaus. 
Wir beten. Für alle unsere Mütter und Väter und unsere Lieben und für uns und unsere Kämpfe. Dann segne ich sie und frage nach ihren Namen. Danach sagt Horst, er sei eigentlich katholisch. Aber er käme immer in die Kapelle. Andere Zimmerkameraden hätten sich schon darüber lustig gemacht. Aber er ginge jeden Morgen und Abend den Herrn Jesus besuchen. Das tue ihm gut. Und Gottfried sagt unter Tränen, neulich wäre Horst sogar extra früh aufgestanden. Und lange geblieben bei Jesus. Er hätte gebetet. Für ihn, Gottfried, während er auf dem OP-Tisch lag. Das hätte ihm unsagbare Kraft gegeben. Und sie klopfen sich auf den Rücken die beiden Männer. 
Und da sie nun Jesus gesehen haben, gehen sie langsam zurück durch den Flur.  (B.Schlauraff)



Sonntag, 3. Dezember 2017


Heute 
fand ich
dein Licht

nur 
unter der Hand.

Die Hand war
zittrig,
sie musste damit
ihren Kopf halten
der zu schwer wurde
und immer weg knickte.

Die Hand lag
auf den Augen
aus denen bittere Tränen flossen.

Da war nicht viel Platz
für Dein Licht, Herr.

Aber 
unter der Hand
großes Vertrauen
in dich.
Ganz weit weg.
Unter der Hand.
Nur Licht.
Kein Strahlen.

Heute Abend
legte ich ihr noch
einen Barbarazweig in die Hand.
Vielleicht sehen wir ihn
zusammen
aufblühen. 

(4.12. 2012)


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...