Samstag, 24. Februar 2018

Predigt zum Sonntag Reminiszere.



Gestern. In den Nachrichten:
Das Jugendamt einer Stadt nahm die 4 jährige Sonja* in Obhut. Sie hatte überall blaue Flecken und ein dickes Auge, ein geschwollenes Gesicht. Als man sie fragte, wie ihr Name sei, antwortete sie: „ Idiot?“ Einen anderen Namen hatte sie nie gehört.
Ich sehe einen Bericht aus OstGhouta in Syrien. Menschen rennen mit Kindern in den Armen durch Staubwolken und Ruinen. Bomben explodieren, Feuer lodert. Sie rufen und schreien nach Hilfe. Kinder bluten. Ein Mädchen schreit in die Kamera: „Habt ihr uns vergessen? Helft uns doch!“ Es kommt keine Hilfe.
Ich sehe im Film einen Schüler. Er heißt Sam. Er kann vor Leid kaum sprechen. Ein Junge hat seinen besten Freund und viele andere Schüler erschossen. Sam darf dem Präsidenten persönlich berichten, wie es ist, wie es sich anfühlt. Dass die Zeit für ihn stehen geblieben ist, dass er Angst hat, in die Schule zu gehen, in einen Park, an fahren Autos vorbei zu gehen und das Haus zu verlassen. Er ist zornig über diese unnötigen Opfer eines Gesetzes, das jedem Kind erlaubt, sich Waffen zu kaufen, die für einen Massenmord geeignet sind. Er schaut Trump an und bittet ihn, das zu ändern. „Bitte!“, sagt er und noch einmal: „Bitte.“ Er spricht es aus - voller Ohnmacht.
Und dann lese ich noch von Marvin und Ida. Sie gehen auf eine Grundschule in Sachsen-Anhalt. Sie gelten als Problemkinder. Sie treten und schlagen. Die Lehrer sagen, sie seien unerzogen, die Eltern sagen, die Lehrer seien unfähig. sie sollen von der Schule fliegen. Die Mutter möchte einen Termin beim Kinderpsychologen, der ihr und den Kindern helfen kann. Den bekommt sie in einem Jahr. Sie ist alleine mit ihrem Problem. Die Kinder gefragt, ob sie gerne in die Schule gehen, sagen wie aus der Pistole geschossen „Nein!“
Und schließlich ist da noch der Bericht von Gerlinde, 72, Rentnerin. Sie wohnt in einem Autoanhänger. Ihre Rente ist zu gering für die Mietkosten in ihrer Heimatstadt. Und so kann sie sich wenigstens Dinge leisten, von denen sie gedacht hatte, dass sie sie im Alter endlich haben würde. Gefragt, was ihr am meisten Angst mache, sagt sie: „Dass ich erfriere.“ Heute Nacht waren es dort gefühlte -15°.
Erfrieren wir?
Erfrieren wir mitten im Leben?
So vieles, das gerade anders läuft,
als wir es erwartet haben,
als wir es beabsichtigt haben,
als wir es uns gewünscht haben.
Viel Vergeblichkeit.
Lesung: Jes 5, 1-7: (Neue evangelistische Übersetzung)
Ich will singen von dem, den ich liebe, / ein Lied vom Weinberg meines Freundes1: / Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe. Er grub ihn um und entfernte die Steine / und bepflanzte ihn mit edelsten Reben. / Einen Turm baute er mitten darin / und hieb auch eine Kelter aus. / Dann wartete er auf die süße Frucht. / Doch die Trauben waren sauer und schlecht. (…) Wie denkt ihr über meinen Weinberg und mich? Habe ich nicht alles an meinem Weinberg getan? / Warum hoffte ich auf süße Trauben / und er brachte saure Frucht? Jetzt sage ich euch, was ich ihm tue: / Ich reiße seine Hecke aus, / damit er von Herden abgeweidet wird, / ich breche seine Mauer ab, / dass er von allen zertrampelt wird. Zu einer Wüste soll er werden, / nicht mehr beschnitten und behackt – und von Dornen und Disteln bedeckt. / Und den Wolken will ich befehlen, / dass kein Regen mehr auf ihn fällt. Denn der Weinberg von Jahwe, dem allmächtigen Gott, ist sein Gottesvolk. / (…) Er hoffte auf Rechtsspruch / und erntete Rechtsbruch, / er hoffte auf Gerechtigkeit / und hörte Geschrei über Schlechtigkeit.
Erwartungen
und Vergeblichkeit.
Da kauft einer einen wunderschönen Flecken Erde.
Er sucht den besten Boden, die beste Lage.
Die besten Pflanzen.
Er hegt ihn und umbaut ihn.
Und es wird nichts.
Irgendetwas hat es verdorben.
Alles war vergeblich.
Erwartungen
und Vergeblichkeit.
Da schenkt Gott einer kleinen Sonja das Leben,
damit sie gedeiht und sich entfaltet.
Er sucht einen schönen Platz für sie
Aber vergeblich. Ihre Seele nimmt großen Schaden.
Und Ida und Marvin und Sam und Gerlinde,
die Kinder von OstGhouta.
Alles vergeblich?
Ja.
Vergeblichkeit erleben wir.
Im Streit.
Im Verletzen.
Im Tod.
Da gibt es Vergeblichkeit im Leben.
Dinge, die sich nicht auflösen lassen.
Die uns sinnlos bleiben.
Die nichts werden.
Eigenes Versagen.
Das Versagen anderer.
Und manchmal
unerklärliches Leid.
Ohne Sinn.
Als hätte einer im Zorn
die Hecke der Hoffnung heraus gerissen
und die Würde zertrampelt
und die Lebensfreude wäre vertrocknet.
Amen.
(…)
Dies war die erste Predigt.
Die Predigt von der Vergeblichkeit.
Vergeblichkeit gibt es.
Das kann uns kein Evangelium schön reden.
Hier hängt das Kreuz.
Das lässt uns daran denken,
an all das.
Es ist als würde es sagen:
Du hast keine Chance.
Es sagt es aber anders.
Es sagt:
Du hast keine Chance -
aber nutze sie.
Es hat eine Botschaft,
die Nein sagt und Ja.
Erst Nein.
Dann Ja.
Sterben
dann
Neues Leben.
Leiden
aber 
erlöst werden.
Weinen
und wieder
Aufatmen.
Das. Kann. Nur. Gott.
Er kann es.
Und er tut es.
Immerzu.
Irgendwo darin oder dahinter liegen
neue Erfahrungen
von Frieden,
neue Chancen,
nicht Gewalt zu gebrauchen,
wieder die Entscheidung
ob diese Welt Waffen braucht,
nochmal
die Möglichkeit
sich auf jemanden einzulassen,
doch noch
Perspektiven die uns frei machen.
Dahinter
sind die Umstände günstig,
gibt es die Aussicht auf Glück.
Da sagt einer:
Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.
Dies ist die zweite Predigt.
Zwei Predigten
für eine Wirklichkeit.
Denn in Wirklichkeit
Liegt beides nahe beieinander:
Hoffnung ist gesät in die Spur der Vergeblichkeit.
Anfang gesät in den Tod.
Neues Leben
für
Ida und Marvin und Sam und Gerlinde,
die Kinder von OstGhouta und Sonja.
Auferstehung nach dem Kreuz.
Nur wissen wir davon noch nichts.
Das Kreuz sieht nicht danach aus.
Dennoch:
Wir ahnen. Wir glauben. Wir sehnen uns.
Es ist das größte Geheimnis der Schöpfung Gottes.
Manchmal sind wir dafür blind.
Gott mutet uns zu,
die Wirklichkeit der Hoffnung
zu ahnen, zu glauben, zu ersehen,
wo sie noch nicht sichtbar ist.
Lasst uns das üben.
Lasst uns einander erinnern.
Immer wieder.
Amen.
Und der Friede Gottes, der größer ist als alle Vernunft , bewahre uns im Glauben. Amen.


Dienstag, 13. Februar 2018

Es ist nach fünf und die Sonne geht gerade unter,
sie schickt noch einmal warme goldene Strahlen über den Horizont.

Wenig später stehen wir an ihrem Bett.
Fromme katholische Menschen aus einem kleine Dorf in Unterfranken.
Ein Blutgerinsel.
Gerade noch waren sie ihre 10 km gelaufen. 
Nur einen Tag davor.
Da war alles in Ordnung.
Am Wochenende war die ganze Familie zusammen gekommen
und sie hatte das Urenkelchen auf ihrem Arm durch das Haus getragen.
Nun lag sie da.
Zeit sich zu verabschieden.
Alle waren schon da.
Morgen würden die Geräte abgeschaltet.
Er streichelt sie. Redet mit ihr.
53 Jahre verheiratet.
Dann singen wir.
Wie eine Glocke legt sich das Lied um uns.
Bleib bei mir Herr.
Die Intensivstation hält einen Moment den Atem an.
Sein tiefer Bass gesellt sich zu meiner hellen Stimme.
Im Leben und im Tod, Herr, bleib bei mir.
Seine Stimme bricht.
Ich lese Psalm 23.
Tränen laufen über sein Gesicht.
Dann halten wir ihre Hände und beten das Vaterunser.
Für sie und mit ihr.
Gott ist da.
Er ist so spürbar da im tiefen frommen Glauben des alten Mannes.
Sie wird leben. Sagt er.
Das ist mir so ein Trost.
Dass sie dort leben wird.
Auf der anderen Seite.

Es ist nach fünf und ihr Leben geht gerade hinüber
sie schickt noch einmal Wärme in sein Herz 
Dann wird sie gehen

Hinter den Horizont 



Montag, 12. Februar 2018

Zeig dich! 7 Wochen ohne Kneifen.
Gedanken zur Fastenaktion 2018


Ich wars!
Nicht: Der wars…
ich kann  gar nichts dafür…
es war doch nicht so gemeint…
Sondern:
Ja. Ich wars!

Ich zeig mich 
mutig

Ich bins!
Nicht die ihr immer dachtet
nicht was andere wollen, wer ich bin
Ich bins
so wie ich bin

Ich zeig mich
mutig

Ich stehe auf
gebe mir die Blöße
werde sichtbar
ich trete hinaus 
aus der Masse
der Pelle meiner übergeholfenen Bilder
aus all den Vorurteilen
meiner Ängstlichkeit
meiner Vorsicht

Ich erkühne mich
ich nehme mir heraus
ich erdreiste mich
ich erlaube mir
ich schrecke nicht zurück
ich nehme mir die Freiheit
ich traue mich

und zeige mich

keine Feigenblätter bedecken meine Blöße
so wie damals
bei den ersten beiden Menschen
als sie gefragt wurden
Wo bist du Mensch

Ich stehe zu etwas
draußen 
vor meiner Haustür
und drinnen
bei denen die ich liebe
und
mir selbst gegenüber

Nicht einfach ist das
Es hat Gründe, warum ich nicht zu Dingen stehen will
oder kann
Manchmal auch gute Gründe

Wir sind nicht Superman
der alles richtig macht
wir sind nicht auf einer Superwelt
auf der alles richtig läuft
ganz im Gegenteil

Aber
wenn wir uns nicht zeigen
dann wird es niemand für uns tun
nicht im Großen
nicht im Öffentlichen,
nicht in unseren Orten, wo wir darum ringen, 
wie es weiter geht mit unserer MenschenGemeinschaft

wenn wir uns nicht zeigen
dann wird es niemand für uns tun
auch nicht im Privaten
und wenn es darum geht, wie es weiter geht mit einer Beziehung zu jemandem.

Sich drücken und kneifen
ist da manchmal der sparsame Weg
der uns nichts kostet
manchmal ist das eine kluge Entscheidung
aber oft ist es einfach feige

Die Bibel erzählt von vielen Menschen,
die kneifen:
von Petrus, der - bevor der Hahn krähte - 
Jesus dreimal verleugnete und 
es nicht schaffte, zu ihm zu stehen,
der es danach bitter bereute
und ab dem Zeitpunkt
dazu stand
zu denen zu gehören
zu Jesus

Die Bibel erzählt von Jona,
der Gott davon laufen will
und erst im Bauch des Walfisches
Gott seine Angst zeigen kann
der weint und dann singt
und dann doch zu den Leuten geht
und staunend die Hoffnung gewinnt

Da gibt es die Leute, die an einem Verletzten vorbei laufen und nur einer hilft ihm und zeigt sein Mitgefühl
und traut sich, den Liegenden anzufassen
und etwas herzugeben von seiner Zeit und seinem Geld
und jeder, der von dieser Geschichte hörte
fand
dass es nicht geschadet hätte zu helfen
dass es nicht peinlich gewesen wäre
vielleicht sogar geboten

Da gibt es die Leute, die den Blinden zurück zerren,
der laut Jesus hinterher ruft,
der seine Hoffnung ganz offen zeigt.
ganz offen naiv, fast peinlich
der so recht hat mit seiner Hoffnung
und darum gesund werden kann.

Und es gibt Adam und Eva.
Die ihre eigene Fehlbarkeit
selber nicht aushalten können,
dass sie einen riesigen Fehler gemacht haben
sie zeigen mit dem Finger auf den anderen
sie verbergen sich
sie empfinden Scham
und werden lernen
ihre Unbeholfenheit,
ihre Unperfektheit
ihre Fehlbarkeit
aushalten zu können.

Ich wars!
Nicht: Der wars…
ich kann  gar nichts dafür…
es war doch nicht so gemeint…
Sondern:
Ja. Ich wars!

Ich zeig mich 
mutig

Ich bins!
Nicht die ihr immer dachtet
nicht was andere wollen, wer ich bin
Ich bins
so wie ich bin

Ich zeig mich
mutig

Ich stehe auf
gebe mir die Blöße
werde sichtbar
ich trete hinaus aus
der Masse
der Pelle meiner übergeholfenen Bilder
aus all den Vorurteilen
meiner Ängstlichkeit
meiner Vorsicht

Ich erkühne mich
ich nehme mir heraus
ich erdreiste mich
ich erlaube mir
ich schrecke nicht zurück
ich nehme mir die Freiheit
ich traue mich

und zeige mich

keine Feigenblätter bedecken meine Blöße
so wie damals
bei den ersten Menschen
als sie gefragt wurden
Wo bist du Mensch

Ich stehe zu etwas
draußen 
vor meiner Haustür
und drinnen
bei denen die ich liebe
und
mir selbst gegenüber

Nicht einfach ist das
Es hat Gründe, warum ich nicht zu Dingen stehen will
oder kann
Manchmal auch gute Gründe

Aber
wenn wir uns nicht zeigen
niemand wird es für uns tun
Uns zeigen
das können nur wir selber

Gott sagt:
mit all deinen Fehlern liebe ich dich.
Gott sagt:
ich bin die Wahrheit und das Leben.
Gott zeigt sich
auch
unverhüllt
wir brauchen 
keine Angst zu haben. 
Amen


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...