Samstag, 18. Februar 2023

Vom Anfangen

 Predigt am Sonntag Estomihi

Und diesen Text geht es: (1. Kor 13)


Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete 

und hätte der Liebe nicht,

so wäre ich ein tönendes Erz 

oder eine klingende Schelle. 

Und wenn ich prophetisch reden könnte 

und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis 

und hätte allen Glauben, 

sodass ich Berge versetzen könnte, 

und hätte der Liebe nicht, 

so wäre ich nichts. 

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, 

und hätte der Liebe nicht, 

so wäre mir’s nichts nütze. 


Die Liebe ist langmütig und freundlich, 

die Liebe eifert nicht, 

die Liebe treibt nicht Mutwillen, 

sie bläht sich nicht auf, 

sie verhält sich nicht ungehörig, 

sie sucht nicht das Ihre, 

sie lässt sich nicht erbittern, 

sie rechnet das Böse nicht zu, 

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, 

sie freut sich aber an der Wahrheit; 

sie erträgt alles, 

sie glaubt alles, 

sie hofft alles, 

sie duldet alles. 

Die Liebe höret nimmer auf… (…)


Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; 

dann aber von Angesicht zu Angesicht. 

Jetzt erkenne ich stückweise; 

dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 

Nun aber bleiben Glaube, 

Nun aber bleiben Glaube, 

Hoffnung,

Hoffnung, 

Liebe,

Liebe, 


diese drei; 

aber die Liebe ist die größte unter ihnen.



                                                                                                                                                                                       © ADEM ALTAN/AFP

        

Das Bild ging um die Welt. 

Vater Mesut sitzt auf den Trümmern seinen Hauses in Kahramanmaras und hält tagelang die aus den Trümmern heraus ragende Hand seiner gestorbenen 15jährigen Tochter Irmak. Tage später bekommt sie das Grab Nr. 380 auf dem Friedhof für die Erdbebenopfer ihres Ortes. Er hat sie nicht alleine gelassen.

Die Liebe höret nimmer auf. 

Mein Studienkollege Christian, der in den letzten Jahren oft in Nordsyrien war und dort Hilfsprojekte aufgebaut hat, schreibt nach dem Erdbeben: Bettina, es ist so schlimm. Und ich spüre wie ihm sein Herz weh tut, wenn er an seine Freunde in Syrien denkt.

Die Liebe höret nimmer auf. 

Janusz Korczak war auch so einer mit unendlicher Liebe, er begleitetet vor über 70 Jahren seine Heimkinder ins Vernichtungslager nach Treblinka und ging mit ihnen in den Tod. Es gab so manche wie ihn.

Die Liebe höret nimmer auf.

Und ich denke auch an meinen Vater, der seit einigen Jahren jede Woche den Lieferwagen der Potsdamer Tafel fährt und gespendete Lebensmittel für Bedürftige abholt. Auch wenn es ihm mal nicht gut geht. Und der neben sich als Helfer beim Beladen Männer im Auto sitzen hat, die vom Leben gezeichnet sind und zu den Verlierern der Gesellschaft gehören. Er hört Ihnen zu und schenkt ihnen Freundlichkeit und Respekt. 

Die Liebe höret nimmer auf.


Paulus redet nicht von der romantischen Liebe zwischen zweien, 

deren Herzen füreinander schlagen 

- auch wenn wir diesen Text oft zu Hochzeiten lesen und er dort gut passt.

Es geht nicht um rosa Frühlingsgefühle.

Es geht um mehr.

Um eine Lebensausrichtung würde ich sagen. 

Paulus redet eigentlich gar nicht von Gefühlen.

Er redet von etwas Geschenktem.

Etwas sehr Konkretem. Sogar etwas Handfestem.

Er redet von einem Starterpaket.

Das man einfach so bekommt.

Er redet von der Liebe, die wie ein wurzelnder, wie ein wärmender, wie ein klarer, ein Sicherheit gebender Poller zum Festmachen ist. 

Das eben, was Grundlage meines Glaubens ist. 

Glaube aber „weiß“ ich, Glaube vermischt sich mit meinen Gedanken und dem Wissen, mit Zweifel und Leidenschaft. 

Und für alles, wofür ich keinen Namen habe und nur Wünsche  und ein Ahnen, 

haben wir das Wort Hoffnung. 

Liebe ist das was noch darunter liegt. Der Grund.

Etwas in mich hinein gelegtes. 

Ein Halt der eine Haltung werden kann.


Ich glaube tatsächlich, dass jeder Mensch diesen Poller zum Festmachen, diesen Grund, in sich trägt. 

Er kann genährt werden oder verschüttet.

Er kann unter den Scheffel geraten oder das eigene Sehen auf die Welt bestimmen. 

Ich glaube, dass Gott diese Liebe in uns hinein geschaffen hat, dass er sie mit-geschöpft hat vom ersten Tage an. So wären wir gemeint. So sind wir gemeint.

Mit dieser Liebe. Mit Liebe als Basis. Als Ausgangsort. 

Ich finde das ermutigend. Auch wenn die Realität oft grausig anders ist.

Ich finde das ermutigend, denn es klingt nach einem Schatz, 

der bei mir und allen anderen immer zu heben wäre.

Die Realität ist das, was Paulus diesen dunklen Spiegelt nennt:

Dunkles, Trümmer, Kontrollverlust, Gewalt, Gleichgültigkeit, Habsucht, Ungeliebtes. 

Eine sehr hässliche Version von dem, wie wir eigentlich nicht gemeint waren, zeigt sich da. 

Zeigt sich leider viel zu oft in unserem Leben.

Wo wir selber mitmischen und wo uns böse mitgespielt wird. 

Wo keine, kaum, zu wenig oder falsche Liebe ist.


Ich höre jetzt oft von vielen Menschen eine große Sehnsucht nach dieser besseren Version von uns allen. Nach Zusammenhalt und menschlicher Nähe, Verständnis, Akzeptanz, Gerechtigkeit. Viele vermissen das in ihrem Leben. Manche ziehen sich deswegen zurück. Manche glauben nicht mehr daran.

Das wäre die Welt wie sie von Gott gemeint ist: eine Welt wo Menschen zusammen stehen und sich nahe sind, sich verstehen, sich sehen, sich akzeptieren. 

Das sollte eigentlich unsere Rolle in dieser Welt sein, denke ich dann oft.

Unsere Rolle - damit meine ich uns, die zu Christus gehören. 

Die Nachfolger und Nachfolgerinnen.  

Eine Welt wo Menschen zusammen stehen und sich nahe sind, sich verstehen, sich sehen, sich akzeptieren. Das sollte eigentlich unsere Rolle in dieser Welt sei. Oder?

Ich vermisse manchmal, dass wir das noch deutlicher leben in unseren Gemeinden und Familien. Ich vermisse manchmal Orte, wo arme und fremde Leute und die, die keiner möchte, sich überhaupt hin trauen würden oder dass sie sogar aufgesucht würden. Solche Orte kenne ich zu wenige in unseren Gemeinden. 

Aufsuch-Orte. Herzens-Orte. Wärme-stuben im doppelten Sinne. 


Manche sagen mir dann: wir sind schon nur so wenige hier in der Gemeinde, wir können nicht noch viel mehr tun.  Aber: Nicht die wenigen sollen noch viel mehr tun, sondern die Vielen sollen das wenige tun, das Not wäre.

Gemeinschaft Jesu Christi sein. Wie kommen wir da bloß hin? 


Die Bibel lässt uns wissen, dass es auch seinen Jünger:innen zunächst echt schwer gefallen ist, das alles damals zu verstehen. Es ist groß. Fast zu groß zu verstehen und umzusetzen. Aus der Liebe zu leben. Und damit manches Kreuz auf sich zu nehmen. 

Dass wir heute hier sind.

Dass wir diesen Glauben nicht lassen.

Dass wir von dieser Liebe wissen.

Dass wir ahnen und hoffen. Nicht aufgeben.

Das ist ein Anfang. 


Der Weg von Gottes Liebe war schon immer ausgerechnet mit lauter unperfekten Menschen wie uns übersät. Er lebte schon immer von den weniger sichtbaren Gesten und Händen. Von neuen Versuchen. Von Anfängen. 

Darum macht mir das Mut, weil ich an diese Liebe glaube. Und an diese Kraft. Dass sie da ist. Dass sie wirken kann. Das meinte Jesus übrigens, als er seinen Leuten sagte, dass er nie ganz weg gehen würde.

Er ist hier inmitten. Hier zwischen uns ereignet sich Gott.

Seine Liebe ist mein alltägliches Starterpaket. 

In meinem Mit-sein mit anderen ist seine Liebe.

Sie trägt sich in die Menschen hinein. 

Ein faszinierendes Konzept, das Güte wahr macht.

Oder eine von vielen Weisen Gottes, da zu sein.

Darum sind wir in seinem Namen hier.

Im Namen seiner Kraft, die uns umgibt,

seiner Liebe die uns trägt. 

Wir sind Anfänger:innen. Wir sind ein Anfang. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.


Und das ist für DICH! 🫂 (Auf das "Dich" klicken!!)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...