Sonntag, 5. Februar 2023

Predigt vom Aufstehen




Jesus
ging von Kapernaum weiter. Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus im Haus zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen dazu. Sie aßen mit Jesus und seinen Jünger:innen. Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu ihnen: »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« Jesus hörte das und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt ›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.“ (Matth. 9, 9-13 nach Basis Bibel)


Komm in meine Welt. Sagt die Stimme. Zu diesem Menschen. Matthäus. Ich nenne ihn mal Matthias, wie wir heute sagen würden. Komm in meine Welt. Sagt da eine Stimme. Matthias kassiert gerade Geld. Das ist sein Job. Er ernährt damit seine Familie. Viele haben einen solchen Job. Es gehört einfach zum Gesellschaftssystem dazu. Wenn er es nicht machen würde, dann ein anderer. Er hat diese Zollstelle gepachtet. Die Leute bezahlen die Steuern bei ihm. Und etwas mehr. Von dem Mehr muss er leben. Und seine Familie. Die könnte groß sein. Familie war die Herkunft und das Netzwerk derer, die zusammen gehörten. Kinder vielleicht und die Frau und die Eltern, Tanten und Onkel. Neffen und Nichts. Geschwister. Das war Familie. Minimum! Matthias sitzt da und kassiert. Niemand hat ihn dazu gezwungen. Er sitzt freiwillig dort. Du denkst, er könnte auch einfach aufstehen. Die Knie durchdrücken und den Rücken und weg gehen. Das könnte er. Er ist nicht an seinen Tisch gefesselt. Wieder kommen welche und geben Geld. Sie geben es nicht freiwillig. Sie bräuchten es selber. Aber so ist das System. Und Matthias nimmt. Nimmt mehr als nötig. Weil er es braucht. Und noch mehr. Weil er es kann. Er ist nicht beliebt. Er hat einen schlechten Ruf. Seine Familie lebt von dem was er verdient. Von irgendwas müssen sie leben. Manche denken, er mache bestimmt krumme Sachen. Er redet ja auch mit allen Fremden und allen die vorbei kommen. Man kann ja nicht wissen. Ob ihm das egal ist, wie sie so reden? Ob es ihn wurmt, verletzt, ärgert? Fühlt er sich gering geschätzt? Oder lässt er das an sich abprallen? Macht er das da gerne? Oder wäre er lieber Tischler oder Bäcker? Oder Hausbauer? Hat er eigentlich Freunde mit so einem  Job? Was denkt er über seine Arbeit da und wie ihn die Leute sehen? Drückt er auch mal ein Auge zu, wenn jemand Not hat?


Siehst Du, und schon sitzt da keine farblose Figur mehr. Wenn du genau hin siehst. Da sitzt ein Mensch. Mit allem was ihn ausmacht. So einfach ist das nicht. Es ist nicht einfach irgendein Matthias. Es ist eine konkrete Person. Mit einem Leben. Mit Gefühlen und Gedanken. So wie alle Menschen die dir begegnen.  


Und dann geht es weiter in der Geschichte und zwar so schnell, dass es kaum nachzuvollziehen ist. Folge mir! sagt Jesus. Und Matthias steht auf. Mit einem Ruck ist er auf den Beinen. Plötzlich steht er auf. Als hätten die Worte irgendetwas frei gesetzt. Zwei Worte, die reichen. Zwei Worte von Jesus.

Eher wäre es wohl nicht gegangen. Hätte Matthias nicht aufstehen können aus dem was ihn dort fest hielt: Verantwortung, Freude am Gewinn, ökonomische Erfordernisse, vielleicht gar gute alte Familientradition, die Erwartungen der anderen, der Hass, der sowieso nicht aufhören würde, die Missachtung der anderen vielleicht, einfach Notwendigkeit? Das hält ihn da fest. Selber kommt er da nicht raus. Aber Jesus. Mit Jesus geht es. Und danach darf er frei mit anderen an einem Tisch sitzen. Mit diesem Jesus und seinen Freundinnen und Freunden und anderen, die wie er nicht so recht passen. Wie mag sich das angefühlt haben? Akzeptiert in dieser Gemeinschaft. Vielleicht zum ersten Mal. Zum ersten Mal Mensch für die anderen.


Hallo. Sagt er. Er steht vor mir und schaut mich direkt an. Hallo. Er sieht mich. Direkt in die Augen. Egal wie meine Haare heute sind und wie schön ich mich finde, egal was ich heute an habe und wie ich meinen Körper finde. Er sieht einfach mich. Auch das was mich fest hält. Große Erwartungen von anderen an mich zum Beispiel. Ein Schatten über den ich nicht springen kann. Eine Hand die ich nicht reichen kann. Türen die ich zuschlug und nicht mehr öffnen kann. Er sieht meine Sorgen: Geld oder Gesundheit, Anerkennung, Arbeit, Sicherheit. Die mich manchmal fest halten im Tal der Ernsthaftigkeit und Seufzer. Wo ich gerade nicht heraus komme aus schlechter Laune, Ängsten, vielleicht sogar Depression. Er sieht meine Familie und was mein Herz aufblühen lässt und wo mir das Herz weh tut. Er sieht es. Und weiß, das alles hält mich manchmal fest an meinem Tisch und ich nehme und teile aus, manchmal mehr als ich wollte. Und kann nicht aufstehen und aufhören. Manchmal ist das so. Er sieht wo ich nicht gemocht werde und wo ich ungerecht werde und gemein und schnelle Urteile habe. Er sieht mich, wenn ich mich fertig mache mit meinen Sorgen und schlechten Ahnungen. Was bringt mich da in Bewegung? Wie schaffe ich es da hinaus?

Jesus lächelt. Na, genau dafür stehe ich doch hier!

Komm! Genau deswegen bin ich ja da. 


Jesus erzählt nicht davon, wie ich frei sein kann - Jesus macht es. 

Er sitzt da mitten bei meinen ganzen Stricken und vermeintlich Ungelöstem und sieht sie nicht an, sondern mich und und sitzt da mittendrin in meinem ganzen Elend und Leben und Sein - als meine Hoffnungsgestalt. Und hält mir die Hand hin, dass ich hinaus finde.

Matthias wurde nicht von Liebe und Barmherzigkeit erzählt. 

Matthias hat Liebe und Barmherzigkeit erfahren am eigenen Leibe.


Gott will das auch. Für mich. Und für dich will er es.

Komm in meine Welt. Sagt die Stimme.

Komm in die Welt, wo Leute Gemeinschaft finden wegen mir.

Du kannst kommen und alles niederlegen was dich sorgt und festhält und hemmt und stört und zu viel ist. 

Zumindest in diesem Moment. Jesus gegenüber.

Ein Moment der Freiheit. Der inneren Freiheit.

Ein Moment, wo Stärke wachsen kann und Mut.

Ein Moment, wo Du Kraft haben wirst aufzustehen.


Die Frage ist, wo und wann ist der Moment, dass Jesus da so vor dir steht und lächelt und sagt: na deswegen bin ich ja hier..

Rechne heute noch damit und morgen.

Schau in Augen. Setz Dich zu Leuten. Wer weiß. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen. 


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