Freitag, 31. Dezember 2021

.... vom Feld "zwanzig-zwo-eins"

 Gedanken zu Silvester 2021

Gebet:

Gott, das alte Jahr liegt hinter mir, wie ein voll gemaltes Blatt. 

Ich habe mich eingezeichnet in das Leben. Habe Großes und Kleines erlebt. 

Mal fuhr der Stift zügig und befreit über das Blatt. 

Dann wieder wirbelte er in nervigen Kreiseln. 

Viele LebensLinien haben die meine gekreuzt. 

Ein Gemälde ist entstanden, wie es ich mir nie hätte ausdenken können. 

Es ist genau so wertvoll. Genauso wie es ist. 

Selbst die Stellen, die vor mühsamen Gekritzel etwas durchlöchert sind. 

Es ist voll. Voll Fülle. Voll Leben. In jeglicher Art. 

Und ich habe das geschafft. Das alles. 

Und du warst die unsichtbare Spur, Gott. 

Der Untergrund auf dem ich schreibe. 

Auch dieses Jahr ist aufgeschrieben in dein Buch des Lebens. 

Es ist eingeheftet in die vielen Seiten meiner Lebensgeschichte 

und in das dicke Buch aller Menschen zu allen Zeiten. 

Du nimmst jede Seite mit liebevoller Barmherzigkeit in Deine Hände. 

Schaust stolz auf die kräftigen Linien. 

Und streichst zärtlich über alles Wirre und Unschöne. 

Habe Dank. Habe Dank. Habe Dank. 

Gott, das neue Jahr liegt vor mir, unberührt wie ein weißes Blatt. 

Ich setze den Stift an und zeichne jetzt los. 

Welches Bild wird sich wohl für das neue Jahr ergeben? 

Was wird groß sein und bedeutend? Was klein und unscheinbar?

Gott, gib Du mir die Kraft, die Mine aufzusetzen.

Gib Du mir die Freiheit, mich auch mal zu verzeichnen. 

Gib Du mir den Mut, mit meinen Strichen das Blatt zu füllen. 

Führe Du meine Hand und begleite mich in das neue Jahr. Amen.


(nach eine rIdee von Katharina Zoe Vetter)



Lesung: Jesus sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune. (Mt. 13 )








Predigt:

Jesus läuft über die Äcker meines Lebens. 

Er steht vor meinem zuletzt bepflanzten Feld:

„Zwanzig-zwo-eins“. 

Es ist über und über bewachsen. 

So richtig gefüllt. Kein Platz mehr.

Mit all den Pflanzen meiner Tage und Stunden,

meines Tuns und Nichttuns.

Da gibt es Pflanzen, die sind wie aus dem Himmel.

Die mag ich besonders.

Himmelreichblumen.

Tatsächlich. 

Sie sind wie mit feinen silbernen Fäden am Himmel fest gemacht. 

Das müssen ganz besondere Momente gewesen sein.

Glücksmomente. Lachen. Lob. Freude. Liebe.

Es sind viele.

Dazwischen wächst lauter anderes Zeug.

Alltagspflanzen. 

Kleine, abgebrochene, dicke Überwuchernde, 

viele viele gleiche  „Jeden-Tag-das-selbe-Blumen“.

Überraschungsblümchen.

Klammernde Rankelpflanzen.

Bittere Früchte und Zweige mit Dornen.

Das Feld lockt zum Aufräumen.

Ich greife entschuldigend nach einer Hacke.

Jesus legt sie wieder weg und nimmt mich bei der Hand.


Er sagt: „Manche Deiner Tage behandelst Du wie Unkraut! 

Als wären sie nicht das, was Du von ihnen erwartet hast.  

Die Einschränkungen Deines Lebens: Unkraut.

Die Fehler, die Du wieder gemacht hast: Unkraut.

Dein Unvermögen in manchen Dingen, da, wo Du 

ungeschickt warst, unaufmerksam, unhöflich: alles Unkraut. 

Überhaupt alles Unglück und Unbill, alle Plagen und Nöte, 

Schmerzen und Bitternis, Verzweiflung und Wut: Unkraut.

Jedes zu viel gegessene Sahneschnittchen: Unkraut.

Das, was Dir versagt blieb, was Du nicht bekommen hast, 

was Dir nicht vergönnt und was vergeblich war: Unkraut. 

Schlechte Kritik, unbeachtet geblieben, 

abgewiesen worden, alleine gefühlt: Unkraut. 


Du hast gute Samen in Deinen Acker gelegt.

Aber als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, 

da fand sich auch das ‚Unkraut‘.“


„Ja“, sage ich „manchmal habe ich mir keine Mühe gegeben.“ 

„Es lag nicht alles in Deiner Hand.“, 

unterbricht er mich und schaut mich direkt an. 

„Und wenn Du jetzt an einer der Pflanzen ziehst, 

würdest Du alles andere mit heraus reißen. 

Siehst Du diese Dornenhecke - das war eine böse Krankheit, 

die Du hattest, aber die zwei zarten Himmelsblumen, 

die dort heraus ranken, sind nur in ihrem Schutz empor gekommen, 

aus dem Grasballen deines Jedentaglebens. 

Jede Pflanze hier hängt mit einer anderen zusammen. 

Das da ist lauter Aber-Aber-Moos. 

Es hält das Wasser gut an der Oberfläche 

für diese die zarten Entschuldigungen von dir.

Diese abgebrochene Pflanze da hinten 

war ein falsches und verletzendes Wort von Dir, 

aber es hat hier Licht gemacht für einen neuen Zweig. 

Denn Du bist eine andere geworden nach diesem Wort und Deiner Scham darüber.

Jede noch so winzige und Dir vielleicht unwichtige Sekunde deiner Tage 

hat hier ihren Platz. Das Feld ist bestellt. 

Himmelreichpflanzen wachsen niemals auf einem freien Feld alleine. 

Sie brauchen die langweiligen Stunden-Sprösslinge 

und die vor-den-Kopf-hau-Äste für Schatten und Halt. 

Aber noch ist nicht Erntezeit. Ganz am Ende. 

Am Ende aller Tage und Felder Deines Lebens vielleicht. 

Dann wird es einmal eine Ernte geben. 

Und da wirst Du Dich am UnkrautFeuer Deiner Alltagsstunden wärmen können. 

Und die Himmelsblumen werden zu eine Spur werden - direkt zu mir. 

Weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges kann Dich jemals trennen von mir.“ 


Und er lässt meine Hand wieder los, nickt den Pflanzen zu, 

als würde er jede einzelne kennen und schlendert davon. 

Und ich finde: es darf alles so bleiben. 

Ein neuer Acker liegt vor mir. 

Wie immer sind meine Taschen voll mit Samen. 

Wie immer will ich unbedingt, dass es schön wird. 

Besonders schön. 

Und wie immer werde ich pflanzen und andere aber auch. 

Und wie immer wird genug Wasser da sein und genug Platz. 

Wie immer wird die Erde voll Segen sein. 

Wie immer werden silberne Fäden vom Himmel hängen. 

Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe.




1 Kommentar:

  1. vielen Dank für die berührenden Gedanken und Impulse ...

    beim zweiten Lesen stolpere ich über das "Unkraut" ... das Wort tut mir weh ... schuf Gott irgendwelches als "Un-" ...?
    Wildkraut fühlte sich schon besser an für mich ...

    ich möchte vorsichtiger werden, viel sachter im Umgang mit den "Un"-Worten ...!

    Herzlichst aus Vechta

    AntwortenLöschen

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...