Freitag, 21. Dezember 2018

"Und das habt zum Zeichen: ihr werdet es finden in eine Jacke gewickelt bei 4°..."


Es ist spät als ich aus dem Klinikum von einem Gespräch komme. Draußen ist es finstere Nacht. Regen sprüht mir ins Gesicht. Gleich hinter der Automatiktür höre ich ein Kind. Es weint. Niemand ist zu sehen. Langsam laufe ich zum Parkplatz. Hinaus aus dem Lichtkegel des großen Krankenhauses. Hier am Parkplatz leuchten nur kleine Lampen. Gerade so, dass man sein Auto wieder findet. Autos kommen und fahren. Menschen laufen still zu ihren Autos. Im Halbdunkel sehe ich Schatten in der abgelegenen Bushaltestelle. Dorther kommt auch das Weinen. Ich setze mich in mein Auto und fahre nocheinmal hinein Richtung Klinik, drehe und fahre in die Haltestelle hinein. Es regnet stark. Es ist kalt. Langsam lasse ich das Fenster hinunter, versuche im Regen etwas zu erkennen. Ein Mann tritt ins Licht. Auf dem Boden steht ein Babyautositz. Ob er auf den Bus warte, frage ich ihn. Er versteht meine Sprache nicht. „Ja. Bus.“, sagt er. Um diese Zeit wird kein Bus kommen. In den Händen hält der Mann Scheine aus der Klinik und Medizin. Vermutlich war er mit seinem Kind in der Notaufnahme. Er hat weder Essen noch Trinken dabei. Ich steige aus und öffne kurzentschlossen die hintere Autotür. Ich winke ihn freundlich mit dem Kind in mein Auto. Das Kind schreit herzerweichend. Als ich den Sitz anschnallen will, sehe ich, dass er alt und verschlissen ist. Das sichtlich fiebernde kleine Mädchen hat nur einen dünnen Pullover an und nackte Füße. Es sind 4°. Der Vater hat es in eine alte Lederjacke gewickelt. Er selber trägt nur ein dünnes Shirt. Ich frage mich, wer sie so wieder auf die Straße geschickt hat. Durch das Geschrei können wir uns kaum verständigen. Ich sage, er solle mir Zeichen machen, wo ich hinfahren soll. Und ob er in der Stadt wohne. Er nickt. „Ja. Ja. Taxi?“, fragt er. „Nein. Kein Taxi.“, sage ich. „Ich fahre sie nach Hause. Ihr Kind weint so. Und es kommt kein Bus.“ Er schaut mich groß an. Dann fahren wir los. Ich drehe die Heizung auf und mache Musik an. Plötzlich wird das Kind ruhig. Im Rückspiegel sehe ich, dass der Vater es auf den Arm genommen hat. Es klammert sich dicht an ihn. Lange fahren wir durch die Innenstadt. Immer wieder frage ich und er ruft jaja. Schließlich landen wir am Stadtrand. Die Straße führt aus dem Ort hinaus. Wir lassen die Stadt hinter uns. Bäume. Felder. „Hier lang?“, frage ich immer wieder. „Jaja!“, sagt er. Ich habe keine Ahnung, wo wir hin fahren. Schließlich halte ich an einem kleinen Feldweg an. Auf meinem Handy schauen wir nach. Ich gebe die Straße ein. Plötzlich will er aussteigen. „Nein, nein.“, sage ich. „Ich schmeiße sie doch hier nicht raus! Wir fahren gleich weiter. Wir müssen nur finden, wo wir hinfahren müssen.“ „Jaja!“, sagt er. „Hier!“ Ich folge seinem Finger. Hier draußen, abseits der Zivilisation, halb im Wald, sehe ich einen alten Wohnblock. „Hier?“, frage ich unsicher. „Jaja.“, sagt er. Das Kind ist ganz ruhig geworden. Wir steigen aus. Zärtlich nimmt er die kleine Tochter auf den Arm, dessen Ärmchen sind nackt und auch die Füße. Ich streiche dem Mädchen über den Rücken. „Werde wieder schön gesund!“, sage ich. Dann reichen wir uns die Hände. „Danke!“, sagt er, Tränen in den Augen. „Salaam.“, sage ich. Sich immer wieder umdrehend geht er langsam auf das beleuchtete Haus zu. Ich kann kaum fassen, dass das gerade passiert ist. Ein Kind in eine Jacke gewickelt in der Fremde, verlassen an einer Haltestelle, an der kein Bus mehr gefahren wäre, schon gar nicht nach hier draußen. Ich kann es nicht fassen, dass ich sie finden durfte, die zwei und dass sie nun wohlbehalten zu Hause sind. Dass wir hier gehalten haben mitten im Dunkel ohne zu wissen, dass hier der richtige Ort sein würde. Dass das genauso passiert ist! Vier Tage vor Weihnachten. Ich weiß nichtmal ihre Namen. Vielleicht, beschließe ich, hieß er Jussuf.

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