Montag, 24. Dezember 2018

Predigt zum Ersten Weihnachtstag 2018


Predigt:
Ich texte.
Er textet.
Wir texten.
Sie texten.
Texten.
Das ist ein Verb.
Heute “textet“ man.
Mit seinem Smartphone.
„Texten“ beschreibt die Tätigkeit,
sich gegenseitig mehr oder wenige gehaltvolle 
Worte oder Emotionsbildchen zuzuschicken.
Texten heißt:
Worte fliegen hin und her.
Bedachte Worte.
Unbedachte Worte.
Unnötige Worte.
Liebevolle Worte.
Manchmal sehr unbedachte Worte.
In solchen Wortgefechten, Worthülsen, Wortklaubereien, 
ist Gott nicht. Er textet uns nicht zu.
Er sagt: ich bin DAS Wort.
So steht es hier in der Bibel.
Ich bin das Wort.
Das Wort, das bei Gott ist und das bei dir ist.
Wie geht das?
Was sind das für Worte?
Wie kann Gott ein Wort sein?

Mitten in der Adventszeit hatte ich eine Idee.
Ein kleiner Text in einem Adventskalender hatte mich auf die Spur gebracht. Er beschrieb, wie jemand einer anderen Person einen netten Brief schrieb. Irgendjemandem. Einfach aus dem Telefonbuch gesucht. Einem völlig fremden Menschen. Und zwar: nur um ein wärmendes gutes Wort weiter zu geben. Um einen Adventsgruß zu schicken. Diese Idee gefiel mir. Alleine die Vorstellung, wie sich der andere freuen könnte, wie es genau den Richtigen oder die Richtige treffen könnte, das hat mich ganz zappelig gemacht. 
Und so nahm ich fünf Postkarten. Eine Landkarte mit Orten, mit dem Finger blind gesucht, fünf Orte von der Nordsee bis fast an die Alpen. Und ein Online-Telefonbuch, dort die Worte: „Maria“, „Martha“, „Josef“, „Zimmermann“, „Hirte“ eingegeben. Und dann fünf Karten geschrieben. 
Was schreibt man an Menschen, die man nicht kennt?

„Hallo, (habe ich geschrieben) wir kennen uns nicht. Du wirst Dich wundern über diese Karte. Mein Adventskalender schlug mir heute vor, jemand Unbekanntem eine Karte zu schreiben. Und durch Zufall trifft es Dich. Obwohl - eigentlich glaube ich nicht an Zufälle. Ich wünsche Dir noch lichtvolle Tage bis Weihnachten. Ich wünsche Dir liebe Menschen, mit denen Du zusammen sein kannst. Gottes gute Kraft stärke Dich und seine Hoffnung wärme Dein Herz.“

Ich kann euch gar nicht sagen, was das für eine Freude war, diese Karten einzustecken und sie mir vorzustellen eine kräftige Rose-Maria mit vier Kindern im Hause irgendwo in Siegen, oder eine vielleicht kranke Martha mit ihrem Mann Woijech, irgendwo bei Wolfenbüttel, die den letzten Brief vor vier Jahren bekamen oder Josef und Magdalena - aus der Nähe von Ulm, die die Sitte noch kennen, Briefe zu schreiben. Und ein Herr Hirthe in Emden am Stüber, Familie Zimmermann im Bayrischen Wald. Vielleicht bekäme jemand den Brief in tiefer Traurigkeit oder in einem Alltag, der kaum Zeit für ihn hatte. Diese Karten machten einfach Freude. Nur diese guten Worte für jemanden zu schreiben. Die Worte füllten sich in meinem Kopf mit Bildern und Freude und guten Wünschen. Sie waren ganz verknüpft mit meinem Herzen. Das war wirklich aufregend. 

Viele Tage später, kurz vor Weihnachten bekam ich Antwort von Maria aus Siegen: 

"Deine Karte kam als ich sie brauchte." 

Und das Wort ward Fleisch. 
Und Gott war in dem Wort.
Er war das Wort.
Und wir sahen seine Herrlichkeit.
Es sind Worte des Trostes und der Hoffnung
die Gott gibt.
Die du hörst und liest, die dir begegnen.
Solche Worte werden wahr,
werden Fleisch, werden fühlbar, wirken,
wo du anderen wahrhaftig begegnest.
Wo deine Worte etwas ausmachen.
Wo die Leute sagen könnten:
„Seht! Das sind die Christen!“
Als würde unsere Gemeinschaft leuchten
bis in die anderen Herzen.
Als würdest Du leuchten.
Und das tust du!
Wenn du das Licht der Welt,
das in dir ist, in Worte, Gesten, in Protest und in Wut, in Zärtlichkeit und Entschlossenheit, in Tränen und Lachen
verwandelst. Für andere. Für dich. Für Gott. Für die Welt. Für Respekt. Für Barmherzigkeit. Für Lebenslust. Für Güte. Dann, genau dann wäre Gottes Herrlichkeit zu sehen.

Und manchmal wird Gottes Wort an dich ganz konkret.
So wie vor vier Tagen, als ich im strömenden Regen stand und ein Babyweinen hörte. Auf dem Klinikparkplatz. Leute kamen und gingen und fuhren. Scheinbar hörte es niemand sonst. Es bewegte sich nicht hin oder her, das Weinen. Ich fand einen Mann in der Bushaltestelle. Spät abends war es. Ein Bus würde nicht mehr fahren. Zu seinen Füßen ein ganz Kleines, vielleicht 10 Monate alt, in einem Babyautositz. Dürftige gekleidet, nackte Füßen. Es hatte 4° draußen und Dauerregen. Es war in die Lederjacke des Vaters gewickelt, der hatte weder Essen noch Trinken, nur noch ein dünnes Hemd und Medizin für das Kind. Das war ein Wort Gottes. So konkret und greifbar. Ich lud sie ein. Wir konnten uns kaum verständigen, der Mann sprach kein Deutsch. Das Kleine klammerte sich an ihn und weinte. Wir bogen hier ab und dort und weit außerhalb von Meiningen stand ein alter Wohnblock. Mit Tränen in den Augen bedankte sich er Mann.

„Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden ein Kind gewickelt in eine Lederjacke bei 4° in der Bushaltestelle.“
Gott ist das Wort. Das Konkrete. Manchmal ist er ein heilsames Wort für Dich. Manchmal bist du sein Wort. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsere Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen

1 Kommentar:

  1. Was für schöne Worte,die das Herz weich machen.
    Vielen Dank Anja

    Die Aktion mit den Postkarten hab ich auch gemacht. Es öffnet das eigene Herz und den Weitblick

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