Freitag, 17. November 2017

Lautlos öffne ich die Tür zu ihrem Zimmer.
Ich kenne nur ihren Namen.
Unbeweglich liegt sie im Bett.
Eine wunderschöne ältere Dame 
mit einem Schein von weißem Haar um den Kopf.
Es ist nicht diese erschöpfte Stimmung 
von jemandem, der lieber Ruhe braucht.
Es ist viel Frieden im Zimmer.
Ich habe das Gefühl, ich solle eintreten. 
Und bleiben.
Still schaue ich mich um. 
Alles deutet daraufhin, dass sie auf der letzten Reise ist.
Ich setze mich leise zu ihr.
Zart ist ihr Atmen. 
Von irgendwoher kommt mir eine Melodie in den Kopf.
Leise summe ich sie ihr vor.
„Wer..
singt…
da…
so…
schön…?“,
ertönt es plötzlich klar,
wenn auch matt und mit wenig Luft aus ihrem Mund.
Winzig kleine Worte sind es.
Sparsam gesprochen.
Ich trete zu ihr. 
Wenige Augenblicke öffnen sich ihre Augen halb.
Ich sage wer ich bin. 
Sie lächelt.
Bittet mich um das geblümte Taschentuch,
das auf dem Nachttisch liegt.
Beruhigt wringt sie es in ihren Händen hin und her.
Da weiß ich plötzlich, dass ich singen soll.
„Am Brunnen vor dem Tore…“,
singe ich langsam.
Sie stimmt augenblicklich mit ein.
Fast lautlos mit einer seidenfeinen Stimme.
„… und immer hör ich´s rauschen:
Du fändest Ruhe dort.“
Singen wir.
Bis zur letzten Strophe.
Sie lächelt.
Erzählt mit ihren kurzen kleinen Worten 
von der Mutter
die so viel sang
bei jeder Handarbeit
und sie selber 
hätte so viel und so gerne gesungen
ihr ganzes Lebens lang.
Langsam ist sie erschöpft.
Ich summe und singe:
„Im schönsten Wiesengrunde….“,
zwischendurch muss sie viel Luft holen.
„Sterb´ ich, in Tales Grunde….“
auch das singen wir.
Ihr Gesicht leuchtet.
„Das…
war…
soo..
schön…“,
sagt sie müde.
Ich lasse ihr den Segen da
und die Musik im Herzen
und gehe weiter durch die Zimmer.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“


(Oktober 2017)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...