Sonntag, 14. Mai 2023

... Was haben wir hier gebetet!!

Predigt zum 40. Waldgottesdienst in Queienfeld

Dialogpredigt zwischen Regionalbischöfin Bettina Schlauraff 
und Generalsuperintendentin Theresa Rinecker


 

Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; 

suchet, so werdet ihr finden; 

klopfet an, so wird euch aufgetan. 

Denn wer da bittet, der empfängt; 

und wer da sucht, der findet; 

und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“ 

(Lukas 11)

 

Bettina Schlauraff:


Wie es ist, anzuklopfen… 

vor einer bekannten oder auch unbekannten Tür stehen. Und anzuklopfen oder zu klingeln. Und dann zu warten. Zu warten und Lauschen, das kenne ich gut. So oft habe ich das getan als Pfarrerin. Und ihr hier habt alle schonmal so wartend vor einer Tür gestanden.

Die ersten Male stand ich als Pfarrerin da mit großer Aufregung. Später mit der Erfahrung und tiefen Gewissheit, so gut wie nie weg geschickt zu werden. Höchstens mal jemanden zu verpassen, sodass niemand öffnet. 

 

Anklopfen und warten, ob jemand öffnet – davor habe ich schon lange keine Angst mehr.

Vielleicht auch wegen dieser beiden Menschen:

 

Brigitta und Kurt

Diesen Dienstag stand ich auf dem kleinen Friedhof einer winzigen Gemeinde, in der ich vor vielen Jahren einmal Pfarrerin war. Ich stand am Grab von Brigitta und Kurt mit einem Blumengruß. Sie sind beide vor kurzem in hohem Alter verstorben und leider konnte ich mich nicht von ihnen verabschieden. An ihrem Grab, vor ein paar Tagen, dachte ich sehr an sie und unsere vielen Begegnungen und ich dachte genau an das Klingeln an ihrer Tür. Die Geräusche davon hatte ich sofort im Ohr. Das Krrrrrrg der alten Klingel am großen Tor. Die Klingel, die nicht nur im Haus, sondern auch im Hof klingelte, weil die beiden viel draußen auf ihrem alten Bauernhof unterwegs waren. Dann musste ich etwas zurück treten, denn als erstes bellte der große Hund und steckte seine schwarze, etwas grau gewordenen Nase unter dem Tor durch, d.h. irgendwann bellte er bei mir dann auch nicht mehr. Dann hörte ich die Klinke und die alte Tür des Hauses gehen. Die schlurfenden Schritte. Das Tschacktschack des Schlüssels im Tor, das leicht quietschend aufging. Und dann: das große glückliche Lächeln in den lieben Gesichtern von Kurt oder Brigitta. So ein richtiges Nach-Hause-komm-Lächeln. „Ohh. Da freuen wir uns aber…!! Kommen Sie bitte rein!“ Das war ein wunderbares warmes Gefühl. Und dann gingen wir in die alte enge Küche, die mit tausend Dingen gefüllt war, mit Blümchenkissen auf den Stühlen und Blümchenschürze an Brigitta, die immer eine Thermoskanne mit Kaffee stehen hatte, denn es kam öfter Besuch bei den beiden lieben alten Leuten. Und oft saßen wir an dem kleinen Tisch, der eigentlich nur für zwei war, einer saß auf einer Kiste daneben und wie oft gaben sie mir guten Rat in meinen ersten Jahren Im Pfarramt. Sie haben mir so viel erklärt und zugehört und mir ihre Lebensgeschichten anvertraut. An dieser Tür, das wusste ich, hätte ich immer klingeln können. Immer. Auch nachts. Oder in Not. Oder hungrig und durstig. Egal mit welchem Anliegen. Immer.

 

Das ist etwas Großes, schätze es nicht zu klein!

Wenn Du so eine Tür hast. So ein Tor. So eine Klingel, wo Du immer und jederzeit jemanden finden würdest. So zuverlässig, so eine Sicherheit und Verlässlichkeit. Eine Vertrautheit auch. Ein unausgesprochenes Versprechen. So eine Tür ist wie der Beckenrand im Schwimmbad wenn Dir die Luft ausgeht. Wie der Seitenstreifen auf der Autobahn, wenn Dein Motor meckert. Wie der Stein in der Pfütze, dass Du nicht durchnässt wirst. Wie die Hand, die Dir jemand reicht, um irgendwo hinaus zu steigen:

Eine Tür, die Dir offen steht und wo Du keine Hemmungen haben bräuchtest, zu klingeln oder zu klopfen und jemand täte Dir auf nähme Dich herzlich mit hinein.

Das habe ich auch hier bei Euch so oft erlebt, wohin auch immer ich kam. Und ich denke, auch Du weißt mindestens eine Tür, wo Du immer willkommen bist. Das hoffe ich jedenfalls für Dich. 

So ein Wissen, um solche Türen, ist nämlich richtiges Glück.

Das ist etwas Großes, schätze es nicht zu klein!



Theresa Rinecker:


„Darf ich reinkommen?“ Habe ich an mancher Haustür gefragt. Vor Jahren hier in Queienfeld  und Rentwertshausen, Westenfeld und Behrungen und seitdem immer wieder auch an anderen Orten. „Darf ich hereinkommen?“ war sooft erster Satz auch in den Krankenzimmern. Und erst recht in den vergangenen Jahren. Nach dem Satz, wenn er meint, was er fragt, entsteht oft ein kleiner stiller und mitunter auch banger Moment.  Kann ich hilfreich sein? Brauchen Sie etwas, kann ein Reden und Stille-Sein miteinander helfen?

Wie schön, wenn es auch mal so ist wie heute. Das ist ja auch möglich. Man sitzt am Schreibtisch und dann kommt eine Mail rein, die einlädt. Die dich herein bittet, in dem Falle heraus an die Lutherlinde. Hinein in eine Tradition von Predigten im Freien, öffentliches Reden und Beten vor aller Welt, also jedenfalls meist vor viel mehr Menschen, Hereingebeten werden, zum Predigen, davon leben wir, auch als Pfarrerinnen. Ich bin dankbar für solche Einladungen und alle damit verbundenen Gastfreundschaft und Neugier. Und natürlich erst recht, wenn man an einen der Lieblingsorte mit so vielen Lieblingsmenschen gebeten wird. Erst recht an diesen Lebensort, an den viele Erinnerungen geknüpft sind und vor allem Verbundenheiten, die durch die Jahrzehnte seit 1989 gehalten wurden. Danke für die Einladung, ihr Lieben. Denn eine Einladung lässt sich auch als Bitte verstehen: Kommst Du? Bitte.

Mir scheint das Bitten in diesen Tagen ein bisschen unter die Räder gekommen zu sein. Jedenfalls ist es immer die leisere Schwester, die kleinere der großen, die vollmundig auftritt und fordert und beurteilt. Die große Schwester weiß besser und will es Welt zeigen will, wie es gehen kann. Wer etwas leiser ist und bittet, der brüllt seltener. Wer bittet zeigt, dass ihm etwas fehlt. Zum Glück, zur Zufriedenheit, zum Weiterkommen. Auch zu einem Fest. Es fehlt etwas, dass ich mir nicht selber geben oder verschaffen oder erklären kann, wenn ich bitte. Ja, es ist für viele ganz schwierig, andere um etwas zu bitten. Müssen wir zuvor doch eingestehen, was wir nicht können, wessen wir nicht mächtig sind, wessen wir bedürfen. Wer bittet zeigt sich angewiesen und weiß sich verbunden. 

 


Bettina Schlauraff:


Und weißt du, Theresa, manche sagen auch, das Beten sei ein wenig unter die Räder gekommen. Ich weiß nicht, ob es so ist. Ich hoffe eigentlich und weiß auch, wie viele Menschen Hoffnung in ein Gebet stecken. Denn wen soll ich bitten und an wessen Tür klopfen für Dinge, die gerade nicht zu ändern sind? Die mich mitten am Tag erwischen, wofür keine der anderen echten Türen in meinem Leben passt? Vielleicht ist das Beten, also mein Beten, in solchen Momenten auch so eine Tür an der ich stehe. Und mein Gebet wäre das Klopfen. Ich stelle mir vor: da wo mich etwas akut bedrückt, könnte ich vor die Gottestür treten – so innerlich. Die Augen schließen für ein paar Sekunden oder so lange ich es kann. Dann das sagen, das sprechen – laut oder lautlos, was gerade da in mir ist. Und ich hätte die Hoffnung, so ein „Nach-Hause-komm-Gesicht“ wie das von Brigitta oder Kurt würde sich meine leisen kleinen traurigen oder glücklichen oder bittenden Worte anhören. Selbst, wenn ich das nicht sehen könnte. 

Eine Tür könnte sich für mich öffnen und es wäre als säße ich da am Küchentisch bei Gott und könnte reden, bis alles raus ist aus mir und ich wieder Luft holen kann und wäre sofort ein paar Gramm leichter. Und hier tun wir es ja auch. Schon 40 Jahre auf diesem Platz und sonntags in unseren Kirchen. Alle zusammen: Gebetsworte sprechen und fest glauben, dass Gott sie hört. Das hat nochmal eine andere Kraft. Das zusammen zu tun. Manche sagen hinterher: Das hat mir gut getan,  

 


Theresa Rinecker:


Schau doch, Bettina, ob du nicht auch hier das eine oder andere „Nach-Hause Komm – Gesicht“ entdeckst. Hier, auf den Bänken. Und auf dem ganzen Waldfestplatz. Sind bestimmt zu finden, auch unter uns, die sich für das Wort „Bitte“ öffnen. Die Tür oder die Hände. Das Herz oder den Brotkorb. 

Mir gehen heute auch die durch den Sinn, mit denen wir hier zusammen gebetet und die wir dem Ewigen anbefohlen haben. Die das „Nach Hause komm Gesicht“ des Ewigen schon sehen dürfen. Ich sehe die vor mir, von denen wir gelernt haben, wie es geht, das Bitten und Tun. Und die es für uns gemacht haben, wenn wir nicht konnten. Wenn uns die Worte gefehlt haben oder die Zuversicht, dass da jemand hört. Wenn wir nicht mehr glauben konnten, dass es jemanden interessiert, was uns am Herzen liegt. Früher fand ich es gar nicht so leicht auszuhalten, wenn gerade in solchen Zeiten Menschen sagten: Wir beten für Sie. Wir denken an Dich. Heute kann ich immer noch nichts dazu sagen, außer Danke. Aber ja, danke. Dass wir Namen vor Gott bringen. Und Unrecht beim Namen nennen. Dass wir aussprechen was gesagt werden muss. Dass wir unsere Grenzen erkennen und um größerer Möglichkeiten bitten. 

So fing es hier doch an. Dass wir uns nicht verstecken wollten als Christinnen und Christen. Dass wir stolz sagen wollten, dass wir in Jesu Namen eintreten für Freiheit und Menschenrechte, für den Austausch von Gedanken und Sehnsüchten. Dass wir uns stärken konnten in der Gemeinschaft derer, die die Sache mit Gott nicht im Privaten lassen wollten. 

Vielleicht sind jetzt wieder solche Zeiten, in denen wir mutig, ich sage gerne: frisch, fromm und (was mich betrifft) auch evangelisch sagen: Ich schäme mich des Evangeliums nicht. Also, heraus aus dem Stillen und öffentlich Eintreten für unsere Gemeinde und Gemeinschaft, diese Erde und unsere Verantwortung. Öffentlich beten und Singen, ganz im Sinne Martin Luthers:  „Man muss beten, als ob alles Arbeiten nichts nutzt, und arbeiten, als ob alles Beten nichts nutzt.“

Und dann doch vertrauen, dass das „Nach-Hause-komm“ Gesicht uns leuchtet in Zeit und Ewigkeit. Amen.


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