Donnerstag, 21. Dezember 2017

Was aus dem alten Josef geworden ist?

Ich sah ihn, als der Tag zur Neige ging.
Er lag schmächtig und mit großen Augen
schwach und müde in seinem Bett.
Den Arm erhoben,
als hielte er noch seinen Wanderstab.
Was für ein Weg
war das damals.
So weit.
Tränen sind in seinem Gesicht.
Er erinnert sich an Entbehrung,
einen langen Marsch 
und mörderische Banden.
Vor allem an die.
Und an die Angst vor denen
erinnert er sich. 
Der Josef.

Kaum konnte Josef ganze Sätze sprechen.
Noch wusste er mehr, 
wer er heute war
und was er gestern erlebt hatte.
Aber eines, das ließ ihn nicht los:
seine weite Reise
und wie sie lebten damals,
er, der Christ und Nachbar, der Jüd´ 
und gehörten doch zusammen
und konnte nichts dafür, wer sie waren.
Und wie dann damals alles kam.
So sagt er unter Tränen.
Er, der nichtmal seinen Namen mehr weiß.
Wie sie aus dem Elsass vertrieben wurden.
Und der Vater bei der Wehrmacht war.
Und der Nachbar, 
der alte Wiesenthal,
der war ein Jüd´.
Und machte die besten Semmeln im Viertel.
Und er sagt „Jüd´“ ganz zärtlich,
als wäre es ein Kosewort.

Und nun vermisst er sie alle.
Sagt er.
Die Mutter und den Vater.
Und den Jüd´, den Freund.
Und seine Frau.
Sagt Josef.
Und dann singen wir beide 
„Leise rieselt der Schnee…“
und „in den Herzen wird’s warm,
still schweigt Kummer und Harm.“
Und dann lacht er und weint er zugleich.
Der Josef.
Bald ist die lange Reise zu Ende.

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