Donnerstag, 31. Oktober 2019

Ein tragender Grund

Ich hatte Gänsehaut schon bevor der Sprecher im Fernseher vor 4 Tagen die amtlichen Wahlergebnisse bekannt gab. Und dann ging es mir durch und durch, als ich die Statements der Parteien hörte. Ich habe seither viele Stimmen von Christinnen und Christen aus meinem Umfeld dazu gehört. Traurige, enttäuschte, besorgte, ratlose, wütende und deprimierte Stimmen. Wie wird es weiter gehen in unserer Region? Wie soll ich mich dazu verhalten? Heute Abend brannten kleine Kerzen an unserem Dorfbrunnen. Da hatten sich welche von sich aus verabredet zu einem Gebet für diese Welt und für unser Land. Kein Statement. Keine Demonstration von irgendwas. Nur ein Gebet. Das hat mich beeindruckt. Naklar! Das ist unsere ganz spezielle Art gegen Ängste und Bedrohliches und Ungeklärtes: still werden, es Gott sagen, Ihn machen lassen. Ich hatte Gänsehaut. Unsere einfachen kurzen Gebete gingen mir durch und durch. Und hinterher haben wir geredet. Wir haben uns zugehört. Wir waren nicht in allem einer Meinung. Aber dass uns das nicht auseinander dividiert hat, das hat nur einen Grund: Einen tragenden Grund. Einen gemeinsamen Grund. Der stärker ist als unsere Ängste und größer als alles Bedrohliche und weiter als unsere Verschiedenheit: Der Glaube an Jesus Christus. Der Glaube an Gott. „Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist; Jesus Christus!“ - dies ist der Bibelspruch der über dem heutigen Reformationstag steht. Ein Spruch, der mir schon oft Gänsehaut gemacht hat als Vertonung in einem gewaltigen Choral. Mit großer Klarheit beginnen die Männerstimmen „Einen anderen Grund kann niemand - niemand!! - legen. Außer dem, der gelegt ist.“ Und nun bricht der Reichtum der Chorstimmen nach und nach hervor: „Jesus Christus“ . Das ist es! Einen Grund suchen. Einen gemeinsamen. Der trägt. Durch und durch. Macht das! Geht an die Dorfbrunnen und trefft euch zu Dorfrunden. Lasst euch nicht auseinander dividieren. Betet zusammen. Von Herzen. Man darf auch für sich selbst beten. Ihr werdet staunen, wie dieser Grund unseres Glaubens alle trägt und welche Räume er vielleicht eröffnet. Ihr könntet erleben, dass ihr diesen Grund tatsächlich habt. Dass er keine Einbildung ist und nicht nur eine Ahnung. Sondern Realität. Nehmt eure Besorgnis welcher Art auch immer und wendet ihre Energie in Gutes. In mehr Miteinander. In Zuhören. In Aufeinanderzugehen. Luther war es übrigens, der sagte: „Christen, die beten, sind wie Säulen, die das Dach der Welt tragen.“ 

Samstag, 26. Oktober 2019


PREDIGT vom HEILWERDEN

Was „heil werden“ ist

Ein Mann wurde heil nach 38 Jahren.

Was ist denn heil werden?
Heil werden ist
wenn der Schmerz nachlässt
wenn eine neue dünne Haut wächst
über Risse und Schürfungen
Schnitte und Stiche
Heil werden ist
das Ende von 
„in-etwas -drin-sitzen“
„an-etwas-gebunden-sein“.
Heil werden ist versöhnt werden.
Heil werden ist gesund werden
und zwar
innen und außen
an Leib und Seele.
So gesehen ist Heil werden 
frei werden von etwas
das im Wege steht
das mich einschränkt
ärgert, aufhält, abhält, 
das mich ausschließt,
einsam macht, handlungsunfähig,
lethargisch, unfähig zu handeln
an Leib und Seele.

Es liegt nahe

Da liegst du 
in diesem „was dich schon so lange bindet“
wovon du nicht weg kommst
und ganz in der Nähe eigentlich
wabert scheinbar ein See 
voller Heilung und Glück und 
Gesundung und Erholung,
Der See voll Lösungen
aller Lösungen, die du dringend brauchst
für die Fragen, die dich plagen
Ein See voller Wärme
die du bräuchtest in den Nächten 
ohne Schlaf und Antwort, 
wo nur die Fragen sind
die deinen Kopf verdrehen
Ein See voller Energie
die dir immerzu fehlt
für Dinge, 
an die du dich lieber gewöhnt hast,
als sie zu ändern,
weil das vermutlich fern von deiner Energie liegt.

Da ist ein See voll der Heilung, 
der hin und her schwappt 
und scheinbar alle anderen wissen
wie man da hin kommt und wann man zur rechten Zeit
die Füße in die sprudelnden Lösungen stecken kann
und den ganzen durstigen Körper in die wärmenden Fluten
und eintauchen in die Energie
wie in ein Ölbad, das haften bleibt für lange.
Nur du.
Nur du schafft es nicht dahin.
Obwohl es gar nicht so weit wäre
bis zur Lösung
von ätzendem Kleinkram und Großem Druck
bis zur Wärme, die besser wäre als die Kälte an manchen Tagen
bis zur Energie, zum Mut, zu Traute, zum Jawoll!

Wahrheit und Klarheit oder Gottes Arschtritt

Und in diesem Fall 
helfen auch die 5 Hallen nicht
die dich umgeben neben dir
Die Hallen
in die sich Menschen begeben
um bei Gott zu Besuch zu sein
Reich gefüllte Kammern
mit Schutz und Schild
mit Burg und Kraft
mit Halt und Hoffnung
mit Stecken und Stab
mit Händen die halten und Herzen gefüllt mit Ewigkeit.
Diesmal helfen sie nicht.
Es liegt alles da.
Du auch.
Und kommst nicht hoch.

Gottes Güte hält den Ball flach
und die Hoffnung will hüllen
und der Stab dich stützen
aber das, was du diesmal brauchst, ist
ein Schub
ein Stoß
ist
- Entschuldigung - 
ein Arschtritt.
Nicht jemand der sagt: „wenn es dir nichts ausmacht und ohne dich verletzen zu wollen und unter Rücksicht auf…“
Sondern einer der
ES sagt.
Eine
die ES dir sagt.
Die Wahrheit.
Sagt wie es ist.
Und dabei meine ich nicht,
jemanden, der sich nicht helfen kann,
zu beschämen.
Dinge zur Heilung zu ziehen,
die längst zu dir gehören und 
die bleiben werden,
aber die Angst davor vielleicht
und alle Zaghaftigkeit und Verdrückerei.
Mit „Wahrheit“ meine ich etwas
das frei macht:
Aussprechen was dich da ankettet
Aussprechen was du dir wünscht
Dir zur Klarheit helfen,
was du eigentlich willst,
denn wie oft
ist selbst das
verloren gegangen.

Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank. Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. 

Es ist möglich

Jesus legt keine Hände auf.
Er macht keine Geste über dem Mann.
Jesus spricht keinen Heilspruch.
Er schafft Klarheit.
Dem Mann verschafft er Klarheit.
Willst du gesund werden?
Dann steh auf.
Und es war möglich.

Es ist möglich aufzustehen
aus Ausreden, Vorsichherschieben und Verharren.
Auch wenn die Klarheit manchmal unangenehm ist,
auch wenn sie vielleicht etwas zerbricht
auch wenn sie mich stresst
aufwühlt
zur einer Entscheidung zwingt.

Für manche Situation
braucht es nur Klarheit
und manchmal einfach Wahrheit.

Und dann 
nehmen Menschen manchmal tatsächlich ihre Liege
mit den zerlegenen Träumen und zerknautschten Wünschen
mit den Tränen und all
der Wegschieberei, vor-sich-her-Schieberei
mit all dem Kopfkino, was passieren könnte
mit Befürchtungen und Ängsten
sie nehmen diese Liege unter den Arm
und gehen los,
weil der Ort des Verharrens keinen Sinn mehr macht.
Unfassbar ist das.

Es ist möglich
am Teich Betesda,
zu deutsch im
„Haus des Erbarmens“,
unter dem Himmel
der noch darüber war
- auch an jenem Tag
Der Himmel
von dem „Der-dich-sieht.“
Der Himmel,
der ist.
Hier. Heute. Morgen. Über deinem Leben.
Immer.

Lass uns einen Moment stille werden. 
Einatmen. Ausatmen. 

Jesus ist auch der Mann der Klarheit
und der die Wahrheit liebte.
Darum sagt man, dass er heil machte an Leib und Seele.
Nicht dass das einfach wäre.
Du müsstest bereit sein, neu zu werden. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 
der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 
und stärke unsre Liebe. Amen.





Samstag, 19. Oktober 2019

Predigt mit Jakobus 


Das Echo von einpaardutzendmal
„Siehe, ich verkündige dir große Freude.“ und
irgendwo tief der Schimmer vom Licht Gottes.
Als wären sie in mir zuerst schon dagesessen - vor mir selbst.
Und
Freude
Zuversicht
Vertrauen
Dankbarkeit
Trost
Stärke
Kraft
- so erlebe ich Glaube.
„Siehe, ich gebe dir Kraft!“
Worte direkt von Gott.
„Du musst nichts für seine Liebe tun,“
- sagt Martin Luther,
das liest er in der Bibel,
„denn Gott hat dich
von grundauf!"
>Er hat mich<
- das ist immer zuerst!
Das ist der erste Schritt.
Der erste vor dem zweiten Schritt.
Der erste Schritt vor meinem ersten Lebenstag.
Der erste Schritt heute jeden Tag.
Ein Schritt in den ich immer zurück springen kann,
wenn die zweiten Schritte zu heftig werden.

„Ich bin bei dir alle Tage.“
"Fürchte dich nicht!“,
„Ich habe dich lieb!“,
Burg und Schild
und Zuflucht unter den Flügeln:
alles erste Schritte, 
Feuer unter dem Hintern.
Alles mein Glaube in mir.

Es gibt aber nie nur den ersten Schritt.

Ich gehe jeden Tag los ins Leben.
Ich gehe jedes Jahr weiter im Leben.
Das Leben steht nicht still.
Ist voll Mühsal und voll Lebenskraft.
Ich muss entscheiden.
Tun. 
Wege gehen.
Für mich sorgen.
Für andere sorgen.
Auswählen.
Menschen ansprechen.
Wahrheiten aussprechen.
Position beziehen.
Eingreifen.
Abwarten.
Ich muss sagen wohin.
Ich muss in meinen Möglichkeiten zweite Schritte tun.
Und dritte Schritte und viel mehr.
Und was würde ich nicht alles gerne tun?
So - wie die Bibel es schreibt.
Und was sollte ich nicht alles tun?
Für mich.
Und für die Anderen.
Für die Welt.
Für die Umwelt. Für meine Region. Für erneuerbare Energien. Für Gendergerechtigkeit. Für meine Kirche. Für nicht weniger als Frieden und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. 
Dafür, dass keiner auf Türen von Gotteshäusern schießt und damit auf uns alle. Dafür, dass die anderen mir nicht so fremd werden. Dass sie nicht für immer „die anderen“ bleiben. Dafür, dass woanders Menschen einfach besser leben können. Dafür dass wir besser miteinander auskommen. Dafür, dass wir unser Herz entdecken und Demut und Bescheidenheit.  Dafür, dass wir niemanden vergessen. Für all das. Für alles!

Manche  resignieren. Die Aufgabe ist zu groß.
Manche verschwinden weil es ihnen Angst macht.
Manche werden aggressiv, weil sie sich bedroht fühlen.
Manche sehen nicht ein, dass die anderen sie etwas angehen.
Manche wollen nur was für sich.
Manche gehen kaputt vor Mitgefühl.
Manche erstarren vor Hilflosigkeit und Überforderung.
Manche geben auf vor Erschöpfung.
Manche verzweifeln in ihrer Unzufriedenheiten.
Manche machen Fronten auf.
Manche tappen orientierungslos 
und unentschieden vor sich her.
Manche können nicht Schritt halten mit allem Neuen.

Irgendeine dieser „Manchen“ bist du und bin ich.
Es ist wie eine unlösbare Aufgabe - „was alles zu tun wäre“…

Und die Bibel?
Hat ehrlich gesagt keine konkreten Ansagen für unsere Zeit. Wen ich wählen soll. Wie ein Sozialsystem funktioniert. Wie fairer Handel möglich ist und der Welthunger zu stoppen. Wie Auseinandersetzung möglich ist ohne Gewalt.
Das weiß die Bibel auch nicht so genau. Keine konkreten Tips.
Und doch gibt es kaum feurigere Reden in der Bibel als darum, 
eben doch „etwas zu tun“. Grundsätzlich. Nie damit aufzuhören, nach dem richtigen Tun zu suchen. Richtig radikal wird die Bibel an diesem Punkt: Ohne Taten ist dein Glaube tot! 

„Meine Brüder und Schwestern, was hat es für einen Wert, wenn jemand behauptet: »Ich vertraue auf Gott, ich habe Glauben!«, aber er hat keine guten Taten vorzuweisen? Kann der bloße Glaube ihn retten? Nehmt einmal an, bei euch gibt es einen Bruder oder eine Schwester, die nichts anzuziehen haben und hungern müssen. Was nützt es ihnen, wenn dann jemand von euch zu ihnen sagt: »Ich wünsche euch das Beste; ich hoffe, dass ihr euch warm anziehen und satt essen könnt!« –, aber er gibt ihnen nicht, was sie zum Leben brauchen? Genauso ist es auch mit dem Glauben: Wenn er allein bleibt und aus ihm keine Taten hervorgehen, ist er tot.“

Dem Jakobus, der das schreibt, brennt das Herz.
Die Liebe in seinem Herzen, die er als Liebe Gottes erkannt hat,
die fließt über und er möchte einfach tun.
Das richtige Tun.
Gerechtigkeit tun,
barmherzig sein,
hilfreich sein,
retten,
echt und wirklich Gottes Welt mitbauen.
Selbstlos und
hingebungsvoll.
Manche in seinem Umfeld sind aber nicht so.
Manche sind überfordert, hilflos, unbeholfen,
einfach uninteressiert oder sogar gleichgültig.
Da erstreckt sich der Glaube auf Dazugehörigkeit zu etwas.
Das ist Jakobus zu wenig.
Jakobus hat Sehnsucht nach Taten.
Jakobus ist verliebt ins Gelingen des Lebens. 
Er möchte dem Glauben Beine machen.

Er geht mit offenen Augen durch seine Welt und 
seine Augen sehen überall Wunden Jesu, Worte Jesu,
Orte Jesu, Menschen Jesu, Bitten Jesu, Sendung Jesu.
Aber es scheint, dass er auch keine Ahnung hat, 
wo man anfangen und wie man durchhalten soll
und was konkret!!?? 
Nein, dafür hat auch Jakobus keine Antwort.

Aber zu all den guten Geboten Gottes, an denen wir unsere Entscheidungen messen können, setzt er zwei dazu:
Erstens: Du sollst den zweiten Schritt nicht vor dem ersten Tun.
Und der erste Schritt ist: Hand aufs Herz und spüren, wo dein Glaube abgeblieben ist. Sein Feuer spüren. Seine Zugkraft.
Zweitens: Du sollst Starterkabel mitnehmen, wo auch immer du bist. Mit deinem Glauben kannst du Dinge in Gang setzen. Kannst du die Starre der Hilflosigkeit zur Bewegung verlocken. Kannst du schneller hören als reden. Kannst du Täterin des Wortes werden mit einem Gebet. Hast du plötzlich etwas übrig. Und kannst etwas Tun. Für andere. Und auch für dich. Zweite Schritte. Dritte Schritte. Und dann wieder der erste. Es soll immer wieder erste Schritte geben dazwischen. Gotteshopser. Gottessprünge. Gottesfesterstand. Gottestritte. Gottesheimat. 
„Siehe, ich gebe dir Kraft!“
Worte direkt von Gott.
„Du musst nichts für seine Liebe tun,“
- sagt Martin Luther,
das liest er in der Bibel,
„denn Gott hat dich
von grundauf!"
>Er hat mich<
- das ist immer zuerst!
Das ist der erste Schritt.
Der erste vor dem zweiten Schritt. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.





Eine Predigt 
über Nenas wunderschönes Lied 
"Wunder geschehn".

Am besten du hörst dir dieses Lied vorher an.
Und danach gleich nochmal.
Und dann singst du einfach laut mit.

(Der Einstieg der Predigt hängt mit der überwiegend Jugendlichen
Kirmesgesellschaft zusammen, die in Feierlaune, nach einer durchgefeierten
Nacht und vor zwei weiteren Festtagen und -nächten vor mir in der Kirche saß...)



Wunder. Was ist ein Wunder? 
Ist ja ein Wunder, 
dass der gestern Abend noch heil nach Hause gekommen ist.
Ist ja ein Wunder, dass der sich mal hat sehen lassen.
Ist ja ein Wunder, dass die einen Freund gefunden hat
Ist ja ein Wunder, dass der eine Lehrstelle abbekommen hat.
Ist ja ein Wunder dass….
Was ist ein Wunder?



Ich war 16.
DDR. 10 Klasse.
Kein Wunder.
Ganz normal.
Normal war, sich Sachen selbst zu nähen,
weil die aus dem Laden sehr öde waren.
Normal war  F6 zu rauchen und ein Moped zu haben.
Normal war zu „a-ha“ zu tanzen 
und möglicherweise Modern Talking zu mögen.
Normal war ein Elternhaus zu haben und eine Wohnung, 
genug zu essen und all den Kram.
Normal war die 10. Klasse zu machen.
Normal war ein Sommer mit Urlaub und Zelten mit Freunden, Sand zwischen den Zehen und mit nassen Haaren ins Bett.
Normal war einen Freund haben und knutschen.
Normal war zum FDJ-Studienjahr zu gehen im blauen Hemd,
zum Gruß „Freundschaft" zu brüllen, 
über irgendwelche Marxismus-Theorien reden zu müssen, 
die kein Mensch wirklich kapierte. 
Normal war, Wandzeitungen zu gestalten 
mit dem Motto „Mein geliebter Sozialismus“ 
Oder „Unsere Patenbrigade Stahlkombinat Vorwärts“ 
oder „Nie wieder Faschismus.“
Normal war Mathe Deutsch Geschichte.
Normal war schweigen.

Schweigen über die eigentlichen Gedanken, die man hatte.
Normal war zu unterscheiden, wem du was erzählst.
Normal war, dass manche gleicher waren als andere.
Die bekamen auch mit einem 3er Durchschnitt einen Studienplatz. Dafür gingen sie 3 Jahre zur Armee.
Normal war, dass alle die Nase voll hatten 
und keiner es laut sagte.
Und das war auch normal, 
man wollte ja nicht blöd sein und die Lehrstelle riskieren. 
Normal war heimlich Westfernsehen gucken und RIAS hören.
Normal war, Musik aus dem Radio aufnehmen mit allen Rauschtönen oder die Kassette vom Kumpel kopieren, die die Kopie einer Kopie einer Kopie war und nur noch leise.
Normal war, viele Fragen nicht stellen zu dürfen. 
Normal war, sich auf die Zunge zu beißen. 
Normal war hinter der Hand anders zu reden als sonst.
Normal war, zum Republikgeburtstag zum großen Umzug zu müssen mit Fähnchen zu winken im Marschschritt. 
Ich war 16. 
DDR. 10. Klasse geschafft.
Gerade in die 11. Klasse gekommen.
Und plötzlich war manches unnormal.
Unnormal war, dass nach dem Sommer 
Schüler in der Klasse fehlten, 
die in Ungarn Urlaub gemacht hatten.
Normal war, dass wir nicht darüber reden durften.
Unnormal war, dass Menschen in den Kirchen 
nun unverhohlen ihre Meinung sagten. 
Normal war, dass sie es draußen immer noch 
hinter vorgehaltener Hand taten.
Normal war, dass die Presse sagte, alles sei wie immer.
Unnormal war mein 7. Oktober 1989.

Ich war 16. 
DDR. 11. Klasse.
Die staatlichen Feierlichkeiten waren abgesagt 
und es galt ein strenges Versammlungsverbot.
Und das Verbot Blumen zu tragen.
Von Mund zu Mund hatten wir uns eingeladen.
Still
wollten wir gehen. 
Viele, doch jeder für sich.
In der Hand eine Blume.
Wir wurden immer mehr. 
Gingen.
Schweigend.
Die Blume als Protest.
Eine fette Stille. 
Mein Herz klopft bis zum Hals.
Das würden sie uns nicht durchgehen lassen.
Wir gingen weiter spazieren.
Hunderte.
Jeder einzeln.
Mit seiner Blume.
In der Geschäftsstraße in Potsdam.
Es ging nicht gut.

Ein Wunder war, dass wir es wagten.
Ein Wunder war das fette Schweigen.
Ein Wunder waren die zarten Blumen als Protest.
Ein Wunder war es, dass jemand mich in eine Seitengasse zog,
als Militärautos mit Schiebeschild uns einzukesseln drohten.
Ein Wunder war, das ich heil heraus kam,
denn viele kamen an dem Tag ins Gefängnis der Stasi.
Ein Wunder war als ich einen Monat später
von einer Versammlung heim kam
und meine Eltern weinend im Sessel saßen.
Ein Wunder waren die Kerzen in unseren Händen 
und in den Händen derer, die das gar nicht geübt waren.
Ein Wunder das alles.
Eine Wunder die Freiheit.

Wunder musst du behüten.
Die Freiheit musst du behüten.
Damit dir nicht einer in die Tür deiner Kirche schießt.
Deiner Kirche oder Synagoge oder Moschee
oder Schule oder Unterkunft für Geflüchtete.
Demokratie heißt nicht „wir und die",
Demokratie heißt wir. 
Wir sind alle.
Schüsse auf ein Glaubenshaus sind Schüsse auf uns alle. 
Auf unsere Freiheit.
Und sie ist doch ein Wunder, das du behüten musst.

Wunder geschehn.
Ich habs gesehn.
Wunder geschehen dir auch.
Halt die Augen offen.
Es tut sich was in deinem Leben:
- Ganz ersehnt kommt jemand zu dir.
- In Gefahr bleibst du heil.
- bisher unklare Wege kommen doch auf dich zu.
- Du bist verliebt. - Du traust dich was.
Trau den Wundern.
Was auch passiert, sagt Gott,
Ich geh den ganzen langen Weg mit dir!
Was auch passiert:
Wunder geschen.
Wir dürfen nicht nur an das glauben 
was wir sehen. Amen.


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...