Sonntag, 31. März 2019

Sie sind Komplizen auf den Tasten
dicht sitzen sie
wie zwei in einer Kinderbude aus Decken
Sie hört zu und lässt sich zeigen
Er klimpert wie es ihm kommt
die kleinen Stücke im Buch durchfliegen sie
wie auf einer Safari
kichernd steigen sie tipfelnd auf Leitern hoch
hüpfen mit den Fingern 
wie über Baumwipfel herunter
Wenn ein Ton daneben liegt
lachen sie
und probieren aus
ob daraus ein neues Stück entsteht
Ganz unauffällig lässt sie seine Hände herüber fliegen und setzt sie neu
und gerade auf die Tasten
Dann dürfen sie herunter platschen wie zwei nasse Entenküken
sie tippen und klopfen
staunen
dreiklängen
transponieren
Am Ende spielt sie sein Lieblingsstück
Er hält den Atem an
so schön ist es
voll Klang
neben ihr auf der Bank
Das bring ich dir bei
flüstert sie
Seine Augen leuchten

Seine dritte Klavierstunde.

Bald 
denkt er 

bin ich schon Pianist



Samstag, 30. März 2019

Kleine Predigt zu einem Vers aus dem Philipperbrief.

Dieser Vers (Phil 4,13) kommt hier vor in 12 verschiedenen Übersetzungen. 


Du vermagst alles durch den, 
der dich stark macht: Christus!“

Arndt hebt mitten im Gespräch die Faust. Er reckt sie hoch, soweit seine geschwächten Arme es zulassen. Er ballt die Faust in seinem Krankenbett. Das schaffe ich! sagt er mit Tränen in den Augen. Gerade hat er seine Frau verloren in einem unnötigen Unfall, den ein anderer verursacht hat. Er ist selbst schwer verletzt. Nicht nur äußerlich. Dennoch: er hat schon so viel geschafft in seinem Leben. Mit einer Kraft, die ihm keiner zugetraut hätte. Er selbst auch nicht. Einer Kraft, wie vom Himmel gefallen.

„Alles vermagst du in ihm, der dich stark macht.“

Farid Ahmed spricht vor zwei Tagen in Christchurch, Neuseeland zur Trauerfeier für die 50 Opfer eines Anschlags, den er selbst nur gerade so  überlebte. Seine Frau starb im Kugelhagel eines Terroristen dessen Name in diesen Tagen übrigens niemand nannte, damit er keine Berühmtheit erlangte mit einer solchen Tat. Farid sagt über den Täter vor tausenden Menschen: „Ich will Frieden in meinem Herzen und ich lasse den Hass nicht zu. Ich will meinen Bruder nicht hassen. Ich verurteile zutiefst was er getan hat. Aber: jedes menschliche Wesen ist mein Bruder, ist meine Schwester, das ist mein Glaube.  Das ist, was Gott, was Allah sagt.“ Farid hat die Kraft, sich nicht hinreißen zu lassen, genauso hasserfüllt zu werden wie der Täter. Welche unfassbare Kraft ist das! 

„Durch den, der dich stark macht, 
kannst du in allem bestehen.“

Und wieder stand sie letzten Freitag vor tausenden Menschen. Ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen. Ein Kind, das die Politiker nicht weg schicken können, weil es ihre Zukunft ist, für die wir heute entscheiden und handeln. Sie hat Kinder und Jugendliche auf der ganze Welt - in Asien, Afrika, Australien, in Europa und Amerika inspiriert. Ermutigt. Hundertausende Kinder. Jeden Freitag. Kinder, auf die man nicht schießen kann. Denen man Rechenschaft schuldig ist. In deren Augen zu schauen und zu hören, dass wir es vergeigt haben mit der Umwelt, dass wir versagt haben, wir Großen - das war längst hinfällig. Wir wussten es ja. Wir haben nur vergessen, vertrödelt, vertagt, endlich zu handeln. Jeder und jede von uns. Im Kleinen und im Großen. Diesen Mut zu haben, den Großen entgegen zu treten. Das hat prophetische Kraft.

„Denn alles ist dir möglich durch Christus, 
der dir die Kraft gibt, die du brauchst.“

Phillip steht vor mir. Er ist nicht schlank, nicht wie alle anderen. Nicht besonders stylisch. Nicht schnell. Nicht beliebt bei den anderen. Kein Gewinner. Kein Lieblingsschüler. Niemand, dem man Großes zutraut. Philipp ist einer, den der Lehrer einmal im Schulbus vergaßen und der nie sagt, was ihn verletzt. Philipp kennt niemand wirklich.Und wer er wirklich ist, das weiß er selber auch noch nicht so genau. Phillip steht vor mir und es ist seine Konfirmation. Er ist dabei, erwachsen zu werden. Jemand Eigenes zu werden. Er ist dabei in die Welt der Erwachsenen einzusteigen, die manchmal unbarmherzig ist. Das hat er schon oft gespürt. Seinen Spruch hat Phillip selbst ausgesucht. Ich sehe in seine Augen als ich ihn vorlese und ich spüre im gleichen Moment die Wucht der Worte: „Alles vermagst du durch den, der dich stärkt.“

„Nichts ist dir unmöglich, 
weil der, der bei dir ist, dich stark macht.“


Eingesperrt.
Geschwächt 
aber trotzig.
Im Gefängnis 
aber nicht verloren.
Abgeschnitten 
von der Welt,
aber nicht ohne Freunde.
Bedrückt 
aber nicht gebrochen.
Aufgehalten 
aber nicht gestoppt.
In Ketten 
aber nicht ohne Hoffnung.
An einem trostlosen Ort 
und die Freude nicht verloren.

Paulus. 

Im Gefängnis in Ephesus.
Ein Ungebändigter.
Ein Freier.
Und ein Kraftvoller.
Ein Christus-Nachahmer. 
Unbändig seine Energie.
Seine Glaube. 
Stärker als alle Ketten.
So geht Christsein!
Sagt er.
Christsein heißt nicht 
immer auf der Sonnenseite stehen
immer der Gewinner sein
immer die Unverletzte.

Christsein ist das Pendel
das stetig mit Hoffnung zurück pendelt.
Christsein heißt, den Krümel der Hoffnung 
im Saal der Angst zu finden.
Christsein ist das Licht hüten
im zugigen Lebensflug.

Es sagt, dass nichts so stark ist wie diese Kraft,
die dich plötzlich erfüllt, die sogar in deiner Schwäche noch liegen kann.
Ich habe sie gesehen, diese Kraft.
Sie kann stark sein wie eine Faust von tausend Kindern.
Sie kann winzig sein 
wie eine kleine Flocke auf der Spitze deiner Seele.

Paulus hat diese Kraft auch gesehen. An sich und anderen. Darum kann er sagen:

„Allem bist du gewachsen durch den, 
der dich stark macht.“

„Alles vermagst du durch den,
der dir die Kraft dazu gibt.“

"Alles kannst du durch Christus, 
der dir Kraft und Stärke gibt."

"Alles vermagst du in dem, der dich kräftigt."

"Du vermagst alles durch den, 
der dich mächtig macht."

Und er bittet dich,
Mitnachahmer, Mitnachahmerin zu werden.
Im Christ-sein. 
Es ist absolut möglich. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.


Samstag, 2. März 2019

Einen zusammen ansehen - bis er Mensch wird.

Winzig. 70g. So winzig liegt sie zwischen uns. In einem kleinen genähten Binsenkörbchen. Auf der Reise ans andere Ufer. Die Tränen der Mutter tropfen aus den Augen auf das kleine Wesen. Und wir fangen an mit ihr zu erzählen. Wir geben ihr einen Namen. Annabelle. Wir erzählen ihr von ihren großen Brüdern und wie sie sie in ihren Armen gehalten hätten. Von Schaukeln und Gummihopse. Wir malen uns das Muster ihres Konfirmationskleids aus und ihrer Schultüte. Die Hände legt Annabelles Mutter um das kleine Körbchen und sagt ihr Dinge, die nur eine Mutter sagt. Sie streichelt sie zart. Wir singen Schlaflieder. „Kennt auch dich und hat dich lieb…“ Wir stellen uns ihre Haarfarbe vor und ihre Stubsnase. Und irgendwann ist sie da. Annabelle. Vor unseren Augen. Mit einer Zukunft, die sie nicht hatte, nur von uns erträumt. Und so lässt es sich Abschied nehmen. Als Annabelle angekommen ist im Leben - und wenn es nur in unseren Worten war. Wir salben sie mit duftendem Öl. Und sagen ihr gute Worte. Wir schauen sie an. Das war es, um was die junge Mutter mich gebeten hatte: sie anzuschauen. Zusammen. Dass jemand da wäre, ihren Schmerz zu sehen, das kleine Wesen zu sehen und zu berühren. Jemand der nicht zurück schreckt, nicht ausweicht. Sondern da bleibt. Mit aushält. Mit träumt. Mit singt. Bis sie loslassen kann. Und träumen. Von Annabelle mit ihren Urgroßmüttern auf einer Wiese in einer großen Schaukel. Geborgen. Wie im Mutterschoß.



.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...