SCHWARZ-WEIß-WELT oder wie Farben entstehen
0. Prolog
An manchen Tagen meine ich, die Welt verliert tatsächlich plötzlich ihre Farbe und die von vielen herbei geredete schwarz-weiß-Welt sickert in das Leben wie die Fotoentwicklerflüssigkeit in das schwarz-weiß-Fotopapier in den Plasteschalen im Fotolabor meines Vaters.
Ich bin gefühlt die ganze Zeit dabei, den schwarz-weiß-Menschen die Grautöne des Lebens sichtbar zu machen und dem Leben bunte Pullover anzuziehen.
Ich habe mir in tiefem Schwarz „Glaube Liebe Hoffnung“ auf meine nicht schwarz-weiße Haut tätowiert, damit ich es nicht vergesse. Darunter pulsiert mein Körper in Farben.
I. Schwarztöne
Blauschwarz
Nachtschatten
Rußschwarz
Ebenholzschwarz
Lakritzschwarz
Samtschwarz
Pechschwarz
Kohlrabenschwarz
Phantomschwarz
…150 Schwarztöne finde ich bei meiner Suche
Schwarz gehört
zu den unbunten Farbtönen
schwarz heißt:
nicht das Licht reflektieren
sondern das Licht verschlucken
ohne jeden Reflex
und nichts mehr hergeben von dem Licht
wir sagen
schwarzsehen
und Schwarzbrot
schwarz sein ist eine abwertende Fremdbezeichnung
Momente von schwarzdunklem Nichtreden und Verbergen hat meine Freundin mir gestern, durch eine Studie ausgelöst, geschildert: da gab es Männer die ihr zu nahe kamen
und ich habe ihr meine schwarzen Geschichten davon erzählt
So holen wir Geschichten gemeinsam aus dem Schatten
Schwarze Stunden
sagen wir auch, hatte unsere deutsche Geschichte,
ihre dunklen Schatten und dunklen Worte kleben gerade wie alter Rumtopf an unseren Reden und ich wünschte, sie wäre wegzuwaschen
und würden sich wie Staub von den Füßen waschen lassen
aus allen Mündern und Gehirnen,
Gedanken und Hälsen
und wie ein schwarzer Rinnsal
in den Abfluss des Sagbaren zurück kehren
schwarz ist eine politische Farbe
schwarz sieht etwas aus, das verbrannt ist
Schwarz sein ist aber auch eine stolze Selbstbezeichnung
schwarz glänzen die Augen derer, die ich in der Nacht küsse
schwarz schillern Federkleider und das Fell
und elegante Damenstrümpfe
Schwarz ist die Farbe der Magie
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Und die Erde war wüst und leer,
und Finsternis lag auf der Tiefe;
und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.
Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Da schied Gott das Licht von der Finsternis
Am ersten Tag schuf Gott Himmel und Erde
die waren finster
Dann schuf Gott das Licht
und trennte es sofort von der Finsternis
schwarz und weiß
Schon einen Tag später schuf er den Himmel.
Selbst da gab es noch keine Farben
Sie entstehen erst wenn es etwas gibt,
auf das das Licht fallen könnte
und reflektieren
und es braucht ein Auge in das dieser Reflex fällt
Gott schuf Finsternis und Licht
und er trennte sie
Und später schuf er Augen
zu sehen
Augen können übrigens zwischen schwarz und weiß
500 graue Farbtöne wahrnehmen
II. Graubilder
Meine in Fotos gebannten Erinnerungen an meine Kindheit
sind bis 1989 noch in schwarz - weiß
Das heißt sie haben alles festgehalten
in den 500 Grautönen zwischen schwarz und weiß
die Zeit hat noch eine sepia dazu gelegt.
schon fast eine Farbe
Auf einem sehe ich Bettina, 6 Jahre alt
in 500 Grautönen
das aufgeschlagene Knie
und die selbst geschnittenen Haare
die großen Zehen spreizt sie bis heute auf den Fotos ab
ein wilder kleiner Kinderkörper
in einer kurzen DDR Turnhose
auf der Treppe eines Pfarrhauses
in der Mark Brandenburg
der Staub und Dreck der Abenteuerwelt
verschwimmen mit den Grautönen der Haut
Lächel mal, hat jemand gesagt
sie lächelt artig ein graues Lächeln
und zieht dabei rotzig die Schultern hoch
Ich sehe Bettina, 6 Jahre alt
ihre Welt hatte mehr als 500 Grautöne
sie weiß noch nicht, in welchen Farben
sich ihr das Leben schenken wird
und wer und was ihre Farben definieren würde
Sie denkt noch, dass ihr alle Dinge offen stehen
Sie ahnt nicht, dass es sie später einmal
hin und her werfen wird
und sie Gott Fragen stellen wird.
Bettina auf dem Bild hier dachte immer,
sie könnte alles sein und werden
egal was es sei, kunterbunt,
und das dachte sie sehr lange
Etwa bis sie 17 Jahre alt war
und sie lernte, dass man sich im Leben entscheiden müsse
Man müsse sich immer entscheiden
-man könnte nicht den ganzen Kuchen haben
Immer nur eine kleine Portion
ich sehe
Bettina, 6 Jahre, die denkt: alles könnte sie sein
Und
ehrlich
Sie hatte ja Recht!
III. wie die Farben entstehen
Ich sehe Sachen
Eine Wolke aus hunderten Staren in einer anrührenden Choreogrogafie gestern über dem Busbahnhof hinter einem Eisköniginblauen Himmel.
Ein Blau, das du Dir am liebsten auf Deine Haut legen würdest und es wäre wie warmer Schnee und das Blau erhellt Deine Sinne für Stunden.
Ich sehe die knisternden grellbunte Dinge in den Händen der Kinder, gestern im 1 € Shop, in dem ganze Familien zum exklusiven Wochenendausflug die Gänge füllen und die Mütter in gebrochenem Deutsch sagen, jedes Kind dürfe sich eine Sache für 1 € aussuchen und sie feiern es und kehren dann heim in Wohnblöcke aus grauem Beton, in denen die knisternden Dinge und sie selbst grellbunt das Licht reflektieren werden, sodass Farben entstehen.
Ich sehe die gelbe Rose, jemandem herunterfallen, in der Fußgängerunterführung im Bahnhof liegen, Menschen strömen um sie herum, niemand tritt drauf und ich bleibe stehen und beobachte, wie die zarte Rose von ihrem lichtgelb abfärbt auf manches Gesicht und entscheide sie, genau dort liegen zu lassen.
Am ersten Tag schuf Gott Himmel und Erde
die waren finster
Am ersten Tag schuf Gott das Licht
und trennte es von der Finsternis
schwarz und weiß
am zweiten Tag schuf Gott den Himmel
und dann die Dinge und dann die Augen
und dann Dich
mit schwarz und weiß
und Farben, die werden können.
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