Sonntag, 26. März 2023

VOM "Sich - hergeben"

Predigt am Sonntag Judika


Die Sonne der Gerechtigkeit soll aufgehen.

Die tote Christenheit soll er wecken,

alle sammeln, die sich verirrt haben,

Türen auftun und Licht schaffen,

Kraft geben und gleich den Mut dazu,

meine Zweifel soll er wenden und meine Verzagtheit…


So viele Wünsche an Gott:

„Gott, gehe, weck, brich, tu, schau, gib, lass, schaffe…“

- so rufen Gebete und Lieder

und eigentlich

eigentlich

ist es doch schon da!


Ein Lehrer für Gottesdienstliturgie sagte einmal zu mir: 

schreibt und sagt doch nicht immer: 

gehe, wecke, brich, tu, schaue, gib, lass, schaffe…

- als würde Gott das nicht längst tun

als wäre dein Gebet dafür nötig.


Und doch ist das das Gebet, was aus dem Herzen kommt:

Ach, Gott mach mich gesund

ach Gott, hilf doch meiner Freundin,

Gott, bitte gib mir ruhe von …


Einmal hat Gott sich etwas verrücktes ausgedacht.

Damit wir wissen, er tut das alles längst,

ist er hineingeschlüpft in Freude und Schmerz

in Haut und Haare

in Liebe und Ekel

in Fühlen und Denken und dem dazwischen

in Wonne und Leid.

Etwas Wichtiges wollte er uns stellvertretend sagen.

Mit Jesus.













Die ersten Christen erklärten das einander so:



Lesung:

"Liebe Freunde.

Ihr kennt doch unsere Hohepriester.

Die kommen aus unserer Mitte

und sind Menschen wie wir.

Sie stehen im Tempel - für uns alle - vor Gott.

Für alle unsere Fehler bringen sie Gott Gaben.

Für uns alle zusammen stellvertretend.

In Gebeten die sie sprechen,

in unseren Gaben die wir bringen und sie hingeben.

Diese Hohepriester können mit jedem und jeder, 

der/die in Not zu Gott kommt, genau mitfühlen.

Sie wissen genauso, wie alle sich fühlen, die etwas nicht wissen, 

nicht verstehen oder sich schrecklich geirrt haben.

Das wissen sie, weil sie normale Menschen sind.

Und genauso schwach und zerbrechlich sind wie wir.

Darum stehen die Hohepriester nicht nur für uns dort vorne, 

sondern auch für sich selbst

und ihre eigene Schwachheit und ihre eigenen Fehler.

Sie habe es sich nicht ausgesucht, dort zu stehen,

sie haben die Berufung dazu von Gott empfangen.


Genauso war es mit Jesus.

Er hat es sich nicht ausgesucht

für alle und vor uns allen wie ein Hohepriester 

vor Gott einzustehen. 

Er hat es sich nicht ausgesucht,  sondern Gott war es.

Gott hat ihm gesagt, er ist sein geliebter Sohn.

Und Jesus hat ganz menschlich hier in seinem Leben gebetet und zu Gott gerufen voll Hoffnung und mit schwerem Herzen, in Verzweiflung und Kummer, er hat geschrieen und geweint,

so wie fast jeder von uns schonmal. 

Er hat bittere Tränen geweint.

Echte Tränen. Aus echtem Schmerz. 

Und er hat erfahren, dass Gott ihn hört.

Gott hat ihm all das nicht erspart.

Denn im Menschenkörper leben bringt genau all das: neben Glück und Seligkeit auch Schmerz und Leid. 

Jesus hat gelernt auf Gott zu hören 

als Weg dazu, erlöst zu sein.

Am Ende ist all dies, was er als Mensch erlebt und gefühlt hat, alles, was er nicht richtig zu Ende bringen konnte, bei Gott ganz und heil geworden.

Als er gestorben war und aufgenommen bei Gott." (Übertragung von Hebräer 5)


Alles hat Jesus erlebt, auch das Weinen. 

Auch das Bitten müssen und nicht der erste zu sein.

Das war Gottes Idee. 


Noch vor meinem Studium lebte ich eine zeitlang in einem Kloster. 13 Monate lang in einem kontemplativen Frauenkloster mit Frauen, die sich einem Leben in Stille und Einfachheit und Gebet versprochen hatten. Ich war in einer Gruppe mit mehreren anderen Freiwilligen, die dort mitlebten und mitarbeiteten und auch mitbeteten natürlich. Hin und wieder sah ich manche tagelang in Tränen. „Ach“, sagten sie zu mir, „du wirst auch schon noch die Heulerei kriegen.“ Ein Teil in mir dachte „Nö. Ich doch nicht.“ Der andere Teil in mir dachte „Passiert es jetzt? Kriege ich auch die Heulerei?“ Das war ein wenig unheimlich. Und dann passierte es auch. Mehrmals, denn in einem Kloster kannst du vor nichts weglaufen. Nicht vor deiner Vergangenheit, nicht vor deinen Zweifeln und Unklarheiten, vor deiner inneren Dürftigkeit und allen Fragen in deinem Kopf. Ich erlebte ebenso wie die anderen Tage, in denen ich viel weinte, weil Dinge sich lösten und stark in mir arbeiteten. 


Ging es Jesus auch so? Ich meine - er wusste ja vorher um die Gefühle der Menschen, um lachen und weinen, um stechenden, bohrenden, brennendem, lähmenden Schmerz und Erleichterung und um Wärme und um Zittern. Er wusste in einem Teil seines göttlichen Seins, dass ihm das auch alles passieren könnte, auch das Weinen und er es nicht verhindert würde. Er würde Schmerz erleben. Das wusste er. Und dann passierte es. Er ertrug es. obwohl er vielleicht hätte ausweichen können, denken wir, obwohl er es nicht gemusst hätte, denken wir. Aber vielleicht konnte auch er nicht anders als weinen oder Schmerzen empfinden, zittern und bangen, hoffnungsrandig und grenzwankend, ausgeliefert wie jeder andere Mensch, denn sein Körper war menschlich. Er hat sich dem ausgeliefert und sich hingegeben. Sich hingegeben, so sagen wir es immer. 


Jesus hat sich hingegeben, sagen wir in der Kirche und ich habe es nie richtig verstanden, nur manchmal ein bisschen. Aber hier in dem Text verstehe ich es wieder ein bisschen. Hingeben. Sich hin geben.


Wir Menschen machen das manchmal auch:

  • eine Mutter, die Teile ihrer Lebenszeit hingibt für ihre Kinder,
  • der Mann, der geliebte Gewohnheiten hingibt für eine geliebte Person, 
  • das Kind, das etwas von seinem Platz hingibt für das Geschwisterchen
  • die Pflegerin, die etwas mit von ihrem Herzen mit hingibt, wenn sie Frau Lege wäscht und schön macht
  • der Lehrer, der von seiner Geduld hingibt, um seine Schüler:innen zu erreichen
  • die Freundin, die etwas von ihrem Glück hingibt wenn es einem schlecht geht…
  • der Jugendliche gibt sich hin für den Kampf für das Klima?
  • Der Politiker für die gute Sache?
  • einer, gibt sein Rechthaben hin, damit die Meinung des anderen auch mit da stehen kann…
  • ist das auch hingeben? 


Sich hingeben ist schon mehr als etwas geben oder abgeben, es nimmt ein Stück von mir weg. Für jemand anderen. Sich hingeben kommt gerade aber aus der Mode. Behalten ist das neue cool. Sich etwas holen auch. Seins haben. Nicht zurück stecken, keinen Schritt, keine winziges Argument. Sich steigern, mehr werden und größer. Hingeben heißt kleiner werden. 


Ich denke an Jeffreys Videos.

Jeffrey, selbst schwer traumatisierte erzählte in kleinen Filmen davon was das Trauma und alle Verletzungen genau in ihm für Mechanismen auslöst und was es ihn tun und denken lässt. Und dabei ist Jeffrey dennoch eine lebensfrohe Person. Er erklärt nicht was dagegen hilft, er hilft dagegen. Er ermutigt, er schaut einfach das Gegenüber lange liebevoll aus dem Bildschirm an, schweigend. Er ist da, er bestätigt den Zuschauerinnen, dass sie richtig sind, dass sie sein dürfen, dass sie sich nicht klein manchen brauchen, dass sie wunderbar sind und wertvoll.

Jeffrey selbst  bekommt viel Hass auf den sozialen Netzwerken und in den Medien. Sogar in Talkshows wird über ihn, der so viele verletzte Menschen in einer liebevollen Weise bestärkt, hergezogen und verächtlich geredet. Warum? Jeffrey ist nichtbinär. Jeffrey hat - und damit ist sie nicht der Einzige - feminine und maskuline Seiten zugleich, er ist ein sanfter Mensch. Sie ist so geboren. Warum Jeffrey sich all diese Wut antut, den Hass, der jeden Tag auf seiner Seite auf niederprasselt, die Beschimpfungen, die Verachtung? Ich tute es um euch zu zeigen, dir, sagt er, dir, zu dem Menschen, der sie im Bildschirm ansieht, ich tue es, damit du siehst, dass dieser Hass mich nicht kaputt macht, dass ich leben kann auch wenn andere mich hassen und ich tue es für die, die mich hassen, ihr Hass hat ein Ziel und sie müssen sich nicht selbst hassen. Jeffrey gibt sich ein bisschen hin, damit andere dadurch besser verstehen und sich verändern können. Das ist stark.


Jesus gab sich hin. Nicht nur ein bisschen.

Sondern ganz. 

Damit hat Gott sich etwas Verrücktes ausgedacht.

Damit wir wissen, er tut das alles wirklich:

  • Sonne der Gerechtigkeit aufgehen lassen
  • die tote Christenheit erwecken
  • sammeln, die sich verirrt haben,
  • Türen auftun und Licht schaffen
  • Kraft geben und gleich den Mut dazu
  • meine Zweifel wenden und meine Verzagtheit…

Damit wir wissen, er tut das alles wirklich:

ist er hineingeschlüpft in Freude und Schmerz

in Haut und Haare

in Liebe und Ekel

in Fühlen und Denken und dem dazwischen

in Wonne und Leid.

hat sich stellvertretend vor Gott gestellt

der ihn gehört hat

und erlöst

Damit Du weißt

das alles

macht Gott wirklich.

Amen. So ist es.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe.


.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...