Samstag, 24. November 2018

Predigt zum Ewigkeitssonntag 2018



Ich hab leise Bilder 
in mir.
Da sind auch leise alte Töne.
Sie liegen da in all meinen Erinnerungen.
Manchmal werden die Bilder und Töne laut.
Und dann sind sie vollkommen da.
Manche von ihnen 
sind leicht
und kitzeln mein Herz
und heben meinen Blick.
Manche von ihnen
liegen plötzlich schwer
auf dem Kreuz
und drücken meine Schultern.

Ich hab leise Bilder 
in mir.
Sie kommen hervor
auf einen winzigen Impuls.
Es ist das Muster einer Tischdecke,
ein Kleid mit großen Blumen
oder wie jemand seine Nase genau so kraus zieht.
Und ich sehe uns im gleichen Moment
am runden Tisch in der Stube sitzen.
Oma Elisabeth und mich.
Sie hat ihren Stuhl zu mir gedreht.
Ich esse etwas Kleines.
Sie schaut mich einfach nur an und schaut mich an…
und  sagt: “ iss doch, Kind“
und ihre Stimme ist ganz weich.
Sie fährt sich ruckelnd mit den Händen durch die grauen Locken, 
hört mir zu, kichert, und sagt Dinge wie:
„Ach du meine Jüte, fünf Bonbons in eine Tüte.“,
„Siehste, der Kaktus inna Wüste.“ und
„Ach du lieba Himmel!“.
Und:
sie hat Liebe im Gesicht.
Und:
 mein Herz wird jetzt gleich warm davon.

Und dann gibt es andere Bilder, 
die mich traurig machen, wenn sie laut werden in mir.
So wie das von jener Nacht, als das Telefon klingelt
und meine Freundin Elvira mit seltsamer Stille in der Stimme sagt: „Wir hatten einen Unfall. Jens (das ist ihr Mann), Jens ist tot und ich bin verletzt. Kümmere dich um alles.“ 
Dann legt sie auf. 
Und ich schmecke die Bitternis in ihrer Stimme
und höre den Klang - weit weg von ihr selbst.
Und: 
mein Herz ist jetzt gleich ganz zerknickt davon.

Bilder,
Töne, 
Sehnsucht,
Liebe und Schmerz 
in mir und dir,
die trägst du, die trage ich, die tragen wir 
mit uns,
manche federleicht,
manche viel zu schwer.
Sie wärmen dir das Herz und
sie legen manchmal bitteren Geschmack auf deine Zunge.

Schau dich um. Heute sind wir hier,
dort, wo eine neuer Himmel, die Erde berührt,
an der Grenze des Lebens mit all unserer Verletzlichkeit.
Mit der dünnsten Haut.
Mit vielen leisen Bildern von lieben Menschen in uns.
Heute ist ein Zurück-schau-Tag,
dahin, wo die alte Schwermut wohnt
- zusammen mit der leise sprießenden Dankbarkeit.

Schau dich um und halte fest,
was dich wirklich stärkt.
Schau dich um und lass los,
was dich schwerer macht.

Wenn die bitteren Bilder 
- heute oder an einem morgen, das noch kommt -
leicht werden,
dann, lass sie doch ziehen.
Wenn die harten Töne weich werden,
kannst du dein Herz viel besser hör´n
Wenn sich Milde in deinen Blick schleicht
und tastendes Vergeben,
wenn du das Lächeln wiederfindest
und sogar das wilde Kichern,
wenn deine blasse Haut aus Marzipan sich wieder rötet
und dein heimatloser Blick Frieden findet,
wenn die Bilder dich nicht  mehr lähmen,
sondern wärmen,
schlimmstenfalls dicht vorbeiziehen,
ohne neu zu verletzen,
dann berührt der neue Himmel jedesmal dich.
Mitten im Leben.

Heute sind wir hier
an der Grenze des Lebens mit all unserer Verletzlichkeit.
Mit der dünnsten Haut.
Mit vielen leisen Bildern von lieben Menschen in uns.
Heute ist ein Hoch-schau-Tag,
dahin wo der neue Himmel sein mag.
Ein Schauen,
das deinen Rücken gerader macht,
die Schultern 
von Hoffnungswolken gehoben.
Ein Schauen,
das dein Herz füllt mit Bildern vom 
leisen, bunten, meerblauen neuen Himmel
und dich leichter macht um das,
was du mit dir getragen hast.

Dieser Himmel 
der zeichnet dir Liebe ins Gesicht,
weil du alles hoffen darfst.
Weil leise Bilder vom neuen Himmel
sich dazu legen
in dich.

Wenn eines Tages, 
irgendwann mal, 
dann 
einst,
deine eigenen großen Bilder klein werden
und es für dich Zeit wird zu gehen,
wenn deine lauten Töne leise werden,
wenn es Zeit wird, aufzuerstehen.
wenn der Himmel für immer beginnt,
dann wird’s bunt und groß und laut und schön.
Und einer sagt zu dir „komm heim.“
Und:
Der hat Liebe im Gesicht. Amen.


Und der Friede Gottes, der viel schöner ist, als all unsere Vernunft es sich vorstellen kann, kehre ein in unsere Herzen. Amen.

... und jetzt unbedingt auf YouTube gehen und das Lied "Leise Bilder" von Christina Lux anhören......

Samstag, 10. November 2018

Predigt zur Friedensdekade 2018



Heute 
ist er nur noch ein Krieg auf dem Papier.
Ein Krieg in Schulbüchern
und alten Bildbänden.
Er gilt als neuartiger, moderner Krieg.
70 Mio. Soldaten kämpften 
auf allen Kontinenten der Erde. 
Er brachte innerhalb kürzester Zeit Zerstörungen, 
die nie zuvor jemand so gesehen hatte. 
Er brachte Hunger und Vertreibung. 
17 Millionen Tote.
20 Mio. Verletzte.
Würde man nur für jedes der Todesopfer
jeweils eine Minute schweigen, 
wären das 32 Jahre Stille. ……
17 Millionen Tote 
20 Mio. Verletzte.
Das sind 37 Millionen Familien.
Niemand zählte die Traumatisierten, 
Schockierten,
Verzweifelten,
Verlorenen,
Waisen,
Witwen,
Zerbrochenen.
Für uns ist er nur noch ein Krieg 
auf dem Papier.
Vor 100 Jahren 
- heute -
war er zu Ende.

Aber stell dir nur eine Sekunde vor,
mehr braucht es nicht,
nur diese eine Sekunde vor, 
die hier neben dir, 
die in deinem Haus,
die, die dir lieb sind,
hätte er mitgenommen.
Der Krieg. 
Und heute, wo er zu Ende ging.
Kämen sie nicht wieder.
Nie. Nie.
Welche Leere wäre das.
Welcher Schmerz! 
Dieser Schmerz war es in 37 Millionen Familien.
Krieg ist nicht nur ein Wort.
Krieg ist Erlittenes
unserer Groß- und Großgroßeltern.
Krieg ist nicht nur ein Wort.
Krieg ist Geschichte unserer Familien.
Unsere persönliche Geschichte.
Krieg ist nicht nur ein Wort.
Krieg hat Bilder, Geräusche, Ängste, Auswirkungen.

Und:
Krieg ist niemals 
im Sinne Gottes.
Jesus hatte was dagegen.
Jesus hatte was gegen Schwerter.
Jesus hatte was gegen Gewalt.
Und warum?
„Wer zum Schwert greift,
wird durch das Schwert umkommen.“

Denn, sagt M.L.King:
„Die (…) Schwäche der Gewalt ist, 
dass sie eine nach unten führende Spirale ist, 
die genau das befruchtet, 
was sie versucht zu zerstören. 
Statt das Übel zu verringern, vervielfacht sie es. 
Durch Gewalt magst du den Lügner ermorden, 
aber du kannst nicht die Lüge ermorden, 
noch die Wahrheit etablieren. 
Durch Gewalt magst du die Hassenden ermorden,
 aber du kannst nicht den Hass ermorden. 
Tatsächlich vergrößert Gewalt nur den Hass.
Gewalt mit Gewalt zu vergelten, multipliziert die Gewalt, 
fügt noch größere Dunkelheit einer Nacht hinzu, 
die schon keine Sterne mehr kennt. 
Dunkelheit kann nicht Dunkelheit vertreiben; 
nur Licht kann dies tun. 
Hass kann nicht den Hass vertreiben; nur Liebe kann dies.“
(Martin Luther King Jr.: Nur Liebe vertreibt Hass)

Und darum, hört!
Liebe ist nicht nur ein Wort.
Liebe ist Entscheidung.
Liebe kannst du sehen.
Liebe kannst du lernen.
Liebe kannst du entscheiden.
Aus Liebe lässt man Gewehre liegen.
Aus Liebe lässt man es gut sein.
Liebe wäre in deinem Tun. 
Was du sagst. Wen du aufhältst.
Wogegen du aufstehst und dagegen hältst. 
Wenn du das Leben verteidigst.
…. ist Liebe nicht mehr nur ein Wort.

Und auch Hass.
Hass.
Ist nicht nur ein Wort.
Hass kann herein wehen wie der Zugwind unter der Tür.
Hass kann eine Seele zerbrechen, wie der Sturm einen Ast.
Hass kann Brände entzünden, die kein Mensch löschen kann.
Hass kannst du sehen.
Hass kannst du lernen.
Hass lebt vom Mitmachen.
Für oder gegen Hass kannst du dich entscheiden.
Hass kann nicht besiegt werden durch Waffen oder Gewalt.
Du weißt es -
nur durch Licht:
Wenn du barmherzig wirst.
Gerecht. Gnädig.
Wenn du Hoffnung streust.
Aus Liebe. 
Denn Liebe
ist nicht nur ein Wort.
Vor 100 Jahren
da endete auch die Zeit der still gewordenen Kirchen.
Vor 100 Jahren läuteten endlich die Glocken wieder.
Die man einschmelzen ließ 
für Waffen und Granaten.
Vor 100 Jahren beschlossen die Menschen
neue Glocken gießen.
Viele wurden dem Frieden geweiht.
Aber es wurden keine 100 Jahre Frieden.
Es kamen noch 80 Millionen Opfer hinzu. 
Nicht sehr viel später.
Würde man für alle diese Opfer eine Schweigeminute……….

Und auch jetzt.
 Jetzt in diesem Moment
bangen
Menschen in Luftschutzbunkern.
Genau jetzt gerade.
Oder sie rennen gerade. 
Um das Leben.

In
Syrien,
Afghanistan,
Irak,
Mexiko,
Nigeria,
Phillippinen,
Jemen,
Somalia,
Ukraine,
Pakistan, 
Südsudan,
oder im Kongo.

Heute 
wachsen neue Kriege auf dem Papier
in Schulbüchern und Computerprogrammen.
Sie gelten als neuartige, moderne Kriege.
Sie werden innerhalb kürzester Zeit Zerstörungen bringen, 
die nie zuvor jemand so gesehen hatte. 
Sie werden Hunger und Vertreibung bringen. 
Ferngesteuerte Waffen werden geplant.
Dafür geben wir Geld aus.
44,3 Mrd US Dollar waren es im letzten Jahr 
in deinem und meinem Land. Hier!
Wir liegen damit weltweit auf Platz 7
von fast 200 Nationen.
Krieg ist nicht nur ein Wort.
Krieg hat Bilder, Geräusche, Ängste, Auswirkungen.
Krieg hat ein Jetzt.

Und ganz sicher:
Krieg ist niemals 
im Sinne Gottes.

Liebe ist im Sinne Gottes.
Und sie ist mehr als ein Wort.
Freiheit ist im Sinne Gottes.
Freiheit ist nicht einfach nur ein Wort.
Freiheit gibt es nicht,
nur für mich allein,
Freiheit endet,
wo der anderen neben dir anfängt.
In Krieg und Gewalt ist keine Freiheit.
Und: Hoffnung ist im Sinne Gottes.
Sie ist das allererstaunlichste.
Hoffnung ist penetrant,
irrational, unlogisch, verwegen.

Die Hoffnung sagt:

Was keiner wagt, das sollst du wagen
Was keiner sagt, das sag heraus
Was keiner denkt, das wag zu denken
Was keiner anfängt, das führ aus.
Wenn keiner ja sagt, sollst du’s sagen
wenn keiner nein sagt, sag doch nein
Wenn alle zweifeln, wag zu glauben
wenn alle mittun, steh allein.
Wo alle loben, hab Bedenken
Wo alle spotten, spotte nicht
Wo alle geizen, wag zu schenken
Wo alles dunkel ist, mach Licht. (nach L.Zenetti)

….

Das Licht...
Nimm es 
aus dir.
Gott gibt es dir
jeden Tag. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, 
der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...