Donnerstag, 25. November 2021

barmherzigsein oder...

zuhören


Ich bin außer mir

sagt sie

Ich bin richtig außer mir 

nickt er


Da draußen

(außer sich)

ist nicht als

Wut und Enttäuschung

Hilflosigkeit und Bitternis


Wie waren sie da hingeraten

außer sich?


Als einer im Elend rief, hörte der HERR 

liest sie.


In der Wut zu stehen

ist wie mit nackten Füßen auf dem gefrorenen See

die Enttäuschung ist wie bittere Galle auf der Zunge

die Hilflosigkeit wie das Weinen als Kind

die Bitternis wie Dunkelheit ohne Decke 

zum Verkriechen



Als einer im Elend rief, hörte der HERR 

liest er.



Die Wut hat Krallen

sie hinterlässt Schrammen

Die Enttäuschung ist schwer

sie macht die Arme müde

die Hilflosigkeit zerrt an den Füßen

sie will am Boden ziehen

die Bitternis verhängt die Augen

dahinter ist es grau



Als einer im Elend rief, hörte der HERR.


Und eine 

war barmherzig

und hörte

wartete einfach mit

wertete nicht


Und es war 

als hörte

der Herr





Samstag, 20. November 2021

Löffelfrage.....

    Predigt am Ewigkeitssonntag 

„Ach, hätte ich doch nur ein Baumhaus gebaut – ich wüsste genau, wie es ausgesehen hätte. … Warum bin ich nie auf einen Berg gestiegen und hab dann einfach meinen Mund gehalten? Oder … eine Nacht ohne Zelt am Strand, knallrote Stöckelschuhe, ein eigenes kleines Café irgendwo mit Ausblick, New York City Marathon in unter 4 Stunden… (einen roten Porsche… die Reise nach Afrika…) Hätte ich doch nur!“ Manchmal hört man solche Sätze, voller Bedauern. Doch wie wäre es, wenn wir genau jetzt an das süße Leben glauben, statt auf die Bitterkeit zu warten? Kurz vor Ewigkeitssonntag haben Kolleginnen und Kollegen in Hamburg Menschen auf der Straße gefragt: Was willst Du unbedingt noch machen, bevor Du stirbst? Was willst Du bewegen in Deinem Leben? Was soll nicht spurlos an Dir vorbeigehen? (Text z.t. Popup Kirche) 
Viele der befragten Menschen waren irritiert. Viele waren befremdet. „Moment, ans Sterben denke ich doch noch gar nicht.“ und „Ich will doch noch gar nicht sterben…“ Manche haben sich sehr gestört gefühlt. Einige fanden die Frage geschmacklos. Und der ein oder andere wurde sehr traurig, weil er oder sie gerade jemanden verloren hatte.
Ein Kind sagte: „Einmal fliegen können.“
Andere sagten „Ein Leben in Sorglosigkeit und Freiheit. Irgendwo im Süden. In einem kleinen Loft mit Blick über die Stadt.“ Ich vermute, dass die befragten Menschen anders weiter in ihren Tag gingen als bis zu dieser Frage. Ob sie sich sonst je diese Frage gestellt hätten?
„Tja“, sagte ein Mann auf der Krebsstation vor vier Tagen zu mir, „man sollte nichts aufschieben. Man muss gleich leben!“ Der Krebs hat ihn direkt getroffen, als er in den Ruhestand ging. Er hatte sich darauf gefreut. Seit Jahren. Er hatte schon so viele Idee. Wie unfair kann das bitteschön denn sein, dass man sich abrackert und dann kann man den Schluss gar nicht genießen? „Ich hätte es anders machen sollen.“, bekennt der Mann. Er hätte offensichtlich viele Antworten auf die Frage gehabt, was er noch so vorhätte im Leben. 
Wenn Dich jemand fragen würde: Was würdest du sofort in deinem Leben ändern, wenn Du könntest? 
Was würdest Du auf jeden Fall gerne noch in Deinem Leben erleben? Fällt DIR etwas ein? (….Stille)
Was willst du leben und erleben, bevor du stirbst. - Das ist eigentlich eine freche Frage. Eine unerhörte Frage. Mich erinnert jemand daran, dass ich sterben muss. Und ich jetzt, hier gerade, mache es auch mit Dir. Spreche diese Frage vor Dir aus. 
Tatsächlich ist das typisch biblisch. Die Bibel ist an vielen Stellen bei diesem Thema weder heimelig kuschlig noch seicht plätschernd. Sie ist klar, fast hart. Aus ihr spricht die Härte, die Bitternis von Menschen, die Geschichten erlebt haben, die sie zum Nachdenken gebracht haben. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben auf dass wir klug werden.“ schreibt jemand in einem Lied, das wir als Psalm 90 kennen. Das ist eigentlich nicht als Gemeinheit gemeint. Es ist so eine Art heilige Unterbrechung. Oder sogar eine heilsame Unterbrechung. So wie dieser Sonntag mit seinem Thema - dem Gedenken der Toten. 
Eine heilsame Unterbrechung ist er, weil er nicht nur daran erinnert, dass es Sterben und Tod gib, auch für Dich. Sondern auch noch eine ganzen Horizont dazu eröffnet, für Dich. Als andere Seite des Todes: Die Seite der Ewigkeit. Mit großen Bilder hat der Prophet Jesaja sie sich vorgestellt: Das Unerledigte sei dann erledigt. Das Unausgesprochene ist dann ausgesprochen. Das Unpassende passt zusammen und der Unfriede ist gelöst. Eine riesige starke Hoffnung. Wir teilen diese Hoffnung mit den Menschen vor 2000 Jahren. Und im Moment könnten wir sehr viele Bilder dazu stellen - was wir uns alles jetzt gerade in diesen Tagen in einer neuen Erde unter einem neuen Himmel anderes wünschen würden. 
Dass es diesen Himmel in unserem Denken und in unserer Seele gibt - macht, dass unsere Gedanken Weite bekommen. Sie wagen Dinge zu hoffen, die ganz unreal erscheinen, aber in Gott möglich sind. Dieser Himmel nimmt unserem Tun und Leben die Atemlosigkeit und Enge, bindet uns mit zarten Seidenschnüren in diesen HimmelsRaum Gottes und macht uns frei. Frei auch so eine Frage zu hören: Was willst du tun, bevor du stirbst? Denn nichts kann uns trennen von Gott. Auch das sagt die Bibel. Weil es Menschen erfahren und geglaubt haben. Es gilt Dir, weil Du es in Deinem Leben erfahren kannst: Nichts kann Dich trennen von Gott. Nicht Deine Ängste. Nicht Deine Unperfektheit. Nicht Dein Zweifel. 
Lass Dich heilsam unterbrechen. Öffne kurz die Tür bei Dir innen - damit Gott einen Funken Ewigkeit in Dein Herz schicken kann - zu Deinen Seufzern und in Dein Verzagen und zartes Hoffen. Und ob Du dann Dein Leben änderst oder nicht… Gottes Siegel ist auf Deinem Herzen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.



Samstag, 13. November 2021

... du fängst an mit Frieden....

Friedenspredigt 

am Volkstrauertag 2021


Lesung aus dem Römerbrief im Neuen Testament: 

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.

 Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 

Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 

Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; 

denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): 

»Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« 

Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; 

dürstet ihn, so gib ihm zu trinken.

Wenn du das tust, 

so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). 

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, 

sondern überwinde das Böse mit Gutem.























Predigt:

Es ist Krieg.

Viele Kriege gibt es weltweit.

Es ist Krieg vielerorten.

Es gibt aber auch einen Krieg unter uns.

Einen Krieg um die Wahrheit.

Er wird mit schweren Waffen geführt.

Mit Täuschung und Überlegenheit.

Mit Falschnachrichten 

und Leugnung bisheriger gemeinsamer Grundannahmen. 

Jeder hat plötzlich eine andere Wahrheit.

Ich glaube dir nicht mehr.

Dem Lehrer. Dem Arzt. Der Wissenschaft. Der Politikerin.

Der Journalistin. Der Statistik. Den Ergebnissen.

Wer glaubt noch wem?

Und wenn niemand mehr niemandem glaubt, was dann?

Es ist ein Wahrheitskrieg.

Ein Recht-haben-wollen-Krieg.

Ein Verantwortung-wegschieben-Krieg.

Ein sich-gegenseitig-beschuldigen-Krieg.

Ihr wollt uns entzweien! Sagen welche.

Aber wenn wir alle uns nicht entzweien lassen?

Wenn wir einfach nicht mitmachen würden

beim Misstrauen. Beim Verurteilen? Beim Spalten?

Die Bibel ist an dieser Stelle glasklar.

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.

Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Gegenüber jedermann.

Rächt euch nicht.

Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; 

dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. 

Wenn du das tust, 

so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.

Feurige Kohlen der Liebe.

Der Barmherzigkeit.

Des Trotzes, sich nicht entzweien zu lassen, 

nicht zu spalten und zu trennen.

Denn: überwinde das Böse mit Gutem.


Ich weiß.

Manche haben einfach keine Geduld mehr.

Manche sind müde von diesem Krieg.

Wütend. Verletzt.

Manche wollen aufgeben.

Aber was ist die Alternative?


Es geht nur eines:

die Hände ausbreiten. Gott um Kraft bitten.


Denn der Weg zum Friede ist Friede.

Das Böse überwindest du nur mit Gutem.


Bleibe freundlich.

Lass dich nicht hinreißen zu Hass.

Wandle deine Wut kreativ um. 

Gib deine Rachegedanken in Gottes Hände.

Segne Dein Gegenüber.


Denn: „Keiner kann allein Segen sich bewahren. 

Segen kann gedeihn, wo wir alles teilen,

schlimmen Schaden heilen, lieben und verzeihn.“


Frieden ist nicht irgendwo.

Frieden fängt immer bei dir an.

Bei dir selbst.

In deinem Weigern, Krieg zu führen.

In deine Ablehnung von Hass.

Vielleicht war das nie schwerer in Deinem Leben als jetzt.


Gott,

Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden, 

wie du ihn versprichst uns zum wohl auf Erden. 

Hilf, dass wir ihn tun, wo wir ihn erspähen 

- die mit Tränen säen, werden in ihm ruhn.

Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen.







Gebet:


Lasst uns beten, weil er hört.



Gott, Du Gemeinschaft -Stiftender.

Du bist uns manchmal rätselhaft.

Und dann wieder so nahe.


Ich sehe Bilder voller Gewalt,

höre die anonyme Zahlen von Opfern.

Das macht mich so ohnmächtig.

Oft macht es mich auch wütend.

Ich verstehe diese sinnlose Gewalt nicht.


Stille


Ach, brich doch mit Deinem Reich in die Herzen, 

dass wir Gewalt lassen können. 


„Schalom chaverim…“


Ich höre Worte voller Hass und Gleichgültigkeit,

hier zwischen uns in unseren Familien und Dörfern,

auf der Arbeit, in der Schule.

Ich sehe Menschen, die sich entzweien 

und voneinander entfernen.

Das reißt Wunden in unseren Herzen.

Wunden zwischen uns.

Das tut weh.


Stille


Ach, bricht doch mit Deinem Reich in die Herzen,

dass wir barmherzig sein können.


„Schalom chaverim…“


Manche haben keine Wort mehr füreinander.

Manche zeigen keine Regungen mehr.

So viele verschlossene Menschen.

Sie haben viel Unfriede erlebt haben.

So viele Menschen, die nicht verzeihen können.

Sie können nicht aufeinander zugehen.

Das macht einsam.

Das fühlt sich kälter an.


Stille


Ach, lass uns beginnen, Gott, Friedensmächtige!

Fange bei uns an mit deinem Reich,

In unseren Herzen und Sinnen.

In unserem Leben.


„Schalom chaverim…“


Vaterunser…


Segen:

Geht, die ihr glauben könnt,

und tragt den Glauben in die Welt!


Geht, ihre Geretteten

und tragt die Hoffnung in die Welt!


Geht, ihr Erwärmten,

tragt dien Wärme in die Welt!


Geht hin, ihr Fröhlichen,

tragt eure Freude in die Welt!


Geht, ihr Geliebten,

tragt die Liebe in die Welt!


Geht, ihr Erleuchteten 

und tragt das Licht in unsre Welt! 


Geht, ihr Gesegneten,

tragt Gottes Segen in die Welt!


(Wilma Klevinghaus)


Dienstag, 9. November 2021

Handschuh-Segen


 


CORONASTATION XXI

Bettdeckenstill und bedrückend ist es in dem Krankenzimmer der Coronastation, als ich es betrete. Die Sauerstoffanlage blubbert. Sie sitzt bewegungslos in einem Pflegestuhl vor ihrem Teller. Langsam schaut sie auf. Ich bewege mich wie eine pummelige Astronautin durch eine lebensfeindlichen Atmosphäre. Durch Schutzanzug und Plastevisir gebe ich ihr Zeichen, spreche sie mehrfach an. Langsam fangen ihre Augen an zu leuchten. „Frau Pfarrer! Ach, Frau Pfarrer.“ Sie versucht ein Lächeln, das ihr nicht glückt. Ihr Atem pfeift. Sie muss husten. Die Dame nebenan im Bett liegt seitlich abgewandt. Vor sich das Essen. Immer mal kommt ihr linker Arm empor und knipst mit dem Löffel ein winziges Stückchen Essen ab und beförderte es nach unten, ins Bett, in ihren Mund. Zu schwach zum Sitzen. Der liebenswürdigen Dame vor mir halte ich den Trinkbecher hin. Dankbar nimmt sie ihn. Wir kennen uns schon einige Jahre. Ihren Mann haben wir zusammen begraben. „Es geht ihnen nicht gut…“ Sie schüttle leise den Kopf. Ein wenig erzählen wir. Das Sprechen macht ihr Mühe, sie hat nicht genug Luft dafür. Und, nein, essen will sie nichts mehr. „Aber wir wollen jetzt beten“, sagt sie. Über Kartoffelbrei und Quarkspeise falten sich ihre kleinen alten Hände mit einem Rest an Nagellack auf den Nägeln. Sie nickt mir zu. Sie will keinen Schnickschnack. Das kenn ich schon. Ohne Umschweife beginnen wir das Vaterunser zu beten. Kräftig kommen die Worte aus ihrem Mund. Neben an plötzlich stimmt die seitlich liegende Dame mit ein. Stark und gewiss beten wir gegen die Bedrückung an. Zum Segnen lege ich meine blauen Gummihandschuhände warm auf ihre Schultern. „Gott segne dich und er verlässt dich nicht!“, sage ich und schauen sie an. Sie nickt. „Darf ich Sie auch segnen?“, frage ich die andere Dame. Sie nickt und schließt die Augen dabei. Als ich auf ihr Namensschild sehe, lese ich, dass beide alte Damen den gleichen Vornamen haben. Als ich es ihnen sage, brechen sie in Lachen aus. „Das ist ein gutes Zeichen!“, sage ich und dass die Sonne gerade durch das Fenster scheint und alles hell macht, das ist auch ein gutes Zeichen, das glauben wir drei in dem Moment ganz gewiss.

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...