Dienstag, 9. November 2021

Handschuh-Segen


 


CORONASTATION XXI

Bettdeckenstill und bedrückend ist es in dem Krankenzimmer der Coronastation, als ich es betrete. Die Sauerstoffanlage blubbert. Sie sitzt bewegungslos in einem Pflegestuhl vor ihrem Teller. Langsam schaut sie auf. Ich bewege mich wie eine pummelige Astronautin durch eine lebensfeindlichen Atmosphäre. Durch Schutzanzug und Plastevisir gebe ich ihr Zeichen, spreche sie mehrfach an. Langsam fangen ihre Augen an zu leuchten. „Frau Pfarrer! Ach, Frau Pfarrer.“ Sie versucht ein Lächeln, das ihr nicht glückt. Ihr Atem pfeift. Sie muss husten. Die Dame nebenan im Bett liegt seitlich abgewandt. Vor sich das Essen. Immer mal kommt ihr linker Arm empor und knipst mit dem Löffel ein winziges Stückchen Essen ab und beförderte es nach unten, ins Bett, in ihren Mund. Zu schwach zum Sitzen. Der liebenswürdigen Dame vor mir halte ich den Trinkbecher hin. Dankbar nimmt sie ihn. Wir kennen uns schon einige Jahre. Ihren Mann haben wir zusammen begraben. „Es geht ihnen nicht gut…“ Sie schüttle leise den Kopf. Ein wenig erzählen wir. Das Sprechen macht ihr Mühe, sie hat nicht genug Luft dafür. Und, nein, essen will sie nichts mehr. „Aber wir wollen jetzt beten“, sagt sie. Über Kartoffelbrei und Quarkspeise falten sich ihre kleinen alten Hände mit einem Rest an Nagellack auf den Nägeln. Sie nickt mir zu. Sie will keinen Schnickschnack. Das kenn ich schon. Ohne Umschweife beginnen wir das Vaterunser zu beten. Kräftig kommen die Worte aus ihrem Mund. Neben an plötzlich stimmt die seitlich liegende Dame mit ein. Stark und gewiss beten wir gegen die Bedrückung an. Zum Segnen lege ich meine blauen Gummihandschuhände warm auf ihre Schultern. „Gott segne dich und er verlässt dich nicht!“, sage ich und schauen sie an. Sie nickt. „Darf ich Sie auch segnen?“, frage ich die andere Dame. Sie nickt und schließt die Augen dabei. Als ich auf ihr Namensschild sehe, lese ich, dass beide alte Damen den gleichen Vornamen haben. Als ich es ihnen sage, brechen sie in Lachen aus. „Das ist ein gutes Zeichen!“, sage ich und dass die Sonne gerade durch das Fenster scheint und alles hell macht, das ist auch ein gutes Zeichen, das glauben wir drei in dem Moment ganz gewiss.

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