Predigt zum Reformationstag 2024
(Röm 3, 21-28)
Sie tragen Bärte und Kapuzenpulli. Sie sprechen mit tiefer Stimme, drehen sich Zigaretten und parken ihr Auto in Deinem Hof. Sie trinken Hafermilch im Kaffee und grillen gerne. Sie sind eines Tages da, sitzen an Deinem Küchentisch, benutzen Dein Bad und schaukeln auf Deiner Hollywoodschaukel… Schwiegersöhne. Vermutlich sind einige im Raum auch von dieser Invasion in der eigenen Wohnung betroffen oder erinnern sich daran, wie es war, selbst Schwiegertochter oder Schwiegersohn zum werden.
Ehrlich gesagt, hatten ich das nicht so ganz auf dem Schirm, als ich mit meinen kleinen Töchtern damals im Sandkasten saß und durch Tierparks schlenderte, sie auf Schaukeln hob und Wärmekissen für ihren kleinen Bäuche machte. Und irgendwie eines Tages, ohne Vorankündigung hatte unsere Familie plötzlich Zuwachs und mir wurde klar, dass da plötzlich Menschen dazu gehören würden, die ich nicht selbst ausgesucht hätte. Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich das auch nicht ändern könnte, sondern, dass ich sie nur mit ganzem Herzen als Teil der Familie annehmen und mich auf die Entscheidung meiner Kinder verlassen müsste. Sie, denen sie ihr Herz geschenkt hatten, dürften gute Menschen sein und meiner Liebe ohne Bedingung würdig. Sie müssten sie nicht verdienen mit etwas, dafür etwas vorzeigen oder erarbeiten. Vielleicht müsste das Vertrauen zwischen uns wachsen. Aber grundsätzlich wäre das nichts was ich wählen könnte.
Ich weiß, mein Bild hat seine Grenzen, denn nicht alle Schwiegerverhältnisse kommen gut miteinander aus.
Umso stärker ist es, dass Gott es tut, denke ich immer. Umso stärker ist es, dass Gott es tut. Unsere menschlichen Versuche sind oft unbeholfen und ungenügend und sehr verbesserungswürdig ist das, was wir mit unseren kleinen Herzen so schaffen. Wir sind da eher wählerisch bei unseren Mitmenschen. Und schon gar nicht bedingungslos. Was sollte Gott da sagen, der Völker und Völker, (Heerscharen von Schwiegersöhnen und - töchtern sozusagen) Menschen aller Ausprägung täglich in seine Familie und sein Herz aufnehmen muss… und es tut.
Wir feiern diesen Tag hier heute, weil Gott das Lieben und Schätzen, das Dich-Sehen und Dich-nehmen-wie-Du-bist nicht nur viel besser hinbekommt, als wir, sondern weil dies sein Programm ist, das er in die Welt gebracht hat. Alles, was lebt, gehört zu ihm. Nicht Du kannst es machen, dass Gott Dich mag, das macht Gott von sich aus. Hat er längst getan. Und dazu musst Du nicht auf eine bestimmte Weise so oder so sein. Und: Du kannst es nicht verlieren. Ein Gott der verbindet, weil wir es nicht so gut können und der diesen Maßstab in die Welt setzt - also seine Liebe - und seine Zusage für jeden und jede. Das ist eine Art Lebenshalt-Idee, die ganze Menschengruppen und Völker, die Kleinsten und die Größten im Leben halten und prägen kann. Das ist eine ganz tiefe Friedenssaat, ein Weltformat, eine Überlebensstrategie. Auch wenn es scheinbar im Moment in dieser Welt und in unserem Land einwenig Federn lässt, aber das macht es nicht falsch.
Schon die allerersten Texte der Bibel erzählen von so einem Gott. Der erste der diese Erkenntnis genauso aufschrieb, war Paulus. Für ihn und seine ersten Gemeinden stellte sich die Frage - wie bei einer Familie - wer gehört denn dazu? Wer darf denn mitmachen? Wer darf dabei sein? Er hatte in seinen Gemeinden die Menschen, die schon immer dem jüdischen Glauben gefolgt sind, die schon vorher zu Gott gebetet hatten, die Bewahrer der alten Psalmen und Geschichten über Gott. Die gehörten eben schon immer dazu. Und er hatte die Neuen. Aus aller Herren Länder. Aus allen Religionen oder Philosophien. Aus allen Gesellschaftsschichten. Die fühlten sich von dem, was Jesus gesagt und getan hatte einfach angesprochen, innerlich hingezogen. Nun waren die auch da. Alle diese andern - in den neuen Gemeinden. Mussten die jetzt außer der Taufe noch was dafür tun? Gott erstmal überzeugen? Mit welchem Recht durften die einfach auch an diesen Gott glauben?
Wenn ich Jesus richtig verstanden habe, sagt Paulus, dann ist es Gott, der in Deinem Glauben und Deinem Leben zu Dir in Kontakt kommt und etwas mit Dir macht. Wo Du herkommst und was Du vorher gemacht hast, was Du auf der Kante hast und was Deine gesellschaftliche Position ist, Mann, Frau - egal. Für Gott - egal. „Die Gemeinde“ sind die, die Jesus nachfolgen und an Gott und seine Geistkraft glauben. Punkt. Das ist das Band, das uns verbindet - wie eine Familie ihre gemeinsam Herkunft - dass Gott zwischen uns keinen Unterschied macht.
Lange hat die Kirche diese Worte dann komplett verkehrt herum missverstanden. Menschen wurden klein gemacht und bedrückt. Sie wurden schier atemlos, weil sie sich Gottes Liebe verdienen sollten, sagte die Kirche. Oder dafür zahlen. Ein unerreichbares Ziel. Aber was ist das für ein Gott, der so böse ist, dass er mich nur liebt, wenn ich zahle, diene, buckele. Martin Luther hat darüber geweint. Er wollte diesen Gott, von dem er in der Bibel las, er brauchte ihn, er war das einzig verlässliche ein einer Welt voller Kriege und eines harten Lebens. Und er kam nicht zu ihm. Und andere schon gar nicht.
Der Moment muss so stark gewesen sein, als es in seinem Kopf die Erkenntnis gab, dass sie das alle falsch verstanden hatten und andere hatten mit Gott Geschäfte gemacht. Gott gibt es umsonst. Weil Gott es will. Weil er Dich will, weil er dich stärken und halten will. Bevor du gut bist oder cool oder nützlich oder erfolgreich. Für viele Menschen wurde dieser Gott einer, der ihr Herz frei machen konnte von Schwere und sie mutig werden ließ in schweren Situationen. Allein aus dem Glauben konnte das geschehen. Und dieser Vers wurde seitdem für Menschen zu einer Tür zu einem ganz persönlichen Glauben und zu einem Spruch der Freiheit. Und es bekam eine solche Kraft, weil es in der Bibel stand, die als Autorität von den Menschen akzeptiert war.
Ob und wenn ja welche Konsequenzen das für unser Leben hat, darüber haben Menschen gerungen und das tun wir bis heute. Manchmal tun wir so, als ob das alles eine Frage der Auslegung sei. Im Detail ist das möglicherweise so, aber nicht im Grundsatz. Alleine hier in unserem Predigttext steht 8 x das Wort gerecht oder Gerechtigkeit. Die alten jüdischen Rabbinen haben gesagt, die Welt stünde auf einer einzigen Säule und das sei die Gerechtigkeit. Als tiefe Friedenssaat, Weltformat und Überlebensstrategie. Ich wünsche mir, dass dieser Bibeltext, der die Reformation mit entzündet hat, uns entzünden mag und uns genügend Reserven gibt, Gerechtigkeitslichter zu sein in unserem Umfeld. Da, wo wir leben und arbeiten. Das wäre ganz nach Gottes Geschmack.
Gestern Abend bin ich im Dunkeln auf der Autobahn unter einer Brücke durchgefahren. Von weitem dachte ich, auf der Brücke wäre vielleicht ein Unfall passiert. Ich sah Menschen, Lichter, flatternde Bänder. Im Näherkommen sah ich große Transparente, auf den das Wort „Frieden“ stand und Menschen mit wehenden Friedensfahnen im Licht ihrer Fahrzeuge. Sie winkten von der Brücke hinab den Hunderten auf dem Weg nach Hause mitten am Abend, in der Rushhour des Tages, mitten im Verkehrs- und Lebensgetümmel. Und ich dachte: Ja! So! So Christen sein. Dass andere auch im Durchflug durch ihren Alltag erinnert werden an das, was gut ist für unser Leben und zusammenleben. Wie Leute wären wir - mit bunten Fahnen im Dunkeln. Vielleicht klingt das ein wenig pathetisch. Aber vom Herzen her glaube ich das: dass dieses Wort Gottes nochmal neu zum Festhalten in wilden Zeiten wird. Wir haben Worte, die zusammenhalten und Kräfte, die heilsam und verbindend sind. Wir haben Worte, die Leben verändern.
Wir haben! Lebenshalt, Friedenssaat, Weltformat, Überlebensstrategie.
Was für eine wilde Phantasie, diesen Glauben sichtbar zu leben! Amen!
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft,
der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß
und stärke unsre Liebe. Amen.
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