Predigt im 600. Festjahr des Stendaler Domsüber das Motiv des zentralen Christusfensters
Ganz in der Mitte
ist: die Passion.
Und zwar ganz ganz in der Mitte.
In der Mitte der Mitte der Mitte.
Mitte der Kirche,
Mitte des Chorraumes,
des Fenster-Reigens,
des Mittel-Fensters,
Mitte von oben und unten.
Da in der Mitte
schau genau hin,
da scheint sich
irgendwie
der Raum auszudehnen
aufzulösen
scheint
für einen Moment
die Zeit stehen zu bleiben
Denn Drumherum
tobt das Leben
in diesen durchsichtigen Kunstwerken
voll Licht und Farbe und Linien.
Um das Kreuz in der Mitte
ist ein dunkler Fleck.
Als wenn kurz
das Herz aussetzt.
Vielleicht tat es das sogar
ganz kurz ....
....Gottes Herz.
Aussetzen …
für eine Weltsekunde.
Am Holz allen Leides der Welt.
Die Passion so heißt es,
war vielleicht
im Mittelpunkt der Erschaffer
dieser Fensterkaskade.
Ganz vorne im Zentrum: Jesus
und sein Weg des Leidens,
sein Weg zur Passion,
Schlüssel und Grundidee
für alles zusammen,
so heißt es.
Was ich sehe,
ist ehrlich gesagt die
Verwandlung des Leidens.
Was ich sehe ist
die Wolke der starken und schwachen
Zeuginnen und Zeugen,
durch die Fenster hindurch
bis zu uns in den Bänken,
die millionenfach, Leben für Leben
Ausdruck sind von einer Lichtbewegung
die mit einem Stern und
einem Engel begann.
Und in der Mitte im Mittelfenster
hält die Kamera an - in ein Zeitlupentempo,
zoomt das Bild einiger weniger Tage heran.
In Großformat.
Wie mit einer Lupe gesehen,
als würde man mit dem Mikroskop
den Zellen und dem Ursprung des Lebens
auf der Spur sein,
ist hier ein Geschehen
um ein Loch,
einen dunklen Fleck im Licht der Welt im Fokus.
Die Texte des heutigen Sonntag
verknüpfen sich auf eine wundersame Weise damit.
Sie verknüpfen sich mit den dunklen Flecken
in unserem Lebensalltag.
Sie fragen heute in den Lesungen,
was Menschen in ihren
innersten intimen Gedanken bewegt.
Das Ringen mit sich selbst,
das Fehler machen und sich selbst im Weg stehen,
das nicht über den Schatten springen können,
das Tun, was man eigentlich nicht will.
Das Aussprechen von Sätzen,
die man hinterher bereut, aber auch das nicht sagen kann.
Die Frage, wie man wieder gut wird miteinander,
wie man die zugefallenen Türen wieder aufbekommt,
wo Streit ist wegen irgendeinem Mist,
wo man sich entzweit
und es bedauert, zutiefst. Aber nicht sagen kann.
Die Grübeleien in der Nacht,
die niemals stattfindenden Reden,
die der Kopf sich meterweise ausdenkt
aus Protest oder aus Verletzung oder Traurigkeit.
Das, was meine Gedanken gefangen hält,
wo ich nicht frei bin, wo ich keine Grenzen ziehen konnte,
wo ich an etwas scheitere, ermüde, verzweifle.
Wo ich freier wäre, wenn ich könnte.
Mit meinem grübelndem Kopf,
mit meinem zagenden und manchmal feigen Herzen.
Heute auch in diesen Tagen.
umso mehr vielleicht als je.
Wie oft muss ich vergeben? - ist Petrus Frage.
„Was mache ich, wenn ich immerzu tue,
was ich gar nicht will? - ist Paulus Frage.
Wollen will ich wohl, so oft.
Es widerstreitet manchmal in meinem Verstand
und hält mich gefangen.
Das sind Fragen, die an dieses Kreuz gehören.
Ein Unfrei-sein des Herzens und des Geistes.
Meine Not die ich da mit dran nageln will.
Das, was mich hindert am Unbeschwertsein,
und am Glücklichsein.
Bei manchen nur hin und wieder,
bei anderen leider oft.
„Zu dir nehme ich meine Zuflucht.“
sagte der Psalmbeter heute im Psalm.
Und es scheint, als krieche er damit ausgerechnet
in diese Höhle.
Eine Zuflucht in einer Höhle,
die mich kurz aus der Zeit nimmt,
mir den Atem nimmt,
wie hier - mitten im Fenster.
Höhlenförmig wölbt sich die Zeit um das Kreuz.
Für Zeiten wo alles „ach“ ist
und Du alleine mit einer Frage.
Es nimmt dir kurz den Atem
- damit Dein Herz neu einsetzen kann.
Und da vielleicht
könnte ein Erinnern sein.
Wie die, die Jesus nachfolgten,
da unterm Kreuz - im dunkelsten Fleck ihres Lebens
an den Jubel dachten, das gemeinsame Leben,
volle Tische, auf dem warmen Rücken des Esels den Weg gekommen,
frisches Wasser, Essen und Trinken für dich gegeben.
Gemeinschaft und Zusammenhalt.
Und wenngleich das alles schon an das Kreuz führte,
war doch dort das Leben. Jede Sekunde.
Am Rande der Katastrophen und Ängste
flüstert Dir einer ins Ohr, so wie Jesus dem Petrus damals:
„Ich bete für dich, dass dein Glaube nicht aufhört."
Und wie die allerersten Sonnenstrahlen am Morgen
sich genau über den Horizont stehlen,
und innerhalb Minuten die Sonne sich den Weg sucht,
so steht Jesus hier nach dem Tod am Kreuz mit den Füßen
auf dem zerbrochenen Grab, ist voll Leben und grüner Hoffnung.
Steht da, als würde er sagen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten!“
Und das spielt sich nicht im Himmel ab.
Das ist noch im Bereich zwischen Himmel und Erde.
Neues kommt hervor.
Das ist möglich mitten im Leben!
Das ist das Leben, das ich schenke, sagt Gott:
Nimm es als Bild für Dein Leben.
Für die dunklen Flecken in Deinen Tagen.
Wo es ist, als ob die Zeit stehen bleibt.
Nur für Dich hat Gott dies getan
und als Abziehbild auf Dein Herz gelegt.
Damit Du voll Vertrauen sagen kannst,
was auch immer vor Dir liegt:
„Dein Wille geschehe.
Ich befehle meinen Geist in Deine Hände, Gott“
Rot und strahlend
wie Wärme und Liebe es in Deinem Leben tun,
bringt Jesus, denen, die um ihn herum sind,
genau das, was sie brauchen,
so haben die Fensterkünstler
es als Bild der Hoffnung für unsere Herzen
wie eine Überschrift ganz oben festgehalten:
einer tanzt, einer findet Ruhe und schläft,
einer lacht, einer legt die Hand auf das Herz.
Seinen Jüngern sagte Jesus damals,
dass er sie ausstatten würde mit Kraft aus der Höhe.
Und so ist dies für mich
nicht nur ein Passionsfenster,
sondern ein Vorfreudefenster.
Rosa schmückt man die Altäre
nach der halben Fasten- und Adventszeit
als Zeichen der freudigen Erwartung.
Rosa steht für die Vorfreude.
Rosa schimmern die Mauern und Bögen
in diesem Fenster und sogar der Sarg.
Dies ist der Passionsweg Christi.
Dies ist der Weg zum Leben.
Dies ist Dein Leben, da wo Du wieder aufatmen kannst.
Dies ist die Grundidee: Gott kann verwandeln. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft,
der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß
und stärke unsre Liebe. Amen.
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