Sonntag, 27. Oktober 2024

... die eigenen dunklen Flecken verwandeln lassen....

Predigt im 600. Festjahr des Stendaler Doms
über das Motiv des zentralen Christusfensters 






Ganz in der Mitte

ist: die Passion.

Und zwar ganz ganz in der Mitte.

In der Mitte der Mitte der Mitte.

Mitte der Kirche,

Mitte des Chorraumes, 

des Fenster-Reigens,

des Mittel-Fensters,

Mitte von oben und unten. 


Da in der Mitte

schau genau hin,

da scheint sich

irgendwie 

der Raum auszudehnen

aufzulösen

scheint

für einen Moment 

die Zeit stehen zu bleiben


Denn Drumherum

tobt das Leben

in diesen durchsichtigen Kunstwerken

voll Licht und Farbe und Linien.


Um das Kreuz in der Mitte

ist ein dunkler Fleck.

Als wenn kurz

das Herz aussetzt.

Vielleicht tat es das sogar

ganz kurz .... 

....Gottes Herz.

Aussetzen … 

für eine Weltsekunde.

Am Holz allen Leides der Welt.

 

Die Passion so heißt es,

war vielleicht 

im Mittelpunkt der Erschaffer 

dieser Fensterkaskade.

Ganz vorne im Zentrum: Jesus

und sein Weg des Leidens,

sein Weg zur Passion,

Schlüssel und Grundidee 

für alles zusammen,

so heißt es.

Was ich sehe,

ist ehrlich gesagt die

Verwandlung des Leidens.


Was ich sehe ist 

die Wolke der starken und schwachen 

Zeuginnen und Zeugen,

durch die Fenster hindurch

bis zu uns in den Bänken,

die millionenfach, Leben für Leben

Ausdruck sind von einer Lichtbewegung

die mit einem Stern und 

einem Engel begann. 


Und in der Mitte im Mittelfenster

hält die Kamera an - in ein Zeitlupentempo,

zoomt das Bild einiger weniger Tage heran.

In Großformat.

Wie mit einer Lupe gesehen,

als würde man mit dem Mikroskop

den Zellen und dem Ursprung des Lebens 

auf der Spur sein,

ist hier ein Geschehen 

um ein Loch, 

einen dunklen Fleck im Licht der Welt im Fokus.


Die Texte des heutigen Sonntag 

verknüpfen sich auf eine wundersame Weise damit.

Sie verknüpfen sich mit den dunklen Flecken 

in unserem Lebensalltag.

Sie fragen heute in den Lesungen, 

was Menschen in ihren  

innersten intimen Gedanken bewegt.

Das Ringen mit sich selbst,

das Fehler machen und sich selbst im Weg stehen,

das nicht über den Schatten springen können,

das Tun, was man eigentlich nicht will.

Das Aussprechen von Sätzen, 

die man hinterher bereut, aber auch das nicht sagen kann.

Die Frage, wie man wieder gut wird miteinander,

wie man die zugefallenen Türen wieder aufbekommt,

wo Streit ist wegen irgendeinem Mist,

wo man sich entzweit 

und es bedauert, zutiefst. Aber nicht sagen kann.

Die Grübeleien in der Nacht, 

die niemals stattfindenden Reden, 

die der Kopf sich meterweise ausdenkt 

aus Protest oder aus Verletzung oder Traurigkeit.

Das, was meine Gedanken gefangen hält,

wo ich nicht frei bin, wo ich keine Grenzen ziehen konnte, 

wo ich an etwas scheitere, ermüde, verzweifle.  

Wo ich freier wäre, wenn ich könnte.

Mit meinem grübelndem Kopf,

mit meinem zagenden und manchmal feigen Herzen.

Heute auch in diesen Tagen.

umso mehr vielleicht als je. 


Wie oft muss ich vergeben? - ist Petrus Frage.

„Was mache ich, wenn ich immerzu tue, 

was ich gar nicht will? - ist Paulus Frage.

Wollen will ich wohl, so oft.

Es widerstreitet manchmal in meinem Verstand 

und hält mich gefangen.


Das sind Fragen, die an dieses Kreuz gehören.

Ein Unfrei-sein des Herzens und des Geistes.

Meine Not die ich da mit dran nageln will.

Das, was mich hindert am Unbeschwertsein, 

und am Glücklichsein.

Bei manchen nur hin und wieder, 

bei anderen leider oft.


„Zu dir nehme ich meine Zuflucht.“

sagte der Psalmbeter heute im Psalm.

Und es scheint, als krieche er damit ausgerechnet

in diese Höhle.

Eine Zuflucht in einer Höhle,

die mich kurz aus der Zeit nimmt,

mir den Atem nimmt, 

wie hier - mitten im Fenster.

Höhlenförmig wölbt sich die Zeit um das Kreuz.

Für Zeiten wo alles „ach“ ist 

und Du alleine mit einer Frage. 

Es nimmt dir kurz den Atem

- damit Dein Herz neu einsetzen kann.


Und da vielleicht 

könnte ein Erinnern sein.

Wie die, die Jesus nachfolgten,

da unterm Kreuz - im dunkelsten Fleck ihres Lebens

an den Jubel dachten, das gemeinsame Leben,

volle Tische, auf dem warmen Rücken des Esels den Weg gekommen, 

frisches Wasser, Essen und Trinken für dich gegeben. 

Gemeinschaft und Zusammenhalt.

Und wenngleich das alles schon an das Kreuz führte, 

war doch dort das Leben. Jede Sekunde. 

Am Rande der Katastrophen und Ängste 

flüstert Dir einer ins Ohr, so wie Jesus dem Petrus damals:

„Ich bete für dich, dass dein Glaube nicht aufhört."


Und wie die allerersten Sonnenstrahlen am Morgen

sich genau über den Horizont stehlen,

und innerhalb Minuten die Sonne sich den Weg sucht, 

so steht Jesus hier nach dem Tod am Kreuz mit den Füßen 

auf dem zerbrochenen Grab, ist voll Leben und grüner Hoffnung. 

Steht da, als würde er sagen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten!“ 

Und das spielt sich nicht im Himmel ab. 

Das ist noch im Bereich zwischen Himmel und Erde. 

Neues kommt hervor. 

Das ist möglich mitten im Leben!

Das ist das Leben, das ich schenke, sagt Gott: 

Nimm es als Bild für Dein Leben.

Für die dunklen Flecken in Deinen Tagen.

Wo es ist, als ob die Zeit stehen bleibt.

Nur für Dich hat Gott dies getan

und als Abziehbild auf Dein Herz gelegt.

Damit Du voll Vertrauen sagen kannst,

was auch immer vor Dir liegt:

„Dein Wille geschehe.

Ich befehle meinen Geist in Deine Hände, Gott“


Rot und strahlend 

wie Wärme und Liebe es in Deinem Leben tun,

bringt Jesus, denen, die um ihn herum sind,

genau das, was sie brauchen,

so haben die Fensterkünstler 

es als Bild der Hoffnung für unsere Herzen 

wie eine Überschrift ganz oben festgehalten:

einer tanzt, einer findet Ruhe und schläft,

einer lacht, einer legt die Hand auf das Herz. 

Seinen Jüngern sagte Jesus damals,

dass er sie ausstatten würde mit Kraft aus der Höhe. 


Und so ist dies für mich 

nicht nur ein Passionsfenster,

sondern ein Vorfreudefenster.

Rosa schmückt man die Altäre 

nach der halben Fasten- und Adventszeit  

als Zeichen der freudigen Erwartung.

Rosa steht für die Vorfreude. 

Rosa schimmern die Mauern und Bögen 

in diesem Fenster und sogar der Sarg.

 

Dies ist der Passionsweg Christi.

Dies ist der Weg zum Leben.

Dies ist Dein Leben, da wo Du wieder aufatmen kannst.

Dies ist die Grundidee: Gott kann verwandeln. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen.


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