Samstag, 30. Oktober 2021

Von Freiheit und Liebe


Eine Predigt zum Reformationstag 2021





 „Ein feste Burg ist unser Gott…“ - trotzig schallte das Lied  an jenem Tag durch die Kirche. In diesem Gottesdienst ging es um mehr Gerechtigkeit. Es war im Frühjahr 89. Von der „Macht, die verloren geht“ und „so fürchten wir uns nicht so sehr“ haben wir damals aus ganzer Kehle gebrüllt. Solche Lieder waren eine Burg. Eine Trutzburg. Ein sicherer Ort. Niemand konnte dir verwehren dieses Lied zu singen, selbst wenn dein Gegenüber ahnte, dass du den Untergang ganz bestimmter Mächte im Sinn hattest beim Singen. Und es sprach von einer anderen Macht, die auch das sozialistische Regime nicht ausmerzen konnte. Das Lied ist von Martin Luther. Luther hat in dieses Lied all sein trotziges Vertrauen geschrieben: dass er, so bedroht er auch war, sich auf Gott verlassen könne. Das, was Martin Luther ausgesprochen hatte, rüttelte an den Festen der damaligen Welt. Seine Gedanken wurden verurteilt, von den Obersten der Kirche. Er wurde als vogelfrei verurteilt und durfte von jedem festgenommen und von niemandem beherbergt werden und er wurde exkommuniziert, also aus der Kirche ausgeschlossen. 

„Und wenn die Welt voll Teufel wäre, so fürchten wir uns nicht so sehr.“ , schrieb er. Und wir sangen es damals in dieser Kirche. Und es war ein Akt der Freiheit für uns. 

Was war so unerhört, was war so gefährlich an Luther, dass man ihn lieber vom Erdboden verschwinden lassen wollte? Es ist ganz einfach: Luther hat von Freiheit gesprochen. Seine deutschsprachige Bibel gab all denen die Macht, Jesu Worte selber zu lesen und zu verstehen und die Wirklichkeit daraufhin zu überprüfen, die bisher niemand dafür für würdig befunden hatte. Seine Thesen nahmen all denen die Macht, die meinten im Glauben unterscheiden zu können zwischen denen, die es bei Gott geschafft hatten und denen, die noch nicht ganz richtig waren. Die immerzu beichten und zahlen mussten, um dem Himmel näher zu kommen. Und zwar an die zahlen, die es geschafft hatten. Die durch Bildung, Weihe und Ernennung gerettet waren. Martin hatte immerzu das Gefühl, dass das so nicht stimmt könnte. Das war sein Kampf. Und das war seine Erkenntnis: Niemand kann von dir Dinge verlangen, die du erreichen musst, damit Gott an dich glaubt. Das macht Gott nämlich auch nicht. 

Mit keinem Geld der Welt und mit keinem Verzicht der Welt und mit keinen Höchstleistungen der Welt kannst du dich Gott näher bringen oder Gott näher zu dir bringen. Weil - das ist gar nicht nötig. Gott hat das nicht nötig. ER hat dich nötig. Und zwar so wie du bist. Da wo du bist. So wie du bist. Hat er dich nötig. Genau dich! 


Alle Zweifel ob du richtig bist oder ob du würdig bist, kannst du vergessen. Alle Ängste, irgendwie falsch zu sein, unpassend, noch nicht gut genug, kannst du vergessen. Die kannst du beiseite schieben wie alte Kisten, die dir im Weg stehen. Das alles soll dich nie mehr hemmen.

Du sollst frei sein. Frei, du selbst zu sein. Frei genug, um dein Leben leben zu können. Nicht nur um dich zu kreisen. Frei für andere und anderes. Frei für Veränderung. Frei um zu lieben ohne Angst und Berechnung. In diesem Sinne sind wir Freie. Bin ich eine Freie. Bist du frei.


Mein Gefühl, frei zu sein, hat, ehrlich gesagt, in den letzten 2 Jahren etwas gelitten. Also - Freiheitsgefühle kamen da nicht gerade auf. Eher das Gefühl, eingeschränkt zu werden, eingesperrt, ausgesperrt, gehindert. Gesetze, die mir ein freies Lebens ermöglichen sollen, wurden plötzlich wie relativiert. Nicht aufgehoben, aber eingeschränkt. Unerhört fühlte sich das an. Nicht gut fühlte sich das an. Wochenlang ohne Umarmung, ohne Besuch, ohne Singen, ohne Feste, ohne Gemeinschaft. Stattdessen Distanz. Ferne. Abstand. Irgendwie genau das Gegenteil von Freiheit. Meine ganz persönlichen Interessen mussten warten. Wurden auf Eis gelegt. Meine persönlichen Wünsche kamen auf die Wartebank. Mein Bewegungsradius wurde geschrumpft. Meine Bedürfnisse nach Nähe, nach Begegnung, nach Freude und Ausgelassenheit, nach Unbekümmertheit konnte ich nicht stillen. Was war da mit meiner Freiheit? Die tolle Freiheit, von der wir hier reden? Eine Freiheit, die mich doch alle Entscheidungen machen lassen müsste und die mein Leben unbeschränkt und unbegrenzt sein lassen sollte? Wo ist sie hin, diese Freiheit? Ist sie verloren? Geklaut? Beschädigt? Von anderen? Etwa meine persönliche Freiheit? Unerhört! Soll ich das etwa so hinnehmen? Was genau heißt da Freiheit?


Ich für mich verstehe das so und ich bekenne euch hier und jetzt, dass ich tatsächlich eine Unfreie bin. 


Ja. Ich bekenne, unfrei zu sein als

Mutter, angebunden an meine Kinder.

Ja, ich bekenne unfrei zu sein - durch Heirat.

Ja, ich bekenne unfrei zu sein in einer Arbeit, 

die viel von mir fordert.

Ja, ich bekenne unfrei zu sein weil ich mich auf Beziehungen mit vertrauten Menschen eingelassen habe, die sich auf mich verlassen.

Ja, ich bekenne unfrei zu sein, weil ich von dieser Erde nehme um zu leben.

Ja, ich bekenne unfrei zu sein in meinen Zugeständnissen an eine Gesellschaft, in der ich mit anderen leben möchte.

Ja, ich bekenne, mich einzuschränken.

Ja, ich bekenne, mir Grenzen setzen zu lassen.

Ja, ich bekenne, in aller Freiheit manche Wünsche auf die Wartebank zu legen um der Freiheit anderer willen.

Ja, ich bekenne auch unfrei zu sein.

Ich bekenne, dass auch das zu mir gehört.





Aus Liebe.




Aus Liebe, die zur Tat werden soll.




Denn das ist die zweite Erkenntnis von Martin Luther. Gott hat dich tief innen befreit, Mensch zu sein.

Aber nicht nur dich. Auch die anderen.

Darum hat er dir auch die Liebe gegeben.

Eine unendliche Liebe, die sich nie aufbraucht.

Und diese Liebe macht dich gleichzeitig unfrei.

Für den anderen.

Manchmal ist beides nicht einfach. Manchmal stoßen sich beide Freiheit und Liebe in dir. Manchmal verliert einer der beiden. Manchmal weißt du nicht - wem nachgeben.

Aber beide zusammen führen dazu, dass du der / die sein kannst, die du bist. Dass andere dich lieben. Und dass andere ihre Freiheit einschränken nur für dich. Damit auch du frei sein kannst. Gottes Freiheit ist ein ausgewogene Freiheit. Ist Geben und Nehmen.  

Eine Freiheit, die wir noch üben müssen. Denn beides fällt uns nicht immer leicht: das frei fühlen nicht und das lieben nicht. Gott, deine feste Burg, weiß das. Darum schenkt er dir immer wieder seine guten Worte, Stärke und Langmut. Damit du ganz leise von Liebe und Freiheit singst in deiner kleinen Zeit. Ihm ein Echo bringst - in Tat und Zärtlichkeit. (zit. Lied von P.Spangenberg

Und das ist deine Würde. Das heißt mit zwei Beinen auf dem Boden stehen. So funktioniert Gottes Reich. 


Und der Friede Gottes der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.



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