Flügel bekommen
Die Augen fangen an zu glitzern und sie greift zu. „Na dann geben Sie mal her!“ Gemeinsam streifen wir ihr die Flügel über und sie stellt sich selbstbewusst dahin wo sie den ganzen Tag auf Arbeit steht. Tschack. Drei Bilder nur. Das reicht. Ihr gefällt das letzte Bild am besten. „Warten sie mal!“, ruft sie und rennt in ihrem weißen Schwesternkittel mit den Flügel hinten dran los. Die Flügel wippen leise, als würde sie davon flattern. Lachend kommt sie mit flatternden Flügel zurück. „Schade. Ich wollte den Chef noch holen. Aber… Danke.“ Sie schluckt. Sie lächelt. Ich nehme ihr die Flügel wieder ab. Vor drei Stunden war ich mit einem Paar großer Flügel losgezogen. Ich hoffte, auf den Stationen des Klinikums wenigstens einige Mitarbeitende überreden zu können, sich mit den Flügeln fotografieren zu lassen. Eine spontane Idee für eine Ausstellung in der Kapelle. „Ich finde, sie sind ein Engel für unsere Patienten hier“, beginne ich und der Blick der Schwestern und Pfleger, der Ärztinnen und Hausmeister wird weicher. Überrascht. Gerührt. Peinlich berührt. Ungläubig. Und eine nach der andere streifen sie die Flügel über, schüchtern erst, dann lachend. Es ist, als wäre ich nicht alleine unterwegs. Das Wort „Engel“ und diese Flügel haben eine Gewalt, die ich kaum verstehen kann. Sie streicheln die anderen von innen. Die Flügel hinterlassen Wärme im Raum. Mehrere Stunden bin ich am Ende unterwegs. Mache mehrere Dutzend Bilder. Vom Technikkeller bis zum Sozialdienst unter dem Dach, von der Palliativstation bis zum Vorzimmer vom Chef. Die, die jeden Tag still ihre Arbeit tun und Menschen begleiten, operieren, versorgen und pflegen nehmen gerne das Paar Flügel. Es tut gut, gesehen zu werden. Manche trauen sich nicht. „Seid ihr heute auch schon zum Engel geworden?“, ruft kurz vor Feierabend jemand quer durch das ganze Foyer ein paar Kollegen hinterher. So eine Atmosphäre habe ich hier noch nie erlebt. Flügelleicht. Engelserhaben. Irgendwie schimmernd.
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