Samstag, 2. März 2019

Einen zusammen ansehen - bis er Mensch wird.

Winzig. 70g. So winzig liegt sie zwischen uns. In einem kleinen genähten Binsenkörbchen. Auf der Reise ans andere Ufer. Die Tränen der Mutter tropfen aus den Augen auf das kleine Wesen. Und wir fangen an mit ihr zu erzählen. Wir geben ihr einen Namen. Annabelle. Wir erzählen ihr von ihren großen Brüdern und wie sie sie in ihren Armen gehalten hätten. Von Schaukeln und Gummihopse. Wir malen uns das Muster ihres Konfirmationskleids aus und ihrer Schultüte. Die Hände legt Annabelles Mutter um das kleine Körbchen und sagt ihr Dinge, die nur eine Mutter sagt. Sie streichelt sie zart. Wir singen Schlaflieder. „Kennt auch dich und hat dich lieb…“ Wir stellen uns ihre Haarfarbe vor und ihre Stubsnase. Und irgendwann ist sie da. Annabelle. Vor unseren Augen. Mit einer Zukunft, die sie nicht hatte, nur von uns erträumt. Und so lässt es sich Abschied nehmen. Als Annabelle angekommen ist im Leben - und wenn es nur in unseren Worten war. Wir salben sie mit duftendem Öl. Und sagen ihr gute Worte. Wir schauen sie an. Das war es, um was die junge Mutter mich gebeten hatte: sie anzuschauen. Zusammen. Dass jemand da wäre, ihren Schmerz zu sehen, das kleine Wesen zu sehen und zu berühren. Jemand der nicht zurück schreckt, nicht ausweicht. Sondern da bleibt. Mit aushält. Mit träumt. Mit singt. Bis sie loslassen kann. Und träumen. Von Annabelle mit ihren Urgroßmüttern auf einer Wiese in einer großen Schaukel. Geborgen. Wie im Mutterschoß.



1 Kommentar:

  1. soooo schön geschrieben - danke.
    Habe kommenden Freitag die nächste Sternenkinder-Bestattung hier bei uns.

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