Sonntag, 16. Juni 2024

... die Frage der Freiheit...

Predigt zum Harzfest und 1050. Stadtfest  
in Osterwieck
mit der Geschichte "vom verlorenen Sohn"...



Er schaltet sein Handy auf lautlos und bindet sich sehr langsam den rechten Sneaker zu. Dann lehnt er sich auf dem Sitzungsstuhl mit Edelstahloptik und dunkelblauen Velourstoff zurück und schaut die Gemeindeversammlung in dem kleinen Ort an.

Es ist der Morgen nach der Wahl.

Oder es ist der Morgen nach dem Streit.

Oder es ist mitten in der Planung für ein großes Fest.

 

Niemand wusste, woher Jesus plötzlich gekommen war, aber er kam genau im richtigen Moment.

In einem Moment der Unsicherheit und wo man nicht mehr wusste, was gerade richtig ist.

Wo man die Hoffnung gerne wenigstens an einem Zipfel packen würde. 

Jesus schlägt die Beine übereinander und beginnt zu sprechen. 

„Einmal“, sagt er, „war da so eine Familie. In der gab es zwei Kinder. Es wäre schön, denkt eines der Kinder, wenn ich einfach nur für mich entscheiden könnte. Wenn ich nicht mehr in diesen Verpflichtungen und Erwartungen hier wäre, wenn ich nur für mich denken und planen könnte und selbst entscheiden - einfach nur für mich - was ich mit dem machen möchte, was ich habe. Es möchte einfach frei sein von dem Vielen, dass es gerade als bedrückend empfindet und frei sein zum Entfalten in die vielen Möglichkeiten des Lebens. Es bittet seine Eltern, in die Welt ziehen zu dürfen, mit seinem Anteil an dem, was der Familie gehört. Und seine Eltern sind bereit. Sie lösen ihm seinen Anteil aus dem Familienbesitz aus. Und ihr Kind zieht los. 

Mitten im Tagesgeschäft denken sie in den nächsten Jahren oft, wie es ihm wohl ergangen sein würde. Denn ihr Kind meldete sich nie. 

Niemand weiß genau, was es in jenen Jahren tat - frei und ungebunden. Ob es seinen großen Traum erfüllen konnte? Glücklich und erfolgreich war? Zufrieden und angekommen? Auch das hätte passieren können. Was aber alle mitbekamen war, wie eines Tages ein Mensch sehr verloren die Dorfstraße hinein kam wie ein Fremder. Zögernd. Und alle erinnerten sich später für immer an den Schrei des Vaters, der ohne ein Wort seinem Kind entgegen rannte und es ganz und gar in einer Umarmung barg. Und an sein Herz drückte. 

Die Leute waren gespannt, was die Eltern nun tun würden, das könnt ihr glauben. 

Aber sie taten nichts, als den Tisch zu decken, etwas Schönes zu kochen, das Bett zu beziehen und ihr Kind aufzunehmen in ihre Haus, als wäre es nie weg gegangen. An diesem Abend stand wieder ein Mensch draußen vor der Tür. Verloren. Sich fremd fühlend. Diesmal war es das andere Kind. Es verstand nicht, was es da erlebte. Das passte nicht zu seinem vernünftigen Menschenverstand. Irgendwo müsste doch auch die größte Güte mal ein Ende haben. Es könnte doch nicht jeder einfach machen, was er oder sie wollte.  Diese Freiheit war ihm zu viel. Und wieder war es der Vater, der mit großen Schritten auf sein Kind zuging. Hörte und es berührte. Und einlud, an den Tisch. Und dann ging und seinem Kind die Freiheit ließ, selbst zu entscheiden.“ 


Die Menschen in der Gemeindeversammlung schauten sich an. Eigentlich spürten alle das dringende Verlangen, in all dem aktuellen Schlamassel und den großen Aufgaben, aufzustehen und einfach zu gehen und sich nur noch um ihren eigenen Mist zu kümmern. Oder vor die Tür zu treten und deutlich zu machen, wo sie ihre Erwartungen nicht erfüllt sahen. 


Aber Jesus hatte wieder mal Brot dabei. Typisch. 

So saßen sie erstmal und kauten und gaben die Körbe weiter nach links und rechts. So saßen sie erstmal zumindest zusammen.


Die Geschichte wirkte in ihnen nach. Welcher der Söhne war eigentlich der Verlorene? Welcher der Übergangene? Welcher der Wiedergefundene? Wieviel Freiheit braucht einer und darf eine? Was würde sie alle wieder zusammen an den Tisch bringen? Die Geste des Vaters rührte sie. Am Ende, dachten sie, ist dies ja die tiefe Sehnsucht: sich bergen können in einer großen Güte und Liebe. Egal, in welche Entscheidung man sich verloren hätte. Egal, wie weit man auseinandergegangen war. Egal, wie tief der Graben sei. Egal, wie große die Wahrscheinlichkeit von neuem Ärger. Egal, welchen Tiefpunkt man gerade erreicht hatte. Und es täte so gut, die Arme zu öffnen oder die Dorfstraße hinaufzugehen mit so einer Hoffnung. Einfach gar nicht groß genug hoffen zu können. Sie sahen sich an.



Weit offene Arme haben wäre toll.

Nicht Fremde im eigene Haus zu werden, wäre toll.

Hereingebeten zu werden und herein zu bitten wäre toll.

Nicht nur entweder-oder denken können wäre toll.

Im Haus der Gesellschaft immer wieder die Tische zu decken, wäre toll. 

Niemand verloren geben wäre toll. 

„Freiheit ist ein Wagnis.“,

sagt Jesus im Gehen.

Sie funktioniert nur miteinander.

Man kann nicht für sich alleine frei sein.“


Nicht mehr und nicht weniger als dieses Hoffnungsbild der gütigen Eltern will ich genau so heute stehen lassen, hier in Osterwieck. Weil Gott es geschenkt hat: vom Vater, der seine Menschen in Freiheit geschaffen hat und in Gemeinschaft. Davon, wie Menschen diese Freiheit miteinander austarieren und dass das manchmal keine gerade Linie ist, aber mit großer Hoffnung gegangen werden darf.


Nicht mehr und nicht weniger als das alte Lobet-den-Herrn-meine-Seele will ich hier heute genau so stehen lassen. Dieses Lob und den Dank an Gott, weil er uns Mut macht, dabei zu bleiben - wie unsere Urahnen - und zu streiten für Räume, die Menschen bauen und gemeinsam gestalten, über Generationen und Jahrhunderte und auch mal 1050 Jahre lang.  


Gottes Wort und seine Nähe sollen uns bestärken, Salz und Licht zu sein in einer Welt, die Hoffnung braucht. Salz und Licht zu sein in einer Zeit der Unsicherheit, wo man nicht mehr weißt, was gerade richtig ist. Sie sollen frei machen, unsere Arme zu öffnen. Und immer die Hoffnung an einem Zipfel zu packen. Im Feiern eines tolles Stadtjubiläums, soll uns Gottes Treue unsere Ängste vertreiben und uns helfen, Gemeinschaft zu stärken und miteinander zu leben - in aller Freiheit. Gott sagt, das geht. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen


Salz und Licht sein

 

Queere Predigt für die CSD Gottesdienste 

in Wernigerode und Köthen




Micha; Jahrgang 1983 hat ein X auf dem Arm.

… und einen Schriftzug „No matter what“…

Er erzählt in einem Buch* über seinen persönlichen Weg und sein Comingout als schwuler Mann: „Es prangt ein »X« auf meinem Arm, besser gesagt ein »X« in einem Kreis. Auf meinem rechten Unterarm, kurz vor der Hand, eintätowiert wie ein Stempel. Es soll mich an etwas erinnern. Es ist das Logo der X-Men, Figuren aus in den USA sehr populären Comics, bei uns vor allem aufgrund der Kinofilme bekannt. Als Kind der Jahrtausendwende mag ich bis heute Superheldenfilme. Die X-Men ragen da aber besonders heraus. Denn sie sind Menschen, die aufgrund ihres Genpools besondere Fähigkeiten besitzen. Andere Menschen reagieren verunsichert und ängstlich auf sie. Sie grenzen die X-Men aus, diskriminieren sie, verfolgen sie sogar. Einige versuchen auch, sie zu heilen.“ Micha beschreibt, wie diese fremden grünen SuperWesen Aufsehen erregen und Ablehnung durch ihr Anderssein. Eine von ihnen kann sich sogar verwandeln. In alle Wesen, die es gibt. Sie könnte einfach aussehen, wie alle anderen auch.Jemand fragt sie, warum sie das nicht nutzen würde und einfach als normaler Mensch durch die Welt ginge. Ihr Antwort ist: »Weil das irgendwie nicht nötig sein sollte.« 


Micha schreibt:

„In den ersten fünfundzwanzig Jahren meines Lebens dachte ich, dass es nötig wäre, mich zu verstellen. Mich zu verändern. Ich dachte, ich müsste anders sein, anders werden. Ich dachte, ich wäre falsch und sündig. In diesem Glauben wuchs ich auf.“

So beginnt Michas Erzählung über seinen persönlichen Weg zu einem freien Leben als der, der er ist. Wie ein Gestaltwandler, der versucht nicht aufzufallen und so auszusehen wie alle anderen auch, so lebt er, berichtet er. Als Salz der Erde hätte er sich damals vermutlich nicht bezeichnet. Als ein Licht für andere schon gar nicht. Obgleich beides in ihm steckte. Aber so vieles vieles dagegen sprach, zu sein was er empfand. Oder so vieles ihm im Weg stand, das an sich zu sehen, was er vielleicht längst war. 


Micha ist keine Ausnahme. 

Micha könnte jeder und jede von uns sein und wir waren es vielleicht auch schonmal in unserem Leben. 

Ich für mich könnte das ganz sicher sagen. 

Dass es Zeiten gab, bei aller Behütung und allen Privilegien einer weißen Europäerin, dass es dennoch Zeiten gab, wo mir mein Salzsein nicht zugänglich war und mein eigenes Licht mir wie ein Spuk vorkam. Wo es Worte gab, die andere über mich aussprachen und Umstände in meinem Umfeld, die mich hinderten, das leuchten zu lassen, was in mir ist. Um nicht aufzufallen. Um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, mich wichtig machen zu wollen. Um keinen Ärger zu machen. Um kein Chaos zu verursachen. Um mich nicht zu unterscheiden. Um nichts zu verlieren. Um niemandem die Flanke zu bieten. Um andere nicht zu verletzen oder zu verwirren. Um normal zu sein. 

Ich dachte vermutlich, dass ich ein besseres Salz und Licht wäre, wenn ich nicht „so“ wäre. 


Du bist das Salz.

Du bist das Licht.


Jesus, Du hast mal wieder Worte, denen ich mich nicht entziehen kann. 

Als ob Salzkörner auf mein Herz fallen und Leben wie Wasser hervorrufen, so kannst du, in mir einen Menschen finden, den sonst niemand kennt. 

Als ob Licht sich wie in einem Spiegellabyrinth einen unmöglich scheinenden Weg sucht, so findet, Jesus, Dein Licht immerzu mein Herz. 

Du hörst nicht auf und lässt nicht nach, an mich zu glauben. Du glaubst an mich, wenn ich es nicht kann.

Deine Worte fallen so treu und hartnäckig in meine Seele, bis sie mich bewegen: 


Du bist das Salz. Du bist das Licht.


Ich soll mich einfach darauf verlassen, dass ich eine Salzige und eine Lichtvolle bist. Und dass ich mich damit zeigen darf. Und dass das was ausmacht. Dass meine Persönlichkeit etwas ausmacht. Dass ich kein Zufall bin oder ein unglücklicher Versuch.


Marianne Wiliamson hat einmal geschrieben:

"Unsere tiefste Angst

ist nicht, dass wir unzulänglich, 

un­sere tiefste Angst ist, 

dass wir über die Maßen macht­voll sind.

Es ist unser Licht, vor dem wir am meisten erschrecken, nicht unsere Dunkelheit.


Wir fragen uns: 

Wer bin ich, dass ich so brillant, großartig, talentiert, fabelhaft sein sollte?


Aber wer bist du denn, dass du es nicht sein solltest?


Du bist ein Kind Gottes. 

Dich klein zu halten, dient der Welt nicht.

Dich klein zu halten, 

damit die anderen um dich herum sich nicht unsicher fühlen: 

das hat nichts mit Erleuchtung zu tun.

Wir sind dazu bestimmt, zu leuchten wie Kinder.

Wir sind geboren, um die Größe Gottes, der in uns lebt, zu verwirklichen.

Und diese Größe ist nicht nur in ei­ni­gen von uns, sie ist in jedem Menschen.

Und wenn wir unser Licht leuchten lassen, 

dann geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, das selbe zu tun.

Wenn wir selbst von Angst frei sind, 

dann sind die anderen durch unser Dasein auch frei.“


Micha hat seinen Weg gefunden und ich finde, seine Worte sind wie Salz und Licht. Das hätte er vielleicht selbst nie gedacht. Es quillt nahezu aus ihm hervor. Er ist jetzt Salz und Licht für andere. Einmal waren anderes es für ihn. „No matter what“ - steht nach einem Popsong auf seinem Arm. „Egal was“ - heißt das. Er schreibt*: Gott „hat anderes für mich im Sinn, als ein Leben in Selbstgeißelung und Traurigkeit zu führen. Gott hält mehr für mich bereit, als ausgegrenzt, verleugnet und verletzt zu werden. Er will für mich nur eins: dass ich ich bin, mich selbst liebe und der bin, den er sich gedacht hat. An den Orten, an denen ich genau das kann. Mit den Gegenübern, die genau das schätzen. Dass ich, ganz egal, was passiert, glücklich und zufrieden ich selbst bin. Alles andere ist für Gott gar nicht nötig.“


Du bist das Salz.

Du bist das Licht.

.. selbst wenn Du ganz schräg bist und kompliziert 

und manchmal unmöglich und anstrengend 

und nicht schnell genug oder viel zu schnell oder zu durcheinander…

selbst, wenn Du vollkommen queer bist 

und selbst wenn Du ganz normal bist,

könnte es sein, 

dass Du genau deswegen

Salz der Erde bist

und Licht, da wo Du bist.


Du bist das Salz.

Du bist das Licht.

Das Leben braucht genau Dich.

Gott braucht Dich.

Für seine/ihre Welt. 

Du brauchst Dich nicht wichtig zu machen,

denn Gott hält Dich für wichtig.

Und das ist keine woke billige Zusage,

das gehört zum Zentrum unseres Glaubens:

Angenommen sein in Gott.

Sichtbar sein als Kind Gottes.

Das gibt dem Wort 

vom Salz und vom Licht seine Kraft.

Weil wir es nicht aus uns selbst heraus sind.

Weil Gott uns dazu macht. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen



                    Video vom CSD - Gottesdienst in Wernigerode (klicken)

 

(*Zitate von Micha sind aus dem Buch "Nicht mehr schweigen", hg. v. Timo Platte)


Sonntag, 2. Juni 2024

passion und Passion - himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt

 Predigt zu dem Domfestspielen Halberstadt

Predigttext aus Markus und Hiob: 

I

Es war üblich, dass Pilatus zum Pessachfest einen Gefangenen begnadigte, den das Volk bestimmen durfte.Damals war gerade ein gewisser Barabbas im Gefängnis, zusammen mit anderen, die während eines Aufruhrs einen Mord begangen hatten.Die Volksmenge zog also zu Pilatus und bat für Barabbas um die übliche Begnadigung.Pilatus erwiderte: »Soll ich euch nicht den König der Juden freigeben?«Ihm wurde nämlich immer klarer, dass die führenden Priester Jesus nur aus Neid an ihn ausgeliefert hatten.Doch die führenden Priester redeten auf die Leute ein, sie sollten fordern, dass er ihnen lieber Barabbas freigebe.Da versuchte es Pilatus noch einmal und fragte sie: »Was soll ich dann mit dem anderen machen, den ihr den König der Juden nennt? Was wollt ihr?«»Kreuzigen!«, schrien sie.»Was hat er denn verbrochen?«, fragte Pilatus. Aber sie schrien noch lauter: »Kreuzigen!«Um die Menge zufriedenzustellen, ließ Pilatus ihnen Barabbas frei und gab den Befehl, Jesus mit der Geißel auszupeitschen und zu kreuzigen.


II

Das Trauerkleid ist meine zweite Haut, besiegt und kraftlos liege ich im Staub.

Ganz heiß ist mein Gesicht vom vielen Weinen, die Augen sind umringt von dunklen Schatten.

Das Atmen fällt mir schwer, mein Leben endet, der Docht verglimmt, mein Grab ist schon geschaufelt.Rings um mich höre ich den Hohn der Spötter, auch nachts lässt ihr Gezänk mich nicht mehr schlafen.Du forderst Bürgschaft, Gott? Sei du mein Bürge! Wer sonst legt seine Hand für mich ins Feuer?Doch jetzt bin ich die Spottfigur der Leute, ich werde angespuckt; Gott stellt mich bloß.Vor Kummer ist mein Auge fast erblindet, ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst.Ihr haltet euch für redlich, seid entsetzt; ihr meint, ihr hättet keine Schuld, erregt euch, in euren Augen bin ich ein Verbrecher.Ihr seid gerecht und lasst euch nicht beirren, seid rein und schuldlos, fühlt euch nur bestärkt.

I

Die Soldaten brachten Jesus in den Innenhof des Palastes, der dem Statthalter als Amtssitz diente, und riefen die ganze Mannschaft zusammen.Sie hängten ihm einen purpurfarbenen Mantel um, flochten eine Krone aus Dornenzweigen und setzten sie ihm auf.Dann fingen sie an, ihn zu grüßen: »Hoch lebe der König der Juden!«Sie schlugen ihn mit einem Stock auf den Kopf, spuckten ihn an, knieten vor ihm nieder und huldigten ihm wie einem König.Nachdem sie so ihren Spott mit ihm getrieben hatten, nahmen sie ihm den Mantel wieder ab, zogen ihm seine eigenen Kleider wieder an und führten ihn hinaus, um ihn ans Kreuz zu nageln.


II

Kommt doch, kommt ruhig alle wieder her; bei euch ist doch nicht einer mit Verstand!Vorbei sind meine Tage; meine Pläne, die Wünsche meines Herzens, sind zunichte.Die Freunde sagen mir, die Nacht sei Tag; das Licht sei mir ganz nah, behaupten sie, obwohl die Finsternis mich überfällt.Mir bleibt als Wohnstatt nur die Totenwelt, im Dunkel dort kann ich mich niederlegen.Das kalte Grab (…) da sollte es für mich noch Hoffnung geben? Kann jemand nur ein Fünkchen davon sehen?

(aus Markus 15 und Hiob 16/17 / Gute Nachricht)






Alles ist windschief und sehr alt. In den Wänden fehlen Ziegelsteine. Der Wind pfeift hindurch. Manche Mauer wirkt wie bunt und wenig sinnhaft zusammen gewürfelt aus Epochen und Materialien. Es gibt große Risse im Wohnhaus. Schief hängen Holztüren mitten in den Wänden für Zugänge, die es nicht mehr gibt. Alles ist irgendwie angeschlagen und wie vergessen. In zwei Fenster können die Vögel herein fliegen, einfach durch die Löcher unter den Fenstern hindurch Der Putz bröckelt von den Wänden. Eine einzige riesige Baustelle.
Nein, das ist keine subtile Anspielung auf den Zustand unserer Kirche oder der Weltlage, auch wenn es tatsächlich Ähnlichkeiten gibt.

Es beschreibt einen Ort, den ich gestern besucht habe. Eine altes Klostergelände. 800 Jahre alt. Vor 30 Jahren von einigen wackeren Benediktinerbrüdern gefunden und erworben. Sehr sicher würde niemand hier unter uns auf die Idee kommen, dieses zerbröckelnde und hier und da vermodernde Grundstück auch nur ernsthaft zum Leben in Erwägung zu ziehen. Als die Brüder kamen, war die Kirche kurz vor dem Einstürzen. Viele Gebäude schwer beschädigt. Wacker und tapfer und treu und demütig haben sie Jahr um Jahr für diesen alten heiligen Ort gekämpft. Bei Salzwedel in der Altmark liegt dieser etwas verzauberte Ort - das Kloster Dambeck. Niemand hatte für möglich gehalten, dass außer Abriss dieses gewaltigen Grundstückes, in deren alten Klosterhäusern einige Jahrzehnte Milchkühe wiederkäuten, der Mist im alten Kreuzgang lag und  Trecker parkten, überhaupt etwas anderes in Frage käme. 

Bruder Jens und seine Mitbrüder haben gefunden, dass sie genau dort hingehören. Dass ausgerechnet dies ihr Ort werden sollte. Die Geschichten der letzten drei Jahrzehnte sind haarsträubend. Wie sie mit eigenen Händen den Dachstuhl der alten Kirche selbst und mit wenigen Mitteln wieder aufgebaut haben. Dachbalken für Dachbalken. Niemand hätte das für möglich gehalten. Viele haben ihnen Steine in den Weg gelegt. unerwartet haben andere geholfen. Sie mussten mit sehr wenigen Mitteln auskommen. Niemand gab etwas auf dieses Grundstück oder sah etwas anderes als Bauruinen. 

Die Kirche ist heute nutzbar. Sie hat zwar immer noch etwas ruinösen Charme mit all dem bröckelnden Putz, der offen liegenden Decke und der Echtbelüftung durch Wandlöcher  - aber es wird darin gebetet, gesungen und gefeiert. Nun sind sie aber alt geworden, die Brüder. Sie haben etwas begonnen. Wer die Häuser nicht von vorher kennt, weiß das kaum zu sehen. Sie haben sich immer gefragt, wie es weiter gehen mag. Sie haben dafür auch gebetet. Auf einem der angeschlagenen Simse in der Kirche stand eine einzelne Kerze nur für die Nachfolge in ihrem ungewöhnlichen Projekt. Sie sind nun im Ruhestand. 

Hiobs Geschichte in der Bibel, aus der wir vorhin gehört haben, lässt Leiden und Zerbrechen  und Zerbröckeln sichtbar werden. Auch Unglück, Frustration und ungerechtes Widerfahren im Leben. Tod und Verlust. Es ist eine Klagestimme, die ungeschönt die Geschichten ohne Happy End zeigt. Solche Geschichten, wie sie auch uns im Leben passieren und schon passiert sind. „besiegt und kraftlos liege ich im Staub…“ sagt er und: “Das (ist wie ein) kalte(s) Grab (…da) sollte es für mich noch Hoffnung geben? Kann jemand nur ein Fünkchen davon sehen?Hiob erlebt seine ganz persönliche Passion. 

Die Domfestspiele erzählen in diesem Jahr die Passionsgeschichte von Jesus mitten im Sommer. Mitten im Blühen, zwischen Erdbeeren und outdoor Festen. Zwischen Konfirmationsfeiern und Hochzeiten in Pavillons mit Lichterketten. Zwischen Sonnenbaden und Schwimmbad, einem Glas Lillet und dem Duft der Rosen.

Wohin passt da die Passion?
Passt sie überhaupt irgendwo hin?
Nein. natürlich nicht. 
Passion passt uns nicht.
Tränen und dieser stechende Schmerz im Bauch vor Traurigkeit passt mir nie.
Alleine zurück bleiben im Leben, unter Kollegen, in einer Familie, in der Meinungsvielfalt. Passt mir nicht. 
Die Mühsamkeit, einander nicht mehr zu verstehen ist mir zu viel.
Das Sorgen um einen oder eine, die schwer krank sind oder denen das Leben unerträglich ist, würde ich lieber nicht tragen. 
Die Verantwortung für das, was neben mir in meinem Land los ist, wer würde die schon übernehmen.
Alles nicht wünschenswert für ein entspanntes Leben, für den Weg den ich mir wünsche. 

Die Bibel verschweigt sowas nicht. Sie bildet genau das ab. Und dass wir es uns nicht aussuchen können. Sie ist echtes Leben. Aber das alleine macht sie nicht aus. Die Kraft der Bibel liegt in den Geschichten, in denen das Unerwartbare passiert. Wo aus Asche etwas Neues entsteht. Wo einer stirbt und wieder aufsteht. Die Bibel beschreibt, dass uns Gott genau dieses Bild mitgeben will und es bewusst neben die Bilder von Passion legt. Mit seiner Leidenschaft für uns Menschen - ist er in Jesus gestorben und wieder neu geworden. Und das mache ich immerzu, meint er. 

Wir sind die, die nach der Auferstehung leben. 
Wir sind die, die von Auferstehung wissen. 
Wir leben schon mit dieser Geschichte von Jesus. 
Wie welche, die eine ungeheuer mächtige Gegengeschichte in der Hinterhand haben. 
Nicht utopisch ins Blaue geträumt, sondern mitten in die Passion gestellt. 
Wie die Jünger und Jüngerinnen sind wir „Die danach“. 
Nachdem Gott das den Menschen gezeigt hat. 
Das stellt die Bibel neben die Passionen des Lebens. Die bleiben nicht das letzte Wort. 

In Kloster Dambeck klopfte es letztes Jahr an die Tür. Dem hochbetagten Bruder Jens stellten sich zwei junge Männer vor. Sie suchten für ihre Familien nach einem Ort, an dem sie eine neue Gemeinschaft gründen könnten. Der Bruder schickte sie weg. Er suchte ja Brüder und keine Familien. Und betete weiter um Nachfolge. „Ich warte Gott, schickst Du mir jemanden?“ Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Am nächsten Tag rief er die jungen Männer an. Sie zogen nur wenige Monate später ein. Drei junge Familie leben jetzt dort. Weitere Menschen wollen dazu kommen, wollen diese alten zerbröckelnden Mauern reparieren und wollen das zerbröckelnde Kirchenleben erfrischen. Was für ein Fest konnten Bruder Jens und alle Gäste gestern feiern! Mitten zwischen ruinösen, aber angefangenen Gebäuden und welchen mit neuem Dach, aber Löchern in der Wand. Da sind Dinge passiert seitdem, die kann man kaum glauben. 

„Fürchtet Euch nicht“, sagt übrigens Jesus immer wieder in den vielen Begegnungen nach seiner Auferstehung. „Ihr wisst: Neues kann werden. Weil Gott ein leidenschaftlicher Gott ist. Nun geht. Und fürchtet Euch nicht. Seid Menschen der Auferstehung. Haltet Dinge für möglich. Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 
der halte unser Verstand wach und unsre Hoffnung groß 
und stärke unsre Liebe


Hier kann man das Kloster unterstützen: https://klosterdambeck.de/


.... Salz ist kraftvoll..

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