Sonntag, 16. Juni 2024

Salz und Licht sein

 

Queere Predigt für die CSD Gottesdienste 

in Wernigerode und Köthen




Micha; Jahrgang 1983 hat ein X auf dem Arm.

… und einen Schriftzug „No matter what“…

Er erzählt in einem Buch* über seinen persönlichen Weg und sein Comingout als schwuler Mann: „Es prangt ein »X« auf meinem Arm, besser gesagt ein »X« in einem Kreis. Auf meinem rechten Unterarm, kurz vor der Hand, eintätowiert wie ein Stempel. Es soll mich an etwas erinnern. Es ist das Logo der X-Men, Figuren aus in den USA sehr populären Comics, bei uns vor allem aufgrund der Kinofilme bekannt. Als Kind der Jahrtausendwende mag ich bis heute Superheldenfilme. Die X-Men ragen da aber besonders heraus. Denn sie sind Menschen, die aufgrund ihres Genpools besondere Fähigkeiten besitzen. Andere Menschen reagieren verunsichert und ängstlich auf sie. Sie grenzen die X-Men aus, diskriminieren sie, verfolgen sie sogar. Einige versuchen auch, sie zu heilen.“ Micha beschreibt, wie diese fremden grünen SuperWesen Aufsehen erregen und Ablehnung durch ihr Anderssein. Eine von ihnen kann sich sogar verwandeln. In alle Wesen, die es gibt. Sie könnte einfach aussehen, wie alle anderen auch.Jemand fragt sie, warum sie das nicht nutzen würde und einfach als normaler Mensch durch die Welt ginge. Ihr Antwort ist: »Weil das irgendwie nicht nötig sein sollte.« 


Micha schreibt:

„In den ersten fünfundzwanzig Jahren meines Lebens dachte ich, dass es nötig wäre, mich zu verstellen. Mich zu verändern. Ich dachte, ich müsste anders sein, anders werden. Ich dachte, ich wäre falsch und sündig. In diesem Glauben wuchs ich auf.“

So beginnt Michas Erzählung über seinen persönlichen Weg zu einem freien Leben als der, der er ist. Wie ein Gestaltwandler, der versucht nicht aufzufallen und so auszusehen wie alle anderen auch, so lebt er, berichtet er. Als Salz der Erde hätte er sich damals vermutlich nicht bezeichnet. Als ein Licht für andere schon gar nicht. Obgleich beides in ihm steckte. Aber so vieles vieles dagegen sprach, zu sein was er empfand. Oder so vieles ihm im Weg stand, das an sich zu sehen, was er vielleicht längst war. 


Micha ist keine Ausnahme. 

Micha könnte jeder und jede von uns sein und wir waren es vielleicht auch schonmal in unserem Leben. 

Ich für mich könnte das ganz sicher sagen. 

Dass es Zeiten gab, bei aller Behütung und allen Privilegien einer weißen Europäerin, dass es dennoch Zeiten gab, wo mir mein Salzsein nicht zugänglich war und mein eigenes Licht mir wie ein Spuk vorkam. Wo es Worte gab, die andere über mich aussprachen und Umstände in meinem Umfeld, die mich hinderten, das leuchten zu lassen, was in mir ist. Um nicht aufzufallen. Um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, mich wichtig machen zu wollen. Um keinen Ärger zu machen. Um kein Chaos zu verursachen. Um mich nicht zu unterscheiden. Um nichts zu verlieren. Um niemandem die Flanke zu bieten. Um andere nicht zu verletzen oder zu verwirren. Um normal zu sein. 

Ich dachte vermutlich, dass ich ein besseres Salz und Licht wäre, wenn ich nicht „so“ wäre. 


Du bist das Salz.

Du bist das Licht.


Jesus, Du hast mal wieder Worte, denen ich mich nicht entziehen kann. 

Als ob Salzkörner auf mein Herz fallen und Leben wie Wasser hervorrufen, so kannst du, in mir einen Menschen finden, den sonst niemand kennt. 

Als ob Licht sich wie in einem Spiegellabyrinth einen unmöglich scheinenden Weg sucht, so findet, Jesus, Dein Licht immerzu mein Herz. 

Du hörst nicht auf und lässt nicht nach, an mich zu glauben. Du glaubst an mich, wenn ich es nicht kann.

Deine Worte fallen so treu und hartnäckig in meine Seele, bis sie mich bewegen: 


Du bist das Salz. Du bist das Licht.


Ich soll mich einfach darauf verlassen, dass ich eine Salzige und eine Lichtvolle bist. Und dass ich mich damit zeigen darf. Und dass das was ausmacht. Dass meine Persönlichkeit etwas ausmacht. Dass ich kein Zufall bin oder ein unglücklicher Versuch.


Marianne Wiliamson hat einmal geschrieben:

"Unsere tiefste Angst

ist nicht, dass wir unzulänglich, 

un­sere tiefste Angst ist, 

dass wir über die Maßen macht­voll sind.

Es ist unser Licht, vor dem wir am meisten erschrecken, nicht unsere Dunkelheit.


Wir fragen uns: 

Wer bin ich, dass ich so brillant, großartig, talentiert, fabelhaft sein sollte?


Aber wer bist du denn, dass du es nicht sein solltest?


Du bist ein Kind Gottes. 

Dich klein zu halten, dient der Welt nicht.

Dich klein zu halten, 

damit die anderen um dich herum sich nicht unsicher fühlen: 

das hat nichts mit Erleuchtung zu tun.

Wir sind dazu bestimmt, zu leuchten wie Kinder.

Wir sind geboren, um die Größe Gottes, der in uns lebt, zu verwirklichen.

Und diese Größe ist nicht nur in ei­ni­gen von uns, sie ist in jedem Menschen.

Und wenn wir unser Licht leuchten lassen, 

dann geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, das selbe zu tun.

Wenn wir selbst von Angst frei sind, 

dann sind die anderen durch unser Dasein auch frei.“


Micha hat seinen Weg gefunden und ich finde, seine Worte sind wie Salz und Licht. Das hätte er vielleicht selbst nie gedacht. Es quillt nahezu aus ihm hervor. Er ist jetzt Salz und Licht für andere. Einmal waren anderes es für ihn. „No matter what“ - steht nach einem Popsong auf seinem Arm. „Egal was“ - heißt das. Er schreibt*: Gott „hat anderes für mich im Sinn, als ein Leben in Selbstgeißelung und Traurigkeit zu führen. Gott hält mehr für mich bereit, als ausgegrenzt, verleugnet und verletzt zu werden. Er will für mich nur eins: dass ich ich bin, mich selbst liebe und der bin, den er sich gedacht hat. An den Orten, an denen ich genau das kann. Mit den Gegenübern, die genau das schätzen. Dass ich, ganz egal, was passiert, glücklich und zufrieden ich selbst bin. Alles andere ist für Gott gar nicht nötig.“


Du bist das Salz.

Du bist das Licht.

.. selbst wenn Du ganz schräg bist und kompliziert 

und manchmal unmöglich und anstrengend 

und nicht schnell genug oder viel zu schnell oder zu durcheinander…

selbst, wenn Du vollkommen queer bist 

und selbst wenn Du ganz normal bist,

könnte es sein, 

dass Du genau deswegen

Salz der Erde bist

und Licht, da wo Du bist.


Du bist das Salz.

Du bist das Licht.

Das Leben braucht genau Dich.

Gott braucht Dich.

Für seine/ihre Welt. 

Du brauchst Dich nicht wichtig zu machen,

denn Gott hält Dich für wichtig.

Und das ist keine woke billige Zusage,

das gehört zum Zentrum unseres Glaubens:

Angenommen sein in Gott.

Sichtbar sein als Kind Gottes.

Das gibt dem Wort 

vom Salz und vom Licht seine Kraft.

Weil wir es nicht aus uns selbst heraus sind.

Weil Gott uns dazu macht. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen



                    Video vom CSD - Gottesdienst in Wernigerode (klicken)

 

(*Zitate von Micha sind aus dem Buch "Nicht mehr schweigen", hg. v. Timo Platte)


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