Samstag, 16. Februar 2019

Predigt für den 3. Sonntag vor der Passionszeit

So seufzt der Schreiber des Predigerbuches.: In meinem kurzen, unbedeutenden Leben habe ich beides gesehen: Mancher, der gerecht lebt, muss schon in jungen Jahren sterben, obwohl er nichts Unrechtes getan hat, und ein anderer, der nichts von Gott wissen will, darf dennoch ein langes Leben führen.“ 

Die ersten Fotos, die es von mir gibt,
sind schwarz-weiß.
Ich mag diese alten Bilder.
Ihr habt auch solche daheim. 
Die Bilder ganz vorne im Album.
Die Kleider hatten riesige Blumen.
Die Männer trugen Scheitel und Hemden.
Konfirmationsbilder, Hochzeitsbilder, Menschenbilder.
Schwarz Weiß.
Scharfe Konturen. 
Die Gesichtszüge stark.
Kontraste.
Licht und Schatten.
Dazwischen - in meinem Album -
ein kleines Bild in Farbe. 
Ein Onkel aus Westberlin hat es damals gemacht.
Es wirkt verwirrend bunt zwischen den Schwarz-Weiß-Photos.
Die Farben lassen eine Szene lebendig werden:
Kinder die im Hof spielen.
Man sieht die Farben unserer Gesichter, 
der Kleider, des Hauses, der Wiese.
Aber irgendwie verwaschen. 
Das bunte Bild wirkt weicher als die anderen.
Aber undeutlicher
- mit dem großen Spektrum der Farben.

Schwarz weiße Bilder zeigen alles.
Unbarmherzig 
aber echt,
scharf, direkt, klar, gnadenlos.
Licht und Schatten. Auch Grautöne.
Aber vor allem: Licht und Schatten.

Diese Bilder aus hell und dunkel wirken
tiefer und ungeschminkt,
offenlegend.
Alles ist einfacher wahrnehmbar.
Deutlicher.
Grenzt sich stärker von einander ab.
Beides. Das Licht vom Schatten. Das Schwarz vom Weiß.

„In meinem kurzen, unbedeutenden Leben habe ich beides gesehen, schreibt er: Mancher, der gerecht lebt, muss schon in jungen Jahren sterben, obwohl er nichts Unrechtes getan hat, und ein anderer, der nichts von Gott wissen will, darf dennoch ein langes Leben führen.“

Einmal sah ich ein Video von verschiedenen Menschen die farbenblind waren, die noch nie farbig gesehen hatten. Man überreichte ihnen eine Spezialbrille. Sie hatten ihr ganzes Leben noch nie eine Farbe gesehen. Mit dieser Brille war es möglich. Langsam und sichtbar aufgeregt setzen sie die Brille auf. Ihre Reaktionen waren überwältigend. Alle. Durchweg alle. Egal ob Männer oder Frauen, ob alt oder jung: sie brachen in Tränen aus, sie mussten weinen, brachen fast zusammen, mussten sich hinsetzen. Die meisten mussten die Brille erstmal wieder abnehmen. Sie sahen, was sie bisher verpasst hatten. 
All die Farben dazwischen. 
Zwischen schwarz und weiß.
Diese unermessliche Fülle an Farben,
Nuancen, Tönen, Möglichkeiten.

Alle diese Farben der Welt stecken im Licht unserer Tage.
Weiß sehen wir, wenn alle Farben gleich stark auf unsere Netzhaut treffen, sozusagen alle Farben gleich stark sind.
Das ultimative Licht. Volle Lichtkraft.
Schwarz empfinden wir als die Abwesenheit von Licht.
Und „dazwischen“ gibt es unendliche viel.
Wir leben in einer farbigen Welt.
Sie ist nicht so eindeutig wie einfach nur schwarz weiß.
Da ist nichts so eindeutig „dies“ oder „das“.
Nicht alles so unmissverständlich zu unterscheiden.
Sie ist komplizierter. 

„In meinem kurzen, unbedeutenden Leben habe ich beides gesehen: Mancher, der gerecht lebt, muss schon in jungen Jahren sterben, obwohl er nichts Unrechtes getan hat, und ein anderer, der nichts von Gott wissen will, darf dennoch ein langes Leben führen.“ 

„Ach, „die da oben“ kriegen immer und immer noch was dazu und wir „hier unten“ kriegen immer nur was weggenommen.“
- oder -
„Wer einem hilft, dem wird es sowieso nicht gedankt, der kriegt sogar noch Ärger - wer gar nicht erst hilft, der lebt besser und ruhiger.“
- oder - 

„Da gibt es welche, die halten sich an die Regeln und der Herrgott legt ihnen eins um das andere Leid auf ihre Schultern. Und dann gibt es die Luftikusse, die sich an nichts halten, die werden auch noch belohnt!“

- so sagen die Leute oft zu mir.

Da sind die anderen - es sind immer die anderen - die alles kriegen, obwohl sie sich um nichts scheren. So scheint es.
Und dann gibt es die, die alles tragen müssen, bei denen noch mehr dazu kommt. Unerträglich. 
Es scheint, als würde auf manche nur Licht fallen und auf andere nur Schatten, als würde man selber immer an der falschen Kasse stehen und nur bestraft für sein Gut-sein.
Das SIND reale Lebenserfahrung der meisten Menschen.

„In meinem kurzen, unbedeutenden Leben habe ich beides gesehen: Mancher, der gerecht lebt, muss schon in jungen Jahren sterben, obwohl er nichts Unrechtes getan hat, und ein anderer, der nichts von Gott wissen will, darf dennoch ein langes Leben führen.“

gerecht und ungerecht
fett und winzig
häßlich und schön
dick und dünn
klug und dumm
- das sind unsere 
schwarz-weißen Endgültigkeiten
unsere Urteile
scharf gezogene Linien.

Einer, der Gutes tut, muss Gutes erfahren.
Einer der Schlechtes tut, soll Schlechtes erfahren.
Aber IST das gerecht?
Wer sagt denn, was konkret gut oder schlecht ist?
Kann nicht das Gute für den einen gut sein und gleichzeitig dem anderen schlecht bekommen?
Kann nicht das Schlechte dem einen schaden, den anderen aber retten?

Gut und böse. Gerecht und ungerecht.
Das klingt wie schwarz weiß.
Aber das ist es nicht.
Das ist es nicht.

Ich wünschte, ich, wir alle hätten die Gabe, anders wahr zu nehmen. Anders zu urteilen. Anders zu bewerten. So anders wie Jesus. Weniger schwarz-weiß. Farbiger, weicher, Barmherziger. Mehr dazwischen. 
Ist schwarz-weiß-Sehen ein Schutz für uns selbst?
Ist schwarz-weiß-Sehen klarer? Einfacher? 
Nicht so kompliziert?
Es wird ja kompliziert, wenn ich den vermeintlich Bösen nicht mehr nur schwarz wahrnehme - sondern in all seine Schattierungen, auch den menschlichen, hellen Seiten. Es würde komplizierter. Und ganz anders. 

Ungerechtigkeit ist für mich selbst ein großes Thema. Eins, das mir durch Mark und Bein geht. Eins, das ich mit dem Bauch spüre. Sofort. Das beginnt zu kochen. Augenblicklich. 
Der Prediger mit seinem Seufzen über die fatalen Ungerechtigkeiten des eigenen Lebens und das der anderen sucht nach einer Weisheit. Nach der Weisheit, wie man dann gerecht leben soll. Er sagt:

„In meinem kurzen, unbedeutenden Leben habe ich beides gesehen: Mancher, der gerecht lebt, muss schon in jungen Jahren sterben, obwohl er nichts Unrechtes getan hat, und ein anderer, der nichts von Gott wissen will, darf dennoch ein langes Leben führen. 
Deshalb: Leb nicht übertrieben rechtschaffen und versuch nicht allzu weise zu sein. Oder willst du dich selbst zugrunde richten? Aber sei auch nicht zu schlecht und unvernünftig: Oder willst du sterben, bevor deine Zeit gekommen ist? Es ist am besten, wenn du das eine nicht loslässt und dennoch das andere behältst. Denn derjenige, der Gott ernst nimmt, findet den richtigen Mittelweg.“

Die Weisheit ist Nicht nur schwarz oder weiß.
Die Weisheit des Lebens ist die Mitte. 
Die Farben dazwischen.
Weise ist, die Farben des anderen wahrzunehmen
auf Kosten der Eindeutigkeit.
Weisheit ist, dass es eine unermessliche Fülle an Farben des Lebens gibt, an Nuancen, Tönen, Möglichkeiten.
Die Weisheit ist mehr als Licht und Schatten.
Sie rät, nicht gnadenlos zu sein und nicht ohne Erhoffen.
Sie rät uns den Mittelweg.
Und: wir sollen Gott ernst nehmen.
Und in die Mitte. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen. 


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