Montag, 10. Dezember 2018

Weihnachtsaugen

Sie hatte dringend um einen Besuch der Seelsorgerin geben und so komme ich zu später Stunde noch in das Krankenzimmer in der Klinik. In den Betten des Zimmers liegen zwei ältere Damen in ihren Rüschennachthemden. Von ihren Ängsten erzählt die fromme ältere Dame aus gutem Hause. Eine halbe Stunde lang erzählt sie ihre beeindruckende Biografie. Sie braucht meine ganze Aufmerksamkeit. Als sie kurz verschwinden muss, lächelt mich aus dem Bett daneben eine stille aber sehr fidele 90jährige an. Sie sagt nur wenig. Etwas über ihre Heimat, das Sudetenland. Und wie sie alle ihre Männer davon gejagt hätte und alleine die Kinder groß gezogen und die Familie durchgebracht hätte als Hilfsarbeiterin. Die besorgte Dame kommt wieder. Eine Weile erzählt sie noch. Dann beenden wir das Gespräch und ich biete an, wieder zu kommen. Zum Abschied singe ich ein Abendlied und wir beten für die beiden und die Menschen im nächtlichen Krankenhaus. Das Vaterunser sprechen wir und einen Segen. Ich gebe der Dame die Hand. Mit vielen Wünschen und Ermutigungen verabschiede ich mich. Voller Sehnsucht nimmt sie jedes gute Wort. Auch zur kleinen Frau nebenan gehe ich noch. Nehme ihre kleine Hand, wünsche eine gute Nacht. Als ich die Hand zurück ziehen will, hält sie sie fest. Mit tiefer Stimme sagt sie: „Und. Vor. Allem. Frohe Weihnachten!“ Ihre braunen Augen halten mich fest. So viel Wärme liegt in ihrer Stimme und in den Augen. Sie meint es so. Es fühlt sich an, als wäre das Weihnachten tief in ihr. Man könnte es mit der Hand berühren. Einen langen Moment sehe ich in ihre Weihnachtsaugen, dann drücken wir still uns die Hände. Wenn das die besorgte Dame wüsste, dass da Weihnachten mit Hoffnung bis obenan neben ihr im Zimmer liegt…  



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