Samstag, 15. Dezember 2018

Über das Einander-Annehmen.
Mit einem Hauch Weihnachtsgeschichte.
Predigt zum 3. Advent


... mit dem Lied: Wie soll ich dich empfangen (EG 11, Strophe 1)

Predigt:
Die Schritte waren an diesem Abend wirklich schwer. Sie hob den Fuß, aber er schlurfte im Aufsetzen. Sie war wahnsinnig müde. Das, was sie hinter sich hatte, dieser Weg, in diesem Zustand, das war kaum menschenmöglich. Kaum auszuhalten. Sie gähnte immerzu. Rieb sich die Augen. Die brannten sehr. Hier kannte sie niemanden. Alles war ihr fremd. Auch wie die Leute sprachen. Gut, dass sie wenigstens nicht alleine war. Sie rückte ihr Kopftuch zurecht. Die Leute hier kleideten sich etwas anders, das sah sie gleich. Die Leute guckten ihnen hinterher. Man sah ihre Gedanken. „Was wollen die denn hier?“ Ob sie für diese Nacht eine Herberge finden würden? Sie hielt sich den schmerzenden Rücken. Eigentlich dachte sie bei jedem Schritt, dass es nicht mehr weiter ginge. Und doch ging es dann immer noch einen Schritt weiter. So war es seit Tagen. Was sie nur hier sollte in dieser kleinen Stadt? Sie seufzte. Langsam gingen sie auf das Licht einer Laterne zu. Ein großes Tor. 
Wenn doch hier jemand Nettes wohnen würde. Das wäre ein Geschenk. Sie hob die Hand in Richtung Tür. 

Lied: Strophe 2

Sie war müde vom Geschäft des Tages. Den ganzen Tag hatte sie geschuftet. Da war wieder was los gewesen! Und die Bude war voll wie immer. Und nebenbei die Familie, die Kinder. Essen kochen und die Wäsche. Sie freute sich auf die ruhige Stunde, wenn sie die Tür zuschloss und die Kinder schliefen und endlich Ruhe einkehrte, sie den Rücken straffen konnte und durchatmen. Sortieren, was alles los gewesen war am Tag. Und schon einmal überlegen, wie sie den nächsten Tag meistern würde. Mit ihrem Mann räumte sie das Geschirr weg. Putzte die Tische. Fegte noch die Küche. Versonnen stand sie am Fenster. Es würde eine kühle Nacht werden. Ihr Ofen wärmte gut. Die Lichter in der Straße funkelten zwischen den im Wind schwankenden Bäumen. Der Mond war heute nicht zu sehen. Ungemütlich war es draußen. Gut, dass alles für heute vollbracht war.

Lied: Strophe 3

Die eine Frau klopfte ans Tor. Die andere schaute überrascht, wer zu so später Stunde noch zu ihr wollte. Etwas stöhnend stieg die andere die Treppe hinab, schloss die alte Tür auf und machte Licht. Draußen standen welche. Vorne stand diese Frau. Sie hatte dunkle Haare und große dunkle sehr müde Augen. Auf dem Haar trug sie ein Tuch. Fröstelnd hielt sie den langen Mantel fest. Das waren welche, die eine Herberge brauchten. Das sah die andere Frau sofort. Und obwohl sie selber sehr müde war, sah sie mit einem Blick, dass die andere sie jetzt brauchte. Dass sie jetzt einen warmen Raum bräuchte und einen Platz zum Schlafen. Sie sah erschöpft aus. Viel weiter würde sie es nicht schaffen. Sie nickte die Frau an und ging die Schlüssel holen. 

Lied: Strophe 4+5

Eine Frau mit einem Tuch auf dem Kopf. Erschöpft nach einem langen Weg. Die stand vor … - mir. Es ist meine eigene Geschichte. Unsere Geschichte - von mir und Hwaida. Eine Geschichte biblischen Ausmaßes, so fühlte es sich an. 2015. Unsere Gemeinde hatte beschlossen, Räume für Flüchtlinge zu Verfügung zu stellen. Keiner von uns hatte eine Ahnung, wer das sein sollte: „Die“ Flüchtlinge. Gemeinsam mit dem Landkreis wurden Betten aufgestellt, Waschmaschinen gekauft. Lampen besorgt. Es wurde ernst. Niemand konnte  uns sagen, wann da welche kommen würden. Wieviele. Woher. Spät abends klingelte es. Als ich zur Tür ging, sah ich dunkle Gestalten, die sich schüchtern hinter dem Torbogen scharten. Eine energische Übersetzerin ging zielstrebig auf mich zu. Sie stellte mir die kleine syrische Familie vor, die nach und nach aus dem Dunkel ins Licht trat. Die Mutter Hwaida, 42 Jahre alt. Den Sohn Bahar, 22. Die Tochter Nour, 15, die aussah wie eine kleine zarte elfenartige Maria mit ihre dunklen Augen und dem Tuch auf dem Haar. Und die beiden Kleinen, Mohammed und Salaheddin, kleine Schulknaben. Ich begrüßte Hwaida. Vom ersten Moment an waren wir uns nah. Ich bin Bettina und auch 42 Jahre alt, sagte ich. Willkommen. Sie nickte. Ich bin auch Mutter. Sagte ich. Ich habe fünf, meinte sie und zeigte mit den Fingern. Ich auch, antwortete ich. Sie fiel mir um den Hals, Tränen in den Augen. Einige Monate lang sollten wir ab diesem Abend Tür an Tür leben. Ihr Mann Aboud stieß einige Tage später noch hinzu. Der älteste Sohn Diaa kam zu Besuch. Sie hatten sich auf der Flucht verloren, auf der Flucht, auf der auch die Kinder  innerlich um Jahre gealtert waren. Wir versuchten, zusammen mit anderen Freunden, einen  minimalen Hausstand aufzubauen. Lebensmittel zu finden, die ihr vertraut waren. Zeigten ihr unseren Heimatort. Meldeten die Kinder in der Schule an. Übten deutsch sprechen. Der Natürlichste und Direkteste unter uns war mein kleiner Sohn Jakob, damals 5 Jahre alt. Er spielte und lachte mit seinen neuen Kumpels, er aß Reis mit Fleisch und Fladenbrot.  Er trank sogar lächelnd den schwarzen Tee mit viel Zucker. Bis heute haben wir miteinander Kontakt. Wir sind Freunde geworden.

Lied: Strophe 6

„Denn was geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.“ (Römerbrief, Kapitel 15)

Einander annehmen kann man lernen. Einander annehmen kann man einfach anfangen. Einander annehmen hat mit Hören zu tun, mit sich-hinein-versetzen, mit einem barmherzigen Blick, mit Unvoreingenommenheit, mit Güte, mit Geduld, mit Neuanfängen, mit Scheitern, mit es-immer-wieder-neu versuchen, mit Vertrauen, mit gemeinsamen Essen, mit Wahrhaftigkeit, mit Liebe, mit Streit, mit sich-aussetzen, mit aushalten, mit Spaß, mit der Erkenntnis, dass es keinen anderen Weg gibt, keinen anderen, um weiter zu leben als Menschen, hier. 
Zum Frieden gibt es keinen anderen Weg, als dass der Weg schon Frieden ist.  Das meinte Jesus, als er sagt, ER sei der Weg. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

.... Gott gibt sich in Deine Hände...

 Predigt über "Geistwasser"  im Universitätsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen der Predigtreihe...