Predigt in Wittenberg
über unsere mächtigen inneren Muster
Da wohnt ein Sehen tief in mir
nach Beherztheit und Ganzsein.
In Zeiten wackelnder Gewissheiten
und sich auflösender Vertrautheiten
der Welt.
Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem.
Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda.
Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte.
Wir sind die, die in Hallen liegen,
bewegungslos manchmal,
festgenagelt am Faktischen und nicht hochkommen
dahin wo Heilung und Änderung ist.
Krank vor Angst vor den Kipppunkten von diesem und jenem,
blind von der Fülle der unheilsamen Bildern dieser Tage,
lahm vom schnellen Alltag,
ausgezehrt vom immer neu sich-Hoffnung-aufbauen-müssen.
Die Hallen des Alltags sind voll
von Menschen mit Hoffnung auf Heilung.
Wir warten.
Wir rotten uns zusammen,
alle in ihrer je eigenen Halle natürlich,
mit ganz unterschiedlichen Hoffnungen für diese Welt.
Die Hoffnung nach Leichtigkeit, die vom Himmel fällt.
Die Hoffnung auf ein Wunder, das einfach von selbst kommt.
Als könnte ein Einzelner oder ein Volk in einen See steigen
und der würde abwaschen alle Geschichte und
alle Not, alles innerliche Erbe, den Schmerz
und alle Verantwortung, alle Entzweiung, alles, was gerade so kompliziert ist.
Ein Wundersee.
Und wir rennen und versprechen uns Heilung,
Alternativen, Lösungen, Ordnung, Verständigung.
Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich,
der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen;
in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte.
Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank.
38 Jahre, 40 Jahre, 35 Jahre Frustration.
Wieder geht der Kelch an uns vorüber,
Das Leben hat nur Fausthiebe.
Mir hilft keiner sagt sie.
Mich versteht niemand, sagt er.
An mir geht das Glück vorbei - wieder sie.
Die anderen haben immer die Nase vor - er.
Das hier zerfrisst meine Lebensfreude, sagt sie.
Und sie gönnen einander nichts da am See.
Ihr Lamentieren „Hier ist ja kein Mensch“, „Immer ich“
und „Niemand denkt an mich“, „Keiner hilft mir“
ist wie liegenbleiben im eigenen Leben,
nicht herauskommen,
oft auch nicht können, aus dem Gedankenkarussel,
das unselig ist und unheilig,
das kränker macht.
Die müde Gesellschaft,
die erschöpfte Gesellschaft,
die die in Blasen lebt,
Matt vom Anpassen, Protestieren und Kämpfen,
vom Gutseinwollen oder vom Böseseinwollen,
und andasGuteglauben und Verschwörung-sehen.
Und ich und Du sind irgendwie auch nicht weit weg,
manchmal nah bei denen, die liegen bleiben
auf ihren Meinungen und allen Irrtümern
über sich und die Welt.
Bodo Wartke singt in einem Song
über das nicht-herauskommen
aus den Gewohnheitshamsterrädern des Lebens:
Die Muster sind mächtig
und das nicht zu knapp
und man legt sie erst recht nicht
einfach so ab
Die Muster sind mächtig
und ziemlich robust,
uns ist das tatsächlich
nur selten bewusst
Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich,
der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen;
in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte.
Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig
Jahren krank. Als Jesus ihn liegen sah und vernahm,
dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm:
Willst du gesund werden?
Willst Du?
Ich meine jetzt Dich, die oder der Du hier sitzt.
Willst Du?
Gesund werden?
Und Du da draußen „mir hilft ja keiner“ - Mann?
„Da ist ja kein Mensch“ - Frau?
„Früher war alles besser“ - Nachbar?
und alle die aufgegeben haben?
Willst Du gesund werden?
Wohnt da ein Sehnen tief in Dir?
Nach Gott? Ihn zu sehn im Alltag, ihm nahe zu sein?
In Sorge, in Schmerz?
Jesus nimmt den Tonarm von der sich drehenden Platte,
die sich dreht seit 38 Jahren und leiert:
„Jemand müsste doch mal …mich zum See tragen“,
und „ich kann sowieso nichts ändern“.
Die Muster sind mächtig
und das nicht zu knapp
und man legt sie erst recht nicht
einfach so ab
Jesus bringt Klarheit
er nimmt dem Menschen den Grund,
weiter liegen zu bleiben.
Jesus streichelt oder pustet diesmal nicht zart über alles drüber.
Er rüttelt wach,
er gibt einen Stoß, vielleicht einen Anstoß.
Er weiß, dass es Zeiten gibt,
wo die Hoffnung wie weg scheint und
alle Berge und Hirten und Schirm und Schild nicht helfen.
Wo Du und ich einen Stupser brauchen und Klarheit.
Was ist jetzt mit Dir? Liegenbleiben oder Aufstehen?
Darum heißt der Ort „Bethesda“, zu deutsch: Ort der Gnade.
Keine Ausreden mehr.
Kein Klagen wie gestern und vorgestern und die Tage davor.
Ein Mensch nimmt nach 38 Jahren
die Matte seiner Mattigkeit und steht auf.
Er bekommt nichtmal mit,
wer ihm das getan hat.
„Keine Ahnung, wer das war.“, sagt er oder sie später.
Jesus durchbricht die Muster,
das kann er mit seiner Kraft.
Was er tut, scheint den anderen irgendwie illegal.
Er beweist ihnen das Gegenteil zu ihrem Satz:
"Ich habe ja keinen Menschen!“
Die anderen am See sehen sich um.
Da ist einer auffällig unangenehm glücklich.
Für den hat sich etwas im Leben geändert.
Das gönnen sie ihm nicht,
Jesus hat zwischengefunkt in ihre Muster
des Liegenbleibens und Abwartens,
in ihre Idee von Unmöglichkeit,
in ihre Gewissheit von Beschränkung.
Er kann doch nicht einfach etwas tun,
von dem wir dachten, das ginge überhaupt nicht!
Hier wird der Reihe nach geheilt!
Spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?
Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen,
der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt;
wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.
Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!
Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin.
Jesus nimmt Dir den Grund liegen zu bleiben.
Er fragt dich jeden Morgen so wie Du bist:
„Willst Du?“
„Steh auf!“
„Hilf mir,
hier und da aufzuhelfen,
was liegengeblieben ist,
denen die es an den Boden drückt,
die denken da sei kein Mensch.
Die Muster sind mächtig
und das nicht zu knapp
und man legt sie erst recht nicht
einfach so ab
die Muster sind mächtig
und ziemlich robust
uns ist das tatsächlich
nur selten bewusst
Wie kommt es nur, dass man so frohgemut
immer wieder ins Verderben rennt
man tut halt selten das, was einem gut tut,
eher das, was man gut kennt
(aus dem Lied von Bode Wartke: „Die Muster sind mächtig“)
Bethesda ist keine romantische Heilungsgeschichte
sie erzählt von unserem Festhalten
und ruft heraus aus allen Hallen
aller Muster, die wir pflegen,
und die ohne Leben sind.
Jesus kann einfach etwas tun,
von dem wir dachten, das ginge überhaupt nicht!
Vielleicht auch wir.
Bethesda erzählt, dass es Orte der Gnade gibt
wo Heilung und Hoffnung geschehen.
Bethesda sagt Dir, dass Jesus Dich anspricht.
Vielleicht bist Du diese Woche die Person,
die ganz konkret jemanden anspricht. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft,
der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß
und stärke unsre Liebe. Amen.
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