Sonntag, 13. April 2025

... von unserer Müdigkeit...

 

Predigt zu Palmsonntag in Stendal 





Mein Passionskranz hat für jede Woche ein neues Licht. Ähnlich wie bei einem Adventskranz zünden wir sonntags eine neue Kerze an. An jedem Sonntag der Passionszeit. Karfreitag bleibt er aus. Ostersonntag brennen dann alle 7 Kerzen und in die Mitte stellen wir die Osterkerze. Ein Kollege hat diesen „Schnickschnack" kritisiert. Das wäre theologisch doch völlig falsch. Ich solle doch lieber mit allen Kerzen beginnen und jede Woche eine ausblasen. Jesus geht ans Kreuz. Kein Grund zur Freude… Er hat mich nicht überzeugt. Die Passionszeit ist eine Zeit, wo ich einen Gang zurück schalte. Ich ändere meine Lebensgewohnheiten, indem ich faste. Mir tut das einfach gut. Ich ändere etwas an meiner Bewegung und an meinem Essen. Und das alles ändert etwas an meiner Aufmerksamkeit. An meiner Klarheit. An meiner Verletzlichkeit. An meiner Müdigkeit. Die Jünger und Jüngerinnen wurden auch nicht immer trauriger. Im Gegenteil! Ihre Hoffnungen wurden immer größer. Freilich. Das, was sie erhofft hatten, das geschah nicht so, wie sie es erwartet hatten. Sondern ganz anders. So groß hätten sie niemals zu hoffen gewagt. Dass am Ende Jesus sogar den Tod überwinden würde. Darum zünde ich jeden Passionssonntag eine Kerze mehr an. Für mehr Hoffnung. Für steigenden Mut. Für weniger Müdigkeit. Erwartungskerzen. Auf das, was Gott mit meinem Leben machen wird.

Der Prophet Jesaja erzählt, was Gott mit seinem Leben macht. 
Nämlich jeden Morgen:
Ihn jeden Morgen zu wecken,
dass er oder sie aufstehen kann.
So banal das klingt… für manche ist das schon eine Menge in diesen Tagen.
Überhaupt noch aufstehen.
Wie klebrige Spinnfäden liegt Müdigkeit auf vielen Gesichtern und Herzen. 
Manche sind der Gesellschaft müde geworden -
des Zuhörens, 
des Streitens,
des Glaubens,
des Lebens. 
Und manchmal versteh ich das und so viele sind zu recht müde an mancher Leere, manchem Unerfüllten, mancher Angst, mancher übergroßen Anstrengung. Und oft versteh Ichs nicht. Was hat uns denn alle so erschöpft? Durch welche Entbehrung und Nächte sind wir als Gesellschaft gegangen? Was für schreckliche Träume müssen wir ausbaden, was ist so eingebrochen und so voll Mangel, dass wir kaum Kraft haben, wach zu sein? So dass man sich dem kaum entziehen kann? Warum fällt jeder früher für möglich gehaltene Aufbruch aus - wegen Müdigkeit? Und doch ist genügend Energie, um gegen andere zu protestieren, etwas nicht zu wollen, abzulehnen, zu kritisieren und sich zu wehren. Und fürs Eigene? Sich selbst zu bewegen aus einer bequemen Position. Sich zu verändern für die, die nach uns kommen. Sich zu öffnen für Neues und mit Sicherheit Bereicherndes. Die Hand zu reichen. Eine Brücke zu bauen. Mit den Folgen unseres Handelns und unseres Lebensstils zu leben. Fremden zuzuhören. Eigenes in Frage stellen zu lassen. Dafür sind wir müde. So müde. Manchmal sind wir gerne lieber müde. Manchmal würden wir da gerne raus.

„Gott, die Macht über uns, hat mir eine Zunge gegeben wie jemandem, der noch lernt, damit ich es verstehe, die Müden mit einem Wort zu stärken. Jeden Morgen weckt er mir das Ohr, damit ich höre wie jemand, die noch lernt. Gott, hat mir das Ohr geöffnet.“ … spricht Jesaja, ein alter Prophet.*

Von allen möglichen Zielgruppen hat Gott sich die Müden ausgesucht. Er schickt jemanden, die Müden mit einem Wort zu stärken. Mich und Dich. Uns Müde. Wahrheitsmüde. Bekenntnismüde. Mutigseinsmüde. Und Geradestehmüde. Veränderungsmüde. Katastrophenmüde. Glaubensmüde. Aufstehmüde. Aufbruchs-müde. 

Von allen möglichen Zielgruppen hat Gott sich außerdem auch noch uns ausgesucht, uns zu den Müden zu schicken. Mit stärkenden Worten.

"Gott, hat mir das Ohr geöffnet. Und ich sträube mich nicht. Ich weiche nicht zurück. Meinen Rücken gab ich denen, die schlagen, meine Wangen denen, die prügeln. Mein Gesicht habe ich nicht verborgen vor Schmähworten und Speichel.“

Er hat uns in die Morgengruppe geschickt. Zu denen, die er morgens weckt mit seiner Kraft. Er aktiviert den Seinen die Zunge und das Ohr. Jeden Tag. Er schickt Bilder des Aufbruchs und des Sieges über den Tod, dass sie lang verinnerlichte Hoffnungslosigkeiten, Lebensstile und Verzagen, Bequemlichkeit und Kleinglauben fahren lassen können. Er öffnet den Seinen die Ohren - dass sie sein Wort hören können. Bis ins innerste Tiefe des Herzens. Du bist einer, Du bist eine von den Seinen. Morgens weckt er Dich. Löst Zunge und Ohren. Löst Mut und Herzenblickigkeit. Er lässt Dich nicht fertig sein. Er lässt Dich wachsen, wie einen österlichen Adventskranz. Immer dem Licht zu. Noch nicht fertig. Lernende, Lernender des Herrn. In diesen Zeiten heißt das auch mal hart zu bleiben.

„Gott, hilft mir, darum werde ich nicht beschämt, darum mache ich mein Gesicht hart wie einen Kieselstein und weiß, dass ich nicht zuschanden werde.“

Nein, verhärten sollst Du sicher nicht. Aber felsenfest an seinem Wort bleiben, wo sie an der Nächstenliebe kratzen, die Fremden beschämen, den Armen Gewalt antun, die Wahrheit verdrehen, die Liebe verachten, das Mitgefühl als Fehler belächeln. Da höre genau hin. Lass Deine Zunge sprechen und zeige Haltung. Was den Kern des Glaubens betrifft, sollen sie auf Granit beißen. Hart wie Kieselsteine sollst Du die Grenzen der Mitmenschlichkeit aufzeigen und mutig das Wort ergreifen. Das Wort, das die Müdigkeiten zerschlägt. 

Heute und kommende Woche feiern unsere jüdischen Geschwister Pessach. Fest des Aufbruchs und der Sehnsucht. Heute und kommende Woche ist es auch bei uns die Heilige Woche, in der wir das Kreuz nochmal oder erstmals verstehen lernen. Als Lernende des Lebens, des Glaubens. Immer wieder neu. als die nicht Fertigen. Gott lässt seinen Propheten dafür Mutworte sagen. Morgenworte. Aufstehworte. Für Dich und Mich. Hab keine Angst. Steh auf und erhebe Dein Haupt. Leg ab die Müdigkeit. Höre. Sprich. Lass leben den Geist Gottes unter den Menschenkindern.

„Nahe ist mir die Macht, die mich gerecht macht! Wer will mit mir streiten? Lasst uns miteinander vortreten! Wer will mein Recht beugen? Sie sollen nur kommen! Schaut, Gott, die Macht über uns, hilft mir. Wer will mich verurteilen?"

Lasst uns miteinander vortreten! ruft Jesaja. Miteinander. Vortreten. Aus der Reihe. Sichtbar sein. Das andere merken - Du bist eine von denen. Eine mit Hoffnung. Die Hoffnungen der Jüngerinnen und  Jünger wurden damals immer größer. Freilich. Das, was sie erhofft hatten, das geschah nicht so, wie sie es erwartet hatten. Sondern ganz anders. So groß hätten sie niemals zu hoffen gewagt. Danach taten sie es laut. Und lauter. Das Hoffen.

Ich bitte Dich, Dir einen Moment zu nehmen. Was wäre es in dieser Woche? Wo könntest Du diese Woche aufbrechen? Mutiger sein? Ein Wort für einen Müden /eine Müde oder Deine eigene Müdigkeit finden und auch sagen? Laut. Nimm es Dir vor. Überleg es so konkret wie möglich.

Gott gab uns Ohren. Und Stimmen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen.



(*Bibeltexte Jesaja 50, 4-9 nach der Bibelübersetzung in Gerechter Sprache.)


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