Samstag, 23. November 2024

... wo kämen wir hin....

Als Kirche den Staub von den Füßen schütteln

Predigt zur Eröffnung der Landessynode der EKM / Nov. 24

mit Lukas 10, 1-11 - zu zweit zu lesen

Sein Haus steht neben der Kirche. Gottesdienstgänger ist er nicht. Ich kenne ihn nur vom Sehen. Er muss mich dringend mal sprechen, ruft er am Sonntag in mein Auto im Vorbeifahren. Können wir einen Termin machen? frage ich, ich hab gerade zu tun. Ich rufe sie an, ruft er zurück. Am nächsten Morgen. Es ist dringend, sagte er. Können sie bitte herkommen. Ich bin nicht sicher. Die Leute sagen, er wäre ein ganz Verschrobener. So`n Kauz. Der macht nichts für umsonst. Der hat es faustdick hinter den Ohren. Der will immer was von einem. Passen sie bei dem auf. Ich komme, sage ich und ärgere mich sofort über mich. Andere schaffen es auch in mein Büro. Wehe es ist nichts wichtiges, denke ich, als ich losfahre und bin schon vorsichtshalber vorher ärgerlich. Ich verschwende sicher meine Zeit. Ich hätte so gut noch so viel anderes jetzt machen können. Wo kämen wir denn hin, wenn das alle machen? Du hast ihm zugesagt, sagt eine andere Stimme in mir. Schau doch erst mal, was er will. Bestimmt stänkern, sagt die andere Stimme oder irgendwas mit mir händeln, du weißt ja, wie er ist. Woher willst du das wissen, sagt die andere Stimme. Ich komme an. Mit mir im Unreinen. Er steht schon an der Straße. Er winkt mich zur Seite und weist mich ein. Ich solle gleich auf den Waldparkplatz fahren. Er kommt hinkend hinterher. Ich steige aus. Bevor ich ihm richtig guten Tag sagen kann sagt er: wir fahren in den Wald, steigen sie ein. Er öffnet seine Autotür. Es ist ein altes klappriges Auto. Ich schlucke. Einsteigen? Ich entscheide mich, es einfach mal geschehen zu lassen. Ich steige ein. Schweigend fahren wir minutenlang einen Waldweg lang. Dann erklärt er die Wege und wohin sie führe. Wir fahren auf eine Anhöhe. Das ist der Spielberger Grund, sagt er. Man hat einen atemberaubenden Ausblick. Er dreht um. Er fährt und fährt. Wir halten an einer Lichtung. Kommen sie. Das hier ist der Kirchenwald. Er läuft los. Querfeld ein. Läuft und läuft. Sein Bein schleift. Wir gehen. Oft schweigend. Er zeigt mir die schönsten Bäume. Die Wildschweinsuhle. Die Bäume, an denen sie sich schuppern. Es geht weiter. Er hat manchmal Mühe beim Gehen. Wir gehen zusammen. Mal er voran. Mal ich. Wir reden nicht viel. Wir steigen wieder ins Auto. Er verlässt die Waldwege und wir fahren quer durch den Wald. Sein Auto hält das aus. Wir steigen nochmal aus, laufen ein ganzes Stück. Ein richtig alter Stein, sagt er, ein Menhir. Er wollte ihn mir zeigen. Wir laufen zurück. Er weiß, wem die Waldstücke gehören und wie sie heißen. Er nennt mir die Namen. Dann fahren wir schweigend das letzte Stück. Am Waldparkplatz schnalle ich mich ab. Wir müssen noch weiter sagt er. Kurz später laufen wir über den Friedhof. Schauen die Zäune an und die Kirchenmauern. Stehen endlich am Grab seiner Tochter. Sie wäre jetzt ungefähr so alt wie ich. Sie starb mit 19 Jahren. Stehen da kurz. Seite an Seite. Nur das. Dann fährt er mich zurück zum Auto. Tränen stehen in seinen Augen. Er schenkt mir eine Apfelsine und selbst geknackte Walnüsse. Ich weiß, er hat selber nicht viel zum Leben. Ich steige aus. Er winkt sehr froh, komplett verändert. Irritiert fahre ich weiter. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wobei ich ihm geholfen habe. Aber das habe ich, das ist zu spüren. Das hier war wichtig. Es hat Friede diesem seinem inneren Hause gegeben.





Danach nahm Jesus mit großer Autorität 

70 weitere Jüngerinnen und Jünger auf 

und schickte sie zu zweit 

voraus 

in alle Städte und Orte, 

wohin er selbst kommen wollte. 


Es gibt mehr Jünger oder Jüngerinnen als Du denkst, die direkt und ohne Umweg, 

vielleicht mit Staub an den Füßen, Gott in ein Haus oder in ein Leben tragen, 

manchmal ohne dass sie es wissen. 

Gott, sein Wort, den Frieden wie Schmetterlinge auf dem Finger hereintragend, 

die sich entfalten, die Luft erfüllen, Schwingen bekommen, 

irgendetwas bewegen in diesem anderen Leben. Unverfügbar. Geistkraft.

 

Wenn DU gehst mit Gottes Wort - 

hin geschickt in Häuser und Leben, 

kommt Jesus dann auch. 

Geh schonmal vor. Sagte er. 

Ich komme nach. Er kommt noch. Geh vor!

Du gehst eigentlich nur vor ihm her. 

Das darfst Du glauben. Es liegt nicht alleine an Dir.


… und schickte sie zu zweit 

voraus 

in alle Städte und Orte, 

wohin er selbst kommen wollte.


Geht immer zusammen!

Meine Reichgottes-Bot*innen sind nicht alleine, sagt Jesus, denn wenn Du so mutterseelenalleine mit dem Staub an den Füßen und Gott auf den Lippen… 

aber alleine… keine Gemeinschaft, die Du mitbringst, wie glaubhaft wäre das? 

Auch für das, was DU zu tragen hast und für das, was Dir begegnet: sei nicht allein! 

Tragt zu zweit, zu vielen, auf jeden Fall zusammen. 

Glaub-würdig spricht das von dem, was Eure Botschaft ist, 

die da, im Dazwischen, sich entfaltet. 


Er sagte zu ihnen: 

'Das Erntefeld ist groß, 

die Menge der Arbeiterinnen und Arbeiter 

aber gering. 

Bittet nun den Herrn der Ernte, 

dass er Arbeitskräfte für sein Erntefeld sprießen lasse.


Ich sehe Chancen. 

Ich sehe so viel zu ernten, sagt Jesus zu denen, die seine Worte weiter tragen werden 

und die sein Reich wie Gewandzipfel schon heute aus allen Ecken herauslugen sehen.  

Mein Erntefeld ist überall. Auch die Wüste, auch der Staub, auch all die kleinen Dörfern. 

Ich will nicht dass uns jemand entgeht, 

dass jemandes Not uns entgeht und unser zur-Stelle-sein uns entgeht. 

Und große Ernte meint großes Kino an einem Morgen am Tisch, 

große Momente in Reiskorngröße 

oder meint auch mal ein einzelnes großes Herz, meint großes Vertrauen. 

Das ist eine große Ernte: Die Liebe, wie das Gewand des Prinzen aus dem Bärenfell, 

mitten in das Leben hinein blitzen zu lassen. 

Mein Erntefeld ist unbeschreiblich groß, 

aber nicht zum Zählen groß. 

Was Du klein fändest, wäre bei mir groß und was Dir groß erschiene, 

wäre vielleicht nur ein Piep. So klein.

Nicht „Dein Groß“ ist es, sondern „Mein Groß“.


Wohlan – seht, ich sende euch aus als Lämmer, 

die unter Wölfen leben müssen.


Ja, Wolfswirtschaft und Wolfswettstreit, und Wolfsreichtum und Wolfsmacht. 

Da, wo Du hinkommst im Leben, könnte es Wolfsdenken und Wolfssprache geben, 

wo jeder, der nicht zum Rudel gehört, rausgerissen wird und das Recht der Stärkeren gilt. 

Das ist ja, warum die Welt das Lamm, das unter Wölfe geht, braucht. 

Wolfsdenken kann keinen Frieden für Viele anbieten. 

Biete Du den Frieden an. Geh! Geh einfach los. 

Wehrlos in die Worte einer anderen hinein, in das Lachen der Welt, 

in das Seufzen der Schöpfung, geh in die Nöte und Bedürfnisse mit leeren Händen, 

nichts in den Taschen, nur sein Wort. Biete Frieden. 

Und Schwäche gegen alle Gewaltigkeit.


Tragt keinen Geldbeutel bei euch, 

keine Tasche, 

keine Schuhe 

und hängt euch an niemanden unterwegs! 

Wo ihr aber in ein Haus eintretet, 

sagt als Erstes: 

Friede diesem Haus!

Und wenn dort Menschen leben, die Frieden lieben, 

wird euer Friede auf ihnen ruhen. 

Wenn aber nicht, wird der Friede auf euch zurückkommen. 

Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was von ihnen kommt. 


Iss, was von ihnen kommt.

höre, was von ihnen kommt.

spüre, was von ihnen kommt.

nimm in dich auf, was von ihnen kommt.

halte aus, was von ihnen kommt.

geh nicht aus dem Weg, dem, was von ihnen kommt.


Und wenn ihr in einen Ort kommt und Aufnahme findet, 

so esst, was euch gegeben wird. 

Heilt die Schwachen am Ort und sagt ihnen: 

Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen!


Und es beginnt mit essen und hören, spüren, aufnehmen, aushalten, dableiben.


Wenn ihr aber in einen Ort kommt, wo ihr keine Aufnahme findet…. 

geht hinaus ins Weite…

geht hinaus ins Weite !


Macht trotzdem niemals einen Punkt, 

wo Gott ein Komma gesetzt hat…


…geht hinaus ins Weite und ruft: 

'Wir schütteln den Staub von unseren Füßen, 

der sich von eurem Ort an uns geklebt hat! 

Trotzdem wisset: Die Königsmacht Gottes ist nahe herbeigekommen!’


Trotzdem.


Trotzdem!


Trotzdem.


Und das ist Deine Aufgabe: Das Reich Gottes auszurufen. Trotzdem. 

Da wo Du stehst, soll es losgehen, denn es ist nahe herbei gekommen, 

also schon angekommen, und durch Dich hindurch wächst es weiter.

Es gibt mehr Jünger und Jüngerinnen als Du denkst, die direkt und ohne Umweg, 

vielleicht mit dem Staub an den Füßen Gott in ein Haus tragen. 

Du bist eine/einer davon.


Geh sein Reich zu bauen

und das wird ein Zeichen 

des nahenden Gottesreiches sein: 

dass DU GEHST, 

mit Vertrauen. 

Mit Gottvertrauen. 

Das schon 

wird anderen und Dir ein Zeichen 

seines nahen Reiches sein… 

So bereitest Du vor, dass Jesus kommen kann.

Er kommt ja nach.


Geh getrost weiter,

aus welchen Häusern 

du jetzt auch hinaustreten musst.

Was auch immer du abschütteln musst. 

Hinaus aus den Häusern von Macht - und Machtlosstrukturen 

und verletzenden Hierarchien, 

musealer Traditionsstrukturen und Erledigungsphantasien. 

Vielleicht da hinaus. 


Geh! 

Du hast alles, was Du dafür brauchst 

sagt er auch noch,

sogar dort noch, 

wo du am Ende bist und den Staub schüttelst, 

sollst du im Schütteln das Reich Gottes beim Namen nennen. 


Dann mal los. Ich … soll gehen! 


Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir. 


Ich habe keine Ahnung, 

wie das Reich Gottes aussieht.

Ich beginne mal mit essen und hören. 

Mit meinen engen Grenzen

und unerwarteten Waldspaziergängen,

Ich möchte schauen, 

wo wir wirklich mal den Staub von den Füßen schütteln müssen, 

was sich mit leeren Taschen alles tun lässt,

welche inneren Bilder den Frieden eigentlich wieder zurück werfen. 

Ich will suchen, wo wir uns geistlich stärken,

und wo Kirche-sein keine Leistung ist. 

Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen

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