Sonntag, 26. Februar 2023

Vom Verstummen

Gebet und Predigt am Sonntag Invokavit 2023


Gebet für Dich:  

Hier bin ich,

Du, Gott der Zuflucht.

Hier bin ich,

mit allem, was mich eben gerade noch erfüllt und bewegt.

Hier bin ich.

Leg Du in mich,

einen Gedanken, einen Klang, ein Wort, ein Licht,

das mich weitergehen lässt.

Dich als gute Zuflucht

- das würde ich gerne spüren.

So ganz sicher spüren.

Hier bin ich.

Zu dir geflüchtet aus meinem Alltag,

aus allem, was mich anficht.

Berge mich hier

für den Moment

und länger. Amen.




Predigt:

Unser biblischer Predigttext ist heute echte Krisenliteratur. Geschrieben in Zeiten, als es für die Menschen wirtschaftlich hart war, in der Willkür das Leben plötzlich ändern konnte, viele  von heute auf morgen von Armut und Verschuldung betroffen waren. Sie machten die Erfahrung, dass auch ein rechtschaffenes Leben davor nicht schützt. Es gibt keine Garantie. Es ist Literatur entstanden in Krisenzeiten, Ursprung der sog. Hiobsbotschaften:

Hiob ist ein gut begüterter, sogar reicher Mann. Eines Tages, so eine Erzählung aus unserer Bibel, wird er einer großen Prüfung unterzogen, ein Bote kommt und teilt ihm mit, dass all sein Hab und Gut, all seine Kinder und Kindeskinder ausgelöscht wurden. Alles. Alles was er hatte und woran er hing. An einem einzigen Tag. Die Leserin und der Leser weiß, dass es einen Handel im Himmel gab. Zwischen dem Satan und Gott. Ob Hiob vielleicht nur so ein treuer Gottesgläubiger wäre, weil es ihm ja so richtig gut ginge. Wäre er das immernoch, wenn er alles verlieren würde? Gott stimmte einem Experiment, oder man könnte sogar sagen, einer Wette, zu. Und: Hiob hörte alle schlimmen Botschaften, die nacheinander eintrafen, und hielt dennoch an Gott fest. 

Aber es kam noch schlimmer, es ging ihm an die Haut:


"Eines Tages kamen Gottes Himmlische Wesen wieder zur Versammlung und stellten sich vor Gott auf. Auch der Satan war wieder dabei.

Gott fragte ihn: »Was hast denn du gemacht?« »Ich habe die Erde kreuz und quer durchstreift«, antwortete der Satan.

Gott fragte: »Hast du auch meinen Diener Ijob gesehen? So wie ihn gibt es sonst keinen auf der Erde. Er ist ein Vorbild an Rechtschaffenheit, nimmt Gott ernst und hält sich von allem Bösen fern. Du hast mich ohne jeden Grund dazu überredet, ihn ins Unglück zu stürzen. Aber er ist mir treu geblieben.«

»Er hat ja keinen schlechten Tausch gemacht!«, widersprach der Satan. »Ein Mensch ist bereit, seinen ganzen Besitz aufzugeben, wenn er dafür seine Haut retten kann. Aber taste doch einmal ihn selber an! Wetten, dass er dich dann öffentlich verflucht?«

Da sagte Gott zum Satan: »Gut! Ich gebe ihn in deine Gewalt. Aber sein Leben darfst du nicht antasten!«

Der Satan ging aus der Versammlung hinaus und ließ an Ijobs Körper eiternde Geschwüre ausbrechen; von Kopf bis Fuß war er damit bedeckt.

Ijob setzte sich mitten in einen Aschenhaufen und kratzte mit einer Scherbe an seinen Geschwüren herum.

Seine Frau sagte zu ihm: »Willst du Gott jetzt immer noch die Treue halten? Verfluche ihn doch und stirb!«

Aber Ijob antwortete: »Du redest ohne Verstand wie eine, die Gott nicht ernst nimmt! Wenn Gott uns Gutes schickt, nehmen wir es gerne an. Warum sollen wir dann nicht auch das Böse aus seiner Hand annehmen?« Trotz aller Schmerzen versündigte Ijob sich nicht. Er sagte kein Wort gegen Gott.

Ijob hatte drei Freunde: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Als sie von all dem Unglück hörten, das Ijob getroffen hatte, beschlossen sie, ihn zu besuchen. Sie wollten ihm ihr Mitgefühl zeigen und ihn trösten.

Sie sahen ihn schon von ferne, doch sie erkannten ihn nicht. Als sie näher kamen und sahen, dass er es war, fingen sie an, laut zu weinen. Sie zerrissen ihre Kleider und warfen Staub in die Luft und auf ihre Köpfe.

Dann setzten sie sich neben Ijob auf die Erde. Sieben Tage und sieben Nächte blieben sie so sitzen, ohne ein Wort zu sagen; denn sie sahen, wie furchtbar Ijob litt." (Hiob 2)




                                                                                                                        © Nady - Fotolia.com


Viele Tage wird er so dort sitzen. Ganz verstummt. 

Und dann wird er fluchen. 

Er verflucht alles: den Tag seiner Geburt, sein Leben und die ganze Welt. 

Er wird er ringen mit den Argumenten seiner Freunde, 

die genau wissen, was Gerechtigkeit ist und wieso ihm das alles passiert ist, 

mit Gott wird er ringen. 

Am Ende wird Gott ihn tatsächlich neu beschenken.

Aber angenommen, wir wüssten das alles nicht. 


Es ist Montag. Angenommen,

wir wissen weder von der verwerflichen Wette im Himmel.

Wir wissen keine Gründe für das Schlimme, das geschehen ist. …

Wir wissen auch nicht, dass es später im Leben doch noch ganz anders kommen wird.

Angenommen. Das wissen wir nicht.

So wie im echten Leben. 

Kameraperspektive auf diesen beschriebenen Moment.

Ein Einbruch ins Leben. 

Gewalt und Zerstörung.

Das Leben entflieht geradezu.

Sack und Asche am seidenen Faden.

Gefühlt gottlose Zeit.

Der Tag danach. 

Montag.

Gefühlt „das Nichts“.

Verstummen. 

Verzagen.

Dulden.

Selbst die weisen Freunde verstummen.


Bomben sind gefallen.

Die Erde erzitterte und Häuser stürzten ein.

Man sitzt in Asche und Staub,

auf Betonresten,

in Gummibooten,

in Zelten bei unter Null Grad,

klemmt unter einem Haus fest,

zittert in Bunkern.

Zagen. Unsagbar. Sprachlos. 


Das hätte nicht passieren sollen.

Dürfen.

Können.


Warum?


Montag.

Gefühlt „das Nichts“.

Jemand ist tot.

Ein Streit ist eskaliert.

Ein Traum zerbrochen.

Eine Diagnose ausgesprochen.

Eine Liebe am Ende.



Das hätte nicht passieren sollen.

Dürfen.

Können.


Warum?


Irgendein Montag. 

Nicht wissen, wie das ausgehen wird.

Das Leben hat seine Form verloren.

Der Tag danach.

Alles ist weg. Nur der Schmerz ist noch da.

Verstummt.

Aushalten.

Schweigen.

Keine Worte.


Eine findet das nicht zum Aushalten.

Sie schreit!

„Dann stirb doch!!“

Eine die schreit.

Hiobs Frau.

Die ebenso alles verloren hat.

„Hältst du noch an Gott fest?“

Sie schreit.

„Dann. stirb. doch.“


Sieben Tage schweigt Hiob dann.

Sieben Tage trauern sie

als ob er tot wäre.

Sieben Tage verstummt.

Seine Freunde auch.

Ich verstumme mit.

Sitze daneben.

Höre Klagen und Fragen.

Höre die Lügen der Tröster.

Sehe die Tränen.

Weiß auch keine Worte.

Was ist hier eigentlich die Versuchung?

Das Fluchen?

Das billige Trösten?

Das Aufgeben?

Die Lügen?

Das nur Dasitzen?

Das Verstummen?

Noch ganz andere Dinge, die ich mir nicht vorstellen kann?

Was wäre wohl meine Versuchung in einem solchen Moment?


7 Tage verstummt Hiob.

Leid löst sich nicht einfach auf.

Leid kann nicht vertröstet werden.

Es muss raus.

Dann kommts.

Hiob flucht auf alles.

Nicht auf Gott. - Dass er das kann!

Hiob sitzt in der Asche,

in dem wertlosen Rest seines Lebens.

Er flucht auf alles. Da ist nichts mehr.

Und er wird genau so zum Zeugen für Gottes Treue.

Und er wird genau so zum Zeugen für Gottes Treue.


Er erliegt nicht der Versuchung Gott loszulassen.

Sich nicht versuchen lassen heißt für ihn:

Reden dagegen dass Gott feindlich sei.

Festhalten an einem Gott, 

auch wenn ihm überhaupt nichts über Gott klar ist, 

außer dass er da ist.

Sich nicht versuchen lassen heißt für ihn:

Gott, den einen, aussparen beim Fluchen über die Welt, 

mit ihm noch rechnen.

Fest glauben: Gottes Geschichte hat kein offenes Ende, 

nur dieser Moment hat es gerade.

Sich nicht versuchen lassen heißt für ihn:

Rufen: Du meine Zuflucht!


7 Tage verstummen. 

7 Wochen Passionszeit beginnen jetzt. 

Zeit ehrlich mit mir zu sein.

Gott Offene Enden hinlegen.

7 Wochen ohne Verzagtheit. 


So heißt die Aktion der Ev. Kirche für die Passionszeit,

für die Fastenzeit.

Leuchten! 7 Wochen ohne Verzagtheit. 


Ich weiß nicht, ob man das verzagt nennt, was Hiob zunächst war, 

vielleicht ist es genau das gewesen. 

Viele haben ihn als besonders demütigen und duldsamen Menschen verehrt. 

Nach dem Dulden und der Demut, 

nach dem Rüffel seiner Frau 

und nach dem Schweigen mit seinen Freunden 

bleibt er nicht in dieser Verzagung: 

er lehnt sich auf, er kämpft für sich, er lässt nicht nach. 


Aber das kommt alles danach.


Zunächst erstmal 

an diesem Punkt zu sein, 

irgendeinem Montag danach 

- wo Dinge mein Leben auf eine unrückführbare Weise verändert haben, 

ich nicht weiß, wer oder was wirklich daran Schuld ist 

und ich die Zukunft nicht kenne 


- an diesem Punkt zu sein, sagt die Bibel, 


das kann passieren. 


Amen. 


Und der Friede Gottes der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen.


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