Samstag, 18. Juni 2022

Von Himmel und Hölle auf Erden...

Predigttext aus dem Lukasevangelium:

Vom reichen Mann und armen Lazarus19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür, der war voll von Geschwüren 21 und begehrte sich zu sättigen von dem, was von des Reichen Tisch fiel, doch kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. 22 Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben. 23 Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. 24 Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. 25 Abraham aber sprach: Gedenke, Kind, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, du aber leidest Pein. 26 Und in all dem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber. 27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; 28 denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. 29 Abraham aber sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören. 30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. 31 Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Predigt:
Er hebt den Mantel kraftvoll. Der schimmert tiefrot und gold. Vielleicht aus Paris. Allein der Mantel ist ein halbes Leben Arbeit wert. Er hebt den Mantel, und hebt sein durchtrainiertes Bein, wohlgeformt vom Training mit dem personal trainer. Wohlgefärbt von der letzten Fahrt mit der Yacht in der Karibik. Er hebt den Mantel mit seinen gepflegten Händen und dem Goldring, schaut mehr nach vorn, da wo er hin will, als nach unten, vor die Füße. Er kennt keine Sorge, die sein Herz beschwert. Er hebt sein Bein und steigt über Lazarus. Der liegt immerzu lästigerweise vor seiner Tür. Nicht dass sein Gewand noch mit diesem Dreck in Kontakt käme. Er steigt über Lazarus, der vor der Tür liegt, steigt über die Schwelle durch die prächtige Tür seines Hauses. Einige jubeln ihm zu. Er hat die Hände frei. Lasten tragen andere für ihn. Das was er tut ist erfolgreich. Er schafft was er sich vornimmt. Es fühlt sich gut an.
Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.

Lazarus rollt sich noch kleiner zusammen. Er schützt seinen schütteren Kopf mit den rissigen Händen. Als er aufschaut wölbt sich über ihm ein goldener Brokatmantel. Er spürte den Luftzug und riecht das schwere Parfüm. Bestimmt aus Paris. Er macht sich noch kleiner, damit ihn der Fuß nicht trifft. Nur notdürftig bedeckt ihn ein dünnes Gewand. Mehr ist ihm nicht geblieben. Seine Haut ist offen und er ist mager. Er zieht die Knie an den vor Hunger schmerzenden Bauch. Hier liegt er vor der Tür. Sein Hunger ist unermesslich. Vielleicht wird es heute Abfall von der Tonne geben. Es kann an nichts anderes denken. Über ihn steigen alle hinweg. Ihn sieht niemand. Seine Hände sind leer. Niemand hört sein Weinen in der Nacht. Nichts will sich fügen in seinem Leben. Er liegt hier. Er hatte keine Chance. Er hat keine Energie das zu ändern. Es wird so bleiben, denkt er. Das hat er zu oft erfahren. Er ist es leid.
Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür, der war voll von Geschwüren und begehrte sich zu sättigen von dem, was von des Reichen Tisch fiel, doch kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.

Welches Team bist du? Team Brokatmantel? Oder Team Armut? Ich bin auf jeden Fall das Team Empörung. Über den Reichen. Ich bin das Team Mitleid mit dem Armen. Aber wenn ich darüber nachdenke, dann bin ich das nur emotional. Faktisch gesehen und im Vergleich zu den meisten Menschen in dieser Welt bin ich das Team Reichtum. Also Brokatmantel. So wie ich leben kann - sauber, sicher, aufgehoben, satt, trocken, mit Wasser und Energie versorgt, im Frieden, gut angezogen - lebt nur der kleinere Teil dieser Welt. Wir sind es, die mit all dem, was unseren Reichtum ermöglicht und sichert, gehobenen Fußes über andere vor unserer Schwelle hinweg steigen. Meistens fühlt sich das sichere Leben gut an. Solange die Person da vor der Tür nicht in meinen Blick gerät. Solange mir die Armut nicht in Erinnerung kommt. Es fühlt sich an als gäbe es keine andere Chance für mich. Ich bin eben hier und so geboren. Welche sind reich. Welche sind arm. Das ist ja auch relativ, reich oder arm im Vergleich zu wem und beide hängen miteinander zusammen, das weiß ich. Es scheint mir unwahrscheinlich, dass ich das ändern könnte. Also was, Jesus? Noch nichtmal einen Namen hat der Reiche bekommen. Er hat es im Leben gut, kann unbekümmert sein - wie schön für ihn - und dafür droht ihm Jesus mit dem danach? Mit der Hölle? Es steht übrigens kein Wort darüber da, was für ein Mensch er war. Vielleicht war er nett und mildtätig?
Nur der Arme hat einen Namen. Das erscheint mir aber auch gerecht. Denn die Namen derer, die wir üblicherweise als Reiche werten, die kennen wir gut. All die berühmte Schönen und Reichen, wir kennen ihre Automarke, ihre Konfektionsgröße, das Gewicht ihrer Brustimplantate und den Namen ihres Cheffriseurs. In jeder Zeitung stehen ihre Namen und die noch so unbedeutendsten Erlebnisse ihres Lebens. Die Namen der Millionen Armen, der ungezählt Verhungerten dagegen kennt niemand. Niemand nennt sie, wenn sie sterben. Sie haben keinen sozial media Kanal und keinen Stern auf dem Walk of Fame. Aber auch bei Lazarus steht nicht, was für ein Mensch er war und was ihn ausmachte. Ober er ein guter Mensch war oder ein fieser Kerl. Wie kam es dazu, es es ihm so schlecht ging in seinem Leben? Es wird nur berichtet, dass er ziemlich viel herum lag, auch in den Tod wird er getragen (von Engeln) und liegt dann in Abrahams Schoß. Während der namenlose Reiche einfach stirbt, allerdings wenigstens ein Begräbnis hat und dann aber in der Hölle landet. An einem Ort der Qualen und der Pein. Es ist ein schwarz-weiß Bild. Eines, das mich provozieren soll (oder, Jesus?) und das tut es auch. Automatisch falle ich - genauso ist die Erzählung gestrickt - in die Rolle der Reichen, denn es gibt tatsächlich viel viel ärmere Leute als ich. Aber auch deutlich reichere, protestiert es in mir. Automatisch erscheint der reiche Mensch als schlechter Mensch und er hat keine Chance mehr, der Hölle zu entrinnen, weil er reich ist. Und der arme Mensch, der apathisch geschildert wird, kraftlos und widerstandslos, ist der Sympathieträger, der Gute in der Geschichte, der sich nicht wehren kann und der betrogen worden ist um sein Leben. Er wird von Gott auf erdenklichste Weise getröstet am Ende der Zeit. Was aber auch ein bitterer Trost ist, oder? Gott hat diese ungleichen Zustände zu Lebzeiten nicht durchbrochen. Warum? Hätte er ihn nicht zu Lebzeiten an einen anderen Ort tragen können, wo es schöner ist als auf der Schwelle eines Hauses, in dem es alles gab, was er nicht haben könnte? Ist es also eher eine Frage an Gott? Wieso, Gott? Wieso?





Wenn ich die ganze Szene einmal wie eingefroren von außen betrachte, dann fällt mir auf: die beiden reden nicht miteinander. Sie nehmen einander nicht in den Blick. Sie leben wie in unterschiedlichen Welten im gleichen Raum. Die Kluft, die später als unüberbrückbar beschrieben wird - zwischen Himmel und Hölle, wo man nicht mehr hin und her kommt - diese Kluft, die ist ein Erdenprodukt. Hier auf der Erde gibt es Himmel und Hölle (!!), zwischen denen es so gut wie unmöglich erscheint, hin oder her zu kommen.
Ich stelle mir vor, eines Tages hätte der Namenlose angehalten. Vielleicht erstmal nur weil er genervt gewesen wäre. Und es hätte ihn fast nichts gekostet. Er hätte sich mit dem wallenden Mantel unter dem Hintern auf die Treppe gehetzt und hätte Lazarus lange angesehen. Erstmal nur geguckt. Vermutlich hätte der sich gefürchtet. Ungesehen hieß auch unbehelligt. Sie hätten sich angesehen. Nur gesehen. Noch nichtmal was gesagt. Ich glaube nicht, dass der Reiche noch einen weiteren Tag in gleicher Weise über Lazarus gestiegen wäre. Oder ich stelle mir vor, dass Lazarus, obwohl er es schon so oft probiert hatte, doch noch aus irgendeiner Falte seines Inneren die Kraft genommen hätte, aufzustehen, als die Duftwolken auf ihn zukam und kurz bevor der andere den Fuß hob. Dass er aufgestanden wäre, genau vor dem Namenlosen, der über ihn hinweg steigen wollte und ihn nun ansah. Dass Lazarus sich auch nicht in den Weg stellte, nur seine Augen auf die Höhe des anderen hob. So dass es für diesen einen Moment kein oben und unten, kein herabsehen und hinaufsehen mehr gab.
Und warum haben sie das nicht schon längst getan, frage ich mich. Warum haben wir das nicht schon längst getan? Warum habt ihr das nicht schon längst getan, fragt Jesus.
Denn durchbrochen ist die Denkweise, dass alles immer so bleiben muss und Tod und Ende auch Tod und Ende sind, durchbrochen ist die Denkweise von Sklavenschaft des Menschen - von Jesus! Durchbrochen hat Gott immer wieder mit seinen Worten die Decke des Himmels. Es ist als ob alles da läge, was wir zu einer Lösung bräuchten und doch ist es uns auf eine schmerzende Weise nicht verfügbar, nicht zugänglich.
Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham aber sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.
Aber wir!? Wir hören doch!? Oder!?


CREDO
ich glaube an gott
der die welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein ding das immer so bleiben muss
der nicht nach ewigen gesetzen regiert
die unabänderlich gelten
nicht nach natürlichen ordnungen
von armen und reichen
sachverständigen und uniformierten
herrschenden und ausgelieferten
ich glaube an gott
der den widerspruch des lebendigen will
und die veränderung aller zustände
durch unsere arbeit
durch unsere politik
ich glaube an jesus christus
der recht hatte als er
"ein einzelner der nichts machen kann"
genau wie wir
an der veränderung aller zustände arbeitete
und darüber zugrunde ging
an ihm messend erkenne ich
wie unsere intelligenz verkrüppelt
unsere fantasie erstickt
unsere anstrengung vertan ist
weil wir nicht leben wie er lebte
jeden tag habe ich angst
dass er umsonst gestorben ist
weil er in unseren kirchen verscharrt ist
weil wir seine revolution verraten haben
in gehorsam und angst
vor den behörden
ich glaube an jesus christus
der aufersteht in unser leben
dass wir frei werden
von vorurteilen und anmaßung
von angst und hass
und seine revolution weitertreiben
auf sein reich hin
ich glaube an den geist
der mit jesus in die welt gekommen ist
an die gemeinschaft aller völker
und unsere verantwortung für das
was aus unserer erde wird
ein tal voll jammer hunger und gewalt
oder die stadt gottes
ich glaube an den gerechten frieden
der herstellbar ist
an die möglichkeit eines sinnvollen lebens
für alle menschen
an die zukunft dieser welt gottes
amen.
© Dorothee Sölle

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.


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