Donnerstag, 24. Januar 2019


Da kommt noch was

Gustav sitzt auf der Bettkante. Fahrig streicht er sich über sein Gesicht. Es ist mit kleinen rundlichen Buckeln und warzenartigen Knubbeln übersät, seine Nase ist riesig und verformt. Darüber leuchten schüchtern schöne blaue Augen. Bald feiert er seinen 87. Geburtstag. Die Frau von der Kirche sitzt bei ihm. Sie erzählen. Das kommt selten vor. Niemand besucht ihn mehr in seinem großen Haus. Er kennt die Nachbarn nicht. In den oberen Etagen sei er schon Jahre nicht mehr gewesen, sagt er. Dort käme man auch nicht mehr hin, es stände zu viel herum. Aber unten in seinem Zimmer auf dem Sofa, da wäre gerade noch Platz für ihn. Neben all den Kisten. Es sammelt sich halt an, sagt er. Und dass sie nie hatten etwas wegwerfen können. Die Frau von der Kirche sitzt einfach da und hört zu. Das kennt er schon lange nicht mehr. Schon nicht mehr seit seine Amanda nicht mehr da ist. Und der Sohn wohnt weit weg und kommt selten. Mein Sohn hat das auch. Der kann auch nichts wegwerfen, sagt er, als ob es eine Krankheit wäre. Seine Hauptbeschäftigung wäre Fernseh gucken. Und Kreuzworträtsel. Raus gehen würde er nie. Wozu auch. Er kenne ja niemanden. Man muss alles nehmen, wie es kommt, sagt er. Da kann man nichts machen. Er fährt sich durch die weiße Mähne. Friseur wäre mal gut. Sagt er. Vielleicht klappt es heute. Die Schwester betritt das Zimmer. Der Friseur wäre bereit. Nur kein Abholdienst. Das könne dauern. Bedauernd zuckt sie mit den Schultern. Ach was, sagt die Kirchenfrau, dann geh halt ich mit ihm. Würden sie? Natürlich! Diese Mähne muss mal bearbeitet werden, neckt die Frau und zwinkert Gustav zu. Der muss kichern und hält sich die Hand vor den Mund. Ach, in meinem Alter. Da ist das vorbei mit den Frauen. Kann man nie wissen, erwidert sie lächelnd. Da kichert er noch mehr. Mit dem Rollstuhl rasen sie durch den Flur. Gustav hält die Luft an und muss kichern. Wie wärs mit Dauerwelle, fragte die Frau und lacht. Ne neee!!, wehrt er lachend ab. Und welche Haarfarbe nehmen wir heute? Er lacht herzhaft. Schwarz!, ruft er triumphierend. Die Friseurfrau legt noch eine kleine Extraschicht ein. Einmal Dauerwelle und schwarze Farbe, ruft die Frau von der Kirche lachend. Gustav hält sich den Bauch und wehrt ab. Nur schneiden!, ruft er. Können Sie ihn wieder abholen, fragt die Friseuse. Der Abholdienst, sie wissen ja. Nur 10 Minuten. Nagut, erwidert die Frau. Kurz darauf kehrt sie zurück. Moment, ruft sie. Erstmal ansehen, ob das gut geworden ist. Gustav wird ein wenig rot und kichert hinter seiner Hand, die hellblauen Augen in seinem leicht entstellten Gesicht voller kleiner Knubbeln lachen mit. Wow! Sieht toll aus, ruft die Frau und rollte Gustav durch eine Menge von Besuchern und Gästen im Foyer zurück ins Zimmer auf der Palliativstation. Gustav setzt sich wieder auf seine Bettkante. Seine Augen leuchten. Danke, sagt er leise, und ich dachte schon, da kommt nichts mehr.


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