Predigt in Naumburg
zum Tag der Deutschen Einheit 2025
Ihre Küche ist ein Redeort. Hier reden wir.
Hier kocht sie Kaffee - mit Filtertüte im Porzellanfilter
und schält beim Reden mit dem abgenutzten Messer
im rasenden Tempo Kartoffeln.
Dazwischen wird eine geraucht.
An ihrem Tisch hatten alle Platz.
Bring Deine Freundin ruhig mit, sagte sie.
Dort ging niemand hungrig raus.
Körperlich nicht und seelisch nicht.
Würde ich mein Bild von Deutschland beschreiben,
das, was dieses Land und seine Kultur ausmacht,
wäre dies ein Teil davon.
Großmütter, Oma, Ommas, Omis, Großmamas
mit Haltung und Liebe, die offene Tische haben,
willkommensherzlich in Kittelschürzen.
Etwas was uns vereint.
Ein Bild, das uns nun wirklich verbindet,
in allen vier Himmelsrichtungen unseres Landes.
Ein Land, das vor 35 Jahren eine neue Gestalt bekam
und immer noch am reinwachsen ist.
Und das gerade Erinnerungslücken aufweist.
2. Szene:
Er trägt ein langes Gewand, einen weißen Bart und eine Kippa.
Der jüdische Rabbi Daniel Walker.
Er steht vor seiner Synagoge in der Middleton Road, Manchester.
Um ihn herum Polizei. Waffen. Verletzte. Schüsse.
Erschrockene. Freunde. Familien. Nachbarn.
Sein weißes Rabbinergewand trägt rote Blutflecke.
Mit anderen konnte er Schlimmeres verhindern.
So ging es gestern Abend um die Welt.
Attentat reiht sich an Attentat.
Hassitrade an Hasstirade.
Hass auf Juden. Auf Muslime. Auf andere.
Daniel Walker war in seinem Gotteshaus um zu beten.
Jom Kippur zu feiern, das Versöhnungsfest
unserer jüdischen Geschwister.
Wie soll man so Versöhnung feiern?
Mit wem denn noch?
Ein Bild, das uns auch verbindet.
Wie all diese Bilder, die zerbrechen und anklagen.
Und die in diese Welt und auch zu unserem Land gehören.
So will ich die Welt nicht haben.
Ich wünschte den Küchentisch der Großmutter
in unsere Mitte. Filterkaffee, der ganz langsam
durch einen Porzellanfilter rinnt und Worte,
die bedächtig und langsam rinnen, gefiltert durch
den Filter der Barmherzigkeit und Liebe.
Ich wünschte Tische in unsere Mitte
von denen wir weniger hungrig - seelisch und körperlich
danach weggehen, als wir es jetzt oft tun.
Und Gott, vielleicht in einer Kittelschürze oder in Kippa
mit uns sitzend und es wären Orte zum Reden,
wo jeder mitgebracht werden darf.
Ihr habt doch alles! Alles, was es dafür braucht, das habt ihr!
So heißt es im Bibeltext heute:
„So ist doch nun bei euch: Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe,
ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit!
So tut voll Freude hinzu, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt,
einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler
Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich
selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das,
was dem andern dient. Seid so unter euch gesinnt, wie es der
Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ (Philipper 2,1-5)
Einheit. Einigkeit. Einssein.
Das wird den ersten christlichen Gemeinden als große wichtige Aufgabe mitgegeben.
Keine Einigkeit, bei der alle im gleichen Programm ticken müssen, sondern Einigkeit der Verschiedenheiten, die wohl Platz hätten an so einem Tisch der Einigkeit.
Keine Einigkeit, die nur auf dem Papier steht, wie ein Grundgesetz oder eine Bergpredigt, sondern aufrechtes Leben danach. Nicht einzelne für sich. Zusammen. Sehen, was den anderen dient. Fragen, was man voneinander noch nicht verstanden hat. Und ob man die gleiche Liebe meint. Und sie zusammen suchen gehen.
Was es dafür braucht, stellt die Bibel fest, liegt längst auf Eurem Tisch. Ihr könntet es heute schon tun.
Barmherzigkeit - also auch mal die eigenen Maßstäbe etwas relativieren können, Einsichten mal zurück halten und dem andere auch Raum geben. Aber immer beidseitig und im Maßstab der Liebe und großherzig.
Einheit ist möglich sagt die Bibel. Das heißt nicht, ihr seid damit automatisch Vereinheitet. Sondern ihr seid dabei. Auf dem Weg. Gemeinsam ein gleiches Gebet sprechen, so beginnt es vielleicht. Gemeinsam ein Glaubenslied singen und wirklich aufrichtig meinen, was Ihr betet und singt, weil Ihr danach lebt. Glaubwürdig Nachfolger und Nachfolgerin von Jesus Christus sein. Und zwar getröstete. Von der Liebe überzeugte. Sichtbare.
Wir feiern heute einen Gottesdienst anlässlich eines Gemeinschaftsversprechens, anlässlich eines Tages, der von der Einheit erzählt oder vielmehr von dem wagemutigen Traum davon, den noch nicht alle aufgegeben haben.
Und das, was geistlich gilt unter denen, die an Gott glauben, die Jesus nachfolgen, die an den Heiligen Geist als ihren Motor und ihren Trostmantel glauben, das bleibt nicht hinter einer Kirchentür. Gott bleibt nicht hinter Kirchentüren, darum dürfen wir es auch nicht.
Das, was also geistlich gilt von Einigsein und Einssein für einander, das gilt auch diese Welt, für unser Land, Deutschland. Unser aller gemeinsames Land.
Wir haben es längst! Die Fähigkeit zuzugehen und zurück zu treten. Einandern nicht zu verlieren. Nicht aufzugeben aufrichtige, aufrechte Menschen zu sein, aktiv und sichtbar menschlich zu sein.
Einheit suchen ist Hoffnung haben für eine zerrissene Welt. Für das, was im Kleinen zerrissen ist und im Großen. Niemand träumt von einer zerfallenen Welt.
Einheit suchen ist Hoffnung haben für eine zerrissene Welt. Zerrissenheit suchen ist keine Hoffnung mehr haben. Zerrissenheit herstellen und befördern ist die Hoffnung verraten. Sich von der Liebe abwenden.
Für, die von der Liebe Gottes wissen, heißt es darum, wandelnde Tische zu sein, Orte zum Reden.
Für die, die von einem Gott wissen, der sie stärkt, heißt es darum, mutig zu sein.
Für die, die von der Freiheit und von der Menschlichkeit wissen, heißt es, sich diese nicht nehmen zu lassen.
Einigkeit ist eine Stärke des Menschseins, die uns gegeben ist. Einigkeit ist ein Aktivwort, kein Wartewort.
Einigkeit in aller Verschiedenheit ist machbar. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der erhalte unsern Verstand wach und unsere Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen