Predigt zum Bonhoeffertag
im Bonhoefferhaus in Friedrichsbrunn
Vor einigen Monaten besuchte ich ein kleines Kloster in der Schweiz, seit 30 Jahren fahre ich dorthin. Eine der Schwestern, die mich seit über 30 Jahren begleitet, hörte mir - wie immer - lange und ausgiebig zu, als ich von meinem Leben berichtete. Deutschland ist doch ein Stückchen weg von der Schweiz. Vieles war ihr neu.
Ich erzählte Privates und auch über unsere Situation hier in Deutschland.
Sie schwieg eine Weile. Dann fragte sie mich: „Braucht es wieder eine Bekennende Kirche in Deutschland?“
Ihre Frage erschreckte mich. „Ich weiß nicht“, antwortete ich, „aber das könnte sein.“ Wir gingen gemeinsam zum Mittagsgebet. Wir immer beteten wir dort die Seligpreisungen. Und stärker als je trafen die Worte mich ins Herz: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“
Damals. Ein Rückblick.
Ständiges Gemecker, alles was die Führung macht, ist falsch. Früher war alles besser. Ein absurd schlimmes gewaltvolles Früher meinend. Ein hyperventiliertes Volk. Eine Atmosphäre der Entrüstung.
Eine Familie wird von Gott auf den Weg geschickt. Sie haben die richtigen Worte. Sie sind welche, denen andere zuhören und folgen werden. Sie erinnern immer wieder an den Kern des Glaubens. Sie zelebrieren, dass sie gemeinsam als Team voran gehen. Und Gott zeigt sich in diesen Zeiten in Wundern und Katastrophen.
Mose, Aaron und Miriam. Sie werden die Führer und die Führerin eines ganzen Volkes in wilden, notvollen Zeiten auf der Suche nach Rettung. Uneins darüber - mit dem Volk, was die Rettung sei.
Die Bücher der Chronik zählen auf: "Die Söhne Amrams waren: Aaron und Mose und Mirjam." ( 1. Chron 5)
Und dieser Weg war lang und beschwerlich. Mose, Aaron und Miriam sterben bevor sie das geheiligte Land erreichen. Sie gehen voran. Sie haben das Heilige Land vor Augen. Sie sind gemeinsam Wegbereiter. Sie haben die Menschen an Gottes Wort zurückerinnert. „Der HERR, der Gott des Lebensgeistes für alles Fleisch, wolle jemanden setzen über die Gemeinde, der vor ihnen her, aus und ein geht und sie aus und ein führt, damit die Gemeinde des HERRN nicht sei wie die Schafe ohne Hirten.“ (Numeri 27)
Sie drei hinterlassen - so beschreibt oder konstruiert es die Bibel, ein Vermächtnis. Das wird ganz greifbar im Abschied des Aaron, kurz vor dessen Tod: „Gott sagt: „Nimm aber Aaron und seinen Sohn Eleasar und führe sie auf den Berg Hor und zieh Aaron seine Kleider aus und zieh sie seinem Sohn Eleasar an. (Numeri 20) Aaron stirbt danach und sein Nachkomme wird diese Kleider an seinem Leibe weiter tragen. Er wird das Vermächtnis tragen mit seiner Generation wie ein Kleid, das ihm die Vorväter und- mütter übergezogen haben.
lichen Leben.“ *
Deutschland vor über 90 Jahren:
Wie sich alles verschiebt.
Wie das Rad rollt und niemand hält es auf,
man denkt, man wolle es später aufhalten.
Die danach oft zitierte Banalität des Bösen.
Eine verschleiernde täuschende Sprache,
die sich schleichend Raum nimmt.
„Die Sprache denkt für uns“.
Wir atmen Worte und Sätze ein wie Luft,
ohne über sie nachzudenken, das prägt unser Denken.
Es sind nicht Aufmärsche und Umzüge: die Nazisprache wird in verführerischer Weise zu Alltagssprache: geht über in Fleisch und Blut, wie bei Arsen hat sie eine todbringende Wirkung erst nach viele kleinen Einzeldosen.
Berlin, den 5. Juni 1942 - Einzigste Ausfertigung:
„Betrifft: Technische Abänderungen an den im Betrieb eingesetzten und an den sich in Herstellung befindlichen Spezialwagen.
Seit Dezember 1941 wurden beispielsweise mit 3 eingesetzten Wagen 97000 verarbeitet, ohne daß Mängel an den Fahrzeugen auftraten.
Die sonstigen bisher gemachten Erfahrungen lassen folgende technische Abänderungen zweckmäßig erscheinen:
1.) Um ein schnelles Einströmen des CO unter Vermeidung von Überdrucken zu ermöglichen, sind an der oberen Rückwand zwei offene Schlitze von 10 x 1 cm lichter Weite anzubringen.
2.) Die Beschickung der Wagen beträgt normalerweise 9 - 10 pro m2. …“ **
Das Aktenstück beschreibt 7 Verbesserungsvorschläge aus der bisherigen Erfahrung der sog."Verarbeitung" von 97000.
Unerträgliche Grausamkeit und Barbarei wird hier
Jemand tippte dieses Aktenstück. Jemand diktierte es.
Am Abend saßen sie an den Tischen mit ihren Familien.
Möglicherweise lasen sie am Morgen die Losung…
Es war die Verweigerung, das Rad anzuhalten.
Es war das Ausweichen der Wahrheit, die Distanz zur Verantwortung. Dem Wissen ausweichen ist der Verantwortung ausweichen. Mein Beitrag ist nicht schuld, ich kann eh nichts retten.
„Hört, was der Herr sagt: Führe einen Rechtsstreit mit den Bergen und lass die Hügel auf deine Stimme hören! Hört, ihr Berge, worum es dem Herrn geht! Gebt acht, ihr Fundamente der Erde! Der Herr hat einen Rechtsstreit mit seinem Volk. Er tritt in eine Auseinandersetzung mit Israel: Mein Volk, was habe ich dir getan? Habe ich etwa zu viel von dir verlangt?“
(Micha 6)
Was für eine Aufgabe!
Was für ein Gewand unserer Vormütter und -väter,
In Zeiten, wo das Volk murrt und verzagt.
In Zeiten wo andere Katastrophen an den Himmel malen, Untergang und Chaos.
Aber ein Vermächtnis? Das uns Wege zeigt?
Was wäre das?
„Wir sind nicht Christus, aber wenn wir Christen sein wollen, so bedeutet das, daß wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat, die in Freiheit die Stunde ergreift und sich der Gefahr stellt, und in echtem Mitleiden, das nicht aus der Angst, sondern aus der befreienden und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden quillt. Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder (Geschwister), um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden.“ *
Zuständigsein ist ein Vermächtnis.
Und noch etwas: Der Blick auf Gott.
Der Blick auf Gott, der aus der Gefangenschaft führt.
Der Blick auf Gott, der selig preist, die Frieden stiften und für Gerechtigkeit eintreten.
heißt eines der Vermächtnisse, die er Josua, seinem Nachfolger, von Gott sagen soll: dass er „getrost und unverzagt“ sein soll. (Deuteronomium 3)
die Wege verlassen und neu beginnen
sich verschenken, die Liebe bedenken,
sich verbünden, den Hass überwinden,
zuständig sein. Dazu helfe uns Gott. Amen.