Samstag, 3. April 2021

 Von falscher Fürsorge. Für alle die wir in die Wüste schicken.

Gute Besserung und ich solle mich erstmal erholen, schreibt die Redakteurin freundlich. Sie hätten jetzt schnell jemanden anderen für die zwei Texte gesucht. Vor Monaten hatte ich diese beiden Texte zugesagt. Nicht ahnend, dass sich ein LongCovid wie ein Stein an meine Beine und Hände hängen und mein Denken langsam machen würde. Ich hatte mich dennoch entschieden, meine wenige Kraft dafür zu investieren. Hatte getan, was man tut, wenn man Texte vorbereitet: Gedanken notiert, recherchiert, Ideen gesammelt. Den ersten Text gab ich rechtzeitig drei Tag vor Ablauf der Frist ab. Dazu schrieb ich - wie so oft in letzter Zeit - die Bitte, den Text nochmal auf Fehler zu überprüfen, weil eine Langzeiterkrankung meine Konzentration schwächt. Ich verabredete mich mit jemanden zu einem Gespräch für den zweiten Text und bereitete ihn vor. Wertvolle Zeit von meiner Zeit und wertvolle Kraft von meiner im Moment kleinen Kraft - weil mir diese Texte wichtig waren. Dann kam die Antwort der Redaktion. „Gute Besserung“, „…wir haben doch mal jemand anderen gefragt“… „sie sind ja krank“… Sicher, wie sich heraus stellte, stimmte die Textlänge nicht ganz, aber das hätte ich schnell beheben können. Würde man nicht sonst erstmal die Autorin darauf aufmerksam machen und ihr die Gelegenheit geben, das zu korrigieren, zumal wenn dafür noch Zeit ist? Ich hatte schließlich ausdrücklich dazu aufgefordert. Was vielleicht fürsorglich gemeint war, schlug mir hässlich ins Gesicht. Ich wurde einfach ausgetauscht. Ich hatte nicht funktioniert wie geplant. Und ich denke: ja, so machen wir das immerzu. Ich nehme mich da nicht heraus. Wir nehmen, denen, die nicht so ganz funktionieren, die Dinge gerne einfach aus der Hand. Das ist weniger anstrengend für uns. Wir beenden den Satz dessen, der stammelt. Wir schieben die Rollstuhlfahrer irgendwohin ohne zu fragen. Wir komplimentieren den psychisch kranken Kollegen nach nach Hause, um nicht mit Tränen konfrontiert zu werden. Wir schicken sie einfach in die Wüste. Was für eine Kraft müssen all jene aufbringen, um das täglich hinzunehmen. Heute, an Karsamstag, möchte ich für alle beten, die wir permanent in die Wüste schicken aufgrund irgendeiner vermeintlichen Nichtfunktion. Weil sie nicht in unser perfektes Uhrwerk passen. Wir halten das für Fürsorge. Aber in Wahrheit schicken wir sie in die Wüste. Und sie selber müssen die Kraft aufbringen, dort immer wieder hinaus zu kommen.


 

Herr, erbarme dich. Lass Wüstenwege für sie blühen. Amen.


 


4 Kommentare:

  1. Dein LongCovid hört sich an wie meine Depression. Es ist so bitter. Austauschbar. Ersetzbar. Das wollen wir nicht sehen! Weg! Es tut so weh. Ich fühle mit Dir. Habe für mich die Reißleine gezogen. Habe das Pensionierungsgesuch gestellt. Bevor ich auf dem Zahnfleisch gehe. Die "neue Normalität" in meinem Bereich, in der Krankenhausseelsorge, finde ich furchtbar. Die Kranken brauchen Angesichter. Gegenüber. Nähe. Berührung. Ach, ach, ach ...!
    Wünsche Dir viel ganz viel Mut und Stärke und neue Kraft. Aufstehen. Auferstehen. Hier und jetzt!

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    1. Liebe ilseluise - ich sende Dir zartes in Deine Bitterkeit und Gesehenwerden in Deinen Schmerz. Und ich wünsche dIr, dass die Pensionierung Dich auf einen Weg führt, in dem du Frieden findest und auch Lebensfreude. Der Druck in unserem Beruf ist schon sehr hoch. Im Klinikum empfinde ich es auch als schwierig, aber doppelt so wichtig. Ich bin in dieser Woche wieder voll eingestiegen und versuche, mehr Pausen zu machen. Es gelingt ein wenig. Segen und wärmende Gedanken zu dir! 🙌🏼

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    2. Liebe ilseluise - ich sende Dir zartes in Deine Bitterkeit und Gesehenwerden in Deinen Schmerz. Und ich wünsche dIr, dass die Pensionierung Dich auf einen Weg führt, in dem du Frieden findest und auch Lebensfreude. Der Druck in unserem Beruf ist schon sehr hoch. Im Klinikum empfinde ich es auch als schwierig, aber doppelt so wichtig. Ich bin in dieser Woche wieder voll eingestiegen und versuche, mehr Pausen zu machen. Es gelingt ein wenig. Segen und wärmende Gedanken zu dir! 🙌🏼

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    3. Liebe ilseluise - ich sende Dir zartes in Deine Bitterkeit und Gesehenwerden in Deinen Schmerz. Und ich wünsche dIr, dass die Pensionierung Dich auf einen Weg führt, in dem du Frieden findest und auch Lebensfreude. Der Druck in unserem Beruf ist schon sehr hoch. Im Klinikum empfinde ich es auch als schwierig, aber doppelt so wichtig. Ich bin in dieser Woche wieder voll eingestiegen und versuche, mehr Pausen zu machen. Es gelingt ein wenig. Segen und wärmende Gedanken zu dir! 🙌🏼

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