Samstag, 22. August 2020

Gott ist vorne und hinten.

Diese Geschichte erzählt Lukas in seinem Evangelium:

"Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden."


Gott ist vorne und hinten


Einmal hatte ich einen Roman, den konnte man von zwei Seiten lesen. Man konnte vorne anfangen, den Buchdeckel aufschlagen und beginnen, die Geschichte zu lesen. Oder man konnte das Buch umdrehen - dann war plötzlich die andere Seite vorne und man konnte von dort eine vermeintlich ganz andere Geschichte lesen. Und in der Mitte - trafen sich die beiden Geschichten und verbanden sich und es wurde eine Geschichte daraus.


So etwa ist das mit dem Evangelium heute.

So möchte ich es euch erzählen.


I ) Markus war auf dem Weg zum Gotteshaus.

Er wollte beten.

Er lief mit zügigen Schritten.

Sein Gang war federnd und leicht.

Er ging wie einer, dem das Leben leicht war.

Wie einer, der es geschafft hatte.

Dessen Sorgen geknackt waren wie Walnüsse, 

und bis auf den letzten Krümel vertilgt.

Der im Reinen war mit sich.

Zumindest in diesem Moment.

Zufrieden.

Gesund.

Zu recht ein wenig stolz auf das Eigene.

Maximal optimistisch.

Und gerade heiter und dankbar.

Ohne Arroganz tief dankbar für das was ist.

Sich wohl bewusst, dass all das ein Privileg war.

Das Privileg des inneren Friedens.

Ein Stück Seligkeit.

Er genoss das Gefühl.

Oft genug war es anders gewesen.

Und darum hielt er es jetzt gerade fest. 

Alles fühlte sich gerade so richtig an.

Er selbst fühlte sich richtig an. 

Ja! Er musste ausatmen vor Glück.





II) Jens war auf dem Weg zum Gotteshaus.

Er musste dringend beten.

Oder doch nicht?

Wollte ihn Gott so haben?

Er stockte. Seine Schritte waren schleppend.

Eine Träne lief aus dem Augenwinkel. Die Nase lief.

Er stand innerlich an einer Kreuzung 

mit vier Sackgassenschildern.

Er kam sich vor wie eine zerknitterte alte Toastbrottüte,

leer und nutzlos.

Er hatte alles falsch gemacht.

Ihm schien, dass alles seine Schuld war.

Das Ergebnis war Streit und Einsamkeit,

Tränen, Unzufriedenheit, Wut, Erschöpfung.

Nichts gelang ihm. 

Immer lag er daneben, verletzte Menschen.

Das Glück rann ihm durch die Finger.

Ihm fehlte Disziplin.

Er hasste sich selbst dafür. Er hasst sich für Vieles.

Maximal erdrückend war das.

Er schlief kaum noch.

Alles war so falsch und unbefriedigend.

Kaum auszuhalten.

Traurig und tragisch.

Er bekam kaum Luft.





I) Markus betrat die Kirche

mit seinen federnden Schritten.

Er schritt fröhlich bis ganz nach vorne

ins Licht.

Das durften die anderen ruhig sehen.

Sein Glück.

Seinen Erfolg.

Seine Stärke.

Dass er sich wohl fühlte.

Gott sollte es auch sehen.

Und er wollt einfach Danke sagen.

Danke. Danke. Danke.

Vielleicht wollte er es hundertmal sagen.

Unendlich viele Male.



II) Jens betrat die Kirche.

hatte er noch das Recht dazu.

Würde ihn jemand hindern?

Würde Gott ihn ansehen?

Er schaffte es über die Schwelle, aber nicht weiter.

Dort unter der Empore im Dunkeln war sein Platz.

Im Schutz der Dunkelheit.

Nicht mittendrin.

Sondern am Rand.

Außen.

Seine Not sollte niemand sehen.

Was er alles zu sagen hätte.

Aber jetzt rollten einfach nur Tränen über sein Gesicht

und er dachte bestimmt hundertmal:

„Es tut mir so leid! Es tut mir leid es tut mir leid.“






I+II) 

Markus und Jens stehen in der Kirche.

Markus spürte Einen zerknirscht gebeugt in seinem Rücken.

Jens sah vorne Einen mit lässigen freien Bewegungen.


„Ich danke dir, dass ich nicht so bin wie er.“

- dachte das Markus wirklich schmerzfrei?

Danke dass ich nicht krank bin, schuldig bin, gebeugt bin, eine fiese Type bin, rücksichtslos bin. So wie der vielleicht.

Ist das so falsch? Ehrlich. 

Das habe ich manchmal schon gedacht.


„Sei mir nur gnädig“ 

- hat Jens nicht wenigstens ein wenig den Blick heben können?

Ich will gar nichts für mich, nichts richtig stellen, nicht entschuldigen, es ist eh alles umsonst. 

Resignationsende. Keine Optionen mehr. Das gibt’s wirklich.


„Danke dass ich nicht so bin“ - ohne jegliches Mitgefühl jemand sagen hören - ja, das tut weh.

„Sei mir gnädig…“ - wie einer, der sich keinen Pfifferling wert fühlt - tut mir aber auch weh.


Gott sagt: Ich will dich behüten auf allen deinen Wegen.

Dein Weg ist jeden Tag ein  anderer.


Heute will ich dich davor behüten, dass du selbstgefällig wirst, egoistisch, anmaßend, hochmütig, engherzig, herablassend oder selbstherrlich.


Morgen will dich davor behüten, dass du dich selbst vergisst, dass du befangen bist und eingeschüchtert, selbstverachtend, feige und mutlos.


Verstehst du? Ich will dich behüten auf ALLEN deinen Wegen. 

Ich will dich stützen, 

dich beleben, 

dir beistehen 

- damit du - wenn du zu mir kommst, 

gerechtfertigt nach Haus gehen kannst. 

Mit weniger Last. Mit weiterem Blick.






IV) - letzte Szene:

ICH trete ein in diese Kirche. 

Stehe irgendwo zwischen Jens und Markus. 

Jesus würde vielleicht einfach ihre Hände nehmen denke ich.

Ohne Druck. Nur sie halten. So lange wie nötig.

Und meine Hände vielleicht.

Und dass es schön sein kann, mal da vorne zu stehen und im Licht und mal da hinten im Schutz der Dunkelheit., denke ich.

Und dass da viel Platz ist, spüre ich - nach vorne und hinten.

Und dass über uns der Geist Gottes schwebt 

- vorne und hinten, ahne ich. amen.


Und der Friede Gottes der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.






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